Progressive Myoklonische Epilepsie: Ursachen, Diagnose und Therapie

Die progressive myoklonische Epilepsie (PME) ist eine Gruppe seltener neurologischer Erkrankungen, die durch das Auftreten von Myoklonien (plötzliche, unwillkürliche Muskelzuckungen), epileptischen Anfällen und fortschreitendem neurologischem Abbau gekennzeichnet sind. Diese Erkrankungen sind in der Regel genetisch bedingt und betreffen oft Kinder und Jugendliche, obwohl sie in jedem Alter auftreten können.

Ursachen der progressiven myoklonischen Epilepsie

Die Ursachen der PME sind vielfältig, wobei genetische Defekte eine zentrale Rolle spielen. Viele PME-Formen werden autosomal-rezessiv vererbt, was bedeutet, dass beide Elternteile Träger des defekten Gens sein müssen, damit ein Kind erkrankt. Einige der bekannten Ursachen sind:

  • Lafora-Krankheit: Ein autosomal-rezessiver Gendefekt im Glykogenmetabolismus, der zur Ablagerung von Lafora-Körperchen in Gehirn, Haut, Leber und Muskulatur führt. Betroffene Rassen sind vor allem Beagle, Zwergrauhaardackel und Basset. Die Lafora-Krankheit manifestiert sich typischerweise ab einem Alter von 7 Jahren mit progressiven Myoklonien, die durch optische oder akustische Stimuli ausgelöst werden können. Die Diagnose erfolgt mittels Gentest.
  • Neuronale Ceroid-Lipofuszinosen (NCL): Eine Gruppe von lysosomalen Speicherkrankheiten, bei denen sich Lipopigmente in Nervenzellen ansammeln. CLN2 ist eine Form der NCL, die in Deutschland selten ist.
  • MERRF (Myoklonische Epilepsie mit ragged-red fibers): Eine mitochondriale Erkrankung, die durch Myoklonien, epileptische Anfälle, Ataxie und Muskelschwäche gekennzeichnet ist.
  • Andere genetische Ursachen: Es gibt eine Vielzahl weiterer genetischer Defekte, die zu PME führen können, darunter Mutationen in Genen, die für Proteine des Glykogenstoffwechsels, der Lysosomenfunktion oder anderer zellulärer Prozesse kodieren.

Symptome der progressiven myoklonischen Epilepsie

Die Symptome der PME variieren je nach der zugrunde liegenden Ursache und dem Alter des Patienten. Zu den häufigsten Symptomen gehören:

  • Myoklonien: Plötzliche, unwillkürliche Muskelzuckungen, die isoliert oder generalisiert auftreten können. Bei vielen Patienten werden die Myoklonien durch bestimmte Stimuli ausgelöst, insbesondere optische Reize wie Lichtblitze oder akustische Signale.
  • Epileptische Anfälle: Verschiedene Anfallstypen, darunter fokale und generalisierte Anfälle.
  • Neurologischer Abbau: Fortschreitender Verlust von neurologischen Funktionen wie Kognition, Motorik und Sensorik. Dies kann zu Gangstörungen, Koordinationsproblemen, Sprachstörungen, Demenz und anderen neurologischen Defiziten führen.
  • Verhaltensänderungen: Viele Patienten zeigen Änderungen im Verhalten, wie vermehrte Unruhe, Lethargie, Desorientiertheit, gestörter Schlaf-Wach-Rhythmus und Veränderungen in der Interaktion mit anderen.
  • Weitere Symptome: Je nach Ursache können weitere Symptome auftreten, wie Blindheit, Muskelschwäche, Ataxie (Koordinationsstörung), Hörverlust und psychische Probleme.

Diagnose der progressiven myoklonischen Epilepsie

Die Diagnose der PME erfordert eine umfassende neurologische Untersuchung, eine detaillierte Anamnese und verschiedene diagnostische Tests. Zu den wichtigsten diagnostischen Verfahren gehören:

  • Elektroenzephalographie (EEG): Zur Erfassung der Hirnaktivität und Identifizierung epilepsietypischer Muster.
  • Magnetresonanztomographie (MRT): Zur Darstellung des Gehirns und Identifizierung struktureller Anomalien.
  • Gentests: Zum Nachweis spezifischer genetischer Defekte, insbesondere bei Verdacht auf Lafora-Krankheit oder andere genetisch bedingte PME-Formen. Ein positiver Gentest ist beweisend für das Vorliegen der Erkrankung.
  • Biopsie: In einigen Fällen kann eine Haut- oder Leberbiopsie entnommen werden, um eingelagerte Lafora-Körperchen oder andere spezifische Ablagerungen nachzuweisen.
  • Weitere Untersuchungen: Je nach klinischem Bild können weitere Untersuchungen erforderlich sein, wie Blutuntersuchungen zur Überprüfung von Stoffwechselparametern, Muskelbiopsie zur Beurteilung der Muskelstruktur und Nervenleitgeschwindigkeitsmessungen zur Beurteilung der Nervenfunktion.

Differenzialdiagnosen

Es ist wichtig, die PME von anderen Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen abzugrenzen. Zu den wichtigsten Differenzialdiagnosen gehören:

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  • Epilepsie (idiopathisch, strukturell): Epilepsieformen ohne progressive neurologische Verschlechterung.
  • Paroxysmale Dyskinesien: Bewegungsstörungen mit plötzlichen, unwillkürlichen Bewegungen.
  • Kognitive Dysfunktion: Altersbedingter oder anderer Ursachen.
  • Hyperekplexie ("startle disease"): Eine autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung, die sich durch massive transiente Tonuserhöhungen der Skelettmuskulatur nach unerwarteten externen Reizen auszeichnet.
  • Bewegungsstereotypien bei Organoazidurien: Stoffwechselstörungen, die zu stereotypen Bewegungen führen können.

Therapiemöglichkeiten bei progressiver myoklonischer Epilepsie

Die Therapie der PME zielt darauf ab, die Symptome zu lindern, die Anfallshäufigkeit zu reduzieren und die Lebensqualität der Patienten zu verbessern. Da die PME in der Regel fortschreitend verläuft, ist eine kurative Therapie oft nicht möglich. Zu den wichtigsten Therapieansätzen gehören:

  • Medikamentöse Therapie:
    • Antikonvulsive Medikamente: Zur Reduktion der Anfallshäufigkeit. Da große vergleichende Studien bezüglich der verschiedenen Wirkstoffe fehlen, hat sich bislang noch kein Präparat hinsichtlich der Myoklonien gegenüber den anderen als überlegen herausgestellt, sodass die Wirksamkeit für jeden Patienten individuell getestet werden muss. Phenobarbital wird häufig als Erstmedikation eingesetzt. Als Add-on-Medikation werden Midazolam, Clonazepam, Lorazepam, Phenytoin, Lidocain und Levetiracetam empfohlen.
    • Weitere Medikamente: Je nach Symptomatik können weitere Medikamente eingesetzt werden, wie Antidepressiva zur Behandlung von Depressionen oder Muskelrelaxantien zur Linderung von Muskelkrämpfen.
  • Fütterungsmanagement: Derzeit wird diskutiert, ob kohlenhydratarme Fütterung das Fortschreiten der Erkrankung verhindern oder zumindest die Progression verlangsamen könnte. Diese kann über selbst gekochte Rationen unter Anleitung eines Fachtierarztes für Tierernährung oder kommerziell verfügbarer Diäten erfolgen.
  • Triggervermeidung: Bei Patienten, deren Myoklonien durch bestimmte Stimuli ausgelöst werden, ist es wichtig, diese Trigger zu vermeiden. Bei visuellen Triggern können spezielle Brillen (z. B. „Doggles") helfen, die visuellen Reize zu reduzieren.
  • Physio- und Ergotherapie: Zur Verbesserung der Motorik, Koordination und Alltagsfähigkeiten.
  • Logopädie: Zur Behandlung von Sprach- und Schluckstörungen.
  • Psychologische Unterstützung: Zur Bewältigung der emotionalen und sozialen Belastungen, die mit der Erkrankung einhergehen.
  • Epilepsiechirurgie: Für Patient:innen, deren Epilepsie medikamentös nicht gut kontrolliert werden kann, gibt es spezialisierte Epilepsiezentren, die prüfen, ob gegebenenfalls ein epilepsiechirurgischer Eingriff möglich ist.
  • Vagus-Nerv-Stimulation: In bestimmten Situationen kann auch die Vagus-Nerv-Stimulation weiterhelfen.

Epilepsien im Kindesalter

Epilepsien im Kindesalter unterscheiden sich von denen im Erwachsenenalter durch eine Reihe von Faktoren. Die Inzidenz von Epilepsien und epileptischen Anfällen ist im Neugeborenen-, Säuglings- und Kindesalter besonders hoch. Die Diagnostik ist durch die Unreife des kindlichen Gehirns und der damit verbundenen untypischen und oft subtilen Anfallsmorphologie erschwert. Die Möglichkeiten zur medikamentösen Behandlung sind begrenzt, da für viele antikonvulsiv wirksame Substanzen gerade im frühen Kindesalter die Studienlage bisher keine ausreichende Evidenz besitzt. Dabei ist eine exakte Diagnose und frühzeitige Behandlung von besonderer prognostischer Bedeutung.

Spezielle Epilepsiesyndrome im Kindesalter

  • West-Syndrom: Eine epileptische Enzephalopathie mit Beginn im ersten Lebensjahr. Das klinische Bild ist gekennzeichnet durch die Trias aus typischen Blitz-Nick-Salaam-Anfällen (BNS-Anfälle), charakteristischen EEG-Veränderungen (Hypsarrhythmie) und Entwicklungsregression bzw. fehlenden Entwicklungsfortschritten.
  • Benigne myoklonische Epilepsie des Säuglingsalters: Eine vergleichsweise seltene Epilepsieform des Säuglingsalters mit myoklonischen Anfällen. Sie manifestiert sich im Säuglings- und Kleinkindalter in den ersten 3 Lebensjahren.
  • Myoklonisch-astatische Epilepsie (Doose-Syndrom): Tritt zwischen dem 2. und 5. Lebensjahr auf. Meist beginnt die Epilepsie mit febrilen oder afebrilen generalisierten tonisch-klonischen Anfällen. Wenige Wochen später setzen dann oft explosionsartig myoklonisch-astatische Anfälle ein, die von da an den Verlauf dominieren.
  • Lennox-Gastaut-Syndrom: Eine epileptische Enzephalopathie, die sich meist zwischen dem 2. und 6. Lebensjahr manifestiert. Die Diagnose basiert auf dem Auftreten von tonischen Anfällen, atypischen Absencen und Sturzanfällen, denen eine Myoklonie vorausgehen kann.

Prognose

Die Prognose der PME ist variabel und hängt von der zugrunde liegenden Ursache, dem Alter bei Krankheitsbeginn und dem Ansprechen auf die Therapie ab. Einige PME-Formen verlaufen relativ langsam, während andere rasch fortschreiten und zu schweren neurologischen Defiziten führen können. Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung sind wichtig, um die Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Patienten zu verbessern.

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