Traumatische Erfahrungen hinterlassen tiefe Spuren, nicht nur auf der psychischen Ebene, sondern auch in Form von nachweisbaren Veränderungen in neuronalen Netzwerken, die Wahrnehmung, Reaktion und Verhalten beeinflussen. Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entsteht als verzögerte Reaktion auf extrem belastende Ereignisse, die eine außergewöhnliche Bedrohung darstellen - sei es ein einzelnes Schockerlebnis oder eine chronisch belastende Situation.
Was passiert im Gehirn bei einer PTBS?
Die moderne Bildgebung hilft dabei, die neurologischen Grundlagen der PTBS besser zu verstehen. Lange galt ein amygdalozentrisches Modell als führend, das die Amygdala - das Zentrum für Angstverarbeitung - ins Zentrum der Erklärung stellte, vor allem im Hinblick auf die übersteigerte Furchtreaktion. Doch neuere Studien zeigen, dass dieses Modell zu kurz greift. Viele zentrale Symptome der PTBS - etwa Dissoziation, emotionale Abstumpfung oder soziales Rückzugsverhalten - lassen sich allein über die Amygdala nicht hinreichend erklären.
Neue Perspektiven auf traumabezogene Gehirnveränderungen
Aktuelle Forschung bezieht komplexere Netzwerke in die Betrachtung ein - darunter Strukturen, die an Furchtkonditionierung, Habituation und Extinktion beteiligt sind. Entscheidend ist nicht nur, was das Gehirn in traumatischen Situationen aktiviert, sondern auch, was es in Ruhe tut - also wie Gedächtnisinhalte, Affekte und Körperwahrnehmungen verknüpft und neu bewertet werden. Traumatische Erfahrungen verändern nicht nur die akute Reaktion auf Bedrohung, sondern auch die Art, wie das Gehirn künftige Erfahrungen interpretiert und reguliert.
Die Rolle von Thalamus, Amygdala, Hippocampus und Großhirnrinde
Unser Körper und unsere Sinnesorgane leiten Informationen (Gesehenes, Gehörtes, Geruch, Geschmack und Gefühltes) in den Thalamus. Der Thalamus dient als eine Art Filter und entscheidet darüber, welche Informationen im Moment für uns wichtig sind. Nur wichtige Informationen werden weitergeleitet, unwichtige Informationen werden herausgefiltert. Die wichtigen, weitergeleiteten Informationen werden uns dann bewusst.
Die Amygdala (auch Mandelkerne genannt) ist wesentlich an der Konditionierung von Angst beteiligt. Sie spielt eine wichtige Rolle bei der Wiedererkennung von Situationen sowie der Analyse möglicher Gefahren. Ereignisse werden in der Amygdala mit Emotionen verknüpft und gespeichert. Die Amygdala kreiert gewissermaßen Gefühle, ohne diese zu bewerten.
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Der Hippocampus (auch Seepferdchen genannt) ist die zentrale Schaltstelle des limbischen Systems im Gehirn. Er hat eine ordnende Wirkung. Ereignisse werden zeitlich und geografisch zugeordnet und die Reize bewertet. Die Großhirnrinde ist der Langzeitspeicher unseres Gehirns.
Die Auswirkungen von Stresshormonen auf das Gehirn
Bei traumatischen Erlebnissen wird unser Gehirn mit Stresshormonen überflutet. Dieses wirkt sich ungünstig auf die Nervenzellen im Gehirn aus, vor allem auf den Hippocampus. Die Zusammenarbeit zwischen der Amygdala und dem Hippocampus ist gestört. Gefühlszustände, Bilder und körperliche Reaktionen werden in der Amygdala gespeichert, das vollständige Zuordnen des Erlebten im Zusammenhang mit der äußeren Realität kann im Hippocampus jedoch nicht stattfinden. Es entsteht eine „hippocampale Amnesie“. Ist das Trauma nicht verarbeitet, überwiegt das emotionale Gedächtnis der Amygdala („hot system“) im Vergleich zum autobiografischen Gedächtnis des Hippocampus („cold system“). Es besteht ein Nebeneinander von intensiven Erinnerungen einerseits und Erinnerungslücken bzgl. der konkreten Geschehnisse andererseits.
Trauma überlagert Gegenwart
Traumatische Erinnerungen werden also nicht als Vergangenes abgespeichert, sondern als »Fragmente früherer Ereignisse, die den gegenwärtigen Moment unterdrücken«: Das Trauma überlagert also gewissermaßen die Gegenwart.
Die Rolle des posterioren cingulären Kortex
Wenn die Patienten traurige Erinnerungen hörten, etwa vom Tod eines Familienmitglieds, zeigte sich eine hohe Aktivität des Hippocampus, dem Teil des Gehirns, der Erinnerungen organisiert und in einen Kontext stellt. Wenn ihnen jedoch ihre traumatischen Erinnerungen vorgespielt wurden, etwa von sexuellem Missbrauch, Schulmassakern oder einer Terrorattacke, war der Hippocampus nicht aktiviert. Die traumatischen Erinnerungen schienen den sogenannten posterioren cingulären Kortex zu aktivieren, der normalerweise an nach innen gerichteten Gedanken, wie Introspektion oder Tagträumen, beteiligt ist - also an aktuellen Erfahrungen. Je schwerer die PTBS-Symptome der Person waren, desto mehr Aktivität zeigte sich in diesem Areal.
Kindheitstrauma und Gehirnstruktur
Ein Trauma in der Kindheit kann die Struktur des Gehirns so beeinflussen, dass die Wahrscheinlichkeit von schweren, wiederkehrenden klinischen Depressionen im Erwachsenenalter steigt. Die MRT-Ergebnisse deuten darauf hin, dass sowohl Misshandlungen in der Kindheit als auch wiederkehrende Depressionen eine Verbindung haben zu ähnlichen Reduktionen in der Oberfläche der Inselrinde - dem Teil des Gehirns, der für die Regulierung von Emotionen und Selbstwahrnehmung mitverantwortlich zu sein scheint. Die Ergebnisse deuten ferner darauf hin, dass diese beobachtete Reduktion einen späteren Rückfall wahrscheinlicher machen könnte.
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Angstkonditionierung und Generalisierung
Ähnlich wie beim berühmten Experiment von Pawlow wird dabei ein Stimulus mit einer Bedeutung verknüpft, die er ursprünglich gar nicht hat. Bei der Angstkonditionierung wird ein bestimmtes Geräusch mit einem leichten elektrischen Schock verknüpft. Dies führte dazu, dass die Mäuse erstarren, wenn sie dieses Geräusch erneut hörten, ein Verhalten, das als Angstreaktion interpretiert wird. Die neuronalen Antwortmuster von Geräuschen, die bereits vor der Konditionierung ähnlich waren, wurden durch die Konditionierung noch ähnlicher. Besonders stark war dieser Effekt für Geräusche, die dem konditionierten Geräusch ähnelten. Dies spiegelte sich auch im Verhalten der Tiere wider. Die Mäuse reagierten nicht nur auf das Geräusch mit Erstarren, das mit dem Schock verbunden worden war, sondern auch auf ähnliche Geräusche. Diese Generalisierung erinnert stark daran, was bei Menschen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung geschehen kann, wie im Beispiel des Soldaten. Auch bei Menschen führt nach einer Traumatisierung nicht nur das traumatisierende Geräusch zu einer Angstreaktion, sondern ebenso andere diesem Geräusch ähnliche Geräusche.
Therapieansätze bei PTBS
Ein traumatisches Erlebnis lässt sich nicht rückgängig machen, wohl aber die Posttraumatische Belastungsstörung: mit Hilfe des Extinktionslernens.
Extinktionslernen
In der kognitiven Verhaltenstherapie macht man sich das Prinzip des Extinktionslernens zunutze: PTBS-Patienten sollen die neu erlernte Angstreaktion umlernen. Das umgelernte Verhalten lässt sich aber mitunter schwer abrufen. Forscher vermuten, dass dies mit der reduzierten Aktivität im vmPFC und Hippocampus zu tun hat. Der Hippocampus spielt auch eine wichtige Rolle, wenn ein Kontext als gefährlich oder sicher beurteilt werden soll. Es kann sein, dass diese Kontrollfunktion entfällt, wenn diese Hirnregion weniger aktiv ist - was bei einer Posttraumatischen Belastungsstörung der Fall sein kann. Die bisherigen Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass es vielleicht sinnvoll sein kann, das Extinktionslernen in verschiedenen Kontexten, also Umgebungen, durchzuführen. Inwiefern das tatsächlich langfristige Erfolge in der Therapie von PTBS-Betroffenen bringt, muss noch erforscht werden.
Konfrontationstherapie
Bei Traumapatientinnen und -patienten wird häufig eine Konfrontationstherapie eingesetzt. Dabei setzen sich Betroffene gedanklich der für sie Angst auslösenden Situation, den Gefühlen oder Gedanken aus. Die Studienautoren erklären die Konfrontationstherapie zu einem entscheidenden Element der Behandlung von PTBS-Patienten. Sie hilft dem Patienten, ein Gedächtnis zu konstruieren, das im Hippocampus organisiert und konsolidiert werden kann.
Augenbewegungsdesensibilisierung (EMDR)
Eine Alternative ist die Augenbewegungsdesensibilisierung. Diese Therapie beruht auf bilateraler Stimulation: Während der Patient sich aktiv in die traumatische Situation begibt, folgt er mit seinen Augen zufälligen Bewegungen.
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Die Bedeutung des Kontextes für die Therapie
Sobald sich der Kontext, in dem das Verlernen stattgefunden hat, von jenem Kontext unterscheidet, in dem die Extinktion abgerufen wird, kehrt bei den meisten PTBS-Patienten die Angst zurück. Die Extinktion ist abhängig von der Situation. Die Trauma-Patienten mit PTBS zeigten nach dem Wechsel des Kontextes nicht weniger Angst als zuvor - die Furchtkonditionierung wurde also entweder nicht erfolgreich reduziert oder der Stimulus hat zum Erneuerungseffekt geführt, weil die Extinktion nicht abgerufen werden konnte.
Pharmakologische Interventionen
Chinesische Hirnforscher fanden in den Gehirnen der PTBS-Patienten auffällige Veränderungen, vor allem eine erhöhte N-Acetylaspartat-Konzentration im anterioren zingulären Kortex, eine erhöhte Kreatin-Konzentration in der linken Amygdala und eine erhöhte Myo-Inositol-Konzentration in der rechten Amgydala. Außerdem war das Volumen der Amygdala beidseitig verringert. Laut den Autoren können die verschiedenen metabolischen Aktivitäten in den Amygdala-Hälften auf einen Schutzmechanismus des Gehirns zurückgeführt werden, bei dem verstärkt Gliazellen ausgebildet werden. Darüber hinaus konnten sie nachweisen, dass es Unterschiede zwischen dem Früh- und Spätstadium einer PTBS gibt. So ist die N-Acetylaspartat-Konzentration anfangs höher als später.
Was können Angehörige tun?
Angehörige spielen eine wichtige Rolle im Unterstützungsnetzwerk von Personen mit Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS). Hier sind einige Möglichkeiten, wie Angehörige helfen können:
- Unterstützung und Verständnis bieten: Zeigen Sie Mitgefühl und Verständnis für die Herausforderungen, mit denen Ihr Angehöriger konfrontiert ist. Hören Sie aktiv zu und zeigen Sie Empathie für seine Gefühle.
- Unterstützung bei der Suche nach professioneller Hilfe: Ermutigen Sie Ihren Angehörigen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Helfen Sie ihm bei der Suche nach einem Therapeuten oder einer Selbsthilfegruppe und unterstützen Sie ihn bei der Terminvereinbarung.
- Geduld und Unterstützung während der Therapie: Die Behandlung von PTBS kann langwierig sein, und Ihr Angehöriger kann Rückschläge erleben. Seien Sie geduldig und ermutigen Sie ihn, an seiner Therapie festzuhalten. Bieten Sie praktische Unterstützung, z.B. bei der Organisation von Therapietermine oder der Begleitung zu Arztbesuchen.
- Vermeiden von Triggern: Versuchen Sie, potenzielle Trigger für Ihren Angehörigen zu erkennen und diese zu vermeiden oder zu minimieren. Dies kann das Vermeiden von Orten, Personen oder Situationen umfassen, die traumatische Erinnerungen auslösen könnten.
- Aufrechterhaltung einer stabilen Umgebung: Schaffen Sie eine unterstützende und stabile Umgebung zu Hause. Strukturieren Sie den Alltag, um Sicherheit und Routine zu bieten, und fördern Sie Selbstfürsorge und Entspannungstechniken.
- Informationen über PTBS suchen: Informieren Sie sich über die Symptome und Behandlungsmöglichkeiten von PTBS, um besser zu verstehen, was Ihr Angehöriger durchmacht. Dies kann Ihnen helfen, angemessen zu reagieren und Unterstützung anzubieten.
- Sich selbst unterstützen: Vergessen Sie nicht, auch auf Ihre eigenen Bedürfnisse zu achten und sich gegebenenfalls Unterstützung zu suchen.
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