Planet Wissen: Demenz – Verstehen, was Vergessen bedeutet

Demenz ist ein Thema, das in unserer alternden Gesellschaft immer mehr an Bedeutung gewinnt. Die Sendung "Planet Wissen" widmet sich diesem komplexen Thema und beleuchtet verschiedene Aspekte des Vergessens und der Demenz. Dieser Artikel fasst die wichtigsten Erkenntnisse aus den "Planet Wissen"-Sendungen zusammen und gibt einen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung, die Diagnose und den Umgang mit Demenz.

Das Gehirn und das Vergessen

Mittlerweile wissen Forschende, dass Vergessen ein aktiver Prozess im Gehirn ist. Würde unser Gehirn sich alles merken, sähe es darin aus wie in einer Rumpelkammer. Vergessen ist keine Fehlleistung des Gehirns, wir müssen vergessen, um uns zu erinnern. Die Wissenschaft hat das Erinnern in viele Teildisziplinen zerlegt: Explizites Gedächtnis, prozedurales Gedächtnis, episodisches Gedächtnis, Erinnerungshügel. Forschende auf der ganzen Welt sind dem Erinnern und Vergessen schon seit langem auf der Spur, auch, um wirksame Medikamente und Therapien bei Alzheimer entwickeln zu können. Schweizer Forscher der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel haben sogar ein Gen entdeckt, das scheinbar dafür verantwortlich ist, dass Menschen nichts vergessen können.

Vergesslichkeit im Alter vs. Demenz

Vergesslichkeit im Alter ist normal, aber wie unterscheidet sich diese von einer Demenz? Im Alter lässt die Leistungsfähigkeit des Menschen nach - körperlich und geistig. In der Mainzer Gedächtnisambulanz gilt es, Störungen der geistigen Leistungsfähigkeit sowie weiterer Hirnfunktionen möglichst früh zu diagnostizieren. Unser Gedächtnis speichert Erfahrungen und Erinnerungen.

Demenz: Eine Definition

Als Demenz bezeichnen Ärzte eine geistige Behinderung, die entstanden ist, weil das Hirn geschädigt wurde. Bei der Alzheimer-Krankheit bilden sich Neurofibrillen und Plaques, daraufhin sterben Nervenzellen ab. Doch das merkt man nicht. Es können Jahre vergehen, bis das erste Symptom auftaucht: Vergesslichkeit. Wo ist der Haustürschlüssel? Was wollte ich eben erzählen? Das sind typische Situationen. Später verlieren Betroffene die Orientierung, können nicht mehr sprechen, werden bettlägerig. Zwar lassen sich manche Symptome der Erkrankung lindern oder hinauszögern.

Die Entdeckung der Alzheimer-Krankheit

1906 beschrieb Alois Alzheimer erstmals charakteristische Veränderungen im Gehirn einer verstorbenen, dementen Patientin. 1906, in der Klinik für Gemüts- und Nervenkranke an der Universität Tübingen, die heute die Universitätsklinik für Psychiatrie ist: Der Nervenarzt Alois Alzheimer hält einen Vortrag, der ihn später berühmt machen soll. Er beschreibt eine bis dahin unbekannte Form der Demenz, das "eigenartige Krankheitsbild" seiner Patientin Auguste Deter. Bei der 55-Jährigen habe sich eine rasch zunehmende Gedächtnisschwäche bemerkbar gemacht. Sie habe sich in ihrer Wohnung nicht mehr zurechtgefunden, Gegenstände hin und her geschleppt und sie versteckt. Zuweilen habe sie geglaubt, man wolle sie umbringen, und begonnen, laut zu schreien. Nachdem seine Patientin gestorben war, untersuchte er das Gehirn von Auguste Deter: Alois Alzheimer vermutete, dass es eine biologische Ursache für die dokumentierten Veränderungen gegeben hatte. Und tatsächlich: Alzheimer erkannte, dass die Hirnrinde dünner gewesen war als üblich. Er fand auch Eiweißablagerungen in Form von Plaques. Und er konnte ungewöhnliche Bündel von sogenannten Neurofibrillen nachweisen: Dabei hatten sich Fasern in Nervenzellen verknäuelt.

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Aktuelle Zahlen und Fakten

Heute zählt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Alzheimer-Demenz zu den größten medizinischen Problemen weltweit. Im Jahr 2019 waren weltweit fast 47 Millionen Menschen an Demenz erkrankt, schätzt der Dachverband Alzheimer's Disease International (ADI). Alzheimer mache dabei rund 65 Prozent der Fälle aus. Mehr als 100 Jahre sind vergangen, seit Alois Alzheimer die Krankheit entdeckt hat. Noch immer ist sie nicht vollständig erforscht. In Deutschland gibt es mehr als fünf Millionen Menschen, die 80 Jahre oder älter sind.

Symptome und Verlauf der Alzheimer-Demenz

Mit leichter Vergesslichkeit beginnt es: Die Betroffenen verlegen ihre Brille oder finden ihre Geldbörse nicht. Sie erkennen Orte nicht wieder, an denen sie schon einmal waren. Beim Reden verlieren sie den Faden. Je weiter die Alzheimer-Demenz fortschreitet, je weiter das Gehirn geschädigt wird, umso mehr Fähigkeiten verlieren die Betroffenen: So können immer weniger assoziieren, zum Beispiel dass Schuhe und Socken an die Füße gehören oder was mit Messer, Gabel und Löffel zu tun ist. Selbst vertraute Personen werden von den Dementen nicht mehr immer wiedererkannt, und die eigene Wohnung wird ihnen fremd. Die Alzheimer-Patienten vernachlässigen mitunter auch ihr Äußeres. Und Verfolgungswahn oder Halluzinationen können sich einstellen. Es fällt ihnen immer schwerer, alltägliche Dinge zu meistern. Patienten, die das Stadium der schweren Demenz erreichen, sind völlig pflegebedürftig. Sie werden zunehmend inkontinent, müssen gefüttert werden. Nach und nach verschwindet auch die Fähigkeit zu gehen, die Gefahr von Stürzen steigt. Wenn dann jene Areale im Gehirn versagen, die für die Bewegung zuständig sind, wird der Patient bettlägerig und immer schwächer.

Was passiert im Gehirn?

Wenn die ersten Symptome auftreten, dann hat das Gehirn des Betroffenen schon einen jahrzehntelangen Veränderungsprozess hinter sich. Unbemerkt sind zahlreiche Nervenzellen mit ihren Verbindungen untereinander abgestorben. Ein Leben lang haben Milliarden von Kontakten zwischen den Nervenzellen alle Erinnerungen gespeichert. Der Verfall der Nervenzellen beginnt an Stellen im Gehirn, die mit dem Gedächtnis und mit der Informationsverarbeitung zu tun haben: Hirnregionen, in denen sich Erlerntes mit neuen Sinneseindrücken verbindet. Wenn Nervenzellen und ihre Verbindungen verloren gehen, dann können die eintreffenden Sinnesreize und Informationen nicht mehr richtig verarbeitet werden - und auch nicht mehr mit dem Erlernten verknüpft werden. Die Plaques sind Eiweiß-Ablagerungen: In den Hüllen von Nervenzellen befindet sich ein Eiweiß, das normalerweise fortlaufend hergestellt und abgebaut wird. Bei der Alzheimer-Krankheit lagern sich Bruchstücke dieses Eiweißes, sogenanntes Amyloid, zusammen. Diese Verklumpungen wachsen und schieben sich zwischen die Nervenzellen. Zudem wirken sie wie Gift auf die Nervenzellen und die Kontaktstellen zwischen Nervenzellen. Hinzu kommt: In den Nervenzellen wird das sogenannte Tau-Protein ein wenig umgebaut.

Ursachen und Risikofaktoren

Warum Menschen an Alzheimer erkranken, ist noch nicht vollständig geklärt. Bei jedem Menschen verändert sich das Gehirn mit der Zeit - mehr oder weniger. Die Alzheimer-Demenz taucht vor allem im Alter auf: Von den Menschen, die 60 bis 69 Jahre alt sind, hat etwa jeder Zehnte Alzheimer, bei Menschen, die 85 Jahre alt oder älter sind, etwa jeder Vierte. Zu Alois Alzheimers Zeiten starben die meisten Menschen, noch ehe sie eine Demenz erleben konnten. Dank guter Hygiene und medizinischer Versorgung von Kindheit an ist die Lebenserwartung in Deutschland rapide gestiegen. Es gibt aber noch eine andere Form von Alzheimer - eine, bei der die Krankheit oft schon früher auftaucht: Hier verursacht ein genetischer Fehler (Mutation) die Krankheit. Die Mutation sorgt dafür, dass mehr Amyloid aus den Hüllen der Nervenzellen herausgeschnitten wird. Mehr Amyloid-Klumpen führen dann zu Plaques und das nicht erst im Alter. Isländische Wissenschaftler haben zudem eine andere Mutation entdeckt, die das Gegenteil bewirken kann: Wer diese Genveränderung hat, bei dem entstehen weniger Amyloid-Klumpen als üblich und schützen so vor Alzheimer.

Behandlung und Umgang mit Demenz

So oder so: Die Alzheimer-Krankheit lässt sich nicht heilen, weil bei dieser Erkrankung Nervenzellen geschädigt und zerstört werden. Experten sprechen auch von einem "neuro-degenerativen Prozess". Allerdings können Betroffene versuchen, den Krankheitsverlauf zu verlangsamen - indem sie jene Faktoren meiden oder beheben, die das Gehirn zusätzlich schädigen: erhöhten Blutdruck, ungesunde Cholesterin-Werte, zu viel Blutzucker, Fettleibigkeit, Bewegungsmangel und Depressionen. Außerdem gibt es Medikamente, die helfen können, das Gedächtnis ein wenig länger aufrechtzuerhalten. Zusätzlich sollten Ärzte und Angehörige versuchen, das Wohlbefinden und das Selbstwertgefühl der Erkrankten so lange wie möglich zu erhalten. Eine Maxime lautet: Fordern, aber nicht überfordern! So kann sich ein Alzheimer-Patient als Versager fühlen, wenn straffes Gedächtnistraining nicht klappt. Besser ist es, über die geschaute Fernsehsendung zu sprechen, ein Fotoalbum anzusehen, Anekdoten aufzufrischen oder Handtücher zu falten. Das ist wichtig, weil Alzheimer-Patienten zwar intellektuell nicht mehr so leistungsfähig sind, aber ihre Gefühle wahrnehmen. Bis zu ihrem Tod sind sie sehr empfänglich für atmosphärische und emotionale Eindrücke. Wenn man also mit Alzheimer-Patienten spricht, ist der Tonfall wichtig, die Stimme - und weniger das Gesagte. Der Patient spürt genau, ob man ihn mag oder vielleicht unbewusst ablehnt.

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Geriatrische Versorgung

Deutschland wird alt. Aber sind Ärzte und Kliniken auf die medizinische Betreuung der vielen Betagten und Hochbetagten vorbereitet? Und brauchen diese womöglich eine andere medizinische Versorgung? "Auf jeden Fall", sagen Prof. Roland Hardt, der die Geriatrie der Mainzer Unimedizin leitet und Dirk van den Heuvel, Geschäftsführer des Bundesverband Geriatrie e.V. in Berlin. Was sie genau unter einer optimalen geriatrischen Versorgung verstehen und was es dazu braucht. Für ältere Patienten, bei denen bei einem chirurgischen Eingriff das Risiko hoch ist, ein Delir zu bekommen, gibt es eine Alternative zur Vollnarkose: die Teilnarkose. Wer sich im Alter operieren lassen muss, riskiert, dass er ein Delir bekommt. Bei einem Delir sind die Patienten nach einem chirurgischen Eingriff verwirrt, desorientiert, sehen Trugbilder, sind hyperaktiv oder apathisch. Davon erholen sich gerade hochaltrige Patienten häufig nicht wieder. Eine dauerhafte Demenz kann die Folge sein. Alte Menschen leiden häufig unter mehreren Krankheiten - sie sind multimorbid. Die Betagten müssten auch von Fachärzten medizinisch versorgt werden. Doch Studien bestätigen die Misere: Je älter und pflegebedürftiger ein Heimbewohner ist, desto seltener sieht er den Facharzt. Nach einem Krankenhausaufenthalt kommen viele ältere Menschen, die bis dahin allein lebten und sich selbst versorgen konnten, nicht mehr auf die Beine und werden zu Pflegefällen.

Persönliche Erfahrungen und der Umgang mit Betroffenen

David Sieveking ist bereits ein erwachsener Mann, als seine Mutter beginnt, ihn zu vergessen. Nach und nach fällt auf, dass sie sich immer weniger an Personen und Dinge erinnert. Die ärztliche Diagnose liefert Gewissheit: Sievekings Mutter Gretel ist an Demenz erkrankt. Ihr Gehirn baut immer weiter ab. David Sieveking beschließt, seinen Vater bei der Pflege der Mutter zu unterstützen, er zieht wieder zu seinen Eltern - und dreht darüber einen Dokumentarfilm. „Aus der Tragödie meiner Mutter ist kein Krankheits-, sondern ein Liebesfilm entstanden, der mit melancholischer Heiterkeit erfüllt ist.“ So beschreibt der Dokumentarfilmer sein Projekt. Immer wieder wirft Gretel die Namen ihrer Lieben durcheinander, sie kennt kaum noch ihr eigenes Haus. Über die wiedergefundene Nähe zu seiner Mutter erfährt er Ungeahntes und Unbekanntes über ihre Kindheit und Jugend kennen. Trotz der schwierigen Situation erlebt die Familie bis zum Tod der Mutter eine unerwartete Lebensfreude.

Vergessen als normaler Prozess

Brötchen gekauft, aber nur das Wechselgeld mitgenommen? Jeden Tag die Suche nach dem Schlüssel? Wir alle vergessen permanent Dinge, Termine, Namen. Aber warum ist das eigentlich so? Und ab wann ist Vergessen vielleicht nicht mehr normal? Wie funktioniert unser Gedächtnis? An was können wir uns erinnern? Wie groß ist der „Speicher“ unseres Gedächntnis? Kann ich vergessen, wenn ich vergessen will? Wann wird Vergessen krankhaft? Vergessen ist ganz normal - meistens!

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