Unser phänomenales Gehirn: Ein Leben lang lernfähig

Unser Gehirn ist ein faszinierendes und komplexes Organ, das uns ein Leben lang begleitet und sich ständig verändert. Es ermöglicht uns zu denken, zu fühlen, zu schmecken und zu riechen. Dank seiner Fähigkeit, sich immer wieder neu zu strukturieren, können wir uns in unbekannten Umgebungen orientieren und mit neuen Situationen zurechtkommen.

Die unglaubliche Anpassungsfähigkeit unseres Gehirns

Das Gehirn ist die Schaltzentrale für unser Gedächtnis und besteht aus rund 100 Milliarden Nervenzellen, die miteinander kommunizieren. Diese Nervenzellen sind über 100 Billionen Synapsen miteinander verbunden. Beim Lernen werden neue Reize gesetzt, wodurch sich das neuronale Netz verändert. Es bilden sich neue Verbindungen zwischen den Nervenzellen, wodurch das Netz dichter und größer wird. Diese Fähigkeit des Gehirns, sich immer wieder neu zu strukturieren, wird als Neuroplastizität bezeichnet. Sie hilft uns Menschen, bei komplexen Zusammenhängen den Durchblick zu bewahren und schnell auf neue und wichtige Informationen zu reagieren.

Neuroplastizität: Struktur und Funktion im Wechselspiel

Die Neuroplastizität beschreibt die wechselseitige Beziehung zwischen Struktur und Funktion im Gehirn. Wie sich das Gehirn verändert, wenn wir es benutzen, und wie das veränderte Gehirn wiederum unser Handeln beeinflusst. Ein Beispiel hierfür ist das Erlernen eines Instruments wie der Geige. Durch das regelmäßige Üben über Wochen und Monate hinweg verändert sich die Struktur des Gehirns. Bestimmte Verbindungen zwischen den Nervenzellen und Hirnarealen, die für das Geigespielen notwendig sind, werden aktiver.

Neurogenese: Neubildung von Nervenzellen

Wenn Nervenzellen sich neu bilden, sprechen Forscher von einer Neurogenese. Diese Neubildung findet hauptsächlich im Hippocampus statt, einem Bereich im Gehirn, der für das Gedächtnis, das Lernen und die räumliche Orientierung zuständig ist. Bis ins hohe Alter können sich im Hippocampus Nervenzellen erneuern. Dies ist besonders wichtig für Menschen, die aufgrund eines Schlaganfalls viele Dinge neu lernen müssen.

Routinen und Gewohnheiten: Der Autopilot unseres Gehirns

Unser Gehirn spielt auch bei Routinen eine wichtige Rolle. Sind wir einmal an eine Verhaltensweise gewöhnt, schalten wir gewissermaßen auf Autopilot, um Arbeit zu sparen. Dies zeigt sich auch bei der Ernährung: Essen wir Lebensmittel mit sehr viel Zucker und Fett, gewöhnt sich unser Gehirn daran und verlangt nach mehr. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Bereiche im Gehirn an Signale des Magens gekoppelt sind, die vermutlich das menschliche Hunger- und Sättigungsgefühl beeinflussen. Die Effekte von Zucker und Fett auf das Gehirn sind sogar auf MRT-Bildern zu sehen.

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Neue Gewohnheiten etablieren: Eine Frage der Zeit

Wie lange es dauert, neue, gesunde Gewohnheiten aufzunehmen, ist individuell verschieden. Die Dauer variiert je nach Studie und Routine zwischen 18 und 245 Tagen.

Einblicke ins Gehirn: Moderne bildgebende Verfahren

Mit Hilfe der Neurowissenschaften können die Fähigkeiten unseres Gehirns immer genauer erklärt werden. Ein Blick ins Gehirn ist mit bildgebenden Verfahren wie der Magnetresonanztomographie (MRT) möglich. Damit kann man Veränderungen von Hirnarealen untersuchen und das neuronale Netz in seiner Dichte erfassen. Es bietet Möglichkeiten, immer besser zu verstehen, wie unser Gehirn tatsächlich lernt. Allerdings reicht das MRT-Verfahren nicht aus, um die neuronalen Aktivitäten im Detail zu erkennen.

Funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT)

Um den Geheimnissen des Gehirns auf die Spur zu kommen, messen die Hirnforscher, welche Teile des Gehirns unter welchen Umständen besonders aktiv werden. Ein wichtiges bildgebendes Verfahren ist die sogenannte funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT), eine Sonderform der gewöhnlichen MRT. Bei der fMRT messen die Forscher zusätzlich den Sauerstoffgehalt des Bluts im Gehirn. Dadurch machen sie sichtbar, wie und wo das Gehirn gerade arbeitet.

Magnetoenzephalographie (MEG)

Bei der Magnetoenzephalographie (MEG) messen Forscher über Sensoren die feinen elektrischen Aktivitäten der Nervenzellen im Gehirn. Auf den dadurch entstehenden Bildern können sie erkennen, wie stark bestimmte Teile des Gehirns beansprucht werden.

Gehirn-Computer-Schnittstellen

Durch die Messung der Hirntätigkeit können Wissenschaftler einen Computer über gedachte Befehle steuern. Sensoren messen zum Beispiel die Hirntätigkeit, die sich einstellt, sobald der Proband sich eine bestimmte Bewegung vorstellt, und setzen diesen Impuls um - beispielsweise um einen Cursor auf dem Monitor zu bewegen oder Geräte zu steuern.

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Die Grenzen der Hirnforschung

Trotz solcher Experimente ist die Wissenschaft aber weit entfernt davon, den Inhalt unseres Bewusstseins auslesen zu können. Wie das Gehirn als Organ funktioniert, unterscheidet sich vollkommen davon, wie wir uns selbst wahrnehmen, wie wir denken und fühlen. Im Gehirn selbst gibt es keine Bilder oder Farben, sondern wie in einem Computer nur bestimmte Schaltzustände. Die Kluft zwischen der gemessenen Gehirnaktivität und dem Erlebnis des tatsächlichen Denkvorgangs bleibt auch für die Hirnforschung unüberbrückbar.

Anwendungen der Hirnforschung

Je genauer die Forscher die Zentren der Hirnaktivität kennen, desto vielfältiger können sie auf diese einwirken. Das gilt in erster Linie für neuronale Erkrankungen, bei denen bestimmte Hirnareale geschädigt sind. So gelang es beispielsweise den Wissenschaftlern der Ruhr-Universität Bochum, allein durch den Einsatz einer speziellen Magnetspule den Tastsinn zu verfeinern. Hirnforscher koppeln die bildgebenden Verfahren außerdem mit künstlicher Intelligenz, um in Zukunft vorauszusagen, wie Krankheiten wie Parkinson bei Patienten verlaufen.

Das Gedächtnis: Unsere persönliche Festplatte

Unser Gehirn arbeitet stets auf Hochtouren, denn es sortiert, filtert und speichert Erlebnisse, Eindrücke und Erfahrungen im Gedächtnis ab. Im Vergleich zur Festplatte eines Computers speichert unser Gehirn nicht Null und Eins, sondern bei jeder Informationsverarbeitung verändert sich die Verknüpfung der Nervenzellen im Gehirn. Dieses sogenannte neuronale Netz ist bei jedem Menschen unterschiedlich.

Die drei Gedächtnisbereiche

Drei verschiedene Gedächtnisbereiche sind im Gehirn für das Lernen von Bedeutung:

  • Das Ultrakurzzeitgedächtnis: Hier bleiben Informationen nur für etwa zwei Sekunden gespeichert und werden dann verworfen oder gelangen ins Kurzzeitgedächtnis.
  • Das Arbeits- oder Kurzzeitgedächtnis: Hier werden Informationen bis zu 20 Minuten gespeichert. Danach werden sie gelöscht, um Platz für Neues freizugeben.
  • Das Langzeitgedächtnis: Hier werden Informationen langfristig gespeichert.

Prozesse der Konsolidierung

Wenn Informationen in die dritte Stufe, ins Langzeitgedächtnis übergehen sollen, dann beginnt der Prozess der Konsolidierung. Will man etwas langfristig speichern, ist es besonders notwendig, das Gelernte sich erst einmal setzen zu lassen. Es ist eine Phase, in der unser Gedächtnis allerdings auch sehr störanfällig ist und Informationen schnell vergessen kann.

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Verschiedene Arten von Gedächtnis

  • Das prozedurale Gedächtnis: Hilft uns, dass wir uns an einmal gelernte Bewegungsabläufe automatisch erinnern und sie immer wieder hervorholen können.
  • Das perzeptuelle Gedächtnis: Hilft uns Personen wieder zu erkennen, die wir lange nicht mehr gesehen haben.
  • Das semantische Gedächtnis: Speichert alle Informationen, die wir im Laufe unseres Lebens erworben haben. Dazu zählen Fremdsprachen und Wissensinhalte.
  • Das episodische Gedächtnis: Bewahrt unsere autobiographischen Erlebnisse. Diese können gute, aber auch schlechte Erinnerungen beinhalten.

Emotionen und Gedächtnis

Emotionale Momente bleiben länger im Gedächtnis gespeichert und sie sind mit dem Erinnern eng verbunden. Wenn zu diesen emotionalen Ereignissen noch Gerüche hinzukommen, dann werden die Erinnerungen besonders lange behalten.

Das limbische System

"Ganz wichtig für das Gedächtnis ist ein Bereich des Gedächtnisses, den man das limbische System nennt. Und das limbische System besteht aus dem Hippocampus und der Amygdala.

Die Tücken des Gedächtnisses

Unser Gedächtnis spielt manchmal ganz schön verrückt, wenn es versucht, Lücken zu schließen und nicht abgespeicherte Informationen zu ergänzen. Dabei können unbewusst Falschaussagen entstehen, von deren Wahrheitsgehalt man generell überzeugt ist, aber die notwendige Information nicht abgespeichert hat.

Gedächtnistraining und Bewegung

Wir können unser Gedächtnis aber auch trainieren. Eine wichtige Rolle bei Erkrankungen spielt Bewegung. Studien haben gezeigt, dass das Gehirn bereits von leichter körperlicher Aktivität profitiert. Je höher und intensiver die körperliche Aktivität, umso größer waren die Hirnregionen, entweder in Bezug auf das Volumen oder auf die Dicke des Kortex. Das haben wir unter anderem beim Hippocampus beobachtet, der als Schaltzentrale des Gedächtnisses gilt.

Die Plastizität des Gehirns: Ein Leben lang lernen

Bis vor wenigen Jahren galt unter Wissenschaftlern als ausgemacht: Das Gehirn eines Erwachsenen verändert sich nicht mehr. Heute weiß man jedoch, dass das Gehirn bis ins hohe Alter laufend umgebaut wird. Manche Neurobiologen vergleichen es sogar mit einem Muskel, der trainiert werden kann. Die Vorstellung, dass das Gehirn ein Leben lang lernfähig bleibt, ist aus wissenschaftlicher Sicht unbestritten.

Synaptische Plastizität

Lernen findet an den Synapsen statt - also den Orten, an denen die elektrischen Signale von einer Nervenzelle zur nächsten übertragen werden. Neurowissenschaftler haben herausgefunden, dass Synapsen die Effektivität der Übertragung variieren können. Man bezeichnet dieses Phänomen auch als synaptische Plastizität. So kann eine Synapse durch einen Vorgang namens Langzeitpotenzierung (LTP) verstärkt werden, indem sie mehr Botenstoff ausschüttet oder mehr Botenstoffrezeptoren bildet.

Die Baustelle Gehirn

Stärkung und Schwächung, Auf- und Abbau - die Stärke, mit der Signale zwischen Nervenzellen übertragen werden, wird laufend angepasst. Etwas vereinfacht könnte man sich also vorstellen, dass die Signalübertragung verstärkt wird, wenn das Gehirn etwas speichert - und abgeschwächt wird, wenn es vergisst. Ohne die Plastizität würde dem Gehirn folglich etwas Fundamentales fehlen: seine Lernfähigkeit.

Trainingseffekte

Mit dem Lernen verhält es sich wie mit dem Sport: Je mehr eine bestimmte Fähigkeit gefordert wird, desto effektiver wird sie erledigt. Wer beispielsweise Taxi fährt, muss sich gut orientieren und Routen merken können. Durch die tägliche Arbeit wird so das Ortsgedächtnis immer besser. Das hinterlässt auch Spuren im Gehirn, zum Beispiel im Gehirn Londoner Taxifahrer: Forscher haben herausgefunden, dass in ihrem Gehirn der Hippocampus - ein für das Ortsgedächtnis zentrale Region im Gehirn - über die Jahre größer wird.

Reparaturmechanismen

Seine Plastizität hilft dem Gehirn zudem, Schäden zumindest teilweise zu reparieren. Sterben beispielsweise bei einem Schlaganfall Nervenzellen ab, können benachbarte Hirnregionen die Aufgaben des betroffenen Gebiets zum Teil übernehmen.

Verschaltungen im Gehirn: Ein komplexes Netzwerk

Das menschliche Gehirn lässt sich nach verschiedenen Kriterien untergliedern. Besonders auffällig ist die zum Endhirn gehörende sogenannte Großhirnrinde, der sogenannte Kortex. Sie ist im Laufe der Evolution so stark gewachsen, dass sie fast das gesamte Gehirn umgibt. Die Großhirnrinde ist Sitz vieler höherer geistiger Fähigkeiten. Einzelne Bereiche haben dabei unterschiedliche Aufgaben. So sind manche Areale darauf spezialisiert, Sprache zu verstehen, Gesichter zu erkennen oder Erinnerungen abzuspeichern. In der Regel ist aber keine Region allein für eine bestimmte Fähigkeit verantwortlich, sondern nur im Zusammenspiel mit anderen.

Magnetresonanztomografie (MRT)

Welche Gehirngebiete miteinander verbunden sind, untersuchen Wissenschaftler mithilfe der sogenannten Magnetresonanztomografie (MRT). Mit dieser Technik können sie die zu Fasersträngen gebündelten Fortsätze von Nervenzellen sichtbar machen, die die Areale der Großhirnrinde miteinander verbinden.

Funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT)

Mit einer Variante dieser Technik, der sogenannten funktionellen Magnetresonanztomografie, können Wissenschaftler zwischen aktiven und nicht aktiven Gehirnregionen unterscheiden.

Das Konnektom

Einen exakten Schaltplan des Gehirns lässt sich jedoch mit der MRT-Technik nicht erstellen, dafür ist die Genauigkeit der Methode nicht hoch genug. Schließlich sitzen bis zu 10.000 Synapsen auf einer Nervenzelle, 100 Billionen sind es insgesamt. Dies zeigt, wie dicht das Kommunikationsnetz im Gehirn ist. Die Wissenschaftler entwickeln deshalb neue Methoden, mit denen sie das Konnektom entschlüsseln können.

Modellfälle für die Forschung

An Max-Planck-Instituten arbeiten sie bereits heute daran, die Prinzipien der Informationsverarbeitung aufzuklären. Derzeit konzentrieren sie sich auf einfacher aufgebaute Gehirne, die weniger Nervenzellen und -fasern besitzen als das Gehirn des Menschen. Mäuse, Zebrafische und sogar Wirbellose dienen als Modellfälle für die Forschung.

Fazit

Unser Gehirn ist ein phänomenales Organ, das uns ein Leben lang begleitet und sich ständig anpasst. Dank seiner Plastizität können wir lernen, uns erinnern und uns an neue Situationen anpassen. Die Neurowissenschaften ermöglichen uns immer tiefere Einblicke in die Funktionsweise unseres Gehirns und eröffnen neue Möglichkeiten, neuronale Erkrankungen zu behandeln und unsere geistigen Fähigkeiten zu verbessern.

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