Posttraumatische Epilepsie: Ursachen, Symptome und Behandlung

Die posttraumatische Epilepsie (PTE) ist eine erworbene Form der Epilepsie, die als Folge eines Schädel-Hirn-Traumas (SHT) auftritt. Sie stellt eine der häufigsten Komplikationen nach einem SHT dar und kann die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen. Die Mechanismen, die zur Entwicklung einer PTE führen, sind komplex und vielfältig.

Ursachen und Risikofaktoren

Die Ursachen für Epilepsie sind vielfältig und reichen von angeborenen, erblich bedingten Hirnschädigungen oder Syndromen über Störungen des Gehirnstoffwechsels bis hin zu Hirnmissbildungen, Hirntumoren, Entzündungen des Gehirns, Schädigungen in den hirnversorgenden Gefäßen (Gefäßfehlbildungen, Engstellungen der Gefäße), Schlaganfällen und Kopfverletzungen.

Ein SHT ist Folge jeglicher mechanischen Einwirkung auf das Gehirn bzw. die umgebenden knöchernen und Weichteilstrukturen. Diese mechanische Einwirkung kann milde sein (z. B. Commotio cerebri) oder aber zu erheblichen Verletzungen mit schwerem Koma führen. Diese schweren SHT können mit fokalen Schädigungen einhergehen einschließlich intrakranieller oder intrazerebraler Blutungen, Frakturen der Schädelbasis oder -kalotte bzw. sog. penetrierenden Verletzungen (i.e. Unterbrechung der duralen Kontinuität). Sie können aber auch diffuse Schädigungen, die in der Bildgebung nicht als regionale Läsionen dargestellt werden können, verursachen und sind dann meistens diffusen axonalen Schädigungen entsprechend.

Im direkten Anschluss an die erfolgte Gewalteinwirkung kommt es zu sekundären zerebralen Schädigungsprozessen, die wochen- bis monatelang, möglicherweise auch Jahre nach dem Ereignis anhalten können und als mitverantwortlich für das Auftreten einer posttraumatischen Epilepsie angesehen werden.

Zu den wichtigsten Risikofaktoren für die Entwicklung einer PTE gehören:

Lesen Sie auch: Unterstützung bei Posttraumatischer Belastungsstörung

  • Schweregrad des SHT: Je schwerer das Trauma, desto höher das Risiko.
  • Intrakranielle Blutungen: Blutungen im Gehirn erhöhen das Risiko erheblich.
  • Frühe posttraumatische Anfälle: Anfälle innerhalb der ersten Woche nach dem Trauma sind ein starker Risikofaktor.
  • Subdurales Hämatom: Ein subdurales Hämatom (Blutansammlung unter der harten Hirnhaut) erhöht das Risiko.
  • Penetrierende Kopfverletzungen: Verletzungen, die die Dura mater (harte Hirnhaut) durchdringen, sind mit einem hohen Risiko verbunden.
  • Dauer der posttraumatischen Amnesie: Eine längere Amnesie (Gedächtnisverlust) nach dem Trauma deutet auf eine schwerere Hirnverletzung hin und erhöht das Risiko.

Pathophysiologie

Die pathophysiologischen Mechanismen, die zur Entstehung einer PTE führen, sind komplex und noch nicht vollständig verstanden. Es wird angenommen, dass eine Kombination aus direkten Hirnschäden, Entzündungsprozessen, Veränderungen der neuronalen Erregbarkeit und genetischer Prädisposition eine Rolle spielt.

Einige der wichtigsten pathophysiologischen Faktoren sind:

  • Direkte Hirnschädigung: Das Trauma kann zu direkten Schäden an Nervenzellen und neuronalen Netzwerken führen.
  • Neuroinflammation: Entzündungsprozesse im Gehirn können die neuronale Erregbarkeit erhöhen und zur Epileptogenese beitragen.
  • Veränderungen der neuronalen Erregbarkeit: Das Trauma kann zu einem Ungleichgewicht zwischen erregenden und hemmenden Neurotransmittern führen, was die Wahrscheinlichkeit epileptischer Anfälle erhöht.
  • Gliose: Die Bildung von Narbengewebe (Gliose) im Gehirn kann die normale Funktion der neuronalen Netzwerke stören und zur Epileptogenese beitragen.
  • Oxidativer Stress: Posttraumatisch bedingter oxidativer Stress führt zu Zellschwellung mit intrazellulärem Ödem und Zelltod und zu vermehrter Produktion exzitatorisch wirksamer Aminosäuren sowie zu Änderungen in der mitochondrialen Aktivität und der synaptischen bzw. Rezeptorfunktionen.
  • Störungen der Blut-Hirn-Schranke: Störungen der Blut-Hirn-Schranke sowie Ablagerungen von Blutprodukten (v. a. Eisen) nach großflächigen intrazerebralen Blutungsereignissen oder auch schon bei Mikrohämorrhagien nach mildem SHT können exzitatorische Konsequenzen nach sich ziehen.

Symptome

Die Symptome einer PTE sind vielfältig und können von Person zu Person unterschiedlich sein. Sie hängen von der Lokalisation und dem Ausmaß der Hirnschädigung sowie von der Art der Anfälle ab.

Die häufigsten Anfallsarten bei PTE sind:

  • Fokale Anfälle: Diese Anfälle beginnen in einem bestimmten Bereich des Gehirns und können sich auf andere Bereiche ausbreiten. Die Symptome hängen von der Funktion des betroffenen Hirnbereichs ab und können motorische, sensorische, psychische oder vegetative Symptome umfassen.
  • Generalisierte Anfälle: Diese Anfälle betreffen das gesamte Gehirn und führen in der Regel zu Bewusstseinsverlust und Krämpfen. Der bekannteste generalisierte Anfall ist der tonisch-klonische Anfall (Grand Mal).

Weitere Symptome, die bei PTE auftreten können, sind:

Lesen Sie auch: Kann ein Anfall tödlich sein?

  • Aura: Ein Anfallsvorgefühl, das sich als sensorische, psychische oder vegetative Empfindung äußern kann.
  • Postiktale Symptome: Symptome, die nach einem Anfall auftreten können, wie z. B. Müdigkeit, Verwirrtheit, Kopfschmerzen, Sprachstörungen oder Lähmungen.
  • Kognitive Beeinträchtigungen: Gedächtnisprobleme, Konzentrationsstörungen, Aufmerksamkeitsdefizite und andere kognitive Beeinträchtigungen können bei PTE auftreten.
  • Psychische Probleme: Depressionen, Angststörungen, Reizbarkeit und andere psychische Probleme sind häufig bei Menschen mit PTE.

Es ist wichtig zu beachten, dass nicht jeder Krampfanfall gleichbedeutend mit einer Epilepsie ist. Im Kindesalter ist die Prognose außerdem sehr gut, sodass nicht jeder einmalige Anfall sofort zu einer dauerhaften Therapie führen muss. Die Prognose bezüglich Anfallsfreiheit variiert jedoch stark. Wenn zwei nicht provozierte Anfälle (Anfälle ohne erkennbare Auslöser bzw. Wenn, unter Berücksichtigung der ärztlichen Befunde, des EEG, der Symptomatik des Krampfanfalls und weiterer Aspekte durch die Ärztinnen und Ärzte, ein spezifisches Epilepsie-Syndrom diagnostiziert wird. Der Begriff „Epilepsie“ beschreibt demnach das Auftreten oder das Risiko für das Auftreten mehrerer epileptischer Anfälle in bestimmten zeitlichen Abständen, während ein einmaliger epileptischer Anfall nicht zwangsläufig bedeutet, dass auch eine Epilepsie vorliegt, die mit Anfallssuppressiva behandelt werden muss.

Diagnose

Die Diagnose einer PTE basiert auf einer sorgfältigen Anamnese, einer neurologischen Untersuchung und verschiedenen diagnostischen Tests.

Die wichtigsten diagnostischen Schritte sind:

  • Anamnese: Der Arzt wird den Patienten oder seine Angehörigen nach der Vorgeschichte des SHT, den Anfallsarten, der Häufigkeit der Anfälle und anderen relevanten Symptomen fragen. Die erste und wichtigste Untersuchung ist die Befragung des Patienten und der Augenzeugen des Anfallsereignisses, welche Vorgefühle eventuell den Anfall angekündigt haben, was der Patient noch selbst von dem Ereignis weiß, welche sichtbaren Phänomene sich abspielten. Dabei werden wichtige Informationen erhoben, die manchmal schon allein eine Verdachtsdiagnose begründen können, aber weiter ergänzt werden müssen durch neurologische und technische Untersuchungen.
  • Neurologische Untersuchung: Der Arzt wird die neurologische Funktion des Patienten überprüfen, einschließlich der Reflexe, der Muskelkraft, der Koordination, der Sensorik und der kognitiven Fähigkeiten.
  • EEG (Elektroenzephalogramm): Das EEG misst die elektrische Aktivität des Gehirns und kann epileptiforme Entladungen aufzeichnen, die auf eine erhöhte Anfallsbereitschaft hinweisen. Durch eine Elektroenzephalographie (EEG) kann die Bereitschaft des Gehirns zu epileptischen Entladungen direkt gezeigt werden. Je schneller nach einem Anfall eine EEG durchgeführt wird, umso höher die Chancen, Epilepsiepotentiale aufzuzeichnen. Dazu bekommt der Patient eine Haube mit Elektroden aufgesetzt, von denen die elektrische Oberflächenaktivität der Hirnrinde abgeleitet wird.
  • Bildgebung des Gehirns: Eine Magnetresonanztomographie (MRT) oder eine Computertomographie (CT) des Gehirns kann strukturelle Schäden oder Anomalien im Gehirn aufzeigen, die zur Epilepsie beitragen könnten. In der Magnetresonanztomografie des Gehirns (craniales MRT oder cMRT, veraltet: Kernspintomographie) werden die Bilder durch starke Magnetfelder erzeugt. Für spezielle Fragestellungen steht die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT) zur Verfügung. Insbesondere können dabei vor einer Epilepsiechirurgie (siehe unten) spezielle Hirnfunktionen den zugehörigen Rindenarealen zugeordnet werden.
  • Liquordiagnostik und Labordiagnostik: Zur Bestätigung eines Verdachts auf einen sogenannten Grand-Mal-Anfall werden bestimmte Blutwerte herangezogen (CK-Wert, Prolaktin), aber auch bei bekannter Epilepsie sind regelmäßige Blutuntersuchungen (Blutspiegelkontrollen) unverzichtbar, da einige der eingesetzten Medikamente den Stoffwechsel von Leber oder Niere beeinflussen. Die Hirnwasser-Entnahme (Liquordiagnostik) wird immer bei Verdacht auf ein akut entzündliches Geschehen (z.B. Gehirnentzündung) durchgeführt, aber auch im Verlauf der Erkrankung, wenn die Anfälle medikamentös nicht einstellbar sind oder andere Beschwerden wie Gedächtnisstörungen oder Depression hinzu treten.
  • Neuropsychologische Tests: Einbußen in Gedächtnis und Konzentration durch die individuelle Behandlung können erfasst und im Verlauf kontrolliert werden. Darüber hinaus können die Auswirkungen der Erkrankung auf den Lebensalltag der Patienten in Tests gemessen und im Verlauf immer wieder kontrolliert werden. Diese Untersuchungen der Gedächtnis- und Sprachleistungen dienen der Beurteilung einer vorgeschlagenen Maßnahme, wie die eines epilepsiechirurgischen Eingriffs oder der Vertretbarkeit einer medikamentösen Behandlung.
  • Eigene Videodokumentation per Smartphone: Im Zeitalter der Smartphones plädieren die Experten sehr dafür, dass Familienangehörige oder enge Freunde den Anfall des Betroffenen als Video aufnehmen und den behandelnden Ärzten zukommen lassen. Denn: Allein durch die Aufzeichnungen der sichtbaren Anfallsphänomene kann der Verdacht auf eine bestimmte Lokalisation des Epilepsieherds im Gehirn geäußert werden. Manchmal muss die Verdachtsdiagnose aber auch in Frage gestellt werden.

Behandlung

Das Ziel der Behandlung von PTE ist es, die Anfälle zu kontrollieren, die Lebensqualität zu verbessern und Komplikationen zu vermeiden. Die Behandlung umfasst in der Regel eine Kombination aus Medikamenten, Lebensstiländerungen und gegebenenfalls chirurgischen Eingriffen.

Medikamentöse Therapie

Die medikamentöse Therapie ist die wichtigste Säule der Behandlung von PTE. Antiepileptika (AEDs) sind Medikamente, die die Anfallshäufigkeit reduzieren, indem sie die neuronale Erregbarkeit verringern.

Lesen Sie auch: Cortison-Therapie bei Epilepsie im Detail

Die Wahl des geeigneten AED hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie z. B. der Art der Anfälle, dem Alter des Patienten, Begleiterkrankungen und möglichen Nebenwirkungen. Einige häufig verwendete AEDs sind:

  • Levetiracetam
  • Valproinsäure
  • Phenytoin
  • Carbamazepin
  • Lamotrigin

Es ist wichtig, die AEDs regelmäßig und gemäß den Anweisungen des Arztes einzunehmen. Die Dosierung muss möglicherweise im Laufe der Zeit angepasst werden, um eine optimale Anfallskontrolle zu erreichen und Nebenwirkungen zu minimieren.

Nicht-medikamentöse Therapie

Neben der medikamentösen Therapie können auch nicht-medikamentöse Maßnahmen zur Behandlung von PTE beitragen. Dazu gehören:

  • Lebensstiländerungen: Ausreichend Schlaf, regelmäßige Mahlzeiten, Stressbewältigung und der Verzicht auf Alkohol und Drogen können die Anfallshäufigkeit reduzieren.
  • Kognitive Verhaltenstherapie (KVT): KVT kann helfen, mit den psychischen Problemen umzugehen, die häufig mit PTE einhergehen, wie z. B. Depressionen und Angststörungen.
  • Neurorehabilitation: Neurorehabilitative Maßnahmen können dazu beitragen, kognitive und motorische Defizite zu verbessern, die durch das SHT und die Anfälle verursacht wurden.

Chirurgische Therapie

In einigen Fällen, in denen die Anfälle trotz medikamentöser Therapie nicht ausreichend kontrolliert werden können, kann eine Operation in Erwägung gezogen werden. Die Epilepsiechirurgie zielt darauf ab, den epileptogenen Fokus (den Bereich im Gehirn, der die Anfälle auslöst) zu entfernen oder zu isolieren.

Es gibt verschiedene Arten von epilepsiechirurgischen Eingriffen, darunter:

  • Resektive Chirurgie: Entfernung des epileptogenen Fokus.
  • Diskonnektive Chirurgie: Durchtrennung von Nervenbahnen, die die Ausbreitung von Anfällen ermöglichen.
  • Neuromodulation: Implantation von Geräten, die elektrische Impulse an bestimmte Bereiche des Gehirns abgeben, um die Anfallstätigkeit zu reduzieren (z. B. Vagusnervstimulation, tiefe Hirnstimulation).

Prognose

Die Prognose von PTE ist variabel und hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie z. B. dem Schweregrad des SHT, der Anfallsart, dem Zeitpunkt des Auftretens der Anfälle und dem Ansprechen auf die Behandlung.

Viele Menschen mit PTE können mit einer Kombination aus Medikamenten und anderen Therapien eine gute Anfallskontrolle erreichen und ein normales Leben führen. Bei einigen Patienten sind die Anfälle jedoch schwer zu kontrollieren und können die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen.

Dissoziative Krampfanfälle

Es ist wichtig, die PTE von anderen Anfallsformen zu unterscheiden, insbesondere von dissoziativen Krampfanfällen (DKA). DKA sind psychogene Anfälle, die epileptischen Anfällen sehr ähneln, aber keine organische Ursache haben. Sie werden durch psychische Belastungen oder Traumata ausgelöst.

DKA sind individuell sehr unterschiedlich, vor allem bezüglich Häufigkeit und Dauer der Anfälle und des Erscheinungsbildes. Die dissoziativen Anfälle kennzeichnen sich zum Beispiel durch krampfartige Zuckungen, verrenkungsähnliche Bewegungen, Überstreckungen des Kopfes, Grimassierungen oder schüttelnde Bewegungen der Arme, Beine oder des Kopfes.

Die standardmäßige Behandlung von epileptischen Anfällen mit Antiepileptika hat bei dissoziativen Krampfanfällen keine positiven Auswirkungen. Bei dissoziativen Anfällen sind die Augen meistens geschlossen. Betroffene von epileptischen Anfällen sind nach den Anfällen völlig desorientiert bzw. am Schlafen.

Bei DKA ist Psychotherapie das Mittel der Wahl. Unterschiedliche Therapieformen sind für die Behandlung dissoziativer Krampfanfälle möglich. Die Art der Therapie sollte davon abhängig sein, wie ausgeprägt die dissoziative Symptomatik ist. Bei einfachen dissoziativen Störungen ist die Arbeit an den Auslösern sowie die Verbesserung der Affektwahrnehmung und der Affekttoleranz empfehlenswert.

Auswirkungen auf den Alltag

Die Diagnose der Erkrankung Epilepsie hat oft weit reichende Folgen für das alltägliche Leben:

  • Die Berufswahl kann eingeschränkt sein, insbesondere Berufskraftfahrer sind mit einem Schlag berufsunfähig.
  • Die Mobilität mit dem PKW ist durch zunächst begrenztes Fahrverbot erst einmal aufgehoben.
  • Ein Kinderwunsch muss nun - hauptsächlich aufgrund der eventuell notwendigen Medikation - geplant werden.
  • Begleiterkrankungen, wie Depressionen, Angststörungen oder Gedächtnisstörungen sind bei Epilepsie häufig. Eine psychiatrische und/oder psychotherapeutische Mitbehandlung ist in vielen Fällen zur Erhaltung der Lebensqualität notwendig.

tags: #posttraumatische #epilepsie #ursachen #symptome #behandlung