Polyneuropathie: Diagnoseverfahren im Überblick

Die Polyneuropathie ist eine Erkrankung des peripheren Nervensystems, bei der mehrere Nerven außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks geschädigt sind. Die Diagnose ist oft komplex und erfordert ein mehrstufiges Vorgehen, um die Ursache zu ermitteln und eine geeignete Behandlung einzuleiten.

Anamnese und körperliche Untersuchung

Am Anfang jeder Diagnostik steht ein ausführliches Gespräch mit dem Patienten (Anamnese). Hierbei erfragt der Arzt die Art der Beschwerden, deren Beginn und Verlauf sowie mögliche Zusammenhänge mit anderen Erkrankungen oder Medikamenten. Wichtig sind auch Informationen zu Lebensalter, Körpergewicht, Körpergröße, Diabetesdauer, bestehenden Folgeerkrankungen, früheren und aktuellen Behandlungen, sozialem Umfeld, körperlicher Leistungsfähigkeit und Medikation. Durch eine genaue Erfassung der subjektiven Beschwerden mit Hilfe von Fragebögen kann der Schweregrad der Neuropathie skaliert und objektiviert werden.

Die körperliche Untersuchung umfasst eine gründliche Inspektion der Haut von Armen, Beinen und Rumpf (z.B. Farbe, Druckstellen, Temperatur) und das Fühlen der Fußpulse. Anschließend erfolgt eine neurologische Untersuchung, bei der der Arzt die Empfindlichkeit der Haut auf Berührung, Vibration und Temperatur testet. Auch Muskelkraft und Reflexe werden untersucht.

Neurologische Untersuchungen

Die neurologische Untersuchung dient dazu, klinisch manifeste (mit Symptomen) von subklinisch verlaufenden Neuropathien (ohne Symptome, aber mit teilweise oder leicht pathologischen Funktionstests) zu unterscheiden. Sensibilitätsprüfungen können mit einfachen Hilfsmitteln durchgeführt werden:

  • Wattestäbchen (stumpfe Berührung)
  • Zahnstocher (spitze Berührung)
  • Eiswürfel (Kälteempfindung)
  • Warmwasserröhrchen (Wärmeempfindung)
  • Stimmgabel (Vibrationsempfindung)

Die wichtigsten motorischen Funktionen (Muskelspannung, Kraftentfaltung, Muskeldehnungsreflexe) sollten ebenfalls geprüft werden.

Lesen Sie auch: Behandlungsmöglichkeiten bei alkoholischer Polyneuropathie

Stimmgabeltest

Zur Untersuchung der Nervenfunktion gehört auch das Prüfen der Vibrationsempfindlichkeit. Dabei wird eine angeschlagene Stimmgabel an einen Knochenvorsprung gehalten (z.B. Fuß- oder Handknöchel). Der so genannte Stimmgabeltest ist sehr aussagekräftig bezüglich der Tiefensensibilität.

Monofilament-Test

Die Berührungsempfindlichkeit bestimmt der Arzt u.a. mit einem Nylonfaden, den er leicht auf den Fuß oder die Hand drückt, bis er sich biegt. Spürt der Patient den Faden nicht oder nur sehr schwach ist die Berührungsempfindlichkeit verloren oder abgeschwächt.

Elektrophysiologische Untersuchungen

Zur ausführlichen Diagnostik der peripheren sensomotorischen Polyneuropathie kommen Messungen der Nervenleitgeschwindigkeit (Elektroneurographie, ENG) zum Einsatz. Prinzip der Untersuchung ist die Reizung des Nerven durch einen elektrischen Reiz und Messung der Antwortzeit. Bei Polyneuropathien ist die Nervenleitgeschwindigkeit verringert.

Bei der Elektromyographie (EMG) werden, ähnlich dem Elektrokardiogramm (EKG), über Elektroden elektrische Aktivitäten innerhalb des Muskels abgeleitet und gemessen. Diese Untersuchung zeigt, ob ein Muskel in normal durch einen Nerv versorgt wird. Mit diesem Test misst man die Reaktion des Nervs auf bestimmte Reize wie Druck und Temperatur (Warm-Kalt-Empfindungen). Die Methode wird zunehmend eingesetzt, um den Verlust der Empfindlichkeit, aber auch eine vermehrte Reizbarkeit von Nerven zu untersuchen. Die Untersuchung dauert lange, erfordert große Aufmerksamkeit und Mitarbeit seitens des Patienten.

Autonome Neuropathie Diagnostik

Zum Nachweis einer kardialen autonomen diabetischen Neuropathie dienen verschiedene Untersuchungen mit dem Elektrokardiogramm (EKG) und Blutdruck- und Pulsmessungen beim Aufstehen aus liegender Position (Orthostasereaktion). Standard in der Diagnostik der autonomen diabetischen Neuropathie des Gastro-Intestinal-Traktes sind Ultraschalluntersuchungen und die sog. Funktionsszintigraphien. Es werden Testmahlzeiten mit radioaktiv markierten Bestandteilen (z.B. CO2-Isotope) gegeben und die Abgabe dieser Isotope in der Atemluft gemessen. Zum Ausschluss anderer Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes sollten endoskopische Verfahren (Magen- und Darmspiegelungen) durchgeführt werden.

Lesen Sie auch: Aktuelle Forschung zu Polyneuropathie und psychosomatischen Ursachen

Bei Verdacht auf eine autonome diabetische Neuropathie des Urogenitaltraktes sollten Untersuchungen des Urins (auf Bakterien, Zellbestandteile und Eiweiße) untersucht und Ultraschalluntersuchungen (Niere) durchgeführt werden. Unter Umständen müssen radiologische Untersuchungen der Nieren und endoskopische Verfahren (Blasenspiegelung) eingesetzt werden. Eine weitere wichtige Untersuchung im Rahmen der diabetischen autonomen Neuropathie ist die Messung des dynamischen Druckverteilungsmusters der Fußsohlen beim Gehen (Pedographie).

Der Harnblasen-Ultraschall zeigt an, ob die Blase nach dem Wasserlassen leer ist oder ob sich Restharn in ihr befindet. Damit kann der Arzt prüfen, ob das Herz von einer autonomen Neuropathie betroffen ist.

Laboruntersuchungen

Laboranalysen, z.B. in Form spezieller Blutuntersuchungen, werden bei Verdacht auf diabetische Polyneuropathie nur in einzelnen Fällen zur Differenzialdiagnostik, d.h. zur Abklärung bei unklarer Ursache und/oder zur Abgrenzung anderer Krankheitsbilder mit ähnlicher Symptomatik, sowie zur Verlaufskontrolle genutzt. Bei jeder Polyneuropathie ist eine ausführliche Krankengeschichte (Anamnese) wichtig. Infektiöse Ursachen einer Polyneuropathie lassen sich durch Labortests nachweisen. Bei einer alkoholischen Polyneuropathie finden sich bei Blutuntersuchungen häufig Anzeichen für einen Vitamin-B-Mangel. Ist die Leber durch den chronischen Alkoholmissbrauch bereits stark geschädigt, fallen Gerinnungsstörungen, Eiweißmangel und erhöhte Leberwerte auf.

Nervenbiopsie und Nervensonographie

Bei der Nervenbiopsie wird durch einen kleinen Schnitt in die Haut eine Gewebeprobe entnommen und unter dem Mikroskop untersucht. Der Einsatz der Nervensonographie und neuer Scoring-Systeme gewinnt bei der Diagnostik der chronisch inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie (CIDP) an Bedeutung. So konnten verschiedene Muster von strukturellen Veränderungen, wie Verdickungen und Schwellungen an bestimmten Nerven respektive Nervenabschnitten, identifiziert werden, die bei den verschiedenen Neuropathien präferenziell verändert sind. In Ergänzung zu Anamnese, körperlich-neurologischer Untersuchung und Liquoruntersuchung lassen sich mit der sonographischen Unterstützung nach den Erfahrungen von Holzapfel gute Erfolge bei der Differenzierung von CIDP und Guillain-Barré-Syndrom erzielen. Während sich bei der CIDP deutlich erkennbare Verdickungen im Bereich aller Extremitätennerven finden, erscheinen diese beim Guillain-Barré-Syndrom in der Regel normal. Eine Differenzierung dieser beiden Erkrankungen ist wiederum für den rechtzeitigen Beginn einer chronischen Immuntherapie im Fall einer CIDP von Bedeutung.

Ursachenforschung

Die Polyneuropathie ist keine eigenständige Erkrankung, sondern ein Symptom für verschiedene zugrunde liegende Ursachen. Daher ist die Suche nach der Ursache ein wichtiger Bestandteil der Diagnostik. Mögliche Ursachen sind:

Lesen Sie auch: Polyneuropathie und Demenz: Was Sie wissen sollten

  • Diabetes mellitus: Eine der häufigsten Ursachen für Polyneuropathie. Ein dauerhaft zu hoher Blutzuckerspiegel schädigt die Nerven.
  • Alkoholmissbrauch: Alkohol wirkt nervenschädigend und kann bei langjährigem, hohem Konsum zu Polyneuropathie führen.
  • Hereditäre Polyneuropathien: Hier kann sowohl die Nervenschädigung selbst erblich bedingt sein als auch eine Grunderkrankung, in dessen Folge eine Polyneuropathie entsteht. Hierzu gehören beispielsweise Erkrankungen wie die Amyloidose oder die Porphyrie. In beiden Fällen werden die Nerven durch die krankhafte Ablagerung von Stoffen geschädigt.
  • Metabolische Polyneuropathien: Diese sind auf Stoffwechselstörungen zurückzuführen. Ebenso kann auch eine mangelhafte Aufnahme von Vitaminen (vor allem Vitamin B12) zu einer Schädigung peripherer Nerven führen. Häufig werden zu dieser Gruppe auch diejenigen Polyneuropathien gezählt, die durch eine Störung des Hormonhaushaltes bedingt sind, weshalb hier auch Schwangerschaften und Schilddrüsenerkrankungen als mögliche Ursachen zu nennen sind.
  • Entzündliche Polyneuropathien: Bei dieser Form der Polyneuropathie werden die Nerven durch einen entzündlichen Prozess geschädigt. Dabei müssen aber nicht in jedem Fall Krankheitserreger wie Bakterien oder Viren beteiligt sein. Häufig liegt auch eine Fehlregulation des Immunsystems vor, wodurch körpereigenes Gewebe angegriffen wird. Daher zählen zu den wichtigsten Ursachen einer entzündlichen Polyneuropathie auch rheumatische Erkrankungen oder das Guillain-Barré-Syndrom, bei dem es typischerweise zu einer aufsteigenden, symmetrischen schlaffen Muskellähmung kommt.
  • Toxische Polyneuropathien: Verschiedene Giftstoffe können periphere Nerven schädigen und somit eine Polyneuropathie auslösen. Zu den wichtigsten Ursachen einer toxischen Polyneuropathie gehören somit Alkohol, bestimmte Medikamente wie Chemotherapeutika oder Schwermetalle wie Blei.
  • Infektionen: Schädigungen an den peripheren Nerven können etwa durch Entzündungsprozesse im Körper als Folge einer Autoimmunerkrankung oder einer Infektion mit bestimmten Viren beziehungsweise Bakterien auftreten. Dafür bekannte Erkrankungen sind unter anderem Borreliose, Diphtherie oder Gürtelrose.
  • Mangelernährung: Unter anderem bei Zöliakie.
  • Vitaminmangel: Z.B. Vitamin B12.
  • Autoimmunerkrankungen: Wie das Guillain-Barré-Syndrom oder rheumatoide Arthritis.
  • Einnahme bestimmter Medikamente: Wie zum Beispiel die Antibiotika Nitrofurantoin oder Metronidazol.
  • Kontakt mit giftigen Substanzen: Etwa Schwermetalle.
  • HIV-Infektionen
  • Krebserkrankungen: Beispielsweise Brustkrebs oder Blutkrebs.
  • Hormonelles Ungleichgewicht: Zum Beispiel ausgelöst durch eine Schilddrüsenunterfunktion.

Zweistufiges Vorgehen in der Routinediagnostik

Für die Routinediagnostik empfiehlt sich ein zweistufiges Vorgehen mit Vorsorgeuntersuchungen (1. Stufe) und Spezialdiagnostik (2. Stufe). Die Vorsorgeuntersuchungen umfassen simple allgemeine und neurologische Untersuchungen, die von jedem Arzt durchgeführt werden können. Sie sind auch als Wiederholungsuntersuchungen zur Verlaufsdiagnostik geeignet.

Bedeutung der Früherkennung

Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung der Polyneuropathie ist wichtig, um das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen oder aufzuhalten und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Patienten mit Diabetes beispielsweise können bei ihrem Hausarzt in ein sogenanntes DMP (Disease-Management-Programme) eingebunden werden. Dieses beinhaltet unter anderem regelmäßige Kontrolluntersuchungen, wodurch auch eine Polyneuropathie bereits in frühen Stadien erkannt werden soll, sodass frühzeitig eine Therapie eingeleitet werden kann.

tags: #Polyneuropathie #diagnose #verfahren