Die Polyneuropathie ist eine häufige neurologische Erkrankung, bei der es zu Schädigungen des peripheren Nervensystems kommt. Dieses System umfasst alle Nerven außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks und ist für die Steuerung von Muskelbewegungen, Sinneswahrnehmungen und autonomen Körperfunktionen verantwortlich. Die Erkrankung kann vielfältige Ursachen haben und sich durch unterschiedliche Symptome äußern, was eine umfassende Diagnostik und einen individuell angepassten Behandlungsplan erforderlich macht. Schätzungsweise leiden fünf Millionen Deutsche unter Polyneuropathie.
Was ist Polyneuropathie?
Unter dem Begriff „Polyneuropathien“ wird eine Gruppe von Erkrankungen zusammengefasst, bei denen es zu Schädigungen des peripheren Nervensystems kommt. Infolge dieser Schädigungen ist die Funktion der betroffenen Nerven gestört. Weil mehrere Nerven beziehungsweise ganze Nervenstrukturen betroffen sind, spricht man von Polyneuropathie (griechisch poly = viel, mehrere). Zum peripheren Nervensystem gehören alle Nerven, die außerhalb des Gehirns und des Wirbelkanals liegen, also nicht Teil des zentralen Nervensystems sind. Periphere Nerven steuern Muskelbewegungen und Empfindungen wie Kribbeln oder Schmerz. Auch das vegetative Nervensystem ist Teil des peripheren Nervensystems. Seine Nervenstränge koordinieren automatisch ablaufende Körperfunktionen wie Atmen, Verdauen oder Schwitzen. Ist das periphere Nervensystem (das Nervensystem außerhalb des Gehirns und Rückenmarks) in seiner Funktion gestört, liegt eine Polyneuropathie vor. Die Beschwerden reichen von Empfindungsstörungen über Schmerzen bis zu Lähmungen. Die griechische Bezeichnung „Poly-neuro-pathie“ bedeutet: Erkrankung vieler peripherer Nerven. Der Begriff Polyneuropathie ist eine reine Beschreibung, hinter der als Ursache die unterschiedlichsten Erkrankungen stecken. Die Polyneuropathie ist eine Folge einer im ganzen Körper ablaufenden Erkrankung (systemischer Prozess).
Formen der Polyneuropathie
Abhängig von der Ausprägung der Nervenschäden und der Körperstelle unterscheiden Fachleute vier Formen:
- Symmetrische Polyneuropathie: Die Schäden an den Nervenbahnen betreffen beide Körperhälften.
- Asymmetrische Polyneuropathie: Die Erkrankung beeinträchtigt eine Seite des Körpers.
- Distale Polyneuropathie: Die Nervenschädigung zeigt sich in Körperteilen, die von der Körpermitte entfernt sind. Dazu gehören unter anderem die Hände, die Beine und die Füße.
- Proximale Polyneuropathie: Bei dieser seltenen Form der Polyneuropathie konzentrieren sich die Nervenschäden auf rumpfnahe Körperbereiche.
Neben der Einteilung nach Ausfallerscheinungen gibt es noch weitere Möglichkeiten Polyneuropathien einzuteilen, z. B. nach Nervenfasertyp oder Innervationsgebiet. Ist eine Neuropathie nicht klassifizierbar, so handelt es sich um eine idiopathische Polyneuropathie.
Ursachen der Polyneuropathie
Die meisten Polyneuropathien sind keine eigenständige Erkrankung, sondern das Erkennbarwerden einer anderen zugrunde liegenden Erkrankung. Daher sind auch die Ursachen vielgestaltig und es gibt unterschiedliche Schweregrade. Die Ursache kann auch oft erst im Verlauf geklärt werden. Beispielsweise reagieren die Nerven bei manchen Patienten früher mit einer Schädigung auf einen gestörten Glukosestoffwechsel, bevor im Blut ein Diabetes festgestellt werden kann. Es sind über 200 verschiedene Ursachen einer Polyneuropathie bekannt, wobei Diabetes mellitus und Alkoholismus an erster Stelle stehen. Aber auch Infektionskrankheiten oder Stoffwechselkrankheiten, Mangelernährung (z.B. Vitaminmangel), Gift- oder Medikamenteneinwirkungen und Erbkrankheiten können eine Polyneuropathie zur Folge haben. Erworbene Polyneuropathien sind wesentlich häufiger als angeborene.
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Häufige Grunderkrankungen und Risikofaktoren
- Diabetes mellitus: Diabetes mellitus Typ 2 und Alkoholmissbrauch gehören zu den häufigsten Ursachen für eine Polyneuropathie. Beide Faktoren zusammen sind für fast die Hälfte aller Neuropathien verantwortlich. Die diabetische Polyneuropathie zählt zu den Spätkomplikationen der Diabetes-Stoffwechselstörung. Das heißt, je länger die Krankheit besteht, desto wahrscheinlicher ist die Entstehung einer Neuropathie. Experten schätzen, dass jeder zweite Diabetiker im Laufe seines Lebens an einer diabetischen Polyneuropathie erkrankt. Der Grund dafür ist noch nicht restlos geklärt. Man vermutet aber, dass der erhöhte Blutzucker eine wesentliche Rolle spielt und die Nervenschädigung begünstigt. Hierfür spricht, dass Diabetiker, die Probleme mit der Einstellung ihres Blutzuckers haben oder diese vernachlässigen, besonders früh und besonders schwer eine Polyneuropathie entwickeln.
- Alkoholmissbrauch: Die alkoholbedingte Polyneuropathie entwickelt sich in der Regel langsam. Die meisten Erkrankten beschreiben Nervenstörungen in den Beinen. Bei der Polyneuropathie als Folge eines chronischen Alkoholmissbrauchs werden die Nerven toxisch geschädigt und dadurch die Reizleitung gestört.
- Entzündungen: (Borreliose, Lepra)
- Leber-, Nieren- und Lungenerkrankungen
- Hämatologische und rheumatologische Erkrankungen
- Tumorerkrankungen
- Bestimmte Medikamente: Eine Vielzahl von Medikamenten und weiteren Substanzen kann eine „exotoxische“ Polyneuropathie verursachen. Dazu gehören u.a. verschiedene Chemotherapeutika, Antibiotika, Immun-Checkpoint-Inhibitoren.
- Langzeitbehandlung auf einer Intensivstation
- Organtransplantationen
- Vitaminmangel: Alkoholabhängige Menschen ernähren sich häufig einseitig und ungesund. Diese Mangelernährung kann unter anderem zu einer Unterversorgung mit B-Vitaminen führen, was wiederum die Schädigung von Nervenstrukturen begünstigt.
- Infektionskrankheiten: Einige Infektionen mit Bakterien oder Viren können ebenfalls eine Polyneuropathie auslösen. Eine akute Erkrankung, das so genannte Guillain-Barré-Syndrom wird autoimmun ausgelöst und zerstört die Nervenscheiden der peripheren Nerven.
- Autoimmunerkrankungen: Bei einer Autoimmunkrankheit richtet sich das Immunsystem gegen körpereigene Strukturen. Beispiel Guillain-Barré-Syndrom: Hier zeigen sich erste Polyneuropathie-Symptome in den Beinen mit plötzlich eintretender Schwäche. Danach breiten sie sich weiter nach oben aus.
- Erbliche Neuropathien: Eine wahrscheinlich weiterhin unterdiagnostizierte Gruppe sind die erblichen Neuropathien. Die seltenen genetisch bedingten Polyneuropathien führen häufig schon im Kindesalter zu schweren Ausfallerscheinungen. Neuropathien bei Kindern entstehen jedoch zu zwei Dritteln nach oder in Zusammenhang mit einer Infektionskrankheit.
Nach klinischer Abklärung bleiben etwa 25 % der Polyneuropathie zunächst von der Ursache her unklar und werden der Gruppe der idiopathischen Polyneuropathien zugeordnet.
Symptome der Polyneuropathie
Eine Polyneuropathie kann sich durch vielfältige Symptome äußern. Je nach den betroffenen Nerven können die Beschwerden das Fühlen, Bewegungsabläufe oder auch die körperliche Kraft betreffen. So kann es zum Beispiel vorkommen, dass eine Person mit Polyneuropathie Berührungen in einem umschriebenen Hautbereich nicht mehr spürt. Auch Lähmungen im Versorgungsgebiet einzelner Nervenstränge können Ausdruck einer Polyneuropathie sein. Ist das vegetative Nervensystem betroffen, äußert sich die Erkrankung möglicherweise durch Herzrhythmusstörungen, Impotenz, Verdauungsbeschwerden oder Probleme beim Wasserlassen. Oft leiden Betroffene unter brennenden, schneidenden oder stechenden Schmerzen.
Typische Symptome
- Sensible Reizerscheinungen: Kribbeln, Ameisenlaufen, Stechen, Elektrisieren
- Sensible Ausfallerscheinungen: Pelzigkeitsgefühl, Taubheitsgefühl, Gefühl des Eingeschnürtseins, Schwellungsgefühle sowie das Gefühl, wie auf Watte zu gehen.
- Motorische Reizerscheinungen: Muskelzuckungen und Muskelkrämpfe
- Motorische Ausfallerscheinungen: Muskelschwäche und Muskelschwund
- Gangunsicherheit: Insbesondere im Dunkeln
- Fehlendes Temperaturempfinden: Mit schmerzlosen Wunden
- Schmerzen: Brennende Missempfindungen auf der Fußsohle („burning feet“), schmerzende Muskelkrämpfe im Oberschenkel oder in der Wade und dumpfe oder stechende Schmerzen in der Leiste oder am vorderen Oberschenkel. Oft verstärken sich die Beschwerden in der Nacht.
- Vegetativ trophischen Störungen: Hierunter wird eine Störung des autonomen Nervensystems verstanden. Patienten leiden zum Beispiel unter einer verminderten Schweißsekretion (trockene Füße), und Temperaturregulierungsstörung (warme oder sehr kalte Beine), Wundheilungsstörungen.
- Weitere mögliche Anzeichen einer autonomen Neuropathie: Potenzstörungen, Blasenentleerungsstörungen, Inkontinenz, übermäßige oder ausbleibende Schweißsekretion oder auch eine verzögerte Anpassung der Pupille an wechselnde Lichtverhältnisse.
Symptome der sensiblen Polyneuropathie:
Sensible Nerven senden Informationen von der Haut zum Gehirn. Beeinträchtigungen können zu Empfindungsstörungen wie Ameisenlaufen, Brennen, Jucken, Taubheitsgefühlen oder Kribbeln führen. Auch ein vermindertes Temperatur- oder Schmerzempfinden ist möglich. Diese Form der Polyneuropathie merken Betroffene vor allem an Füßen oder Händen.
Symptome der motorischen Polyneuropathie:
Die motorischen Nerven leiten Signale vom Gehirn zu den Muskeln weiter. Eine Nervenschädigung kann Muskelschwäche, Muskelschmerzen, Muskelzucken oder Muskelkrämpfe verursachen. Bei Fortschreiten kann es zu körperfernen Beinlähmungen und damit meist zu einer Beeinträchtigung der Fußhebung kommen.
Symptome der vegetativen Polyneuropathie:
Das vegetative Nervensystem ist Bestandteil des peripheren Nervensystems - es koordiniert automatisierte Körperfunktionen wie das Verdauen, Atmen oder Schwitzen. Eine vegetative Polyneuropathie steht unter anderem mit Beschwerden wie Schwindel, Blasenschwäche, Durchfall oder verstärktem Schwitzen in Verbindung - sie betrifft die Organfunktionen. Die Nervenschädigung kann sich an einer oder beiden Körperhälften bemerkbar machen.
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Verlauf der Erkrankung
Eine sensomotorische Polyneuropathie beginnt meistens in den Zehen, Füßen und Beinen. Hände und Arme sind seltener beziehungsweise später betroffen.
Komplikationen
Ist die Gefühlwahrnehmung durch eine Polyneuropathie deutlich herabgesetzt, kann es unbemerkt zu Verletzungen und Wundheilungsstörungen mit Infektionen kommen. Bei ausgeprägter Polyneuropathie kann sich ein Geschwür (neuropathisches Ulkus) bilden. Der „diabetische Fuss“ ist neben der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) die häufigste Ursache für Amputationen.
Diagnose der Polyneuropathie
Polyneuropathien entstehen oft schleichend und bleiben lange Zeit unbemerkt. Dies gilt insbesondere für die diabetische Polyneuropathie. Die Diagnostik kann sehr umfangreich sein. Es kann sich auch lohnen bei zunächst ungeklärter Ursache diese in bestimmten Zeitabständen zu wiederholen. Eine neurologische Facharztpraxis ist die richtige Anlaufstelle bei Polyneuropathie. Betroffene können sich aber auch an den Hausarzt oder die Hausärztin wenden - diese erstellen eine Verdachtsdiagnose und überweisen zu einem Neurologen oder einer Neurologin.
Anamnese
Ein gezieltes Arztgespräch (Anamnese) und eine neurologische Untersuchung können Nervenschädigungen schon früh aufdecken. Die Anamnese liefert die wichtigsten Informationen über Verteilung, Art und Dynamik der Schädigung. Es können Ursachen erfragt werden wie ein erblicher Hintergrund, eine Stoffwechselerkrankung, ein Vitaminmangel (bei Vegetariern oder Magenerkrankungen), eine Schädigung durch Medikamente oder eine bestimmte Ernährungs- und Lebensweise sowie ein Kontakt mit bestimmten Gefahrenstoffen (Toxinen) im Berufsleben. Neben dem oftmals charakteristischen Beschwerdemuster gibt die Krankengeschichte entscheidende Hinweise auf die Ursache einer Polyneuropathie. Darum ist ein ausführliches Arztgespräch ein wichtiger Teil der Diagnostik.
Klinisch-neurologische Untersuchung
Dabei überprüft die Ärztin beziehungsweise der Arzt im Rahmen einer klinischen Untersuchung Muskelkraft, Reflexe sowie die Wahrnehmung von Berührungen, Temperatur und Vibration. Mithilfe der klinischen Untersuchung wird die Diagnose gestellt. Sie hilft auch das Schädigungsmuster festzustellen und dadurch Rückschlüsse auf die Schädigungsursache zu ziehen. Manchmal gelingt es auch klinisch nicht ersichtliche Nervenschäden bereits frühzeitig durch die Nervenmessung aufzudecken.
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Messung der Nervenleitgeschwindigkeit
Zur Messung der Nervenleitgeschwindigkeit wird Strom durch die Nervenbahnen geschickt.
Standardisierte Quantitative Sensorische Testung
Bei der standardisierten Quantitativen Sensorischen Testung werden durch sieben verschiedene Gefühlstests an der Haut 13 Werte ermittelt. Sie helfen zu erkennen, welche Nervenfasern genau geschädigt sind und wie stark die Schädigung fortgeschritten ist. Um das Temperaturempfinden exakt zu messen, kommen bei der sogenannten Thermode computergesteuerte Temperaturreize zum Einsatz.
Elektrophysiologische Untersuchungen
Elektrophysiologische Untersuchungen ergänzen den neurologischen Untersuchungsbefund. Sie decken die Verteilung und das Ausmaß der Nervenschädigung auf:
- Die Elektroneurografie (ENG) misst, wie schnell Nerven eine Erregung weiterleiten. Bei der Elektroneurographie wird ein Elektrodenset im Gebiet des Nervenverlaufs auf die Haut geklebt - so lassen sich die elektrischen Impulse der Nerven messen. Die Untersuchung hilft dabei, herauszufinden, wie die Nervensignale transportiert und im Körper verteilt werden - Nervenschädigungen führen zu einem auffälligen Ergebnis und geben Hinweise zur Abgrenzung der Nervenausfälle.
- Die Elektromyografie (EMG) zeichnet die Aktivität eines Muskels in Ruhe und bei Anspannung auf. Bei dieser Untersuchung werden dünne Nadelelektroden durch die Haut in den entsprechenden Muskel eingeführt. Macht deutlich, ob und wie stark die Muskeln auf die Nervensignale ansprechen.
Weitere Untersuchungsmethoden
- Blutabnahme: Es wird eine ganze Palette an Werten bestimmt. Ein Basislabor beinhaltet: Blutzucker (mit HbA1C), Differential-Blutbild, Nieren-Leberwerte, Elektrolyte, Schilddrüsenwerte, differenzierte Eiweißbestimmung (Eiweißelektrophorese), Vitamine, Folsäure und ggf. bestimmte Rheumafaktoren und Antikörper. Bluttests können behandelbare Ursachen der Polyneuropathie aufdecken, beispielsweise einen Vitamin-B12-Mangel oder einen bis dahin unbekannten Diabetes mellitus.
- Nervenwasser(Liquor): Die Lumbalpunktion ist immer dann angemessen, wenn eine entzündliche Ursache vermutet wird. Zum Beispiel bei der Neuroborreliose oder der Vaskulitis. Eine Analyse des Nervenwassers (Liquoruntersuchung) hilft beispielsweise, entzündlich bedingte Polyneuropathien festzustellen.
- Haut-Nerven-Muskelbiopsie: Diese kommt heute nurmehr als ultima ratio in Betracht und ist vor allem dann sinnvoll, wenn eine (autoimmun vermittelte) entzündliche Erkrankung, eine Erkrankung der kleinsten Nervenendigungen (small fiber Polyneuropathie) oder eine bestimmte Stoffwechselerkrankung (Amyloidose) vermutet wird. Die Untersuchung einer Gewebeprobe kann helfen, die Ursache einer Polyneuropathie zu finden. Dazu wird eine sogenannte Nerv-Muskel-Biopsie aus dem Schienbein entnommen und feingeweblich untersucht. Hierbei wird festgestellt, ob der Schaden an der Hüllsubstanz des Nerven (Myelin) oder am Nerven selbst entstanden ist. Bei bestimmten Ursachen finden sich zum Beispiel Entzündungszellen oder Amyloid-Ablagerungen. Bei einer Untergruppe der Neuropathien sind insbesondere die dünnen, kleinen Nervenfasern der Haut betroffen. Sie werden unter dem Namen Small-Fiber-Neuropathien zusammengefasst. Die Nervenleitgeschwindigkeit, die die Funktion von dickeren Nerven misst, ist dann oft unauffällig. Für die richtige Diagnose ist die Quantitative Sensorische Testung mit Messung des Temperaturempfindens entscheidend. Darüber hinaus kann eine Gewebeprobe aus der Haut (Hautbiopsie) unter dem Mikroskop untersucht werden.
- Genetische Untersuchung: Bei Anhaltspunkten für eine genetische Polyneuropathie ist eine Erbgutanalyse möglich. Eine genetische Untersuchung ist indiziert bei positiver Familienanamnese für Polyneuropathie oder bei klinischen Zeichen einer hereditären Polyneuropathie (Hohlfuß, Krallenzehen, langer Verlauf).
- Differenzialdiagnostik: Die Symptome einer Polyneuropathie können denen einer Wirbelkanalverengung (Spinalkanalstenose) ähneln. Darum ist es wichtig, Krankheiten mit ähnlichen oder gleichen Symptomen vor dem Beginn einer Behandlung durch sorgfältige Untersuchungen auszuschließen.
Therapie der Polyneuropathie
Die Therapie der Polyneuropathie richtet sich nach ihrer Ursache. Sind die Nervenschäden wegen einer anderen Grunderkrankung entstanden, gilt es zuerst, diese zu behandeln. Ist der schädigende Mechanismus aufgeklärt, gilt es in erster Linie die Grunderkrankung zu therapieren. Hierzu gehört das Beheben eines Vitaminmangels, die Therapieoptimierung einer stoffwechselbedingten Erkrankung z.B. des Diabetes mellitus oder der Verzicht auf Alkohol. Es gibt unzählige stoffwechselbedingte oder immunvermittelte Ursachen (zum Beispiel das Guillain-Barré-Syndrom und andere immunvermittelte Neuropathien), die behandelt werden mit immunmodulierende Therapien wie Immunglobuline oder Plasmaaustausch oder Einsatz von Chemotherapeutika.
Behandlung der Grunderkrankung
- Diabetes mellitus: Bei der diabetischen Polyneuropathie ist beispielsweise eine konsequente Blutzuckereinstellung entscheidend. Je besser die Werte langfristig eingestellt sind, desto eher lässt sich die Nervenschädigung stoppen. Hat ein Diabetes schleichend über viele Jahre die Nerven angegriffen, muss der Patient seine Blutzuckerwerte in den Griff bekommen, um die Nervenschädigung zu stoppen. Allerdings führt eine zu rasche Senkung der Blutzuckerwerte zu weiteren Nervenschäden. Als optimal gilt eine sanfte Senkung des HbA1c-Wertes um weniger als zwei Prozentpunkte über einen Zeitraum von drei Monaten. Bei Altersdiabetes empfehlen Ärzte eine Umstellung des Lebensstils mit Gewichtsreduktion und viel Bewegung. Ziel ist, dass sich die Nerven wieder erholen. Besteht die Schädigung allerdings schon lange, ist die Polyneuropathie in der Regel nicht heilbar.
- Alkohol und Medikamente: Patientinnen und Patienten mit Polyneuropathie sollten Alkohol möglichst meiden. Das gilt auch, wenn die Nervenschäden nicht durch übermäßigen Alkoholkonsum entstanden sind. Sind Alkohol oder Medikamente die Ursache, hilft Abstinenz beziehungsweise ein Wechsel der Präparate.
- Entzündungen: Bei autoimmunvermittelten, entzündlichen Polyneuropathien gibt es verschiedene gegen die Entzündung wirkende Medikamente (Immunglobuline, Kortikoide, Immunsuppressiva). Bei schweren Verläufen kann auch eine Blutwäsche durchgeführt werden.
Symptomlinderung
- Schmerzbekämpfung: Nervenschmerzen sind individuell mit Medikamenten behandelbar. Hier werden neben üblicher Schmerzmittel meist Medikamente gegen neuropathische Schmerzen verwandt, die in andere Dosierungen eingesetzt werden, um Epilepsien oder Depressionen zu behandeln. Zur Schmerzbekämpfung haben sich Antidepressiva und Medikamente gegen Krampfanfälle (Epilepsie), sogenannte Antikonvulsiva, bewährt. Durch die Einnahme von Antidepressiva produziert der Körper vermehrt Botenstoffe - diese dämpfen die Weiterleitung von Schmerzsignalen. Antikonvulsiva sind meist die erste Wahl, sie bremsen die Erregbarkeit der Nerven, was schmerzlindernd wirkt. Bei ausgeprägten Schmerzen sind womöglich Opioide angezeigt. Da diese zu einer Abhängigkeit führen können, verschreiben Mediziner und Medizinerinnen sie nur für kurze Zeit.
- Capsaicin-Pflaster: Capsaicin ist für die Schärfe der Chilischoten verantwortlich und hat sich in Form von Capsaicin-Pflastern auf der Haut in Studien als erfolgversprechendes Mittel gegen Polyneuropathie erwiesen. Es betäubt nicht nur den schmerzenden Bereich und steigert die Durchblutung, sondern scheint sogar die Neubildung kleiner Nervenfasern anzuregen.
- Elektrotherapie: Bei der Elektrotherapie werden die Nerven durch Impulse aus einem speziellen Gerät so stimuliert, dass Erkrankte statt Schmerzen ein leichtes Kribbeln spüren. Von außen lässt sich dieses durch ein TENS-Gerät erreichen. Die Therapien müssen dauerhaft durchgeführt werden. Eine Pause beeinträchtigt schnell den Behandlungserfolg.
- Physiotherapie: Gegen die fortschreitende Gangunsicherheit wirkt Gleichgewichtstraining in der Physiotherapie. Gangtraining im Rahmen einer intensivierten Physiotherapie und durch Eigenübungen ist ebenfalls sinnvoll, um Stürzen und der en Folgen vorzubeugen.
- Akupunktur: Wie die gezielten Reize der Akupunktur die Nerven beleben, ist noch ungeklärt.
Weitere Maßnahmen
Für alle Polyneuropathien gilt: regelmäßige Kontrolle der Füße auf Druckstellen, Tragen von bequemem Schuhwerk, Meidung von Druck, Nutzung professioneller Fußpflege, Verbesserung des Lebensstils mit regelmäßiger körperlicher Betätigung (150 min Ausdauersport/Woche z. B. Walking, Radfahren, Schwimmen), Gewichtsreduktion bei Übergewicht, Vermeidung alkoholischer Getränke, Optimierung der Blutzuckereinstellung, Absetzen neurotoxischer Medikamente.
Vorsorge und Früherkennung
Durch gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung lässt sich das Risiko für die Entstehung eines Diabetes mellitus Typ 2 häufig eindämmen. Außerdem helfen Alkoholabstinenz und der regelmäßige ärztliche Check-up dabei, die eigene Gesundheit im Blick zu behalten. Spezielle Programme zur Früherkennung gibt es nicht. Der Gesundheits-Check-up, eine Vorsorgeuntersuchung, die in der Hausarztpraxis stattfindet, kann aber Risikofaktoren wie einen erhöhten Blutzuckerspiegel und frühe Symptome aufdecken.
Tipps für die Vorsorge und mehr Lebensqualität
Eine Polyneuropathie bedeutet manchmal eine Einschränkung der Lebensqualität. Diese Tipps können das Wohlbefinden steigern und Risiken minimieren:
- Blutzucker kontrollieren: Menschen mit Diabetes kontrollieren am besten regelmäßig ihren Blutzucker und nehmen ärztlich verordnete Medikamente ein. Schließlich kann eine suboptimale Blutzuckereinstellung das Risiko für die Entstehung und einen raschen Fortschritt der Erkrankung erhöhen.
- Füße kontrollieren: Eine Polyneuropathie an Beinen oder Füßen erhöht das Risiko für Fußgeschwüre - eine regelmäßige Kontrolle auf Wunden ist also wichtig.
- Bewegen: Menschen mit Polyneuropathie können bei Schmerzen und Missempfindungen von verschiedenen Angeboten wie Aquagymnastik oder Gehtraining profitieren.
- Hautschädigungen und Wundheilungsstörungen müssen vermieden werden.
Verlauf und Prognose
Der Verlauf ist je nach Ursache der Polyneuropathie unterschiedlich. Es gibt akute Verläufe, bei denen sich die klinische Symptomatik auch wieder rasch bessert. Chronische Verläufe (meist bei erblichen Neuropathien) verschlechtern sich häufig schleichend über Jahre oder bleiben über längere Zeit stabil. In Abhängigkeit von der Ursache besteht nur begrenzt die Aussicht auf Heilung. Zum Beispiel sind die weniger häufig vorkommenden entzündlichen Neuropathien mit Medikamenten meist sehr gut zu behandeln, akute Formen heilen oft komplett aus. Die meisten Polyneuropathien sind jedoch nicht heilbar, das Ziel sollte die Verhinderung einer weiteren Verschlechterung sein. Eine pauschale Aussage zur Lebenserwartung bei Polyneuropathie gibt es nicht - hier kommt es maßgeblich auf die Ursache der Krankheit an.
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