Polyneuropathie ist ein Sammelbegriff für verschiedene Erkrankungen des peripheren Nervensystems. Dabei werden die peripheren Nerven oder deren Hüllen geschädigt. Die peripheren Nerven sind für die Wahrnehmung von Temperatur, Schmerzen und Berührungen sowie für die Beweglichkeit der Muskulatur und die Steuerung der Organe zuständig. Es gibt nicht "die eine" Polyneuropathie, sondern eine Vielzahl von Erkrankungen, die sich in ihren Ursachen, Symptomen und Verläufen unterscheiden.
Was ist Polyneuropathie?
Der Begriff Neuropathie bezeichnet allgemein eine Schädigung oder Erkrankung der Nerven. Bei Polyneuropathien sind mehrere periphere Nerven betroffen. Die Medizin spricht deshalb auch von „Large Fiber Neuropathien“. Die Erkrankung ist die häufigste des peripheren Nervensystems.
Warum die genaue Einteilung wichtig ist
Die Klassifikation ist in der medizinischen Praxis wichtig, um die Erkrankung präzise zu diagnostizieren und eine gezielte Therapie einzuleiten. Je nach Art der Polyneuropathie können die Behandlungsmöglichkeiten und der Verlauf stark variieren. Die Wissenschaft kennt mittlerweile rund 600 Ursachen, die einer Polyneuropathie zugrunde liegen können. Trotz ausführlicher Diagnostik lässt sich bei rund einem Viertel der Betroffenen keine Ursache für die Polyneuropathie feststellen. In den meisten Fällen stellt die Polyneuropathie keine eigenständige Krankheit dar, sondern tritt als Folge oder Begleiterscheinung einer Grunderkrankung auf.
Ursachen von Polyneuropathie
Die Ursachen für Polyneuropathie sind vielfältig. Die häufigsten sind:
- Diabetes mellitus: Bei etwa jedem zweiten Patienten mit Diabetes mellitus treten im Laufe des Lebens Nervenschäden auf. Die diabetische Polyneuropathie kann mit unterschiedlichen Symptomen einhergehen.
- Alkoholismus: Wenn Menschen über einen längeren Zeitraum regelmäßig und in übermäßigen Mengen Alkohol konsumieren, sodass körperliche, psychische und soziale Schäden entstehen, ist die Rede von chronischem Alkoholismus.
- Vitaminmangel: Ein Vitamin-B12-Mangel kann eine Polyneuropathie begünstigen. Übermäßiger Alkoholkonsum ist oft auch mit einem Mangel an Vitamin B12, Folsäure sowie Vitamin B2 und Vitamin B6 verbunden.
- Giftstoffe: Giftstoffe können ebenfalls eine Schädigung peripherer Nerven hervorrufen.
- Entzündungen: Entzündliche Polyneuropathien werden überwiegend durch Autoimmun-Erkrankungen verursacht. Dazu zählen unter anderem das Guillain-Barré-Syndrom oder die chronisch-inflammatorische demyelinisierende Polyradikuloneuropathie, kurz CIDP.
- Infektionen: Nach einer Corona-Erkrankung kann eine Small Fiber Neuropathie auftreten. Zu der langen Liste möglicher Ursachen zählen auch Infektionen.
- Medikamente: Zu der langen Liste möglicher Ursachen zählen auch Medikamente wie Chemotherapeutika.
- Autoimmunerkrankungen: Zu der langen Liste möglicher Ursachen zählen auch Auto-Immunerkrankungen wie das Sjögren-Syndrom, Zöliakie und monoklonale Gammopathie.
- Weitere Ursachen: Metabolische Polyneuropathien werden durch Stoffwechselstörungen hervorgerufen.
Symptome von Polyneuropathie
Je nachdem, welche Nerven betroffen sind, können bei der Polyneuropathie unterschiedliche Beschwerden im Vordergrund stehen. Typische Symptome der Nervenkrankheit Polyneuropathie sind Kribbeln, Brennen und Taubheit, die anfangs an beiden Füßen und Beinen auftreten. Ihren Ursprung haben die Gefühlsstörungen in den langen Nerven, die Muskeln, Haut und Organe mit dem Gehirn verbinden. Schäden an den Nerven führen dazu, dass die Weiterleitung von Informationen zwischen Gehirn, Rückenmark und dem Rest des Körpers gestört ist.
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Die ersten Anzeichen einer Polyneuropathie zeigen sich vorrangig an den vom Rumpf am weitesten entfernten Stellen. Da die Symptome Körperbereiche betreffen, die am weitesten vom Rumpf entfernt (distal) sind und an beiden Füßen auftreten, sprechen Ärzte von einer distal-symmetrischen Polyneuropathie.
Manche Menschen haben Empfindungsstörungen. Sie spüren kaum noch Temperaturunterschiede, Berührungen und Schmerzreize. Werden deshalb Druckstellen oder Verletzungen an den Füßen nicht mehr wahrgenommen, können sich schwere Wunden entwickeln. Bei Diabetes mellitus kann es auch zu einer Schädigung der autonomen Nerven kommen.
Weitere Symptome können sein:
- Schmerzen
- Muskelschwäche
- Gangstörungen
- Krämpfe
- Kalte Füße
- Störungen der Organfunktionen (z.B. Blasenlähmung, Darmträgheit, Herzrhythmusstörungen)
Small Fiber Neuropathie
Polyneuropathien betreffen im Allgemeinen die großen peripheren Nervenbahnen. Bei einer Untergruppe der Neuropathien sind insbesondere die dünnen, kleinen Nervenfasern der Haut betroffen. Sie werden unter dem Namen Small-Fiber-Neuropathien zusammengefasst. Die häufigsten Auslöser für eine Small Fiber Neuropathie sind Diabetes mellitus und eine gestörte Glukosetoleranz. Teilweise treten diese Beschwerden einseitig an anderen Körperstellen, auch an Brustkorb und Gesicht, auf.
Diagnose von Polyneuropathie
Bei Missempfindungen oder anderen Beschwerden, die im Zusammenhang mit einer Neuropathie stehen könnten, ist der Hausarzt die erste Anlaufstelle. Bei Verdacht auf eine Polyneuropathie überweist der Hausarzt an einen Neurologen.
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Die Diagnose umfasst in der Regel folgende Schritte:
- Anamnese: Bei der Erfassung der Krankengeschichte fragt der Neurologe nach den aktuellen Symptomen und ihrem ersten Auftreten, Grunderkrankungen und Medikation.
- Klinische Untersuchung: Bei der körperlichen Untersuchung werden Reflexe, Temperatur-, Schmerz- und Vibrationsempfinden an betroffenen Gliedmaßen überprüft sowie Gleichgewicht, Stand, Gang und Muskelkraft getestet.
- Nervenleitgeschwindigkeit (NLG): Gemessen wird, wie schnell elektrische Signale durch die Nerven geleitet werden.
- Spezielle Laboruntersuchungen: Das Blut wird auf spezifische Antikörper getestet.
- Bildgebung: Mittels hochauflösender Sonographie können beispielsweise Veränderungen in der Dicke eines Nervs detektiert werden.
- Quantitative Sensorische Testung: Bei der standardisierten Quantitativen Sensorischen Testung werden durch sieben verschiedene Gefühlstests an der Haut 13 Werte ermittelt. Um das Temperaturempfinden exakt zu messen, kommen bei der sogenannten Thermode computergesteuerte Temperaturreize zum Einsatz.
- Hautbiopsie: Darüber hinaus kann eine Gewebeprobe aus der Haut (Hautbiopsie) unter dem Mikroskop untersucht werden.
- Nerv-Muskel-Biopsie: Die Untersuchung einer Gewebeprobe kann helfen, die Ursache einer Polyneuropathie zu finden. Dazu wird eine sogenannte Nerv-Muskel-Biopsie aus dem Schienbein entnommen und feingeweblich untersucht. Hierbei wird festgestellt, ob der Schaden an der Hüllsubstanz des Nerven (Myelin) oder am Nerven selbst entstanden ist.
Behandlung von Polyneuropathie
Ist die Ursache der Neuropathie eine Erkrankung, steht als Erstes deren gezielte Behandlung an. So ist zum Beispiel bei Diabetes mellitus eine optimale Blutzuckereinstellung unerlässlich. Bei Alkoholismus als Ursache ist eine sofortige, lebenslange Abstinenz angezeigt.
Zusätzlich gibt es verschiedene Möglichkeiten zur symptomatischen Behandlung. Diese richtet sich danach, welche Beschwerden im Vordergrund stehen.
- Schmerzmittel: Klassische Schmerzmittel sind bei Polyneuropathie nur schlecht wirksam. Wichtig ist zudem, dass die verordnete Dosierung exakt eingehalten wird. In schweren Fällen können Opioide in Betracht gezogen werden. Eine Alternative zu oralen Medikamenten können Schmerzpflaster mit hochdosiertem Capsaicin oder Lidocain sein, insbesondere bei lokalisierten Beschwerden wie Schmerzen und Missempfindungen. Zur Schmerzbekämpfung haben sich Antidepressiva und Medikamente gegen Krampfanfälle (Epilepsie), sogenannte Antikonvulsiva, bewährt.
- Medizinisches Cannabis: Seit 2017 können Ärzte in Deutschland medizinisches Cannabis auf Rezept verschreiben. Der Einsatz von medizinischem Cannabis bei chronischen neuropathischen Schmerzen wird kontrovers diskutiert.
- Physiotherapie: Physiotherapie kann bei motorischen Einschränkungen und Gangunsicherheit dazu beitragen, die Beweglichkeit und Stabilität zu verbessern. Gegen die fortschreitende Gangunsicherheit wirkt Gleichgewichtstraining in der Physiotherapie.
- Transkutane Elektrostimulation (TENS): Bei der transkutanen Elektrostimulation, kurz TENS, werden kleine Elektroden auf die Haut geklebt, die sanfte elektrische Impulse abgeben. Sollten Medikamente zur Linderung der neuropathischen Schmerzen nicht ausreichen, kann in Absprache mit dem Arzt ein Therapieversuch erwogen werden.
- Weitere Therapien: Wie die gezielten Reize der Akupunktur die Nerven beleben, ist noch ungeklärt.
Was kann man selbst tun?
Wenn Sie von einer Polyneuropathie betroffen sind, können Sie selbst einiges tun, um den Behandlungserfolg zu unterstützen.
- Selbsthilfegruppen: In einer Selbsthilfegruppe treffen Sie auf Menschen, die genau verstehen, was es bedeutet, mit Polyneuropathie zu leben. Hier können Sie sich mit anderen Betroffenen über ihre Erfahrungen austauschen und praktische Tipps für den Alltag erhalten. Informationen über regionale Selbsthilfegruppen finden Sie beim Deutschen Polyneuropathie Selbsthilfe e.V..
- Ernährung: Ein spezielles Ernährungskonzept ist bei Polyneuropathie im Allgemeinen nicht notwendig - mit einer ausgewogenen Ernährungsweise versorgen Sie Ihren Körper mit allen essenziellen Vitaminen und Nährstoffen. Eine Nahrungsergänzung mit Folsäure, B12 oder anderen B-Vitaminen ist nur angeraten, wenn bei Ihnen ein ärztlich nachgewiesener Mangel besteht.
- Bewegung: Regelmäßige Bewegung kann neuropathische Beschwerden lindern und die Regeneration der Nerven anregen. Ideal ist die Kombination aus einem moderaten Ausdauertraining und Krafttraining. Zur Verbesserung von Gleichgewicht und Mobilität können schon einfache Übungen wie das Stehen auf einem Bein oder Gehen auf einer Linie helfen.
- Fußpflege: Bei Sensibilitätsstörungen ist eine tägliche Fußpflege unverzichtbar. Kürzen Sie die Fußnägel mit einer Nagelfeile anstatt mit der Schere, um Verletzungen zu vermeiden. Um Folgeschäden an den Füßen vorzubeugen, empfiehlt sich eine regelmäßige medizinische Fußpflege beim Podologen.
- Schuhwerk: Taubheitsgefühle oder eine eingeschränkte Schmerz- und Temperaturempfindung können das Risiko für Stürze und Verletzungen am Fuß erhöhen. Umso wichtiger ist es, dass Sie geeignetes Schuhwerk tragen. Wechseln Sie täglich die Socken.
- Hilfsmittel: Verschiedene Hilfsmittel können das Leben mit Polyneuropathie erleichtern.
Pflegegrad
Falls Sie feststellen, dass Sie oder Ihr Angehöriger im Alltag zunehmend Unterstützung benötigen, haben Sie möglicherweise Anspruch auf einen Pflegegrad. Damit stehen Ihnen verschiedene Leistungen der Pflegeversicherung zu. In einem Pflegetagebuch können Sie die Beeinträchtigungen im Alltag genauer beobachten und dokumentieren. Ein Pflegetagebuch unterstützt Sie gegebenenfalls beim Antrag auf Pflegegrad.
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Schwerbehindertenausweis
Bei erheblichen Beeinträchtigungen durch eine Polyneuropathie kann Anspruch auf einen Schwerbehindertenausweis bestehen, mit dem Sie bestimmte Nachteilsausgleiche wie zum Beispiel Steuerermäßigungen erhalten. Der Ausweis steht Ihnen ab einem Grad der Behinderung, kurz GdB, von mindestens 50 zu.
Heilungschancen
Ob eine Neuropathie heilbar ist, lässt sich nicht pauschal beantworten. Viele Polyneuropathien weisen einen chronischen Verlauf auf und begleiten Betroffene über eine lange Zeit. Ob eine Rückbildung möglich ist, können im individuellen Fall nur die behandelnden Ärzte abschätzen. Die Heilungschancen hängen davon ab, welche Ursache der Polyneuropathie zugrunde liegt. Bei einigen Arten bestehen gute Aussichten auf eine Rückbildung.
Ebenso wie sich eine chronische Polyneuropathie schleichend über einen längeren Zeitraum entwickelt, dauert es eine Weile, bis sich der Körper an die verordneten Therapien gewöhnt hat. Ob Schmerzmittel oder nicht-medikamentöse Maßnahmen - oft braucht es einige Wochen, bis eine wesentliche Linderung der Beschwerden spürbar wird.
Erfahrungsberichte von Betroffenen
Viele Betroffene berichten von einem langen Weg bis zur Diagnose. Zunächst sind es oft nur eigenartige Missempfindungen in den Füßen, ein Gefühl, als hätte man viel zu enge Socken an. Im Laufe der Zeit verstärken sich die Beschwerden, hinzu kommen Schmerzen und Gangunsicherheiten.
Einige Betroffene berichten, dass sie durch die Einnahme von hoch dosiertem Vitamin B12 eine Verbesserung ihrer Symptome erzielen konnten. Andere berichten von positiven Erfahrungen mit EMS/TENS-Geräten zur Schmerzlinderung.
Es ist wichtig zu beachten, dass jeder Mensch anders auf die verschiedenen Therapien anspricht. Was dem einen hilft, muss nicht zwangsläufig auch dem anderen helfen. Daher ist es wichtig, sich von einem Arzt oder Neurologen beraten zu lassen und gemeinsam einen individuellen Behandlungsplan zu erstellen.
Zusammenfassung
Polyneuropathie ist eine häufige Erkrankung des peripheren Nervensystems, die mit vielfältigen Symptomen einhergehen kann. Die Ursachen sind vielfältig, wobei Diabetes mellitus und Alkoholismus die häufigsten sind. Die Diagnose umfasst in der Regel eine Anamnese, klinische Untersuchung, Nervenleitgeschwindigkeitsmessung und spezielle Laboruntersuchungen. Die Behandlung richtet sich nach der Ursache und den Symptomen der Erkrankung. Es gibt verschiedene Möglichkeiten zur symptomatischen Behandlung, wie Schmerzmittel, Physiotherapie und TENS. Betroffene können selbst einiges tun, um den Behandlungserfolg zu unterstützen, wie z.B. regelmäßige Bewegung, Fußpflege und die Teilnahme an Selbsthilfegruppen.
Rehakliniken für Polyneuropathie
Auf der Internetseite „Das Rehaportal“ können Sie kostenlos nach Rehakliniken für Polyneuropathie in Ihrer Nähe suchen.
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