Polyneuropathie: Prognose und Krankheitsverlauf

Polyneuropathien (PNP) sind Erkrankungen des peripheren Nervensystems, die sich auf die motorischen, sensiblen und autonomen Nerven auswirken. Diese Nerven liegen außerhalb des zentralen Nervensystems und versorgen den Körper mit wichtigen Funktionen. Die Prognose und der Krankheitsverlauf einer Polyneuropathie sind von verschiedenen Faktoren abhängig, insbesondere von der zugrunde liegenden Ursache und der Möglichkeit der Behandlung.

Was ist eine Polyneuropathie?

Als Polyneuropathie bezeichnet man eine Erkrankung des peripheren Nervensystems, bei der mehrere Nerven geschädigt werden. Dabei kann die Neuropathie verschiedene Gebiete des Körpers, aber auch verschiedene Nervenqualitäten (Schmerz, Temperatur und/oder Tastempfindung) betreffen. Die Reizweiterleitung der Nerven ist gestört, was sowohl eine Abschwächung als auch eine Verstärkung der an das Gehirn weitergeleiteten Signale zur Folge haben kann.

Das periphere Nervensystem

Das Nervensystem lässt sich in das zentrale Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) und das periphere Nervensystem unterteilen. Das periphere Nervensystem umfasst alle Nerven, die außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks liegen und den Körper durchziehen.Die Nerven des peripheren Nervensystems lassen sich weiter unterteilen in:

  • Motorische Nerven: Sie senden Impulse an die Muskulatur und steuern Bewegungen.
  • Sensorische Nerven: Sie vermitteln Empfindungssignale wie Schmerz, Berührung, Druck, Temperatur, Vibration und Informationen über die Position der Gelenke und Muskeln (Tiefensensibilität).
  • Autonome Nerven: Sie verlaufen zu den inneren Organen und sind an der Regulierung von Herzfrequenz, Blutdruck, Schweißproduktion, Verdauung, Blasenfunktion und Erektionsfähigkeit beteiligt.

Bei einer Polyneuropathie kommt es zu einer Funktionseinschränkung dieser peripheren Nerven.

Ursachen von Polyneuropathien

Die meisten Polyneuropathien sind keine eigenständige Erkrankung, sondern das Symptom einer anderen zugrunde liegenden Erkrankung. Daher sind die Ursachen vielfältig. Folgende Grunderkrankungen sind häufig mit einer Polyneuropathie assoziiert:

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  • Diabetes mellitus: Sowohl Typ-1- als auch Typ-2-Diabetes können zu Nervenschäden führen. 20 bis 40 Prozent der Diabetiker entwickeln eine Neuropathie.
  • Alkoholmissbrauch: Übermäßiger Alkoholkonsum ist eine weitere häufige Ursache für Polyneuropathien. Auch eine akute Intoxikation kann der Auslöser sein.
  • Entzündungen: Verschiedene Entzündungen, wie Borreliose oder Lepra, können Nervenschäden verursachen. Auch autoimmunvermittelte Entzündungen spielen eine Rolle.
  • Leber-, Nieren- und Lungenerkrankungen: Diese Erkrankungen können Stoffwechselstörungen verursachen, die sich auf die Nerven auswirken.
  • Hämatologische und rheumatologische Erkrankungen: Bestimmte Blut- und Rheumaerkrankungen können ebenfalls zu Polyneuropathien führen.
  • Tumorerkrankungen: Krebserkrankungen und ihre Behandlung (z. B. Chemotherapie) können Nervenschäden verursachen.
  • Medikamente: Eine Vielzahl von Medikamenten und Substanzen kann eine „exotoxische“ Polyneuropathie verursachen, darunter Chemotherapeutika, Antibiotika und Immun-Checkpoint-Inhibitoren. Die Polyneuropathie bei Chemotherapie entwickelt sich meist über Monate bis Jahre.
  • Langzeitbehandlung auf einer Intensivstation: Eine längere Intensivbehandlung kann Nervenschäden begünstigen.
  • Organtransplantationen: Nach Organtransplantationen können Polyneuropathien auftreten.
  • Erbliche Neuropathien: Genetische Erkrankungen können die Wahrscheinlichkeit für eine Polyneuropathie erhöhen. Ein Beispiel ist die Charcot-Marie-Tooth-Krankheit (HMSN Typ 1).

Bei etwa einem Viertel der Polyneuropathien kann die Ursache nicht geklärt werden.

Symptome einer Polyneuropathie

Die Symptome einer Polyneuropathie sind vielfältig und hängen davon ab, welche Nervenfasern betroffen sind. Typische Symptome sind:

  • Sensible Reizerscheinungen: Kribbeln, Ameisenlaufen, Stechen, Elektrisieren
  • Sensible Ausfallerscheinungen: Pelzigkeitsgefühl, Taubheitsgefühl, Gefühl des Eingeschnürtseins, Schwellungsgefühle, Gefühl, wie auf Watte zu gehen
  • Gangunsicherheit: Insbesondere im Dunkeln
  • Fehlendes Temperaturempfinden: Mit schmerzlosen Wunden als Folge
  • Schmerzen: Etwa 50 % aller Polyneuropathien gehen mit Schmerzen einher.
  • Muskelschwäche: Im Verlauf können Muskelschwäche und Muskelschwund auftreten.
  • Autonome Störungen: Störungen der Blasenentleerung, Darmträgheit, Erektionsschwäche, mangelnde Variabilität des Herzschlags

Die Symptome beginnen am häufigsten an den unteren Extremitäten, meist an den Füßen oder Fußspitzen, und breiten sich dann socken- oder strumpfförmig aus. An den Händen können sich die Symptome handschuhförmig ausbreiten.

Spezifische Krankheitsverläufe

  • Guillain-Barré-Syndrom: Eine schnell verlaufende Form der Polyneuropathie, die nach einem Magen-Darm- oder Atemwegsinfekt auftreten kann.
  • Chronisch-inflammatorische Polyradikuloneuropathie (CIDP): Eine Autoimmunerkrankung, bei der die Polyneuropathie langsam fortschreitet.
  • Burning-Feet-Syndrom: Brennende Schmerzen in den Füßen, die nachts meist stärker ausgeprägt sind.

Diagnose einer Polyneuropathie

Die Diagnose einer Polyneuropathie basiert auf verschiedenen Bausteinen:

  • Anamnese (Krankengeschichte): Erhebung der typischen Symptome, des Erkrankungsverlaufs, von Vor- und Begleiterkrankungen sowie der Familienanamnese. Auch die Ernährung kann Aufschluss über die Ursachen der PNP geben, da eine vegane oder streng vegetarische Diät beispielsweise zu Mangelernährung führen kann.
  • Klinisch-neurologische Untersuchung: Prüfung von Muskelkraft, Sensibilität und Muskeleigenreflexen. Am häufigsten beginnen die Symptome und Ausfälle an den unteren Extremitäten, meist an den Füßen oder Fußspitzen. In einer klinischen Untersuchung stellt man häufig abgeschwächte oder ausgefallene Muskelreflexe (insbesondere Achillessehnenreflex) und schlaffe Lähmungen fest. An den Extremitäten können sich Sensibilitätsstörungen socken-, strumpf- oder handschuhförmig ausbreiten. Zu den weiteren Symptomen gehört einerseits eine gesteigerte Schmerzempfindlichkeit, z. B. auf Berührung, Wärme oder Kälte. Je nach Schädigung der Nerven kann aber auch das Berührungs- und Schmerzempfinden abgeschwächt sein.
  • Elektrophysiologische Untersuchung: Mit Elektroneurographie (ENG) werden periphere Nerven mit Stromimpulsen stimuliert und Antworten von Muskeln oder sensiblen Fasern abgeleitet. Damit lässt sich die Art der Nervenschädigung feststellen. Die Elektromyographie (EMG) untersucht Muskeln mit Nadeln und stellt so das Ausmaß der Schädigung fest.
  • Laboruntersuchungen: Ein großes Blutbild, Elektrolytbestimmung, die Überprüfung von Leberwerten, Schilddrüsen- und Vaskulitisparametern können Hinweise auf die Ursache der Polyneuropathie geben. Zur tieferen Diagnostik kann die Serumelektrophorese dienen. Darüber hinaus können Liquordiagnostik, eine Biopsie von Nerven und Haut oder genetische Tests eine mögliche Ursache bestätigen.
  • Weitere Untersuchungen: Je nach Ursache und Befunden können weitere Untersuchungen sinnvoll sein.

Behandlung einer Polyneuropathie

Entscheidend ist stets die Behandlung der Grunderkrankung, z. B. bei Diabetes mellitus eine Verbesserung der Blutzuckereinstellung, das strikte Vermeiden von Alkohol oder die Behandlung einer Tumorerkrankung.

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Weitere Behandlungsmethoden

  • Medikamentöse Therapie: Bei autoimmunvermittelten, entzündlichen Polyneuropathien gibt es verschiedene gegen die Entzündung wirkende Medikamente (Immunglobuline, Kortikoide, Immunsuppressiva). Bei schweren Verläufen kann auch eine Blutwäsche durchgeführt werden. Reizerscheinungen und Muskelkrämpfe lassen sich mit verschiedenen Medikamenten dämpfen. Gegen neuropathische Schmerzen können Antikonvulsiva (Anti-Krampf-Mittel) und Antidepressiva eingesetzt werden. Auch lokale Medikamente können bei der Behandlung zum Einsatz kommen.
  • Physiotherapie und Ergotherapie: Zur Verbesserung der Alltagsaktivitäten wird in Abhängigkeit vom Schweregrad die Versorgung mit Hilfsmitteln empfohlen. Regelmäßiges Sensibilitäts- und Sensomotoriktraining kann helfen. Ebenso können Elektrotherapie und andere Therapiemaßnahmen den Krankheitsverlauf günstig beeinflussen. Muskulatur stärken.
  • Fußpflege: Regelmäßige Kontrolle der Füße auf Druckstellen, Tragen von bequemem Schuhwerk, Meidung von Druck, Nutzung professioneller Fußpflege.
  • Lebensstiländerung: Verbesserung des Lebensstils mit regelmäßiger körperlicher Betätigung (150 min Ausdauersport/Woche z. B.).
  • Psychotherapie: Bei chronischen Schmerzen kann eine Psychotherapie hilfreich sein.

Prognose und Krankheitsverlauf

Der Verlauf ist je nach Ursache der Polyneuropathie unterschiedlich. Es gibt akute Verläufe, bei denen sich die klinische Symptomatik auch wieder rasch bessert, sowie chronische Verläufe mit langsam fortschreitenden Symptomen.

Faktoren, die die Prognose beeinflussen

  • Ursache der Polyneuropathie: Die Prognose ist stark abhängig von der Ursache und der Möglichkeit der Behandlung.
  • Zeitpunkt der Diagnose: Je früher die Nervenschäden erkannt werden, desto besser ist die Prognose.
  • Behandlung der Grunderkrankung: Eine erfolgreiche Behandlung der Grunderkrankung kann den Verlauf der Polyneuropathie positiv beeinflussen.
  • Begleitende Maßnahmen: Eine angemessene Schmerztherapie, Physiotherapie, Ergotherapie und Fußpflege können die Symptome lindern und die Lebensqualität verbessern.

Ist Polyneuropathie heilbar?

In Abhängigkeit von der Ursache besteht nur begrenzt die Aussicht auf Heilung. Zum Beispiel sind die weniger häufig vorkommenden entzündlichen Neuropathien mit Medikamenten meist sehr gut zu behandeln, akute Formen heilen oft komplett aus. Bei erblichen Neuropathien gibt es bisher keine Therapie.

Auswirkungen auf die Lebenserwartung

Sensible oder motorische Polyneuropathien verkürzen die Lebenserwartung in der Regel nicht. Allerdings können die ihr zugrundeliegenden Erkrankungen, wie beispielsweise Diabetes, Krebs oder Alkoholismus, Einfluss auf die Lebenserwartung nehmen. Autonome Neuropathien in sehr weit fortgeschrittenen Stadien können die Lebenserwartung ebenfalls mindern, da hier lebenswichtige Organe in ihrer Funktion gestört sind.

Berufsunfähigkeit

Je nach Schwere der Ausfälle bestehen Einschränkungen beim Ausüben verschiedener beruflicher Tätigkeiten. Es sollten Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten gemieden werden, Vorsichtsmaßnahmen beim Laufen auf unebenem Untergrund (Baustellen) oder im Dunkeln müssen beachtet werden. Feinmotorische Tätigkeiten (z. B. Uhrmacher) sind oft nicht mehr möglich. Dennoch sollten Patienten mit einer Polyneuropathie so lange wie möglich am Berufsleben teilhaben.

Eine Berufsunfähigkeitsversicherung zahlt eine monatliche Rente, wenn man aus gesundheitlichen Gründen seinen Beruf für mindestens 6 Monate zu mindestens 50 % nicht mehr ausüben kann. Diese Rente kann helfen, weiterhin Rechnungen zu bezahlen und den Lebensstandard zu halten, auch wenn man nicht mehr arbeiten kann.

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Leben mit Polyneuropathie

Für alle Polyneuropathien gilt:

  • Regelmäßige Kontrolle der Füße auf Druckstellen
  • Tragen von bequemem Schuhwerk
  • Meidung von Druck
  • Nutzung professioneller Fußpflege
  • Verbesserung des Lebensstils mit regelmäßiger körperlicher Betätigung

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