Polyneuropathie nach Bandscheiben-OP: Ursachen, Symptome und Therapie

Nach einer Bandscheibenoperation (Discektomie) können verschiedene Probleme und Beschwerden auftreten, die unter dem Begriff Postdiscektomie-Syndrom zusammengefasst werden. Obwohl der Eingriff primär dazu dient, den Druck auf den Ischiasnerv zu reduzieren und Beinschmerzen zu lindern, kann es nach einer gewissen Zeitspanne erneut zu Beschwerden kommen. Es ist entscheidend, die Art der Beschwerden genau zu analysieren, um die zugrunde liegenden Ursachen zu identifizieren und eine geeignete Therapie einzuleiten.

Einführung

Viele Patienten erhoffen sich durch eine Bandscheibenoperation eine dauerhafte Linderung ihrer Schmerzen. Die Realität sieht jedoch oft anders aus, da bei einem erheblichen Teil der Patienten auch nach dem Eingriff weiterhin Nervenschmerzen bestehen. Dieser Artikel beleuchtet die möglichen Ursachen für das Auftreten von Polyneuropathie nach einer Bandscheiben-OP und bietet einen umfassenden Überblick über Symptome, Diagnoseverfahren und Therapieansätze.

Ursachen für Beschwerden nach einer Bandscheiben-OP

Prinzipiell lassen sich verschiedene Ursachen für das Postdiscektomie-Syndrom ermitteln:

Erneuter Bandscheibenvorfall

Ein erneuter Bandscheibenvorfall ist eine mögliche Ursache für wiederkehrende Beschwerden. Typisch dafür ist ein akuter Beginn, bei dem die Schmerzen plötzlich wieder auftreten und dem klassischen Wurzelkompressions-Syndrom mit Ausstrahlung ins Bein bis in den Fuß entsprechen. Ein Artikel, der im Fachmagazin Spine erschien, kann die Fragen genauer beantworten. Demnach gibt es drei Indizien, die auf einen erneuten Bandscheibenvorfall hindeuten:

  • Schmerzen beim Husten
  • Stark eingeschränkte Gehstrecke (weniger als 500 m)
  • Ein positiver Straight Leg Raise Test bei unter 30°.

Der Straight Leg Raise Test kommt bei einem Bandscheibenvorfall zum Einsatz. Trifft das auf dich zu, kann das auf einen erneuten Bandscheibenvorfall hindeuten. Lass das dann bitte von einem Arzt abklären!

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Vernarbungen zwischen Nerven und umliegendem Gewebe

Bei einer klassischen Bandscheibenoperation wird der Wirbelkanal eröffnet, um den Bandscheibenvorfall zu entfernen. Dies stellt eine innere Wunde dar, die der Körper durch Narbenbildung repariert. Je größer die Eröffnung, desto größer ist in der Regel auch die Narbenbildung. Es sollte daher möglichst wenig gesundes Gewebe verletzt werden. Dies ist der große Vorteil der endoskopischen Bandscheibenchirurgie, bei der lediglich Strukturen gespalten werden und das Fettgewebe im Wirbelkanal, welches als Gleit- und Schutzschicht dient, nur verlagert, d.h. seitlich verschoben wird.

Eine Untersuchung am University Hospital of Göttingen lässt daran zweifeln. Dabei fanden die Forscher heraus, dass es keinen Unterschied zwischen den Menschen mit und ohne Narbenbildung gab. In beiden Gruppen traten ausstrahlende Schmerzen gleich oft auf. Die Forscher fassen zusammen, dass die klinische Relevanz von Narbengewebe bei erneuten Nervenschmerzen nur gering ist. Dies wurde in späteren Untersuchungen bestätigt.

Bereits in den 1950er unternahmen die Ärzte Smyth und Wright ein bahnbrechendes Experiment. Während einer Bandscheiben-OP haben sie einen Faden um die betroffene Nervenwurzel gebunden. Zusätzlich haben sie einen Faden um eine benachbarte Nervenwurzel gelegt. Beide Fäden schauten da heraus, wo der Einschnitt gemacht wurde. Nachdem die Patienten aus der Narkose aufgewacht sind, haben die Ärzte daran gezogen. Das interessante: Nur wenn an der entzündeten Nervenwurzel gezogen wurde, spürten die Patienten die typischen Nervenschmerzen. An der unversehrten Nervenwurzel merkten sie nichts. Die Schlussfolgerung: Die Entzündung an der Nervenwurzel ist der dominante Schmerztreiber; nicht das, was auf den Nerv drückt!

Reaktive Osteochondrose

Ein Bandscheibenvorfall führt zu einem Gewebsverlust in der Bandscheibe. Auch ohne Operation resultiert daraus eine Höhenminderung des Zwischenwirbelraums und eine Verhärtung der Bandscheibe, die sogenannte Osteochondrose. Dies ist mit einem Spannungsverlust verbunden und führt letztlich zu einer Segmentlockerung, die muskulär abgefangen werden muss. Gelingt es dem Körper nicht, diese segmentale Mehrbeweglichkeit zu beseitigen, so kommt es zu einem Instabilitäts-Syndrom mit einer Mehrbelastung der Facettengelenke und im ungünstigsten Fall zur Entstehung eines Wirbelgleitens oder seitlichen Abkippens. In der Frühphase dieses Phänomens ist das so genannte Knochenmarködem bzw. Modic-Zeichen im MRT sichtbar.

Weitere Faktoren

Mittlerweile ist die Menge der Studien überwältigend, die zeigen, dass ein Gewebeschaden nicht direkt mit Schmerzen zusammenhängt. Immer wieder zeigen Untersuchungen, welchen großen Einfluss psychosoziale Faktoren wie z.B. Katastrophisieren, Stress, Depression usw. auf langanhaltende Schmerzen haben. Auch bei ausstrahlenden Schmerzen sind Katastrophisieren und Bewegungsängste entscheidende Faktoren für anhaltende Beschwerden.

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Eine Untersuchung an der University of Washington wollte es nun genauer wissen und fragte: Wer wird nach einer Bandscheiben-OP Nervenschmerzen entwickeln? Und welche Faktoren sind dafür verantwortlich? Die Forscher konnten dabei drei Faktoren identifizieren, die erneute Beschwerden wahrscheinlicher machen. Dabei bedingten vor allem zwei Faktoren erneute Nervenschmerzen im Bein. Den größten Einfluss hatten Rauchen und Depression. Ein weiterer Faktoren bedingte vor allem erneute Rückenschmerzen. So führten Gelenkschmerzen an anderen Gelenken am häufigsten zu erneuten Rückenschmerzen. Auch diese Untersuchung zeigt: Den größten Einfluss auf erneute Beschwerden hat nicht etwa ein Gewebeschaden. Sondern psychische Faktoren - also wie du mit den Beschwerden umgehst - und der Lebensstil haben viel größeren Einfluss auf die Symptome.

Symptome neuropathischer Schmerzen nach OP

Kennzeichnend für postoperative neuropathische Schmerzen beziehungsweise Nervenschmerzen allgemein ist eine charakteristisch veränderte Hautsensibilität. So reagieren Betroffene unter- oder überempfindlich (manchmal auch beides) auf Reize wie Kälte, Wärme, Berührung oder Druck. Betroffene berichten von Taubheitsgefühlen und/oder Schmerzattacken. Letztere können sich kribbelnd, brennend, stechend, einschießend oder elektrisierend äußern. Manchmal vermeiden die Betroffenen es, den schmerzbereitenden Körperteil zu bewegen, wodurch die entsprechenden Muskeln verkümmern können.

Um zu überprüfen, ob es sich bei den auftretenden Schmerzen um Nervenschmerzen handelt, können das Verteilungsmuster, die Stärke und die Qualität als Bewertungskriterien herangezogen werden. Neuropathische Schmerzen zeichnen sich häufig durch Brennen, Bohren, Stechen oder ein einschießendes Gefühl aus. Auch Berührungsempfindlichkeit, die auch als Allodynie bezeichnet wird, kann ein Symptom darstellen, da hier selbst leichte Berührungen der Haut zu starken Schmerzen führen können.

Eine Schädigung des Nervensystems liegt oftmals auch vor, wenn Schmerzen mit einem Taubheitsgefühl einhergehen, das sich auf den Bereich eines sensorischen Nervs beschränkt oder das Verteilungsmuster des Schmerzes im Versorgungsgebiet einer geschädigten Nervenwurzel, eines Rückenmarkabschnittes oder Gehirnbereiches auftritt. Letzteres ist häufig in Verbindung mit einem Bandscheibenvorfall der Fall, bei der die fünfte Nervenwurzel betroffen ist.

Diagnostische Abklärung

Die Diagnose „neuropathischer Schmerz“ kann mit umso größerer Sicherheit gestellt werden, je mehr übereinstimmende Hinweise auf eine Nervenschädigung im Rahmen der Untersuchung und Befragung des Patienten gefunden werden. Sie kann durch eine Schmerzzeichnung, Schmerzfragebögen und weitere Spezialtests ergänzt werden.

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  • QST = quantitative sensorische Testung zur Prüfung der Hautempfindlichkeit
  • Neurographie = Bestimmung der Nervenleitgeschwindigkeit
  • SEP = somatosensibel evozierte Potenziale zur Prüfung der gesamten Gefühlsbahn von der Haut über das Rückenmark bis ins Gehirn.

Oft werden darüber hinaus moderne bildgebende Verfahren eingesetzt, zum Beispiel die Computertomografie (CT) oder die Magnetresonanztomografie (MRT, auch als Kernspintomografie bezeichnet). Sie können eine Nervenschädigung direkt sichtbar machen.

Therapie des Postdiscektomie-Syndroms

Ebenso vielfältig wie die Ursachen, ist auch die Therapie des Postdiscektomie-Syndroms.

Konservative Therapie

Bestehen Rückenschmerzen auf Grund eines funktionellen Instabilitäts-Syndroms, so wird zunächst versucht krankengymnastisch, die Rückenmuskulatur aufzubauen, um dadurch der Wirbelsäule wieder Festigkeit zu geben. Auch das vorübergehende Tragen eines Korsetts kann sinnvoll sein.

Operative Therapie

Bei einem neuerlichen Bandscheibenvorfall ergibt sich die Frage einer neuerlichen Operation mit oder ohne zusätzliche Stabilisierung. Dabei kommen dynamische Systeme zur Anwendung. Häufig genügt ein so genannter interspinöser Spreitzer, der den Abstand des Zwischenwirbelraums erhalten und die Bandscheibe und die Facettengelenke entlasten soll. Bei leichten Formen der Instabilität mit eventuell einem leichten Wirbelgleiten werden dynamische Schrauben-Stab-Systeme eingesetzt. Die Art der Therapie muß genau abgewogen werden um auch langfristig Beschwerdefreiheit bzw.

Lässt sich konservativ eine Wirbelsäuleninstabilität nicht beseitigen, so kann eine stabilisierende Operation erforderlich werden. Diese kann häufig minimalinvasiv durchgeführt werden. Dabei muß zwischen dynamischen und starren Systeme gewählt werden. Dazu ist eine genaue Untersuchung notwendig. Entscheidend ist hierbei die noch vorhanden Funktion, d.h. Beweglichkeit, die in Röntgenfunktionsaufnahmen ermittelt wird sowie der Grad der Instabilität und Degeneration der Facettengelenke und der Bandscheibe. Dies wird am MRT ermittelt.

Behandlung neuropathischer Schmerzen

Die Therapie postoperativer neuropathischer Schmerzen kann wie folgt aussehen:

  • Medikamentöse Therapie: Typischerweise gegen neuropathische Schmerzen eingesetzte Medikamente sind unter anderem Antikonvulsiva, trizyklische Antidepressiva, selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer oder Opioide. Eine lokale Therapie erfolgt zum Beispiel mittels Lidocain-Pflastern. Meistens ist es sinnvoll, mehrere Medikamente miteinander zu kombinieren. Zu beachten ist, dass sowohl Wirksamkeit als auch Nebenwirkungen eines Medikaments je nach Patient sehr verschieden sein können: Arzt und Patient sollten also genug Geduld aufbringen, um gemeinsam die individuell optimale Schmerztherapie zu finden. Hierbei ist auch wichtig, die Therapieziele zu besprechen: Eine völlige Schmerzfreiheit kann im Grunde fast nie erreicht werden. Realistisch ist eine Schmerzreduktion um 30 bis 50 Prozent, sodass Schlaf- und Lebensqualität des Patienten sich verbessern können. Dies muss dem Patienten bewusst gemacht werden, damit zu hohe Erwartungen und damit Enttäuschungen vermieden werden.
  • Nicht-medikamentöse Therapie: Die nicht-medikamentöse Behandlung neuropathischer Schmerzen erstreckt sich unter anderem auf warme Fußbäder, transkutane elektrische Nervenstimulation, Akupunktur, milde Infrarotstrahlung, Applikation von Kälte, Physio- und Ergotherapie und Psychotherapie (Verbesserung der Schmerzakzeptanz).
  • Invasive Therapie: Manchmal ist es sinnvoll beziehungsweise erforderlich, neuropathische Schmerzen zusätzlich invasiv zu behandeln. Dies erfolgt unter anderem durch selektive Nervenblockaden, Ganglionblockaden oder Neuromodulationsverfahren.

Die optimale Behandlung postoperativer Nervenschmerzen erfordert ein multimodales Therapiemanagement, bestehend aus medizinischer und medikamentöser Behandlung, psychologisch-therapeutischen Maßnahmen sowie Bewegungstherapie. Hierzu müssen sich Patienten meist in spezialisierte Schmerzzentren begeben. Wichtig ist, dass die Therapie neuropathischer Schmerzen langfristig kontrolliert wird: So sollten Erfolg und Auswirkungen der Schmerzlinderung auf die Lebensbereiche des Patienten dokumentiert werden, beispielsweise in einem Schmerztagebuch. Leider können chronisch gewordene Nervenschmerzen oft nicht mehr vollständig geheilt werden. Umso wichtiger ist es in solchen Fällen, dass die Betroffenen lernen, richtig mit ihren Schmerzen umzugehen. Das Hauptziel der Behandlung neuropathischer Schmerzen ist und bleibt, die Lebensqualität der Betroffenen so gut es geht zu verbessern.

Was kannst du gegen Nervenschmerzen nach Bandscheiben-OP tun?

Zunächst darfst du verstehen: Bettruhe und Schonen wird dir nicht helfen. Tatsächlich konnte eine Untersuchung an der Lebanese University in Beirut zeigen, dass längere Bettruhe das Risiko für anhaltende Nervenschmerzen deutlich erhöht.

Eine andere Untersuchung stimmt damit überein. Das norwegische Forscherteam teilte die Patienten nach einer Bandscheiben-OP in zwei Gruppen. Die eine führte ab der 4. Wochen nach der OP ein strenges, 8-wöchiges Trainingsprogramm durch. Die andere Gruppe pausierte nach der OP für 2 Monate und bekamen dann ein gemütliches Programm für Zuhause. Die Ergebnisse sind eindeutig: Die Gruppe, die früher und energischer trainierte, hatte deutlich weniger Schmerzen und Einschränkungen nach der OP.

Denn ein frühzeitiges Training hilft nicht nur dabei, den Rücken zu kräftigen. Es unterstützt dich auch dabei, wieder Vertrauen in den Rücken zu gewinnen und Bewegungsängste zu verlieren. Zusätzlich kann es eine gute Idee sein, den Lebensstil zu bedenken. So kann eine Ernährungsumstellung die Genesung unterstützen. Ebenso kann es eine gute Idee sein, mit dem Rauchen aufzuhören und den Alkoholkonsum zu reduzieren.

Vielleicht ist die OP bei dir nun schon länger als 4 Wochen her und du fragst dich: Okay, ist es für mich jetzt zu spät? Nein, natürlich nicht! Es ist nie zu spät noch etwas zu ändern und wieder einen starken und belastbaren Rücken zu bekommen.

Prävention postoperativer Neuropathien

Menschen mit vorbestehender Erkrankung der peripheren Nerven oder mit Erkrankungen, die Nervenschädigungen begünstigen, haben ein erhöhtes Risiko für postoperative Neuropathien. Entsprechend sollten vor Operationen, insbesondere am Bewegungsapparat, neurologische Untersuchungen durchgeführt und Risikofaktoren dokumentiert werden. Dazu zählen etwa ein sehr niedriger oder ein sehr hoher Body-Mass-Index­, Diabetes mellitus und periphere Gefäßerkrankungen, Alkohol­abhängigkeit, Tabakkonsum oder eine Arthritis.

Ursache der postoperativen Komplikationen sind häufig mit dem Eingriff selbst zusammenhängende Traumen, Überdehnungen, Kompressionen oder andere Schäden, die durch die Lagerung des Patienten entstehen. Inzwischen ist aber auch belegt, dass inflamm­atorische Prozesse nach einer Operation eine Erkrankung peripherer Nerven nach sich ziehen kann. Dies zu erkennen ist wichtig, betonen die Autoren. Die Therapie besteht dann nämlich aus Physiotherapie und optional einer Steroidgabe. Ein nochmaliger chirurgischer Eingriff mit dem Ziel der Entlastung kann die Beschwerden dagegen verschlimmern.

Bei der Prävention ist primär das Operationsteam gefragt, das sich schon im Vorfeld bei der Planung des Eingriffs über Risiken und Maßnahmen zur Vermeidung von Neuropathien austauschen sollte. Bei der Positionierung des Patienten sind starke Überdehnung oder hohe Druckbelastungen wie etwa auf den Ellenbogen zu vermeiden. Die Operationszeit sollte möglichst kurz sein.

Nach der Operation empfehlen Dr. Laughlin und Kollegen die früh beginnende und fortlaufende Kontrolle hinsichtlich neuropathischer Symptome und die Identifizierung möglicher Auslöser, um frühzeitig intervenieren zu können. In jedem Fall ist die Physio­therapie ein wichtiger Bestandteil der Behandlung und essenziell für die Rekonvaleszenz­. Außerdem empfehlen sie, alle Patienten vor einem chirurgischen Eingriff über die Möglichkeit eines fortbestehenden Nervenschadens aufzuklären.

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