Psychische Erkrankungen: Auswirkungen auf das Gehirn

Psychische Erkrankungen sind komplexe Zustände, die tiefgreifende Auswirkungen auf das Gehirn haben können. Diese Auswirkungen manifestieren sich auf vielfältige Weise, von Veränderungen in der neuronalen Kommunikation bis hin zu strukturellen Veränderungen in bestimmten Hirnarealen. In diesem Artikel werden wir die vielfältigen Auswirkungen psychischer Erkrankungen auf das Gehirn untersuchen und die zugrunde liegenden Mechanismen beleuchten.

Die Grundlagen des Nervensystems

Um die Auswirkungen psychischer Erkrankungen auf das Gehirn zu verstehen, ist es wichtig, die Grundlagen des Nervensystems zu kennen. Das Nervensystem besteht aus dem zentralen Nervensystem (ZNS), das Gehirn und Rückenmark umfasst, und dem peripheren Nervensystem (PNS), das Nerven in anderen Teilen des Körpers umfasst. Das Gehirn nimmt innerhalb des Nervensystems eine Sonderstellung ein: Es besteht aus etwa 86 Milliarden Nervenzellen, die untereinander mit hunderten Billionen von Verbindungen verknüpft sind. Nervenzellen dienen der Übertragung von Information und steuern die Körperfunktionen durch elektrische und biochemische Signale. Die an der Übertragung beteiligten Signalmoleküle werden von Fachleuten „Transmitter“ genannt. Wenn das Gehirn erkrankt, können Nervenzellen zugrunde gegangen sein oder „Schaltkreise“ anders funktionieren, als sie sollten.

Wie psychische Erkrankungen das Gehirn beeinflussen

Psychische Erkrankungen können zu zwei unterschiedlichen Arten von Symptomen führen. Es können einerseits eng umschriebene Hirnfunktionen beeinträchtigt sein, beispielsweise das Gedächtnis oder die Muskelkontrolle. Andererseits kann es Probleme mit den übergeordneten Funktionen geben wie der Stimmung oder dem Bewusstsein. Die Medizin bezeichnet sie als neurologische Symptome und als psychiatrische oder psychische Symptome.

Einige spezifische Beispiele dafür, wie psychische Erkrankungen das Gehirn beeinflussen können, sind:

  • Veränderungen in der neuronalen Kommunikation: Viele psychische Erkrankungen, wie Depressionen und Schizophrenie, sind mit Veränderungen in der Kommunikation zwischen Nervenzellen verbunden. Dies kann auf Veränderungen in der Menge oder Funktion von Neurotransmittern, den chemischen Botenstoffen, die Nervenzellen zur Kommunikation verwenden, oder auf Veränderungen in der Struktur oder Funktion von Synapsen, den Verbindungen zwischen Nervenzellen, zurückzuführen sein. Bei der Schizophrenie ist zum Beispiel das sogenannte mesolimbische dopaminergene System überaktiv. Aber auch die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen im Gehirn bezüglich der Neurotransmitter-Systeme, die mit Gamma-Amino-Buttersäure oder Glutamat arbeiten, funktioniert nicht, wie sie sollte.
  • Strukturelle Veränderungen im Gehirn: Einige psychische Erkrankungen sind mit strukturellen Veränderungen im Gehirn verbunden, wie z. B. einer Verringerung des Volumens bestimmter Hirnareale oder Veränderungen in der Dicke der Hirnrinde.
  • Veränderungen in der synaptischen Plastizität: Synaptische Plastizität ist die Fähigkeit des Gehirns, die Stärke der Verbindungen zwischen Nervenzellen als Reaktion auf Erfahrungen zu verändern. Diese Fähigkeit ist für Lernen, Gedächtnis und Anpassungsfähigkeit unerlässlich. Studien haben gezeigt, dass Menschen mit Depressionen eine verminderte synaptische Plastizität aufweisen. War die depressive Episode bei den erkrankten Probanden bei einer Folgemessung einige Wochen später jedoch abgeklungen, zeigten sie auch eine normale Hirnaktivität. Die Forscher gehen davon aus, dass es sich bei der verminderten synaptischen Plastizität um eine Ursache der Depression handelt und nicht nur um eine Folge. „Synaptische Plastizität ist ein grundlegender Prozess im Gehirn. Veränderungen könnten einen Großteil der Symptome einer Depression erklären“, sagt Prof. Nissen.

Ursachen von Störungen des Gehirns und Nervensystems

Die Ursachen für Störungen des Gehirns und Nervensystems sind vielfältig. Das kann im Mutterleib passiert sein, weil die Mutter während der Schwangerschaft Suchtmittel konsumiert hat, es können Komplikationen bei der Geburt aufgetreten sein, Infektionen, Verletzungen, Fehlbildungen, neurodegenerative Erkrankungen, oder Schädigungen des das Gehirn versorgenden Gefäßsystems zum Beispiel durch hohen Blutdruck, Diabetes oder Rauchen, operative Eingriffe, Abhängigkeitserkrankungen. Außerdem gibt es einige wenige Krankheiten des Gehirns, die direkt auf eine genetische Anlage zurückzuführen sind: So gehen bei der Huntington-Erkrankung ganz bestimmte Nervenzellen des Großhirns als Folge eines Gendefekts kaputt, wodurch die typischen Muskelzuckungen des „Veitstanzes“ entstehen.

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Psychische Erkrankungen und ihre Ursachen

Seelische Störungen wie Depression oder Schizophrenie gelten als Fehlregulierungen des Gehirns. Generell gehen wir bei seelischen Störungen wie zum Beispiel der Depression fast immer von mehreren zusammenwirkenden ursächlichen Faktoren aus, von einer Wechselwirkung von psychosozialen und biologischen Faktoren. Dabei kann die Bedeutung der verschiedenen Faktoren von Patient zu Patient erheblich variieren.

Mehrere Studien belegen, dass die Wahrscheinlichkeit einer affektiven Störung genetisch bedingt ist. Dass die Erkrankung dann tatsächlich auftritt, löst dann aber in der Regel ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren aus. Das können zum Beispiel hormonelle Umstellungen im Wochenbett oder körperliche Krankheiten sein. Oft sind es psychosoziale Faktoren wie Verluste, Trennungen, berufliche Enttäuschungen, Überforderung, Beziehungskrisen, mangelnde soziale Unterstützung und so weiter. Studien zeigen, dass depressive Störungen familiär gehäuft auftreten. Angehörige ersten Grades haben ein etwa 50 Prozent höheres Risiko selbst an einer unipolaren depressiven Störung zu erkranken, als die Allgemeinbevölkerung. Bislang ist es aber noch nicht gelungen, genetische Marker auf DNA-Ebene zu lokalisieren. Es wird davon ausgegangen, dass affektive Störungen durch krankhafte Veränderungen auf verschiedenen Genen (mit) verursacht werden und dass sich diese in verschiedenen Familien und bei den jeweils erkrankten Individuen unterschiedlich kombinieren. Wenn die Mutter depressiv ist, ist das erst einmal als Risikofaktor für die spätere Entwicklung einer depressiven Störung zu betrachten. Aber es bleibt unklar, welchen Anteil die genetische und nicht-genetische Transmission beziehungsweise die nichtgenetischen Faktoren haben. Ergebnisse aus der Forschung mit Tieren lassen den Schluss zu, dass Trennungserlebnisse in der Kindheit das Risiko steigen lassen, später depressiv zu erkranken. Umgekehrt wird man aber also auch nicht automatisch psychisch krank, wenn eine Veränderung im Gehirn vorliegt.

Auswirkungen von Stress auf die Gehirnentwicklung

Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie konnten erstmals zeigen, dass Gehirnorganoide ein geeignetes Modellsystem sind, um zu erforschen, wie sich Stress auf die menschliche Gehirnentwicklung auswirkt. Die Simulation einer stressigen Umwelt beeinträchtigt die neuronale Entwicklung in den Gehirnorganoiden und führt zu einer Aktivierung von Genen, die mit verschiedenen psychischen Erkrankungen wie Depression in Verbindung stehen.

Zu viele Stresshormone während der Schwangerschaft, hervorgerufen durch Umweltfaktoren wie Stress der Mutter im Rahmen einer psychiatrischen Erkrankung oder durch die Gabe synthetischer Stresshormone zur Beschleunigung der Lungenreifung, können Auswirkungen auf die Gehirnentwicklung des Kindes vor der Geburt haben. Dies kann im späteren Leben zu einem erhöhten Risiko für psychische Erkrankungen führen. Die Wissenschaftler behandelten die Gehirnorganoide mit einem synthetischen Stresshormon, um negative Umwelteinflüsse in der Zellkulturschale zu simulieren. Sie stellten fest, dass das Stresshormon das Ablesen neuronenspezifischer Gene verändert und dadurch die neuronale Reifung in den Gehirnorganoiden beeinträchtigt.

Das Forscherteam fand zudem heraus, dass sich die Aktivierung des Stresssystems auf Gene auswirkt, die mit psychischen und verhaltensauffälligen Erkrankungen in Verbindung stehen. Das molekulare Stresssystem verschiebt also das natürliche Entwicklungsgleichgewicht im Gehirn, indem es Gene reguliert, die für die neuronale Entwicklung wichtig sind und die an Erkrankungen des Gehirns beteiligt sind.

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Behandlung psychischer Erkrankungen und ihre Auswirkungen auf das Gehirn

Es gilt als gesichert, dass Psychotherapie das Gehirn verändert. Die Tatsache, dass es insbesondere soziale und Beziehungserfahrungen sind, die über die gesamte Lebensspanne hinweg das Gehirn formen, macht die Bedeutung von Psychotherapie umso deutlicher. Denn in deren Zentrum steht das zwischenmenschliche Erleben: So kann beispielsweise der Kontakt zum Psychotherapeuten eine neue positive Beziehungserfahrung ermöglichen - die sich gleichermaßen neuronal abbilden wird. Im Rahmen einer Psychotherapie werden zudem weitere neue Erfahrungen gemacht, neue Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen angeregt und bestärkt.

Fast alle Psychopharmaka wirken auf die Funktionen des Gehirns ein, indem sie Einfluss auf die chemische Signalübertragung am synaptischen Spalt nehmen. Dadurch werden Funktionen des Gehirns beeinflusst.

Die Rolle der Forschung

Die Erforschung psychischer Erkrankungen und ihrer Auswirkungen auf das Gehirn ist von entscheidender Bedeutung, um neue und wirksamere Behandlungen zu entwickeln. Das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE) erforscht die Ursachen von Störungen des Nervensystems und entwickelt Strategien zu Prävention, Therapie und Pflege bei Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson oder der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS). Dabei kooperiert das DZNE eng mit Universitäten, deren Kliniken und außeruniversitären Einrichtungen auf nationaler und internationaler Ebene. Das Forschungsnetz für psychische Erkrankungen vereint über 30 wissenschaftliche Einrichtungen aus ganz Deutschland. Sie erforschen neue und bewährte Wege der Prävention, Diagnostik und Therapie und optimieren sie.

Wissenschaftler der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg, Sektion für Experimentelle Psychopathologie und Bildgebung, untersuchen mittels Magnetresonanztomographie bestimmte Hirnfunktionen bei nicht erkrankten Eltern, Geschwistern oder Kindern von Patienten. Ziel der Studie ist es, ausgewählte Gehirnprozesse bei den Angehörigen von Patienten zu untersuchen, um so Erkenntnisse über die Erblichkeit psychischer Erkrankungen zu gewinnen. "Aber die Ergebnisse helfen uns, die Ursachen von schizophrenen und affektiven Störungen besser zu verstehen. Nur durch ein besseres Verständnis der Entstehungsfaktoren können in Zukunft angepasste Therapien für die Patienten weiter entwickelt werden", so Gruber.

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