Polyneuropathie: Ursachen und Behandlung

Der Begriff Polyneuropathie bezeichnet eine Erkrankung der peripheren Nerven, also der Nerven, die vom Rückenmark in den Körper ziehen. Diese Nerven leiten Impulse zu den Muskeln und Sinnesreize von der Haut und den Organen ins zentrale Nervensystem. Periphere Nerven enthalten motorische Nervenfasern, die die Muskeln ansteuern, sensible Nervenfasern, die Empfindungen wie Berührung, Schmerz oder Temperatur vom Körper zum Gehirn leiten, und autonome/vegetative Nervenfasern, die unbewusste Informationen leiten und z.B. die Schweißdrüsen, den Magen-Darm-Trakt, das Herz und die Gefäße ansteuern.

Eine Polyneuropathie kann verschiedene Beschwerden im Alltag verursachen. Es gibt jedoch viele Behandlungsmöglichkeiten und Therapien, die die Lebensqualität verbessern können.

Ursachen der Polyneuropathie

Ärzte kennen mehr als 200 verschiedene Ursachen für die Nervenkrankheit Polyneuropathie. Es gibt erworbene (deutlich häufiger) oder angeborene (seltener) Ursachen. Die wichtigsten sind:

  • Diabetes mellitus: Bis zu einem Drittel aller Menschen mit Diabetes Typ-1 und Diabetes Typ-2 entwickeln Schäden an den peripheren Nerven als Folge ihrer Zuckerkrankheit. Je länger die Zuckerkrankheit besteht, desto höher steigt das Risiko, eine Polyneuropathie zu entwickeln. Nicht selten entstehen Nervenschäden bereits im Vorstadium des Diabetes (= Prädiabetes), also lange vor der eigentlichen Diagnose. Ein Vitamin-B1-Mangel kann solche Nervenschäden begünstigen.
  • Alkoholmissbrauch: Langjähriger, hoher Alkoholkonsum kann ebenfalls eine Neuropathie auslösen. Alkohol gilt als „Nervengift“ und stört die Weiterleitung von Reizen und Signalen. Bei der Polyneuropathie aufgrund chronischen Alkoholmissbrauchs könnte auch eine Mangelernährung eine Rolle spielen, die zu einem Vitaminmangel führt, unter anderem zu einer Unterversorgung mit Vitamin B1.
  • Vitamin-B12-Mangel: Etwa durch eine einseitige Ernährung. Gefährdet sind zum Beispiel Menschen mit veganer Ernährungsweise, die komplett auf tierische Lebensmittel wie Fleisch, Eier und Milchprodukte verzichten. Auch nach einer Magenoperation, zum Beispiel wegen Magenkrebs, kann ein Mangel an Vitamin B12 eine Polyneuropathie hervorrufen.
  • Nierenkrankheiten: Wichtige Nährstoffe werden vermehrt ausgeschieden.
  • Lebererkrankungen
  • Schilddrüsenüberfunktion (Hyperthyreose) oder Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose)
  • Infektionen mit Viren und Bakterien: Z. B. Borreliose, Herpes simplex, Pfeiffersches Drüsenfieber
  • Autoimmunkrankheiten: Z. B. Guillain-Barré-Syndrom - die Nervenscheiden der peripheren Nerven nehmen Schaden
  • Krebserkrankung: Die Neuropathie kann ein erstes Warnsignal sein
  • Chemotherapie bei einer Krebserkrankung: Besonders platinhaltige Zytostatika wie Cisplatin fördern die Polyneuropathie
  • Gifte: Z. B. Schwermetalle wie Blei, Arsen und Thallium können das Nervensystem ebenso wie Quecksilber und einige Lösungsmittel nachhaltig schädigen. Stellt ein Neurologe ein solches Umweltgift als Auslöser der PNP fest, sollte der Kontakt damit in Zukunft vollständig gemieden werden.

Symptome der Polyneuropathie

Eine Polyneuropathie kann sich durch vielfältige Symptome äußern. Je nach den betroffenen Nerven können die Beschwerden das Fühlen, Bewegungsabläufe oder auch die körperliche Kraft betreffen. Abhängig von der Art der betroffenen Nervenfasern entstehen unterschiedliche Symptome:

Sensible Beschwerden: Schäden an sensiblen Nerven, die Informationen aus dem Körper zum Gehirn leiten, können zu Fehlempfindungen führen. Die Haut fühlt sich ohne erkennbaren Auslöser pelzig oder taub an, sie kribbelt, juckt, brennt oder sticht. Viele PNP-Patienten berichten außerdem von schmerzlosen Wunden und dem Gefühl, wie auf Watte zu gehen. Darüber hinaus nehmen Betroffene Temperaturen häufig verfälscht wahr oder empfinden schon bei leichtesten Berührungen extreme Schmerzen.

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  • Ein Ausfall sensibler Nervenfasern führt zu Gefühlsstörungen, wie z.B. einem Taubheitsgefühl, einer gestörten Temperatur- oder Schmerzempfindung oder einer Lagesinnstörung.

Motorische Beschwerden: Schäden an motorischen Nerven, die Befehle des Gehirns an die einzelnen Muskelfasern des Körpers weiterleiten, können Muskelzuckungen und -krämpfe verursachen und Schmerzen auslösen. Häufig erlahmen die betroffenen Muskeln im Verlauf der Erkrankung und die körperliche Ausdauer lässt allmählich nach.

Autonome Beschwerden: Werden die autonomen Nerven, die die Organe unbewusst steuern, durch eine PNP in Mitleidenschaft gezogen, kann es zu unterschiedlichsten Symptomen kommen:

  • Übermäßiges oder vermindertes Schwitzen
  • Ohnmachts- und Schwindelanfälle vor allem nach dem Aufstehen
  • Herzrasen in Ruhe oder zu langsamer Herzschlag bei Anstrengung
  • Schluckbeschwerden
  • Völlegefühl, Verstopfung und Durchfall
  • Erschwertes oder ungewolltes Wasserlassen
  • Wassereinlagerungen und Hautveränderungen an den Füßen
  • Erektionsstörungen
  • Fehlende Pupillenbewegungen

Diagnose der Polyneuropathie

Um herauszufinden, welchen Ursprung die Polyneuropathie hat, ist ein ausführliches ärztliches Gespräch wichtig. Dabei erfragt der Arzt unter anderem:

  • Welche Beschwerden bestehen?
  • Wann und wo diese zuerst aufgetreten sind?
  • Ob diese nur an Füßen und Händen auftreten oder auch an anderen Körperstellen?
  • Ob sich die Symptome verstärken oder verändern?
  • Ob und welche Vorerkrankungen bestehen?
  • Welche Medikamente eingenommen werden?
  • Wie viel Alkohol man trinkt und ob man Drogen konsumiert?
  • Wie das Sexualleben aussieht und ob sexuell übertragbare Infektionen bestehen?

Außerdem ist eine körperliche Untersuchung wichtig. Der Arzt prüft Muskelkraft, Reflexe sowie die Wahrnehmung von Berührungen, Temperatur und Vibration.

Ergänzend kommen elektrophysiologische Untersuchungen zum Einsatz:

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  • Elektroneurografie (ENG): Misst, wie schnell Nerven eine Erregung weiterleiten.
  • Elektromyografie (EMG): Zeichnet die Aktivität eines Muskels in Ruhe und bei Anspannung auf.

Weitere Untersuchungen, wie Bluttests, Liquoruntersuchung oder Nervenbiopsie, können bei speziellen Fragestellungen sinnvoll sein.

Behandlung der Polyneuropathie

Die Behandlung der Polyneuropathie richtet sich nach ihrer Ursache. Sind andere Erkrankungen die Ursache für die Nervenschäden, gilt es, diese zunächst zu behandeln. Durch eine Behandlung der jeweiligen Erkrankung lassen sich die Beschwerden oft verbessern, aber nicht heilen.

Medikamentöse Therapie

  • Schmerztherapie: Wesentlich ist eine begleitende Schmerztherapie. Sie erfolgt meist mit Antidepressiva oder Antikonvulsiva. Antidepressiva bewirken, dass der Körper vermehrt Botenstoffe bildet, die die Weiterleitung von Schmerzsignalen hemmen. Antikonvulsiva dämpfen die Erregbarkeit der Nerven und bekämpfen so Schmerzen. Reichen diese Maßnahmen nicht aus, können starke Schmerzmittel wie Opioide helfen. Man wird zunächst die Medikamente einsetzen, die jetzt nicht als Schmerzmittel stärkere Nebenwirkungen befürchten lassen, sondern eher nebenwirkungsärmer sind, also die Antidepressiva Pregabalin und Gabapentin. Das Medikament Duloxetin gehört in diese Gruppe der Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer. Antikonvulsiva sind Medikamente, die eigentlich zur Behandlung von Epilepsien entwickelt worden sind. Man muss diese Medikamente einschleichen. Es ist so, dass keines der Medikamente wirklich sicher die Polyneuropathie bessern kann. Deswegen muss man es letztendlich ausprobieren.
  • Chemotherapie-induzierte Polyneuropathie: Es ist häufig notwendig, dass man die Chemotherapie entweder pausiert oder die Dosis reduziert, wenn die Nebenwirkungen zu stark sind. Man hat früher versucht, durch Medikamente, die während der Chemotherapie gegeben wurden, das Voranschreiten zu verhindern.

Physikalische Therapie

  • Ergotherapie und Physiotherapie: Bei den physikalischen Maßnahmen handelt es sich zum einen um ein Training für die geschädigten Nerven. Ergotherapeuten fokussieren darauf, Patienten mit funktionalen Defiziten durch regelmäßige und wiederholte Anwendung ergotherapeutischer Maßnahmen dahingehend zu helfen, dass sie in ihrem täglichen Alltag optimal zurande kommen. Dies geschieht durch teilweise motorische Anwendungen. Unter anderem spielt bei der Polyneuropathie die Gangsicherheit eine Rolle, Gangsicherheit, Sturzprävention, aber auch das Thema medizinische Trainingstherapie, Aufbau von Kraft, von Ausdauer, Erhalt derselben. Im Bereich Polyneuropathie speziell hat sie unter anderem den Sinn, etwaige Schmerzen, die Polyneuropathie ist ja auch ein Schmerzsyndrom, besser bewältigen zu können - also Schmerzbewältigung.
  • Elektrotherapie: Es gibt verschiedene Formen: galvanische Bäder, Kohlensäurebäder, die die Durchblutung verbessern. Es wird mit verschiedenen Formen der Elektrotherapie gearbeitet. Wichtigste Rolle spielt die Reizstrombehandlung, TENS, und die Hochtontherapie.
  • Vibrationstherapie: Für die Vibrationstherapie gibt es ein Gerät, das den ganzen Körper behandelt, das Galileo Gerät.

Man sollte sich auf die physikalischen Therapien, das heißt die Trainings- und Übungsbehandlungen und gegebenenfalls auch die Elektrotherapie konzentrieren und nicht versuchen, das während der Chemotherapie mit Medikamenten zu beeinflussen.

Rehabilitation

Im Reha-Aufenthalt erhalten die Patienten neben der ärztlichen und pflegerischen Betreuung Therapien nicht nur zur Behandlung der Polyneuropathie, sondern auch zu anderen Beschwerden, die oft auch ebenfalls als Folge der Chemotherapie aufgetreten sind. Dazu gehören eine ganze Reihe von Einzelbehandlungen in Ergotherapie und Physiotherapie, aber auch Teilnahme an Gruppen: die Handfunktionsgruppe zum Beispiel, die Gruppe für die Behandlung von Polyneuropathie der Füße. Sie werden Physiotherapie-Bewegungsabläufe trainieren, Sie werden unter anderem zum Beispiel eine Vibrationstherapie bei uns erhalten, einem Gerät, das Galileo heißt. Dazu kommen verschiedene Formen der Elektrotherapie. Es wird in der Reha aber auch eingegangen auf andere Beschwerden, zum Beispiel wenn jemand Rücken- oder Gelenkprobleme hat, wird es in der Physiotherapie angegangen. Sie werden allgemeine Informationen erhalten zur gesunden Lebensführung, aber auch spezifisch auf diese Krankheit bezogen.

Bei der ambulanten Reha, die den Vorteil hat, dass man zuhause leben kann und von zuhause aus zur Reha fährt, geht man zwei- bis dreimal in der Woche zu den entsprechenden Behandlungsmaßnahmen. Eine Voraussetzung dafür ist, dass die Entfernung nicht so weit. Es hat sich herausgestellt, dass die Anfahrtszeiten unter einer halben Stunde sein sollten. Die stationäre Reha ist von Vorteil, wenn die Anfahrtswege für eine ambulante Reha-Maßnahme zu weit sind.

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Das Ziel der Reha ist, dass man da nicht nur ein bisschen Erholung hat, sondern dass man die Anleitung bekommt, die einem anschließend im Alltag die Unterstützung und die Hilfe gibt.

Weitere Maßnahmen

  • Tipps zur Sturzprävention: Sturzfallen entfernen, Schuhe tragen, die rutschfest sind. Auf gutes Sehen achten.
  • Sensibilitätstraining: Sensibilisierungstraining machen, z.B. Reis in eine Schale tun und die Sensibilität der Finger wieder schulen.
  • Achtsamkeit: Den Alltag durch Achtsamkeit positiv beeinflussen. Körperwahrnehmung schulen, auch während andere Therapien gemacht werden.
  • Hilfsmittel: Walking-Stecken können eine tolle Unterstützung sein.

Leben mit Polyneuropathie

Die Polyneuropathie hat das Leben verändert, aber es gibt Einschränkungen, die im Kopf sind. Man sollte sich nicht davon abhalten lassen, am Leben teilzunehmen.

Es gibt Unterstützungsmöglichkeiten:

  • Grad der Behinderung feststellen lassen: Das können Patienten mit Krebs meistens ohne Schwierigkeiten bekommen, einen Grad der Behinderung von 50 Prozent, das befristet auf drei Jahre. Und das heißt, dass man dann beim Steuerausgleich zum Beispiel Gesundheitsausgaben ohne Sockelbeitrag hineingeben kann.
  • Neuro-Physiotherapeut: Ein Neuro-Physiotherapeut sollte sich immer wieder den Bewegungsablauf anschauen und mit gezielten Übungen gegensteuern, gezielten Anregungsmaßnahmen.
  • Unterstützung: Unterstützung kann auch sein Lymphdrainage, Massagen, aber auch ein Konzertbesuch, am Leben teilhaben.

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