Polyneuropathie: Medikamente, Nebenwirkungen und Behandlungsansätze

Polyneuropathie ist eine Erkrankung des peripheren Nervensystems, die mit einer Vielzahl von Symptomen einhergehen kann, darunter Kribbeln, Brennen, Taubheit und Schmerzen. Diese Symptome treten typischerweise zuerst in den Füßen und Beinen auf, können sich aber auch auf die Hände und Arme ausbreiten. Die Erkrankung kann durch verschiedene Faktoren verursacht werden, darunter Diabetes mellitus, Alkoholmissbrauch, genetische Ursachen, Vitaminmangel oder -überdosierungen, Toxine, immunologische Vorgänge und Medikamente. Besonders Krebspatienten sind betroffen, da Chemotherapie-Medikamente oft Nervenschädigungen verursachen können.

Ursachen und Risikofaktoren

Die Ursachen für Polyneuropathie sind vielfältig. Diabetes mellitus ist die häufigste Ursache in Europa und Nordamerika, wobei die Prävalenz der diabetischen Neuropathie bei Typ-1-Diabetes zwischen 8 und 54 % und bei Typ-2-Diabetes zwischen 13 und 46 % liegt. Auch die alkoholassoziierte Polyneuropathie ist weit verbreitet, mit einer Prävalenz von 22 bis 66 % unter chronisch Alkoholkranken.

Neben diesen häufigen Ursachen gibt es auch genetische Faktoren, Vitaminmangel oder -überdosierungen, Toxine und immunologische Vorgänge, die eine Polyneuropathie auslösen können. Darüber hinaus können bestimmte Medikamente als unerwünschte Nebenwirkung eine Polyneuropathie verursachen.

Einige individuelle Faktoren erhöhen das Risiko, an einer Neuropathie zu erkranken. Neben der onkologischen Erkrankung können Begleiterkrankungen wie Diabetes mellitus oder Niereninsuffizienz eine Rolle spielen. Auch ein hoher Alkoholkonsum kann das Erkrankungsrisiko erhöhen. Genetische Faktoren beeinflussen ebenfalls den Schweregrad der Chemotherapie-induzierten Neuropathie.

Symptome und Diagnose

Die Symptome einer Polyneuropathie können vielfältig sein und hängen davon ab, welche Nerven betroffen sind. Typische Symptome sind:

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  • Kribbeln, Brennen und Taubheit in Füßen und Händen
  • Schmerzen in den Fußsohlen oder Fingerspitzen
  • Muskelschwäche oder -krämpfe
  • Gleichgewichtsstörungen und Stürze
  • Schwierigkeiten bei feinmotorischen Aktivitäten wie Schreiben oder Haus- und Gartenarbeit
  • Hör- und Sehstörungen (bei Schädigungen von Hirnnerven)

Die Diagnose einer Polyneuropathie umfasst in der Regel eine neurologische Untersuchung, bei der der Arzt die Nervenfunktion überprüft. Dazu gehören die Messung der Nervenleitgeschwindigkeit, die Prüfung des Vibrationsempfindens mit einer Stimmgabel und die standardisierte Quantitative Sensorische Testung, bei der verschiedene Gefühlstests an der Haut durchgeführt werden. Um das Temperaturempfinden exakt zu messen, können computergesteuerte Temperaturreize zum Einsatz kommen (Thermode).

In einigen Fällen kann eine Gewebeprobe (Nerv-Muskel-Biopsie oder Hautbiopsie) entnommen und feingeweblich untersucht werden, um die Ursache der Polyneuropathie zu finden.

Medikamentöse Behandlung und Nebenwirkungen

Die medikamentöse Behandlung der Polyneuropathie zielt in erster Linie auf die Linderung der Symptome ab, insbesondere der Schmerzen. Es gibt verschiedene Medikamente, die zur Behandlung neuropathischer Schmerzen eingesetzt werden können.

Antidepressiva

Trizyklische Antidepressiva (TCA) wie Amitriptylin und selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI) wie Duloxetin und Venlafaxin werden häufig zur Behandlung neuropathischer Schmerzen eingesetzt. Sie wirken, indem sie die Wiederaufnahme von Noradrenalin und Serotonin im Gehirn hemmen und so die endogene Schmerzhemmung verstärken.

  • Amitriptylin: Kann insbesondere bei begleitenden Schlafstörungen aufgrund seiner sedierenden Wirkung günstig sein. Häufige Nebenwirkungen sind jedoch Müdigkeit, Mundtrockenheit, Verstopfung und Herzrhythmusstörungen.
  • Duloxetin: Ist in Deutschland für die Behandlung der schmerzhaften diabetischen Polyneuropathie zugelassen. Häufige Nebenwirkungen sind Übelkeit, Erbrechen und Schwindel.
  • Venlafaxin: Hat in Deutschland keine Zulassung für die Behandlung neuropathischer Schmerzen, kann aber in Einzelfällen "off label" eingesetzt werden. Zu Therapiebeginn treten häufig Übelkeit und Erbrechen auf.

Antikonvulsiva

Antikonvulsiva wie Gabapentin und Pregabalin werden ebenfalls häufig zur Behandlung neuropathischer Schmerzen eingesetzt. Sie wirken, indem sie die Erregbarkeit von Nervenzellen dämpfen.

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  • Gabapentin: Wird in niedriger Dosis begonnen und langsam gesteigert, um starke Nebenwirkungen zu vermeiden. Häufige Nebenwirkungen sind Schwindel, Schläfrigkeit, Konzentrations- und Gleichgewichtsstörungen.
  • Pregabalin: Zeigt eine ähnliche Wirkung wie Gabapentin. Auch hier sind regelmäßige Kontrollen der Blutwerte erforderlich.

Carbamazepin, Oxcarbazepin, Lamotrigin und Topiramat blockieren Natriumkanäle peripherer Nozizeptorafferenzen. Aufgrund der geringen Evidenz und häufiger Nebenwirkungen werden Carbamazepin und Oxcarbazepin laut Leitlinie nicht zur Behandlung von schmerzhaften Polyneuropathien empfohlen.

Opioide

Opioide wie Tramadol und Tilidin können zur Linderung von Dauerschmerzen eingesetzt werden, sollten aber aufgrund des Risikos von Toleranzentwicklung und Abhängigkeit nur unter strenger ärztlicher Überwachung eingenommen werden.

Topische Behandlung

Topische Behandlungen wie Capsaicin-Pflaster und Lidocain-Pflaster können bei lokalisierten neuropathischen Schmerzen eingesetzt werden.

  • Capsaicin-Pflaster: Setzen Capsaicin in die Haut frei, das selektiv an TRPV1-Rezeptoren auf nozizeptiven Endigungen bindet. Dies führt initial zu einer Übererregbarkeit der Nervenfasern mit Brennen, Hyperalgesie, Allodynie und Rötung.
  • Lidocain-Pflaster: Wirken als Lokalanästhetika über Blockade spannungsabhängiger Natriumkanäle auf Nozizeptorafferenzen.

Weitere Medikamente

  • Thioctsäure (Alpha-Liponsäure): Durch die anfänglich hochdosierte Gabe von Thioctsäure können sich die Schmerzen und das Wahrnehmungsvermögen bessern, die Wirkung ist aber unsicher und die Behandlung wird von den Krankenkassen nicht bezahlt.
  • Benfotiamin: Ist ein Vorstufe von Vitamin B1 und kann den Stoffwechsel der Nerven beeinflussen.

Medikamente, die Polyneuropathie auslösen können

Einige Medikamente können als unerwünschte Nebenwirkung eine Polyneuropathie verursachen. Dazu gehören:

  • Statine: Eine italienische Studie deutet auf ein erhöhtes Polyneuropathierisiko bei Statinen hin, während eine niederländische Studie zeigt, dass Patienten mit Polyneuropathie seltener Statine eingenommen hatten.
  • Amiodaron: Periphere sensorische Neuropathien werden in den Fachinformationen als gelegentliche Nebenwirkungen aufgeführt.
  • Vincaalkaloide: Vincristin zeigt eine hohe Inzidenz für periphere Neuropathien.
  • Taxane: Docetaxel und Paclitaxel können periphere Nervenschäden verursachen.
  • Platinverbindungen: Oxaliplatin kann akute und chronische Neuropathien verursachen.
  • Bortezomib und Thalidomid: Werden zur Behandlung des multiplen Melanoms eingesetzt und können CIPN verursachen.
  • Antibiotika: Isoniazid, Ethambutol, Linezolid, Nitrofurantoin und Metronidazol können periphere Neuropathien auslösen.

Bei Patienten, die unter Polyneuropathien leiden oder durch Diabetes mellitus bzw. eine Alkoholsucht ein erhöhtes Risiko für die Entstehung einer Polyneuropathie haben, sollte die Therapie mit oben genannten Medikamenten (außer Metformin) vermieden werden. Bei zwingender Indikation ist auf Symptome zu achten, um frühzeitig reagieren zu können und unnötige Leiden zu vermeiden.

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Nicht-medikamentöse Behandlungen

Neben der medikamentösen Behandlung gibt es eine Reihe von nicht-medikamentösen Behandlungen, die bei Polyneuropathie eingesetzt werden können:

  • Physiotherapie: Kann helfen, die Muskelkraft zu stärken, die Koordination zu verbessern und Gleichgewichtsstörungen zu reduzieren.
  • Ergotherapie: Kann helfen, die Feinmotorik zu verbessern und den Alltag besser zu bewältigen.
  • Elektrotherapie (TENS): Kann helfen, die Schmerzen zu lindern, indem sie die Nerven stimuliert.
  • Akupunktur: Kann helfen, die Nerven zu beleben und die Schmerzen zu lindern.
  • Regelmäßiges Bewegungstraining: Insbesondere der Finger- und Zehenfunktionen, wird von Expert*innen empfohlen.
  • Funktionstraining: Umfasst Balanceübungen, sensomotorisches Training, Koordinationstraining, Vibrationstraining und auch Feinmotorikertraining.
  • Fußpflege: Regelmäßige Fußpflege, z.B. bei einer Kosmetikerin, ist sinnvoll, um Verletzungen und Infektionen vorzubeugen. Gut passende Schuhe tragen, in denen die Zehen genügend Bewegungsfreiheit haben und keine Druckstellen entstehen können.

Weitere Maßnahmen und Vorsichtsmaßnahmen

  • Kälte vermeiden: Patienten, die mit Probleme mit Kältereizen haben, sollten sich nicht zu lange in kalten Räumen oder bei kaltem Wetter draußen aufhalten, ohne sich entsprechend zu schützen.
  • Für einen guten Stand sorgen: Um sich sicher fortzubewegen, sollten Vorkehrungen wie festes Schuhwerk oder eine Gehhilfe getroffen werden.
  • Verletzungen und Infektionen vorbeugen: Verletzungen, wie Schnittwunden oder Verbrennungen an Händen und Füßen werden später oder gar nicht wahrgenommen, wenn das Empfinden an diesen Stellen stark eingeschränkt ist.
  • Ohrgeräusche minimieren: Wer bei lauten Geräuschen an Tinnitus leidet, sollte laute Umgebungen meiden.
  • Entspannungstechniken: Können helfen, Verspannungen und Verkrampfungen zu lösen, Ängste zu mildern und die eigenen Kräfte zu stärken.

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