Physiotherapie bei der Behandlung von Epilepsie

Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die sich auf das zentrale Nervensystem auswirkt und durch wiederholte epileptische Anfälle gekennzeichnet ist. In Deutschland sind rund 600.000 Menschen an Epilepsie erkrankt. Diese Anfälle entstehen durch zeitweise Entladungen von Nervenzellverbänden an Hirnoberflächen, die zu Funktionsstörungen im Gehirn führen. Die Art und Weise, wie sich ein epileptischer Anfall äußert, hängt davon ab, welches Areal des Gehirns betroffen ist. Dabei können einzelne Muskeln, aber auch der gesamte Körper von Zuckungen bzw. Krämpfen betroffen sein. Einige Betroffene berichten auch von kurzzeitiger Bewusstlosigkeit.

Die Behandlung von Epilepsie umfasst in der Regel Medikamente (Antiepileptika), aber auch Physiotherapie kann eine wichtige Rolle bei der Verbesserung der Lebensqualität von Menschen mit Epilepsie spielen.

Was ist Epilepsie?

Epilepsie umfasst eine Vielzahl von chronischen Erkrankungen des zentralen Nervensystems, die aufgrund einer Überaktivität der Nervenzellen im Gehirn auftreten. Wenn Nervenzellen übermäßig aktiv sind, können sie anfallsartige Funktionsstörungen auslösen. Diese reichen von kaum merklichen geistigen Abwesenheiten (z. B. Absencen bei Kindern oder kognitive Anfälle bei Erwachsenen) über Wahrnehmungsstörungen bis hin zu schweren Krampfanfällen mit Bewusstseinsverlust.

Es gibt generalisierte Anfälle (Grand Mal), bei denen das gesamte Gehirn beteiligt ist, und fokale Anfälle (Petit Mal), die nur in einem Teil des Gehirns entstehen. Epileptische Anfälle sind in der Regel sehr kurz. Meistens dauern sie nicht länger als 2 Minuten. Wenn ein Anfall länger als 5 Minuten anhält, handelt es sich um einen Status epilepticus. Auch wenn sich 2 oder mehr Anfälle kurz hintereinander ereignen, ohne dass sich der*die Betroffene dazwischen erholen konnte, spricht man von einem Status epilepticus.

Einzelne epileptische Anfälle können auch bei Menschen ohne Epilepsie auftreten. Auslöser dieser Gelegenheitsanfälle sind dann zum Beispiel akute Erkrankungen, Verletzungen oder Fieberkrämpfe bei Kindern. Um eine Epilepsie handelt es sich nur, wenn man ohne ersichtlichen Grund mindestens zwei epileptische Anfälle hatte, die im Abstand von mehr als 24 Stunden auftraten oder nach einem ersten Anfall ohne bekannten Auslöser eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass innerhalb der nächsten 10 Jahre weitere Anfälle auftreten. Letzteres kann z. B. angenommen werden, wenn die Krankheit in der Familie bereits häufiger diagnostiziert wurde.

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Ursachen und Risikofaktoren

Die Ursachen der Epilepsie sind noch nicht vollständig geklärt. In vielen Fällen ist eine Form der Epilepsie schon früher in der Familie aufgetreten, was für eine erbliche Veranlagung spricht. In einigen Fällen kann man Veränderungen im Erbmaterial (Genmutation) erkennen. Manche Anfälle können sich in Folge von Unfällen (posttraumatisch) oder als Reflexantwort ereignen. Bei anderen Anfällen können Veränderungen in der Gehirnstruktur (z. B. eine fokale kortikale Dysplasie) ursächlich sein.

Epilepsien sind zwar seit dem Altertum bekannt, die Ursache der Erkrankung ist jedoch noch nicht völlig geklärt. Mit Medikamenten bekommt man die Erkrankung in vielen Fällen gut in den Griff.

Ziele der Physiotherapie bei Epilepsie

Die Ziele der Physiotherapie bei Epilepsie sind vielfältig und umfassen:

  • Verbesserung der motorischen Fähigkeiten und Koordination: Kinder mit Epilepsie sind in ihren Bewegungsabläufen und der Koordination oft eingeschränkt. Durch gezielte Bewegungstherapien kann die Motorik und Koordination verbessert werden.
  • Vorbeugung von Gelenkversteifungen (Kontrakturenprophylaxe): Bewegung hilft, der Versteifung von Gelenken vorzubeugen. Wenn ein Kind nicht selbst gehen kann, können die Gelenke auch passiv durchbewegt werden.
  • Steigerung der körperlichen Ausdauer und Geschicklichkeit: Umfangreiche Aktivitäten fördern Körper, Geist und Seele.
  • Verbesserung der kognitiven Funktionen: Die Ergotherapie zielt darauf ab, die kognitiven Funktionen zu verbessern und Strategien zum besseren Umgang mit Beeinträchtigungen zu erlernen.
  • Förderung der Selbstregulation und Selbsterkenntnis: Gestaltungstherapie kann helfen, innere Konflikte bewusst zu machen und zu bewältigen.
  • Unterstützung bei der Krankheitsbewältigung und Entwicklung eines positiven Selbstwertgefühls: Ziel einer Rehabilitation ist es vor allem, die Betroffenen bei ihrer Krankheitsbewältigung und der Entwicklung eines positiven Selbstwertgefühls zu unterstützen.
  • Wiedereingliederung in das Arbeitsleben und die Gesellschaft: Ein besonderer Punkt bezieht sich auf die genaue Epilepsie-Anamnese, um ein gutes Profil des Rehabilitanden zu bekommen und die Therapie individuell anpassen zu können. Anschließend werden gemeinsam mit dem Rehabilitanden die Therapieziele gesetzt. Neben der Wiederherstellung von noch bestehenden organischen Defiziten wird besonders auf die krankheitsspezifischen Ziele geachtet.

Physiotherapeutische Maßnahmen

Es gibt verschiedene Arten von Physiotherapie, die bei Epilepsie eingesetzt werden können:

  • Bobath-Therapie: Die Bobath-Therapie ist eine spezielle Form der Physiotherapie, die sich auf die Behandlung von Patienten mit neurologischen Erkrankungen konzentriert.
  • Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation (PNF): PNF ist eine Technik, die auf der Stimulierung der Muskeln und Nerven durch spezielle Übungen und Bewegungen basiert.
  • Sensorische Integrationstherapie: Bei der Sensorischen Integrationstherapie geht es darum, die Verarbeitung von sensorischen Informationen im Gehirn zu verbessern.
  • Ganganalyse und -training: Die Ganganalyse und -training ist eine Technik, bei der das Gehen von Patienten mit neurologischen Erkrankungen analysiert und verbessert wird.
  • Motorisch-funktionelle Behandlungen: Zum Beispiel Koordinationstraining und Training der Beweglichkeit.
  • Wahrnehmungsschulung (sensomotorisch-perzeptive Behandlung)
  • (Neuro-)psychologisch fundierte Behandlungen

Im Rahmen des Klinikaufenthalts werden unterschiedliche Bewegungstherapien angeboten.

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Bewegung im Alltag

Bewegung macht immer Sinn - schon im ersten Lebensjahr eines Kindes sollte man gezielt darauf achten, was das Kind schon kann. Bei Kindern mit Epilepsie kann dieser Ablauf verzögert sein. Mit Hilfe von Bewegungstherapien kann das Kind in seiner Bewegung allerdings von klein auf gut gefördert werden. Manchmal besteht der Therapiebedarf bereits ab Geburt, andere Therapien fangen ab dem 2. oder 3. Monat im Krankenhaus oder zu Hause an. Wenn Kinder eine neurologische Beeinträchtigung haben, können sie ab dem 1. Lebensjahr eine Reha bekommen. Eine Reha ist wie eine Kur für die Kinder, um Bewegungen zu erlernen und Therapien durchzuführen.

Bewegung führt dazu, dass ein Kind schneller wieder fit wird - deshalb ist es bedeutsam, regelmäßige Bewegungseinheiten einzubauen. Direkt nach einem Anfall sollte intensive Bewegung vermieden werden. Wenn ein Kind viele Anfälle hat, kann es sein, dass Bewegung auch nur in einem gewissen Ausmaß möglich ist. Bei Fragen sollte man sich am besten an das Behandlungsteam wenden.

Eine Möglichkeit der Förderung der Bewegung, die man als Familie umsetzen kann, ist es, nach draußen zu gehen und Dinge mit den Kindern zu unternehmen.

Rehabilitation bei Epilepsie

Eine medizinische Reha unterstützt Betroffene gemäß ihren Möglichkeiten, ihr eigenes Leben zu gestalten. Das Epilepsie-Programm ist sowohl für die Anschlussheilbehandlung als auch für Heilverfahren geeignet. Die Anmeldung erfolgt nach Erstellung eines Antrags bei dem zuständigen Leistungsträger.

Während des Reha-Aufenthaltes bekommen die Patienten ein umfangreiches interdisziplinäres Programm, inklusive Physio- und Ergotherapie, sportliche Betätigung, Freizeitbeschäftigung, kognitives Training sowie psychologische Beratung. In dieser Zeit werden auch Beratungen durch Sozialarbeiter angeboten. Verschiedene krankheitsspezifische Schulungen finden ebenso statt. Auch Im Rahmen der ärztlichen Visiten werden verschiedene krankheitsbedingte Probleme (Stigmatisierung, Medikamenten Compliance, gesunder Lebensstil, usw.) gezielt thematisiert.

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Nicht aufgenommen werden können Menschen, deren Beeinträchtigungen die Teilnahme an Schulungen und verschiedenen Behandlungsangeboten unmöglich machen. Solche Beeinträchtigungen sind etwa:

  • schwere Intelligenzminderung
  • schwere Verhaltensstörungen mit Eigen- oder Fremdgefährdung
  • akute Phasen von psychiatrischen Erkrankungen, z. B. schwere Depressionen, Suizidrisiko, akute Psychosen oder Abhängigkeitserkrankungen
  • Patienten, bei denen die internistischen Komorbiditäten deutlich im Vordergrund stehen.

Medikamentöse Behandlung

Die wesentliche Säule der Behandlung bei immer wieder auftretenden Anfällen ist eine Behandlung mit Medikamenten (Antiepileptika). Diese beeinflussen die elektrische Erregbarkeit des Nervensystems, wirken aber nicht gegen die eigentliche Ursache der Epilepsie. Diese Beeinflussung der überschießenden Erregbarkeit bestimmter Nervenzellverbände sorgt dafür, dass sich epileptische Anfälle im Nervensystem nicht gut ausbreiten können und idealerweise vollständig unterdrückt werden. Das bedeutet auch, dass viele Betroffene ihr Medikament ein Leben lang einnehmen müssen, um dauerhaft eine Anfallsfreiheit erreichen zu können.

Da die medikamentöse Beeinflussung des Nervensystems nicht nur gezielt auf epileptische Übererregbarkeit gerichtet werden kann, müssen mit der Behandlung potenziell auch Nebenwirkungen in Kauf genommen werden. Zu den häufigen Nebenwirkungen zählen z.B. Schwindelgefühl und eine Beeinträchtigung geistiger Funktionen im Sinne von Müdigkeit. In vielen Fällen stellt sich der Körper in wenigen Wochen auf das Medikament ein, sodass zumindest einige Nebenwirkungen nachlassen oder ganz verschwinden. Daher ist es sinnvoll, zumindest eine gewisse Zeit die Nebenwirkungen zu tolerieren und erst dann mit dem Arzt zu entscheiden, ob gegebenenfalls ein Medikamentenwechsel oder eine Dosisreduktion notwendig ist.

Leider ist es nicht möglich vorherzusagen, welche Patient welches Medikament gut verträgt und davon profitiert. Je nach Anfallsart und Schwere der Anfälle müssen Arzt und Patient sich für ein Medikament entscheiden. Dieses wird schrittweise so lange in der Dosis erhöht, bis eine ausreichende Wirkung eintritt, ohne dass dauerhaft beeinträchtigende Nebenwirkungen auftreten.

Entscheidend ist, dass die Medikamente regelmäßig in der empfohlenen Dosis genommen werden. Nur so kann die Anfallsbereitschaft erfolgreich gesenkt werden.

Für die Dosisfindung gibt es für die meisten Medikamente keine festgelegten Angaben, da es bei manchen Menschen ausreicht, den Beckenrand nur leicht zu erhöhen, aber bei anderen Menschen trotz höchster Dosierungen keine Anfallsfreiheit zu erreichen ist.

Der Grundsatz ist: soviel wie nötig und so wenig wie möglich, da sowohl die erwünschten Wirkungen (Kontrolle der Anfälle) als auch die unerwünschten Wirkungen (z.B. Müdigkeit, Schwindelgefühl und ähnliches) von der Dosis abhängen. Eine höhere Dosis würde häufig zwar besserwirken, aber nur zum Preis von vermehrten unerwünschten Wirkungen.

Die meisten Patienten kommen mit der regelmäßigen Einnahme eines Medikamentes sehr gut zurecht und vertragen diese auch gut.

Ketogene Diät

Bei Patienten mit Epilepsie kann auch eine ketogene Diät in Betracht gezogen werden.

Die Energiezufuhr erfolgt überwiegend aus Fett. Kohlenhydrate dürfen nur in kleinsten Mengen gegessen werden. Das Nahrungsfett wird in Ketonkörper umgewandelt, welche die Energie ins Gehirn liefern. Dadurch ist eine Anfallsreduktion möglich. Weitere Verbesserungen sind im Bereich der Konzentration, Motorik u. a. 60 - 90 % der Kalorien werden in Form von Fett zugeführt.

Daraus ergibt sich eine neue Lebensmittel-Auswahl:

  • Viel: Rapsöl, Kokosöl, Avocado, Nüsse, Nussmehle, Sojamehl, Kokosmehl, Leinsamen, Flohsamenschalen, Mascarpone, Kokosdrink, Mandeldrink, Sahne, Cremè frâiche, Wurst, Käse
  • In begrenzter Menge: Gemüse, Obst, fettreiche Milchprodukte, Fleisch, Fisch, Eier
  • Nicht bzw. kaum: Zucker, Hülsenfrüchte, Weißmehle, Nudeln, Reis, fettarme Milchprodukte, Gewürzmischungen, Fertigprodukte

Die Einstellung auf die Diät erfolgt im Rahmen eines zwei- bis dreiwöchigen stationären Aufenthaltes. Individuelle Vorlieben und Abneigungen des Patienten werden berücksichtigt. Auch bei Allergien, Unverträglichkeiten oder vegetarischer Ernährung ist die Therapie möglich. Der Übergang von normaler Kost zur Diät erfolgt nahtlos, ein Fasten zu Beginn ist nicht erforderlich. Die Speisen werden täglich gemeinsam mit der Diätassistentin in der Lehrküche zubereitet. Tägliche Einzelberatung und Einweisungen in das Berechnen von Speisen mittels Rechenprogramm werden angeboten. Ein Einkaufstraining rundet das Schulungsprogramm ab. Für die ersten beiden Tage nach der Entlassung erhält der Patient das Essen mit.

Verhalten bei einem epileptischen Anfall

Wenn man Zeug*in eines epileptischen Anfalls bei einer anderen Person wird, ist es sehr wichtig, ruhig und besonnen zu bleiben. Vor allem sollte man überlegen, wie man die Person vor Verletzungen schützt. Alles andere hängt von der Stärke und der Art der Anfälle ab.

  • Leichte epileptische Anfälle mit wenigen Symptomen: Bei kurzen Absencen oder Muskelzuckungen besteht keine unmittelbare Gefahr. Danach können sich die Betroffenen unsicher fühlen und Unterstützung benötigen.
  • Anfälle mit eingeschränktem Bewusstsein oder Verhaltensänderungen: Wenn Menschen mit einem epileptischen Anfall verwirrt wirken, ist es wichtig, sie vor Gefahren zu schützen (z. B. im Straßenverkehr). Gehen Sie dabei mit der Person ruhig um und fassen Sie sie nicht hart an. Hektik, Zwang oder Gewalt können zu starken Gegenreaktionen führen. Versuchen Sie dem oder der Betroffenen Halt und Nähe zu vermitteln.
  • Große generalisierte epileptische Anfälle: Bei einem großen generalisierten Anfall verkrampft der ganze Körper und die Person verliert das Bewusstsein. In diesen Fällen sollte man den Notruf 112 wählen und professionelle Hilfe rufen. Sorgen Sie für Sicherheit, indem Sie z. B. gefährliche Gegenstände beiseite räumen. Polstern Sie den Kopf des*r Betroffenen ab. Nehmen Sie seine/ihre Brille ab. Lockern Sie enge Kleidung am Hals, um die Atmung zu erleichtern. Bitten Sie Menschen, die in der Situation nicht helfen können, weiterzugehen. Bleiben Sie nach dem Anfall bei der Person und bieten Sie Ihre Unterstützung an. Wenn die Person nach dem Anfall erschöpft ist und einschläft, bringen Sie sie in die stabile Seitenlage.

Das sollten Sie in keinem Fall tun:

  • Dieden Betroffenen festhalten oder zu Boden drücken
  • der betroffenen Person etwas in den Mund schieben - auch wenn sie sich in die Zunge beißt

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