Pilgern erfreut sich wachsender Beliebtheit. Die Wanderung auf dem Jakobsweg gehört zu den Wegen, die immer mehr Menschen einmal in ihrem Leben gehen. Doch was, wenn eine Parkinson-Erkrankung dazwischenkommt? Dieser Artikel beleuchtet die Erfahrungen von Menschen, die trotz oder gerade wegen ihrer Parkinson-Erkrankung den Jakobsweg gegangen sind, und wie das Pilgern Mut macht und die Forschung unterstützt.
Parkinson und der Jakobsweg: Eine unerwartete Verbindung
Morbus Parkinson betrifft in Deutschland etwa 300.000 bis 350.000 Menschen. Längst ist es keine reine Alterskrankheit mehr: Zehn Prozent der Betroffenen sind bei der Diagnose unter 40 Jahre alt, Tendenz steigend. Die Diagnose Morbus Parkinson kann das Leben Betroffener grundlegend verändern. Doch Betroffene und Angehörige können Mut schöpfen.
Pilgern für die Parkinsonforschung: Ein Benefiz-Projekt entsteht
Im Juni 2017 begann die Planung des Projektes „Pilgern für die Parkinsonforschung“. Ziel war es, Spenden für die Hilde-Ulrichs-Stiftung zu sammeln und über die Krankheit Morbus Parkinson aufzuklären. Im Laufe der Zeit wurden Logo, Flyer, Homepage und Pressemitteilung erstellt, Sponsoren und Wegpaten gesucht und das Benefiz-Projekt öffentlich gemacht.
Stephanie Heinze: Diagnose mit 39 und der Weg zurück ins Leben
Auch Stephanie Heinze erhielt im Alter von 39 Jahren die Diagnose Morbus Parkinson. Bis zu diesem Tag im Sommer 2008 war sie beruflich erfolgreich als Assistentin der Geschäftsleitung eines großen internationalen Konzerns tätig und finanziell unabhängig. Sie erfüllte sich ihre Urlaubs(träume), wie Wanderungen durch den Himalaya, die Anden und später mit ihrem Mann Wanderungen in Vietnam sowie Patagonien und die Nationalparks von Chile und Argentinien. In Patagonien bemerkte sie zum ersten Mal, dass etwas mit ihrem Bein nicht stimmte. Damals wusste sie noch nicht, dass es die ersten Anzeichen einer Bewegungsstörung waren. Es begann eine gut zweijährige Odyssee von Arzt zu Arzt, bis sie in der Universitätsklinik Frankfurt am Main die Diagnose Parkinson erhielt.
Trotz des Schocks der Diagnose war sie sechs Jahre lang voll berufstätig. 2014 entschied sie sich, aus ihrem stressigen Beruf auszusteigen und fortan in der Hilde-Ulrichs-Stiftung für Parkinsonforschung mitzuarbeiten. Im Rahmen einer Teilhabe am Arbeitsleben absolvierte sie eine Ausbildung zur Fundraising Managerin und leitet seitdem als Geschäftsführerin die Stiftung. Die Stiftungsarbeit ist für sie eine Herzensangelegenheit.
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Das Projekt „Pilgern für die Parkinsonforschung“
2017 startete Stephanie Heinze gemeinsam mit Eva-Maria Wolf das Projekt „Pilgern für die Parkinsonforschung“. Ihre Pilgerpartnerin Eva-Maria, 70 Jahre alt aus Mühlhausen in Thüringen, lernte Stephanie im Rahmen einer Sporttherapie kennen. Ihr Mann Günter war im Alter von 43 Jahren an Parkinson erkrankt und verstarb 2016 nach langer Pflegephase.
Der erste Schritt war die trainingswissenschaftliche Beratung von Dr. Mareike Schwed, Beiratsmitglied und Gründerin der neurowerkstatt, die ein spezielles Trainings- und Schulungskonzept für Parkinsonpatienten entwickelt hat. Sie nahm ihr, neben hilfreichen und gut dosierten Trainingstipps, insbesondere die Sorge, dass sich der Parkinson als Hindernis für die 560 Kilometer erweisen könnte. Im Gegenteil: „Neuste Studien untermauern die Erkenntnisse, dass sportliches Gehen sich neuroprotektiv, also schützend, auf das Nervensystem auswirken kann.
Zehn Jahre nach ihrer Diagnose Morbus Parkinson startete sie gemeinsam mit ihrer Freundin Eva-Maria das Projekt „Pilgern für die Parkinsonforschung“. Ihr Leben hat sich verändert, es ist erfüllter, bunter, lebhafter geworden mit der Krankheit. Sie hat sich von vielen „alten“ Dingen gelöst und „neues“ Wertvolles hinzugewonnen. Das hat ihr Leben bereichert. Ihre Krankheit ist da, sie schreitet voran und es gibt nicht nur „gute Tage“ aber dennoch: Es geht ihr gut und sie hat enorm viel Lebensqualität. Neue Türen sind aufgegangenen, wertvolle Menschen sind in ihr Leben getreten und neue Freundschaften sind entstanden.
Die Pilgerreise: 560 Kilometer für den guten Zweck
Im Frühjahr 2018 pilgerten Eva-Maria Wolf und Stephanie Heinze, selbst an Parkinson erkrankt, 560 Kilometer für die Parkinsonforschung nach Santiago de Compostela. Mit Ihrer Aktion wollten Sie Erkrankten und Angehörigen Mut machen und Spenden für die Parkinsonforschung sammeln. Beide Ziele haben sie erreicht. In zahlreichen Vorträgen in Kliniken, Symposien und in Selbsthilfegruppen berichten die Pilgerinnen im Anschluss über ihre Erlebnisse und Erfahrungen auf dem Weg.
Der Camino del Norte: Eine Herausforderung
Gleich zu Beginn der Planung war für sie klar, sie wollen auf dem Küstenweg „Camino del Norte“ pilgern. Als Start wählten sie Santander aus, 560 km nach Santiago de Compostela. Dieser Weg mit seinen Küsten-Abschnitten ist unglaublich schön. Schön ist auch, dass dieser Weg nicht „überfüllt“ ist, anders wie der Hauptweg. Nachteil ist, dass dieser Weg über weite Strecken nicht gut ausgeschildert ist und es zeitweise für es uns eine Herausforderung war, auf dem Weg zu bleiben. Darüber hinaus gibt es leider auch ein paar Abschnitte, die an der Straße entlang gehen.
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Erfahrungen auf dem Jakobsweg: Mehr als nur Wandern
Die Pilgerreise war für Stephanie Heinze und Eva-Maria Wolf mehr als nur eine Wanderung. Es war eine Erfahrung, die sie innerlich und äußerlich berührte. Sie hatten intensive Begegnungen mit Menschen aus allen Ländern, die zu Pilger-Freunden wurden. Sie sind mit ihnen einen Teil des Weges gelaufen und ihnen während des Weges ans Herz gewachsen und sie hatten auch Begegnungen, die nicht von dieser Welt waren.
Das Miteinander auf dem Jakobsweg ist etwas ganz Besonderes. In einer zunehmend unpersönlichen und schnelllebigen Zeit und einer Gesellschaft, die uns vorgibt wie wir SEIN sollen, wird Freundlichkeit, Gemeinsamkeit und ehrliches Interesse an dem Gegenüber wieder groß geschrieben und das ist einfach wunderbar!
Der Weg begeistert und öffnet Menschen, die im Moment des Kennenlernens noch Fremde sind und während des Weges oder in einer Herberge beim gemeinsamen Essen und Kochen innerhalb kürzester Zeit zu Pilgerfreunden werden lässt.
Dankbarkeit, Demut und Einfachheit
Sie sind sehr dankbar, dass sie diesen Weg gemeinsam gehen durften und sie gesund ihr Ziel erreicht haben. Die gemeinsame Zeit hat sie fest zusammengeschweißt. Sie durften die Macken des anderen kennenlernen und auch wenn sie nicht immer einer Meinung waren, haben aber niemals die Achtung und den Respekt gegenüber dem anderen verloren. In den Momenten, in denen es ihnen nicht gut ging, konnten sie sich aufeinander verlassen, das war eine wichtige Erfahrung. Ihre tägliche Aufgabe war „Gehen / Essen / Schlafen“. Das Ziel war: Santiago de Compostela. „Simplify your life“In der Tat, es braucht nicht viel, um glücklich zu sein! Tagsüber ein Stück Brot, Käse, Obst, Müsliriegel, (Danke an unsere Sponsoren!), genug Wasser um über den Tag zu kommen sowie ein leckeres Pilgermenü am Abend.
Freiheit, Gesundheit und Hilfe
Freiheit ist ein großes Privileg. Freiheit bedeutet 10 Jahre nach der Diagnose auf dem Jakobsweg zu pilgern. Sie hatten keine größeren gesundheitlichen Probleme. Ihre Füße haben sie gut und weit getragen und sie hatten auch nur wenige, harmlose Blasen. Bei einigen Pilgerfreunden sah das deutlich schlimmer aus. Ihre Füße haben eine komplett neue Haut bekommen. Sie haben Hilfe erhalten und angenommen. Helfende Hände, die ihnen gereicht wurden, als sie Flüsse überquert haben, Hände, die da waren, um sie mit Wanderstöcken bei steilen und matschigen Wegen hochzuziehen.
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Irrwege und Kompromisse
In den ersten Tagen des Jakobsweges ist man noch nicht vertraut mit dem Finden des Weges. Man liest ständig im Reiseführer nach und überprüft, ob man noch auf dem „richtigen“ Weg ist. Man übersieht dabei die offensichtlichen Zeichen in Form von Pfeilen und Muscheln und sucht verzweifelt an jeder Ecke nach Wegmarkierungen, bis man lernt, dem Weg zu vertrauen und allmählich entspannter wird. Natürlich muss man zu zweit immer auch Kompromisse machen und auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Das war nicht immer einfach und die Diskussion begann manchmal schon bei der täglichen Suche nach Pfeilen und Muscheln. Es kam auch mal vor, dass sie 5 km in die falsche Richtung wanderten und dann die Strecke wieder zurücklaufen mussten.
Die Kathedrale von Santiago de Compostela: Das Ziel erreicht
Wehmut kehrt ein, wenn man am letzten Tag zum letzten Mal den Rucksack packt und weiß, dass es keinen weiteren Tag mehr gibt, kein Tagesziel mehr, denn man erreicht heute das Ziel. Der Weg durch die Vororte von Santiago in Richtung auf die Kathedrale bietet einem die Gelegenheit sich auf das Ankommen zu konzentrieren. Irgendwann sieht man von weitem die ersten Türme der Kathedrale und dann geht es ganz schnell. Man steht vor diesem imposanten und wunderschönen Bau, weint, lacht und ist einfach nur glücklich unfassbar glücklich. Um 12h startet der Pilger-Gottesdienst - ein „Muss“ für jeden Pilger. Hier werden die Pilger aus allen Ländern in den verschiedenen Sprachen begrüßt, was sehr ergreifend ist. Der Höhepunkt des Gottesdienstes ist das Schwenken den riesigen Weihrauchkessels durch die Kathedrale.
Leiden und Überwindung
Der Camino fordert und zeigt jedem seine körperlichen und seelischen Grenzen. In dem Moment, in dem man mit seinen Kräften am Boden ist, stellt er Dich vor die Prüfung und das Leiden beginnt. Wenn man es dann schafft weiterzugehen, lernt mal viel über sich und über das Leben. Die Bergetappen in Galizien - 950 Höhenmeter Aufstieg / 820 Höhenmeter Abstieg und gleich danach 750 Höhenmeter Aufstieg / 430 Höhenmeter Abstieg - haben ihnen ziemlich zu schaffen gemacht. Morgendliche Temperaturen um den Gefrierpunkt, dazu Regen und Nässe sowie eine Übernachtung im eiskalten Kloster… all das sind die Momente, die sie zwar nur an wenigen Tagen hatten, die ihnen aber viel abverlangt haben.
Morbus Parkinson und die Grenzen des Körpers
Das Gefühl den Weg mit der Krankheit geschafft zu haben, ist einfach unbeschreiblich und setzt Dopamin (Glücksgefühle) frei. Der Camino ist jedoch kein Spaziergang. Man sollte gerade mit einer chronischen Krankheit körperlich weitestgehend „fit“ sein. Darüber hinaus ist eine gute medikamentöse Einstellung Voraussetzung und man muss sich auch zutrauen, über lange Zeit jeden Tag zu laufen. Eine gute Vorbereitungszeit ist zu empfehlen. Nur dann schafft man diese Etappen. Aus der eigenen Erfahrung heraus kann Stephanie Heinze sagen, es ging alles prima bis die Bergetappen kamen und sie an ihre Grenzen gekommen ist. Aber das ist auch bei gesunden Menschen so. Während des Laufens hatte sie keine Off-Phasen. Ihr Körper war nach ein paar Tage komplett auf das Laufen programmiert. Eine Energiequelle war angezapft, die es ihr trotz chronischer Krankheit und einer Bewegungsstörung möglich machte, zu laufen, zu laufen, zu laufen. Es ist wichtig zu betonen, dass sie mit diesem Projekt nicht vermitteln wollten, dass jeder Erkrankte den Jakobsweg laufen soll.
Natur, Quellen und Rastplätze
Wie unendlich schön ist es früh morgens bei klarer, frischer Luft loszulaufen. Erfreulicherweise gibt es in den Bergregionen oftmals die Möglichkeit, an Quellen frisches Wasser abzufüllen, die sie dankend in Anspruch genommen haben. Einzigartige Brunnen in Muschelform oder direkt aus alten Steinen kommend haben ihre Sinne berührt und ihren Durst gelöscht. Nachdem sie zu Beginn immer genau dort Rast gemacht haben wo sie gerade Hunger hatten und sich einfach irgendwo hingesetzt haben - haben sie nach ein paar Tagen immer darauf vertraut, dass gleich hinter der nächsten Ecke für sie ein Geschenk wartet = ein wunderschöner, schattiger Platz zum rasten.
Regionen, Steine und das Team
Kantabrien, Asturien und Galizien, das waren die Stationen ihrer Reise. Der Weg ist so vielseitig, dass es nur sehr schwer ist, hier eine Bewertung der einzelnen Region abzugeben. Es gab Tage, da wurden uns Steine in den Weg gelegt: Der Weg war steinig, steil und noch dazu rutschig und matschig. Man musste aufpassen, dass man nicht im Schlamm ausrutscht. Aber all das hat sie nicht aufgehalten - sie sind Schritt für Schritt weiter gegangen, sind auf ihrem Weg geblieben und haben sich nicht abschrecken lassen.
Anita Maria Althaus-Schröter hat sie während des Weges betreut und sich um ihre täglichen Übernachtungen gekümmert. Sofern die Möglichkeit bestand zum selber kochen, hat sie sie abends mit Ihren „spannenden“ Pasta-Kreationen und morgens mit leckerem Obst mit Müsli zum Frühstück verwöhnt. Markus Zimmermann, mzi-Design, arbeitet seit 2014 sehr eng und vertrauensvoll mit dem Team der Hilde-Ulrichs -Stiftung für zusammen. Markus ist unser kreativer Kopf im Team. Als Webdesigner findet er immer eine Lösung, die allen gefällt. Markus weiß, wie man etwas wirkungsvoll ins rechte Bild rückt. Seine Zuverlässigkeit und sein Engagement für den guten Zweck zeichnen ihn aus und wir sind sehr dankbar für seine tolle Arbeit. Karl Heinz Brass ist vor 10 Jahren mit der Diagnose Morbus Parkinson den Jakobsweg gelaufen und hat dies in einem Film dokumentiert. Uns hat dies inspiriert, selbst auch den Jakobsweg zu gehen. Wir waren sehr glücklich, als wir Karl Heinz als Coach für unser Projekt gewinnen konnten. Karl Heinz ist unser großes Vorbild und er ist uns ein sehr guter Freund geworden. Er hat immer an uns geglaubt und uns tatkräftig im Vorfeld und während der Reise unterstützt. Wir sind sehr dankbar dafür.
Unterkünfte und Verpflegung
Sie haben während des Weges alle Übernachtungsformen erlebt: Herbergen mit 8 - 24 Plätzen in Stockbetten-Form, liebevoll von Hospitaleros geführte Unterkünfte auf Spendenbasis, Kloster-Übernachtungen, FeWo, Appartements, Hotels und Pensionen. Jede Unterkunft war ein ganz besonderes Erlebnis und heute lachen sie über schnarchende Mit-Pilger/innen, Toilettenspülungen, die sich anhören wir ein Raketenstart oder spanische Fußballfans, die das Champions-League Halbfinale bis nachts um 5h mit Feuerwerk auf der Straße vor unserm Hotel ausgiebig feiern mussten und über Laternen, die die ganze Nacht in unser Zimmer leuchteten. Wie dankbar man doch ist, wenn man endlich wieder im eigenen Bett schlafen kann. Eigentlich kein Problem auf dem Jakobsweg. Allerdings muss man sich in einigen Regionen darauf einstellen, dass es keine großen Einkaufsmöglichkeiten unterwegs gibt und man daher rechtzeitig seinen Proviant auffüllen muss. Sie hatten zwei Sponsoren, die sie mit leckerem Müsli & Power-Riegel ausgestattet haben, sodass sie auch immer ihren Energieschub dabei hatten. Abends gibt es dann überall „Pilger-Menüs“. Diese beinhalteten ein 3-Gang-Menue inkl.
Wetter und die Pilgerurkunde
Tolles Pilgerwetter hatten sie zu Beginn ihrer Reise. Viel Sonne und immer eine leichte Brise am Meer. In den Bergen von Galizien hatten sie dann morgens Frost und Bodennebel. Nach Auflösung des Nebels war es sonnig, aber kalt. Am Nachmittag goss es dann wie aus Kübeln. Zum Glück hielt dieses Wetter nicht lange an. Die Pilgerurkunde in Spanisch „Compostela“ wird vom Pilgerbüro „Oficina de Peregrinos“ in Santiago de Compostela gegen Nachweis aller Pilger-Stempel im Pilgerausweis ausgestellt. Wichtig sind hierbei die letzten 100 Kilometer nach Santiago. Es kann durchaus passieren, dass man gut und gerne mit vielen anderen Pilgern aus der ganzen Welt ca. 1-2 Stunden ansteht, um diese Urkunde zu erhalten. Die Urkunde dann in den Händen zu halten ist etwas ganz besonderes. Selbstverständlich hat sie zu Hause einen Ehrenplatz an der Wand.
Das heilige Jahr (Xacobeo)
Xacobeo ist die galicische Kurzform für Año Santo Jacobeo = Heiliges Jakobsjahr. Ein Heiliges Jahr findet nur sehr selten statt und zwar immer nur dann, wenn der Festtag des Heiligen Jakobus (25. Juli) auf einen Sonntag fällt. Das letzte heilige Jahr war 2010, das nächste ist in 2021. In dem Jahr wird dann die heilige Pforte in der Kathedrale von Santiago geöffnet.
Antje: Pilgern trotz Parkinson
2017, im Alter von 62 Jahren erhielt Antje die Diagnose Parkinson. Sie war am Boden zerstört und fragte sich: „Warum gerade ich? Die Diagnose hat mich deprimiert und ich lag nur noch auf der Couch, konnte keine 500 Meter laufen. Ihr ganzes Leben war sie aktiv und habe Sport getrieben: Artistik, Geräteturnen, Leichtathletik, Florett-Fechten, Judo, Volleyball, Schwimmen und Reiten. Während einer Reha lernte sie Axel Kuba kennen und er erzählte ihr von seinem Radprojekt „Mit Parkinson über die Pyrenäen“ und auch von dem Projekt „Pilgern mit Parkinson“ der Hilde-Ulrichs-Stiftung. Das motivierte sie sehr, denn den Jakobsweg wollte sie schon immer gehen. Warum eigentlich nicht jetzt? Sie hat angefangen zu trainieren und es hat funktioniert. Sie war überglücklich! Sie identifizierte sich schnell mit den Zielen der Hilde-Ulrichs-Stiftung und ist seitdem Fördermitglied. Die Stiftung leistet einen wichtigen Beitrag für uns Erkrankte, und bestärkt uns in eigenverantwortlichem Handeln. Denn sie fördert nicht-medikamentöse Therapien, sie ist unabhängig und nimmt keine Gelder von der Pharmaindustrie. Bewegung tut ihr gut. In Zukunft werde ich noch besser die alltäglichen Probleme lösen können. Die Diagnose Parkinson macht ihr keine Angst mehr. Im Sept. 2019 pilgerte Antje auf dem Portugiesischen Küstenweg von Porto nach Santiago de Compostela. Nach drei Wochen hielt sie überglücklich ihre Compostela in den Händen.
Petra Seegers-Wilmsen: Glück trotz Diagnose
Petra Seegers-Wilmsen erhielt mit 38 Jahren die Diagnose Parkinson. Sie sagt, dass sie riesiges Glück hat. Klingt befremdlich von einer 40-Jährigen, die vor etwa zwei Jahren die Diagnose Parkinson erhielt und seither Probleme beim Laufen, beim Greifen und bei der Feinmotorik entwickelt. Petra Seegers-Wilmsen spricht trotzdem von „Glück“. Es war im Urlaub mit ihren Eltern, als die Zeit begann, die dieses Glücksgefühl intensiv auf die Probe stellen sollte. „Du bewegst deine Hand komisch“, bekam sie von ihren Verwandten zu hören. „Vielleicht habe ich einen Nerv eingeklemmt“, war ihre damalige Reaktion. Die Beschwerden wurden intensiver und vielfältiger. „Es ist die Krankheit der vielen Gesichter.“ Ihre Armhaltung wurde auffällig, bei der Hausarbeit kam sie plötzlich an motorische Grenzen. Als sie für ihre Hochzeit die Tische vorbereitete, bemerkte sie, dass sie die Flächen „in Zeitlupe“ reinigte. „Ich wollte aber meine Trauung abwarten, bis ich zum Arzt gehe.“ Ihr künftiger Mann sah das anders. „Sofort!“, war seine Ansage. Es begann eine Zeit großer Unsicherheit. Zunächst wurde sie als Schlaganfall-Patientin behandelt. „In der Reha aber fiel das erste Mal das böse P-Wort“, erinnert sie sich. „Böse“, weil sie sich bei der Krankheit an ihre alte Tante erinnerte. Und dann kommt wieder ein Satz von Seegers-Wilmsen, der aufmerken lässt: „Ich hatte das Glück, dass Mister Parkinson mir nur einen Rüffel verpasst hat.“ Nur? Was kann sie der Situation Positives abgewinnen? „Ich habe meine Einstellung zum Leben ändern dürfen“, antwortet sie. Auch in der Küche wird Petra Seegers-Wilmsen mit dem Symptomen ihrer Krankheit konfrontiert, wenn ihr kleine Bewegungen kaum oder nicht mehr möglich sind. Ein Motto, das sie sehr ernst nimmt. „Ich schreibe mir quasi Wunschzettel, die ich selbst sofort einlöse.“ An einer Vorher-Nachher-Show im Fernsehen nahm sie teil, bei der es um ein neues Styling ihrer Haare ging. „Habe ich gewonnen.“ Sie ging ins Tonstudio und sang eine professionelle Aufnahme von Johannes Oerdings „Blinder Passagier“ ein. „Ein absoluter Moment für die Seele.“ Und sie nahm sich vor, ein Buch über ihren Lebensweg zu schreiben. Das ist bereits fertig. Klingt mit dem Blick auf die Krankheit wieder sehr seicht, fast locker. „Vielleicht habe ich diese Einstellung von meiner Oma geerbt“, sagt Seegers-Wilmsen. „Sie hatte im Krieg so viel Grausames erlebt und war trotzdem immer lebensfroh, positiv und hoffnungsvoll.“ Eine Ausstrahlung, die Seegers-Wilmsen tief beeindruckt hat. Sie hat noch von vielen weiteren Menschen Rückhalt, um ihre Situation zu meistern. „Meine Eltern haben mir immer beigebracht, mutig und stark mit Krisen umzugehen.“ Ihre Freunde lassen sie auch jetzt nicht im Stich. „Bei so vielen Plus-Punkten im Leben darf man auch mal eine Herausforderung von oben kriegen“, sagt Seegers-Wilmsen. Und meint damit ihr Schicksal, das sie auch als ihr „Kreuz“ bezeichnet. „Ich habe so viele Stationen in meinem Leben gehabt, die mir Zuversicht und Gottvertrauen mit auf den Weg gegeben haben.“ Natürlich im Elternhaus und in der katholischen Jugendarbeit am Niederrhein. Auch im Studium der Sozialpädagogik an der Katholischen Fachhochschule in Münster. Genauso als Vorsitzende des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend im Bistum Münster. Und an vielen anderen Orten. 14-mal war sie schon umgezogen, bis sie mit ihrem Adoptivsohn auf den Bauernhof hinter dem Deich einheiratete. „Ich habe einen unerschütterlichen Glauben mitgebracht“, sagt Seegers-Wilmsen. „Da bin ich nie in eine Krise geraten.“ Ein Pfund, mit dem sie wuchern kann. Gerade jetzt, wo es auch mal schwere Tage gibt, wenn das Bein so „zickt“, dass das Aufstehen morgens eine Viertelstunde dauert. Oder wenn ihr die 80-jährige Schwiegermutter beim gemeinsamen Spaziergang wegläuft. Oder als sie den von ihr geführten Hofladen wieder aufgeben musste, weil ihr zuweilen jedes fünfte Ei auf den Boden fiel. So mühsam ihr manche Bewegungen manchmal fallen, so leicht und unbeschwert geht sie oft damit um. Weil sie in ihrer Situation nicht allein ist. Weil sie mit Zuversicht und Gottvertrauen damit umgeht. Weil sie hinterm Deich am Niederrhein auch ihre Seelen-Heimat gefunden hat.
Detlef Sachse: Der Jakobsweg als Sparringspartner
Detlef Sachse erhielt im Herbst 2011 die Diagnose Morbus Parkinson. Dabei wollte er sich doch im gerade begonnenen Ruhestand einen lang gehegten Traum erfüllen und auf dem Jakobsweg vom Bodensee bis nach Santiago de Compostela pilgern. Getragen von der Hoffnung, dadurch einen Ansatz zu finden, wie er sich gegenüber seiner Krankheit behaupten kann, macht er sich dennoch auf den Weg. Im April 2015 steht schließlich die letzte Etappe auf dem Camino Francés durch Nordspanien an. In seinem Tagebuch schildert er die Auseinandersetzung mit dem Weg, der Erkrankung und sich selbst. Im Spannungsfeld von Krankheit, Glaube und Zuversicht ringt er um eine Perspektive, die ihm Halt für sein weiteres Leben geben soll. Der Jakobsweg übernimmt dabei die Rolle des Sparringpartners.
Die Hilde-Ulrichs-Stiftung für Parkinsonforschung
Die Hilde-Ulrichs-Stiftung für Parkinsonforschung ist bundesweit eine wichtige Anlaufstelle, bei der Patienten mit Morbus Parkinson eine unabhängige Beratung sowie wesentliche Informationen zum Umgang mit der Krankheit erhalten. Die Stiftung ist die erste private Stiftung in Deutschland, die die Erforschung nicht medikamentöser Behandlungsmethoden bei Morbus Parkinson fördert. Als private Stiftung ist sie auf Spenden und Zustiftungen angewiesen.
Fazit: Pilgern als Quelle von Mut und Hoffnung
Die Erfahrungen von Stephanie Heinze, Eva-Maria Wolf, Antje, Petra Seegers-Wilmsen und Detlef Sachse zeigen, dass Pilgern trotz Parkinson möglich ist. Es kann sogar eine Quelle von Mut, Hoffnung und Lebensqualität sein. Der Jakobsweg bietet die Möglichkeit, sich mit der Krankheit auseinanderzusetzen, neue Perspektiven zu gewinnen und die eigenen Grenzen zu überwinden. Gleichzeitig unterstützt das Pilgern für die Parkinsonforschung wichtige Projekte zur Verbesserung der Lebensqualität von Betroffenen.
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