Eine Polyneuropathie (PNP) ist eine Erkrankung des peripheren Nervensystems, bei der mehrere Nerven außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks geschädigt sind. In Deutschland leiden schätzungsweise fünf Millionen Menschen an einer Polyneuropathie, oft ohne es zu wissen. Die Erkrankung betrifft häufig lange, sensible Nervenfasern, die bis in die Füße reichen, und kann zu vielfältigen Symptomen führen.
Ursachen der Polyneuropathie
Mediziner kennen mittlerweile mehr als 200 verschiedene Risikofaktoren für eine Polyneuropathie. Die häufigsten Ursachen sind Diabetes mellitus und chronischer Alkoholmissbrauch. Es gibt aber auch Fälle, in denen sich kein Auslöser finden lässt (idiopathische Polyneuropathie).
Zu den weiteren möglichen Ursachen zählen:
- Diabetes mellitus: Die diabetische Polyneuropathie ist die häufigste Form der Polyneuropathie und kann sowohl bei Typ-1- als auch bei Typ-2-Diabetes auftreten. Ein dauerhaft erhöhter Blutzucker greift die Nervenzellen an und schädigt diese mit der Zeit. Experten vermuten, dass ein dauerhaft hoher Blutzuckerspiegel die winzigen Blutgefäße im Körper (Mikroangiopathie) negativ beeinflusst. Dies kann zu einer verschlechterten Durchblutung führen, sodass die betroffenen Nerven nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt werden.
- Alkoholmissbrauch: An zweiter Stelle steht Alkohol als Auslöser einer Polyneuropathie - insbesondere chronischer Alkoholkonsum. Bestimmte Alkoholabbauprodukte (u. a. Ethanal) schädigen die Nerven direkt. Alkoholismus ist oft mit Mangelernährung verbunden, was zu einem Mangel an Vitamin B12 führen kann, das für die Funktion des Nervensystems wichtig ist.
- Chemotherapie: Eine Polyneuropathie kann als typische Nebenwirkung bei der Krebsbehandlung auftreten (Chemotherapie-induzierte Neuropathie, CIN). Krebsmedikamente (Zytostatika) zerstören zwar insbesondere schnellwachsende Krebszellen, können aber auch Nervenenden, Nervenzellen oder deren isolierende Hülle schädigen. Dadurch wird der Informationsaustausch zwischen Nervenzellen und Gewebe gestört.
- Weitere Ursachen: Mangel an Vitamin B12 (etwa bei Veganern oder nach einer Magenoperation), Nierenerkrankungen, Lebererkrankungen, Störungen der Schilddrüsenfunktion (Unter- und Überfunktion), Gicht, Gifte (wie Arsen, Blei), chemische Lösungsmittel (bspw.: Kohlenwasserstoffe wie Benzol oder Trichlorethen, Alkohole wie Methanol), bestimmte akute Infektionskrankheiten wie Lyme-Borreliose, Diphtherie, HIV etc., Guillain-Barré-Syndrom (eine Autoimmunerkrankung), Morbus Fabry (eine angeborene Stoffwechselstörung) oder Krebserkrankungen. Seltener sind Nervenschädigungen genetisch bedingt, wie bei der HMSN (hereditäre motorisch-sensible Neuropathie).
Stress als möglicher Faktor
Auch Stress kann bei der Bildung einer Polyneuropathie eine gewisse Rolle spielen. Ein dauerhaft hoher Stresspegel verursacht zwar keine Nervenschädigungen selbst, kann aber das Risiko für weitere stressbedingte Folgeerkrankungen erhöhen, die dann als Auslöser (Trigger) wirken. Ein Beispiel dafür sind etwa ruhende Viren, die unter Stress erneut ausbrechen - beispielsweise das Epstein-Barr-Virus (Auslöser des Pfeifferschen Drüsenfiebers), das Varizella-Zoster-Virus (Auslöser von Gürtelrose) oder auch Herpes-simplex (möglicher Auslöser für entzündlich-bedingte Nervenschmerzen).
Symptome der Polyneuropathie
Die Symptome einer Polyneuropathie können vielfältig sein und hängen davon ab, welche Nerven betroffen sind (sensible, motorische oder vegetative Nerven). Häufige Symptome sind:
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- Sensible Symptome: Kribbeln, Taubheitsgefühl, Brennen, Juckreiz, vermindertes Temperatur- oder Schmerzempfinden, oft beginnend in den Füßen oder Händen.
- Motorische Symptome: Muskelschwäche, Muskelschmerzen, Muskelzucken, Muskelkrämpfe, Lähmungen.
- Vegetative Symptome: Schwindel, Blasenschwäche, Durchfall, verstärktes Schwitzen, Kreislaufprobleme, Verstopfung, Sexualstörungen.
Betroffene berichten oft auch von Erschöpfungszuständen und brennenden, schneidenden oder stechenden Schmerzen. Die Symptome können sich langsam entwickeln (chronischer Verlauf) oder plötzlich auftreten (akuter Verlauf).
Diagnose der Polyneuropathie
Die Diagnose einer Polyneuropathie erfordert eine sorgfältige Anamnese, eine körperliche Untersuchung und verschiedene technische Untersuchungen.
- Anamnese: Der Arzt erfragt die Krankengeschichte, die Art und Dauer der Beschwerden, mögliche Risikofaktoren (z. B. Diabetes, Alkoholmissbrauch, Medikamenteneinnahme) und erbliche Vorbelastungen.
- Körperliche Untersuchung: Der Arzt prüft die Muskelkraft, Reflexe, das Reizempfinden und die Koordination.
- Elektroneurographie (ENG): Bei der Elektroneurographie wird die Nervenleitgeschwindigkeit gemessen, um Schädigungen der Nerven festzustellen.
- Elektromyographie (EMG): Die Elektromyographie misst die Muskelaktivität und kann Hinweise auf Schädigungen der motorischen Nerven geben.
- Weitere Untersuchungen: Blutuntersuchungen (Blutzucker, Leber- und Nierenwerte, Schilddrüsenwerte, Vitamine, Entzündungswerte), Nervenwasseruntersuchung (Liquor), Hautbiopsie, Muskelbiopsie, genetische Tests, bildgebende Verfahren (MRT, Ultraschall).
Behandlung der Polyneuropathie
Die Behandlung der Polyneuropathie richtet sich nach der Ursache und den Symptomen.
- Behandlung der Ursache: Bei Diabetes ist eine gute Blutzuckereinstellung wichtig. Bei Alkoholmissbrauch ist eine Suchttherapie erforderlich. Bei Vitaminmangel werden entsprechende Präparate verabreicht. Infektionen werden mit Antibiotika oder antiviralen Medikamenten behandelt.
- Schmerztherapie: Gegen die Schmerzen werden Antidepressiva, Antikonvulsiva (Medikamente gegen Epilepsie), Schmerzmittel oder Opioide eingesetzt.
- Weitere Therapien: Physiotherapie, Ergotherapie, physikalische Therapie, Gleichgewichtstraining, Akupunktur, Elektrotherapie (TENS).
Leben mit Polyneuropathie
Eine Polyneuropathie kann die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen. Es gibt jedoch verschiedene Maßnahmen, die helfen können, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern:
- Regelmäßige Bewegung: Bewegung und Sport können helfen, die Muskelkraft zu erhalten, die Koordination zu verbessern und Schmerzen zu lindern.
- Ausgewogene Ernährung: Eine gesunde Ernährung mit viel Obst, Gemüse und Vollkornprodukten ist wichtig für die Nervenfunktion.
- Vermeidung von Risikofaktoren: Alkohol sollte vermieden werden. Bei Diabetes ist eine gute Blutzuckereinstellung wichtig.
- Fußpflege: Menschen mit Polyneuropathie in den Füßen sollten ihre Füße regelmäßig auf Verletzungen kontrollieren und gut pflegen, um das Risiko für Fußgeschwüre zu reduzieren.
- Hilfsmittel: Bei Gangunsicherheit können Gehhilfen oder Orthesen helfen.
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