Polyneuropathie: Physiotherapie, Verordnung und Leitlinien

Die Polyneuropathie ist eine Erkrankung des peripheren Nervensystems, die sich durch vielfältige Symptome äußern kann. Dieser Artikel beleuchtet die Rolle der Physiotherapie in der Behandlung der Polyneuropathie, gibt Einblicke in die Verordnungspraxis und orientiert sich an aktuellen Leitlinien.

Was ist Polyneuropathie?

Polyneuropathie ist ein Sammelbegriff für Erkrankungen, die periphere Nerven betreffen. Diese Nerven sind für die Wahrnehmung von Temperatur und Schmerzen, die Beweglichkeit der Muskulatur und die automatische Steuerung von Organen verantwortlich. Bei Polyneuropathien kommt es zu einer Schädigung der peripheren Nerven oder ihrer Hülle, wobei Gehirn und Rückenmark nicht betroffen sind.

In Deutschland leiden schätzungsweise sechs bis acht Prozent der Bevölkerung an einer Polyneuropathie. Die Erkrankung kann in jedem Alter auftreten, wobei die Häufigkeit mit zunehmendem Alter steigt. Bis zum 55. Lebensjahr sind etwa 2,4 Prozent der Bevölkerung betroffen, während es ab dem 55. Lebensjahr bereits 8 Prozent sind.

Ursachen und Diagnose

Die Ursachen für Polyneuropathie sind vielfältig. Diabetes mellitus ist mit etwa 30 Prozent die häufigste Ursache, gefolgt von unklaren Polyneuropathien (CAP, kryptogene axonale Polyneuropathie) mit ca. 20 Prozent. Weitere mögliche Ursachen sind:

  • Stoffwechselstörungen und Vitaminmangel
  • Schwere Organ- oder Allgemeinerkrankungen
  • Krebserkrankungen
  • Arterielle Durchblutungsstörungen
  • Entzündliche Erkrankungen des Nervensystems (z. B. Borreliose)
  • Toxische Einflüsse (z. B. Alkohol, Medikamente, Umweltgifte)

Die Diagnostik der Polyneuropathie liegt in den Händen des Neurologen. Dabei wird mit Hilfe der Messung der Nervenleitgeschwindigkeit der Funktionszustand der Nerven erfasst. Zusätzlich kann mittels einer Blutuntersuchung (humangenetische Analyse; Erbgutanalyse) in unklaren Fällen die Ursache der Polyneuropathie weiter eingegrenzt werden.

Lesen Sie auch: Behandlungsmöglichkeiten bei alkoholischer Polyneuropathie

Symptome der Polyneuropathie

Die Symptome der Polyneuropathie sind vielfältig und hängen davon ab, welche Nervenfasern betroffen sind. Typische Symptome sind:

  • Empfindungsstörungen (Taubheit, Kribbeln, Brennen, Schmerzen)
  • Muskelschwäche oder Lähmungen
  • Reflexausfälle
  • Gangstörungen
  • Koordinative Störungen
  • Funktionsstörungen der inneren Organe (z. B. vermindertes Schwitzen, Potenz- und Blasenentleerungsstörungen, Herzrhythmusstörungen)

Die Rolle der Physiotherapie bei Polyneuropathie

Die Physiotherapie spielt eine wichtige Rolle in der Behandlung der Polyneuropathie. Sie kann dazu beitragen, die Symptome zu lindern, dieFunktionsfähigkeit zu verbessern und die Lebensqualität der Betroffenen zu erhöhen.

Ziele der Physiotherapie

Die Ziele der Physiotherapie bei Polyneuropathie sind vielfältig und werden individuell auf die Bedürfnisse des Patienten abgestimmt. Zu den wichtigsten Zielen gehören:

  • Erhalt und Verbesserung der Beweglichkeit
  • Stärkung der Muskulatur
  • Verbesserung der Koordination und des Gleichgewichts
  • Linderung von Schmerzen
  • Vorbeugung vonFolgeschäden (z. B. Muskelverhärtungen, Gelenkkontrakturen)
  • Erhalt der Selbstständigkeit im Alltag

Physiotherapeutische Maßnahmen

In der Physiotherapie werden verschiedene Maßnahmen eingesetzt, um die oben genannten Ziele zu erreichen. Dazu gehören:

  • Krankengymnastik: Krankengymnastik und Physiotherapie sind bei Polyneuropathie unverzichtbar, um trotz der Erkrankung mobil und aktiv zu bleiben und möglichst wenig Schmerzen zu haben.
  • Gleichgewichtstraining: Um das Gleichgewicht zu halten, muss man genau spüren, in welcher Lage sich der Körper befindet und ständig das Gewicht verlagern und die Muskelspannung anpassen. Dazu benötigt man ein gutes Gefühl für den eigenen Körper und eine gute Bewegungskontrolle. Training des Gleichgewichts verbessert die Koordination und macht Bewegungen damit einfacher, denn man lernt, seine Kraft besser einzusetzen und die Muskeln so zu entlasten.
  • Krafttraining: Wer trotz Polyneuropathie seine Muskeln trainiert kann damit oft erreichen, dass man dauerhaft leistungsfähiger bleibt. Aufgaben, die von Muskeln an einer Stelle nicht mehr bewältigt werden können werden dann von anderen Muskeln erledigt. Wenn man Krafttraining betreibt, insbesondere mit hohen Gewichten, dann bewirkt das auch einen Trainingseffekt auf die Knochen. Denn die Knochen müssen die von den Muskeln aufgebrachte Kraft aushalten und übertragen. Dadurch werden die Knochen dichter und bruchfester. Um einen Muskel zu aktivieren werden von den Nerven Signale an die Muskelfasern geleitet, die die Muskelfasern zur Kontraktion anregen. Es werden dabei nie alle Fasern eines Muskels gleichzeitig von den Nerven angesprochen. Allerdings lässt sich trainieren, wie viele Fasern gleichzeitig aktiviert werden können. Wenn man ein Krafttraining mit hohen Widerständen absolviert, dann wachsen in der Folge neue Nervenenden, die mehr Fasern aktivieren können in den Muskel hinein. Dadurch verbessert sich die Fähigkeit viele Muskelfasern gleichzeitig arbeiten zu lassen und dadurch die Kraft. Insbesondere, wenn man aufgrund der Polyneuropathie seine Muskelkraft verliert ist ein solches Training wichtig, denn es ermöglicht, trotz der Krankheit mehr Muskelfasern arbeiten zu lassen. Durch ein gezieltes Training ist so gut wie immer eine Kraftsteigerung möglich. Wenn die Polyneuropathie ein Körperteil lähmt, ist meist trotzdem noch die Kraftsteigerung an anderer Stelle möglich. Eine Methode die sehr häufig angewandt wird, ist das Kneten von Therapieknete oder Erbsen, um die Kraft der Finger zu erhalten. Um die Feinmotorik der Finger zu erhalten wird sie in der Physiotherapie speziell trainiert. Darüber hinaus können Patienten selbst im Alltag möglichst viele feinmotorisch anspruchsvolle Dinge tun, um diese Fertigkeiten für möglichst lange Zeit zu erhalten.
  • Dehnübungen: Ein Ziel der Krankengymnastik und Physiotherapie bei Polyneuropathie ist es, die Muskeln in einem normalen, lockeren Zustand zu halten und zu verhindern dass sich Muskelverhärtungen bilden. Außerdem möchte man die Beweglichkeit möglichst erhalten. Außerdem können krankengymnastische Dehnübungen dazu beitragen, die Schmerzen zu reduzieren. Denn die Schmerzen bei Polyneuropathie kommen nicht immer nur durch Nervenschäden zustande. Oft hat man auch Schmerzen, weil die Muskeln verhärtet sind, da Sie aufgrund der Erkrankung konstant überlastet sind.
  • Massage: Wie auch Dehnübungen kann Massage bei Polyneuropathie über einen Umweg hilfreich sein. Die Massage kann keine heilende Wirkung direkt auf die Nerven bewirken. Allerdings ist es möglich, mit dieser physiotherapeutischen Methode die Muskeln zu lockern und dadurch die Schmerzen zu reduzieren. Verkrampfte Muskeln spielen sehr häufig eine Rolle für die Entstehung von Schmerzen bei Polyneuropathie. Denn die Krankheit führt dazu, dass die Muskelkraft nachlässt und die Bewegungsmuster sich verändern. Dadurch kommt es oft zu chronischen Überlastungen der Muskeln. Diese reagieren darauf indem sie Verhärtungen bilden. Diese Verhärtungen können gewaltige Schmerzen verursachen. Deshalb lässt sich bei Polyneuropathie meist nicht unterscheiden, ob die Schmerzen aufgrund der Nervenschäden oder aufgrund der verkrampften Muskeln entstehen.
  • Vibrationstraining: Vibrationstraining gilt als eine der wirksamsten Methoden der Physiotherapie bei Polyneuropathie. Sie scheint insbesondere bei Patienten hilfreich, die aufgrund der Polyneuropathie an Schmerzen leiden. Dabei stellten Sie fest, dass das Vibrationstraining eher gegen die Schmerzen hilft, während das Gleichgewichtstraining eher gegen andere Symptome der Polyneuropathie hilft. Wichtig ist, beim Vibrationstraining nicht zu intensiv zu beginnen und insbesondere nicht zu lange am Stück zu trainieren. Wer sofort ein langes Training mit starker Vibration durchführt läuft Gefahr sich zu überlasten. Das kann häufig zu Muskelverspannungen und Schmerzen am ganzen Körper führen. Auch wenn man bereits besser trainiert ist, ist es am sinnvollsten jeweils eine Minute Vibration und eine Minute Pause abzuwechseln. Es scheint grundsätzlich bereits auszureichen, sich nur auf die Vibrationsplatte zu stellen. Die Vibration wirkt dann bereits auf die Beine und stimuliert die Nerven. Allerdings können Sie diese Zeit auch effektiver Nutzen, indem Sie noch zusätzliche Übungen machen. Man kann auf einer Vibrationsplatte übrigens nicht nur stehen. Sie können zusätzlich Ihre Arme beugen und strecken und Ihren Oberkörper dadurch auf und ab bewegen (ähnlich wie bei Liegestütze).
  • Elektrotherapie: Eine weitere Methode die in der Physiotherapie bei Polyneuropathie angewandt wird ist die Elektrotherapie. Dabei werden die Nerven mit elektrischen Reizen stimuliert. Diese Methode ist vor allem geeignet, um die akuten Schmerzen zu lindern. Die Behandlung richtet sich direkt an die Nerven und hat einen schmerzstillenden Effekt. Direkt nach der Behandlung mit TENS hat man häufig weniger Schmerzen. Allerdings verschwindet dieser Effekt meist nach wenigen Stunden wieder. Bei der Hochtontherapie werden besondere elektrische Felder verwendet, bei denen Stromfrequenz und Stärke variiert werden. Es gibt Studien, in denen ein kleiner positiver Effekt festgestellt wurde, wenn die Hochtontherapie täglich über mehrere Monate angewandt wurde. Die meisten Studien sind allerdings nur bei diabetischer Polyneuropathie durchgeführt worden. Studien bei anderen Formen der Polyneuropathie sind mir bisher nur wenige bekannt.
  • Schulung und Beratung: Der Physiotherapeut gibt dem Patienten Informationen und Ratschläge zur Selbsthilfe, z. B. zuAlltagsaktivitäten, Hilfsmitteln und Hautpflege.

Die Physiotherapie-Verordnung

Wer stellt das Rezept aus?

Ein Rezept für Physiotherapie kann ausgestellt werden von:

Lesen Sie auch: Aktuelle Forschung zu Polyneuropathie und psychosomatischen Ursachen

  • Hausärzten
  • Fachärzten (z. B. Orthopädie, Neurologie)
  • Krankenhausärzten im Rahmen des Entlassmanagements

Die Verantwortung für die Ausstellung des Rezepts liegt beim Arzt oder der Ärztin, die sicherstellen müssen, dass alle gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. Für die Terminvereinbarung und die Behandlung ist in der Regel eine Überweisung erforderlich, die von der Ärztin oder dem Arzt ausgestellt wird. Die Therapeuten dürfen nicht selbst das Rezept ausstellen - sie führen die Behandlung nur auf Grundlage der ärztlichen Anordnung durch.

Was steht auf dem Rezept?

Ein Rezept für Physiotherapie enthält klare Vorgaben:

  • Diagnose und Leitsymptomatik
  • Therapieziel
  • Verordnetes Heilmittel (z. B. Krankengymnastik, Manuelle Therapie, Elektrotherapie)
  • Anzahl und Frequenz der Sitzungen
  • Hausbesuch (falls notwendig)

Die Grundlage für jede Verordnung ist der sogenannte Heilmittelkatalog, der genau regelt, welche Therapie bei welcher Diagnose verordnet werden darf.

Gültigkeit und Fristen

Wer ein Rezept für Physiotherapie bekommt, sollte möglichst schnell einen Termin vereinbaren. Der Therapiebeginn muss innerhalb der vorgegebenen Frist erfolgen. Je nach Fall, wie z.B. Erstverordnung oder Folgeverordnung, gelten unterschiedliche Fristen. Die Behandlungsmenge ist entscheidend für die Gültigkeit und die korrekte Abrechnung der Verordnung. Ein Beispiel: Es können 3 x pro Woche Sitzungen verordnet werden. Die Häufigkeit und Menge der Behandlungen werden auf der Verordnung festgelegt und bestimmen, wie oft und in welchem Umfang die Therapie stattfindet. Nach Ablauf dieser Fristen verliert das Rezept seine Gültigkeit - nicht in Anspruch genommene Sitzungen verfallen. Das Verordnungsdatum ist maßgeblich für die Berechnung der Fristen und die Abrechnung der Behandlung.

Zuzahlung

Gesetzlich Versicherte müssen ab dem 18. Lebensjahr eine Zuzahlung leisten:

Lesen Sie auch: Polyneuropathie und Demenz: Was Sie wissen sollten

  • 10 € pro Verordnung
  • Zusätzlich 10 % der gesamten Behandlungskosten

Diese Beträge sind direkt in der Praxis zu bezahlen - am besten beim ersten Termin. In einigen Fällen können sich Patienten ganz oder teilweise von der Zuzahlung befreien lassen.

Blankoverordnung

In bestimmten Fällen kann eine sogenannte Blankoverordnung ausgestellt werden. Dabei legt die Physiotherapiepraxis selbst fest:

  • Welche Therapieform angewendet wird
  • Wie oft und in welchem Rhythmus behandelt wird

Die maximale Gültigkeit beträgt 16 Wochen ab Ausstellung.

Podologische Therapie bei Polyneuropathie und diabetischem Fußsyndrom

Die Podologische Therapie ist eine wichtige Ergänzung zur Physiotherapie, insbesondere bei Patienten mit diabetischem Fußsyndrom oder vergleichbaren Schädigungen der Haut und der Zehennägel bei nachweisbaren Gefühlsstörungen der Füße mit oder ohne Durchblutungsstörungen der Füße. Die Podologische Therapie kommt nur in Betracht bei Patientinnen und Patienten, die ohne diese Behandlung unumkehrbare Folgeschädigungen der Füße erleiden würden, wie sie durch Entzündungen und Wundheilungsstörungen entstehen können.

Die Podologische Therapie ist nur zulässig zur Behandlung von Schädigungen am Fuß, die keinen Hautdefekt aufweisen (entsprechend Wagner-Stadium 0, d. h. ohne Hautulkus). Die Podologische Therapie umfasst das fachgerechte Abtragen bzw. Bei jeder Behandlung ist die Inspektion des getragenen Schuhwerkes und der Einlagen erforderlich. Bei Auffälligkeiten sind im Rahmen der Mitteilung an die verordnende Ärztin oder den verordnenden Arzt ggf. Hinweise zur orthopädietechnischen Versorgung (z. B.

Vor der erstmaligen Verordnung einer Podologischen Therapie ist eine Eingangsdiagnostik notwendig. Bei der Eingangsdiagnostik sind der dermatologische (1.) und der neurologische (2.) Befund zu erheben. Hierzu können auch von anderen Ärztinnen oder Ärzten erhobene Befunde herangezogen werden. Störungen der Oberflächensensibilität der unteren Extremitäten (nachweisbar z. B. Störungen der Tiefensensibilität der unteren Extremitäten (nachweisbar z. B. Pathologischer Reflexstatus (abgeschwächter oder fehlender Achillessehnenreflex (ASR) oder Patellarsehnenreflex (PSR)), Parästhesie (z. B. Als Hinweis auf das Vorliegen einer Durchblutungsstörung kann z. B. ein ABI (Ancle Brachial Index) < 0,9 (nachweisbar z. B. Nach erstmaliger Verordnung einer Podologischen Therapie nach § 27 Absatz 1 Nummer 2 Buchstabe a, ist eine zeitnahe fachärztlich-neurologische Diagnosesicherung in den Fällen herbeizuführen, in denen die gesicherte Diagnose einer sensiblen oder sensomotorischen Neuropathie durch die verordnende Ärztin oder den verordnenden Arzt nicht gestellt werden kann. Jede Folgeverordnung der Podologischen Therapie setzt die erneute störungsbildabhängige Erhebung des aktuellen Fußbefundes voraus.

Leitlinien und Empfehlungen

Die Behandlung der Polyneuropathie sollte sich an aktuellen Leitlinien und Empfehlungen orientieren. Diese werden von Fachgesellschaften und Experten regelmäßig aktualisiert und geben Hinweise zurDiagnostik, Therapie und Rehabilitation der Erkrankung.

Selbsthilfegruppen und weitere Unterstützung

Wenn Sie von einer Polyneuropathie betroffen sind, können Sie selbst einiges tun, um den Behandlungserfolg zu unterstützen. In einer Selbsthilfegruppe treffen Sie auf Menschen, die genau verstehen, was es bedeutet, mit Polyneuropathie zu leben. Hier können Sie sich mit anderen Betroffenen über ihre Erfahrungen austauschen und praktische Tipps für den Alltag erhalten. Informationen über regionale Selbsthilfegruppen finden Sie beim Deutschen Polyneuropathie Selbsthilfe e.V..

tags: #Polyneuropathie #Physiotherapie #Verordnung #Leitlinien