Psychotherapie bei Epilepsie: Leitlinien und klinische Praxis

Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederholte unprovozierte Anfälle gekennzeichnet ist, die auf plötzlicher, abnormaler elektrischer Aktivität im Gehirn beruhen. Die Behandlung von Epilepsie konzentriert sich in den Leitlinien und der klinischen Praxis hauptsächlich auf Medikamente. Dr. Gerd Heinen (Berlin) kritisiert, dass "eine Aktivierung psychischer und sozialer Ressourcen und die Förderung eines Gesundheitsverhaltens vor dem Hintergrund dieser Leitlinien ausgeschlossen sind." Er belegt anhand von zwei Studien, dass Patienten die psychische Kraft entwickeln können, ihre epileptischen Anfälle weitgehend zu kontrollieren oder zu verhindern. Die Studien wurden auf dem DGPPN-Kongress in Berlin vorgestellt.

Epilepsie geht häufig mit hohen psychosozialen Belastungen einher, und die Prävalenz komorbider psychischer Störungen ist entsprechend deutlich erhöht. Dissoziative Anfälle stellen zudem die wichtigste psychiatrische Differenzialdiagnose der Epilepsie dar. Die aktualisierte Epilepsieleitlinie fordert eine systematische Mitbehandlung von psychischen Beschwerden bei Menschen mit Anfallserkrankungen.

Bedeutung der Psychotherapie in der Epilepsiebehandlung

Die Integration psychotherapeutischer Interventionen gewährleistet eine leitliniengemäße epileptologische Behandlung. Diese beinhaltet explizit auch die Versorgung von Menschen mit dissoziativen Anfällen. Die Integration einer psychotherapeutischen Expertise in die interdisziplinäre stationäre epileptologische Arbeit ist sinnvoll, da Menschen mit Epilepsie überdurchschnittlich oft von psychiatrischen Begleiterkrankungen betroffen sind. Diese schränken die Lebensqualität ein und gehen mit einem erhöhten Risiko einer Pharmakoresistenz und vorzeitigen Sterblichkeit einher, z. B. durch Suizidalität, die auch unabhängig von einer Depression vorliegen kann. Zudem begegnen uns in Epilepsiezentren oft Menschen mit dissoziativen Anfällen, der wichtigsten Differenzialdiagnose und häufigen Begleiterkrankung bei Epilepsie. Die Langzeitprognose von PatientInnen mit ausschließlich dissoziativen Anfällen ist bisher schlecht. Die Erkennung und Mitbehandlung psychiatrischer Erkrankungen bei Epilepsie tragen zu einer relevanten Verbesserung der Lebensqualität bei.

Psychische Belastungen und Anfälle

Angsterkrankungen, Depressionen, Schlafstörungen, Erschöpfungszustände und andere Probleme können epileptische Anfälle auslösen oder verstärken. Die Anfälle selbst wiederum können die psychischen Belastungen weiter erschweren. Daraus ergibt sich dann ein gegenseitiges Aufschaukeln des Leids, das durch kein Medikament unterbrochen werden kann. Die schmerzliche Dynamik ist lediglich für Psychotherapie und Psychoedukation zugänglich.

Medikamente und ihre Auswirkungen

Epilepsiemedikamente können die Selbstwahrnehmung generell und zusätzlich die Wahrnehmung von Anfällen massiv einschränken. Sie können die Handlungsfähigkeit einschränken, und die Nebenwirkungen von Medikamenten können durch die Einschränkung der Selbstwahrnehmung und der Handlungsfähigkeit sogar epileptische Anfälle fördern. Psychotherapeutische und medikamentöse Behandlungen müssen gut aufeinander abgestimmt werden - immer unter der Kernfragestellung, wie Einschränkungen minimiert und Handlungsfähigkeiten erweitert werden können. Ein konservatives, verhaltensorientiertes medizinisches Vorgehen sollte möglichst früh in ein umfassendes Behandlungskonzept integriert werden.

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Organisation und Inhalte psychotherapeutischer Interventionen

Je nach Ressourcen der Kliniken kann das psychotherapeutische Angebot unterschiedlich gestaltet werden. In diesem praxisnahen Beitrag wird vorgestellt, wie Organisation und Inhalte individueller psychotherapeutischer Interventionen im stationären epileptologischen Setting in Berlin und Bochum gestaltet werden.

Stationäre Versorgung in Berlin und Bochum

In Berlin werden etwa mit der Hälfte der PatientInnen mit zusätzlichen oder ausschließlich dissoziativen Anfällen psychologische Einzelgespräche und/oder eine neuropsychologische Diagnostik durchgeführt. Für die psychotherapeutische Mitbehandlung in der Ruhr-Epileptologie in Bochum steht eine ärztliche Psychotherapeutin und Fachärztin für Neurologie zur Verfügung, aktuell mit einem Stellenanteil von nur 0,3 VK.

Anmeldung und Indikation

Die Anmeldung in Berlin erfolgt im Krankenhausinformationssystem und informell bei der psychologischen Leitung durch Stations- oder OberärztInnen. Zudem gibt es interdisziplinären Austausch bei morgendlichen Übergaben durch das Pflegepersonal, täglichen Morgenrunden mit TherapeutInnen, der wöchentlichen Teambesprechung und einem Jour fixe, in dem PatientInnen mit Bedarf an psychologischen Interventionen besprochen werden. Auch nehmen PsychologInnen häufig an ärztlichen Visiten teil, bei denen PatientInnen direkt übergeben werden. Die Indikation zum Einzelgespräch wird in Berlin bei vorhandener psychischer Belastung gestellt, unabhängig von der differenzialdiagnostischen Einordnung der Anfallsereignisse. Das psychologische Team in Berlin trifft sich zudem wöchentlich zur Intervision und Fortbildung.

Screening in Bochum

Bei im Vergleich deutlich kleineren psychotherapeutischen Personalressourcen wurde in Bochum ergänzend zur informellen Anmeldung von PatientInnen sowie der Teilnahme an der oberärztlich-stationsärztlich durchgeführten Kurvenvisite ein Screening bei EpilepsiepatientInnen etabliert. Hierfür werden das Neurological Disorders Depression Inventory for Epilepsy (NDDI-E) und das brief Epilepsy Anxiety Survey Instrument (brEASI) genutzt. An ein positives Screening schließt eine weiterführende standardisierte Diagnostik an (Mini-DIPS). So werden regelmäßig zuvor unerkannte depressive und/oder Angststörungen diagnostiziert. PatientInnen mit dissoziativen Anfällen wird in Bochum im Anschluss an die Diagnosestellung ein psychotherapeutisches Gespräch angeboten. Hinsichtlich des Screenings ist zu berücksichtigen, dass ein großer Anteil von PatientInnen durch kognitive Leistungseinschränkungen oder Sprachbarriere „durch das Raster fällt“. Zudem besteht die Möglichkeit falsch negativer Screenings.

Eklektischer Ansatz und individuelle Einzelgespräche

Strukturell und inhaltlich sind Einzelgespräche im stationären Kontext v. a. durch den begrenzten zeitlichen Umfang klar von ambulanter Therapie abzugrenzen. In Berlin und Bochum wird ein eklektischer „schulenübergreifender“ Ansatz verfolgt. Somit wird der Heterogenität der Patientenpopulation mit individualisierten Einzelgesprächen anstelle eines One-size-fits-all-„Gießkannenprinzips“ begegnet. Formal sind Einzelgespräche im stationären Kontext auf 50 min/Woche begrenzt.

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Inhalte der Einzelgespräche

Im Erstgespräch werden die Rahmenbedingungen bekräftigt, z. B. Schweigepflicht und Freiwilligkeit. Zudem steht der Beziehungsaufbau im Mittelpunkt. Neben einer Exploration der Belastungen wird ein mindestens vergleichbarer Zeitauswand auf die Erhebung vorhandener Ressourcen gelegt, um an vorhandene Bewältigungsstrategien anzuknüpfen. Besonders bei Betroffenen, bei denen eine Erstdiagnose gestellt wurde, stehen oft Akzeptanz, Krankheitsbewältigung und die Einordnung realistischer Therapieziele im Vordergrund. Dies gilt für Epilepsie und dissoziative Anfälle gleichermaßen, aber auch für komorbide psychiatrische Störungen wie depressive und Angststörungen. Neben der Vertiefung von krankheitsbezogenem Wissen im Einzelgespräch und/oder durch Infobroschüren finden hierzu in Berlin oft auch Netzwerkgespräche mit Bezugspersonen statt, um auf systemischer Ebene Krankheitsakzeptanz und -verständnis zu stärken.

Anfallsbezogene psychische Beschwerden

Sowohl bei Epilepsie als auch bei dissoziativen Anfällen können anfallsbezogene psychische Beschwerden mit einem hohen Leidensdruck und Vermeidungsverhalten einhergehen. Aus deren Exploration kann gemeinsam ein individuelles Modell entwickelt werden, das Anfallsfrühzeichen, Belastungen unmittelbar nach einem Anfall sowie erfahrungsbasierte Hypothesen zu Auslösern umfasst. Dies stellt eine strukturierte Grundlage zur gemeinsamen Erforschung von Veränderungsoptionen und den derzeit einzigen bekannten potenziell kurativen Behandlungsansatz bei dissoziativen Anfällen dar. Bei Epilepsie kann er mitunter ergänzend zur medikamentösen/epilepsiechirurgischen Behandlung zur Förderung der anfallsbezogenen Selbstwirksamkeit verfolgt werden. Erfahrungsgemäß profitieren PatientInnen mit Anfallserkrankung im stationären Setting oft von psychotherapeutischen Einzelgesprächen, die den Ausdruck schwieriger Gefühle erleichtern. Besonders die Förderung autonomiestiftender Selbstfürsorge und Selbstwirksamkeit ist in Anbetracht von anfallsbedingten Einschränkungen und Kontrollverlustgefühlen bedeutsam. Die Begleitevaluation in Bochum hat gezeigt, dass diese positiven Therapieerfahrungen mit einer relevanten Verbesserung depressiver und Angstsymptome sowie der Lebensqualität und - bei dissoziativen Anfällen - einer Reduktion der Anfallsfrequenz einhergehen.

Neuropsychologische Interventionen

Kognitive Einschränkungen werden von vielen PatientInnen mit Epilepsie an oberster Stelle alltagsrelevanter Belastungen benannt. In Berlin werden daher zusätzlich zur neuropsychologischen Diagnostik auch neuropsychologische Interventionen wie individuelle Beratung und Gruppentherapie angeboten. In einigen Epilepsiezentren, so auch in Berlin, gibt es eine spezialisierte Station für Menschen mit Epilepsie und Behinderungen, eine Klientel, die oft psychisch belastet ist.

Informationsmaterial und Weiterbehandlung

In Berlin und in Bochum werden PatientInnen nach individuellem Bedarf Informations- und Selbsthilfematerialien zu Anfallserkrankungen und psychischer Komorbidität oder psychoedukative Materialien zu dissoziativen Störungen, Angst, Depressionen o. Ä. zur Verfügung gestellt. Mit PatientInnen mit weiterem psychiatrischem/psychotherapeutischem Behandlungsbedarf wird gemeinsam eine entsprechende stationäre, tagesklinische oder ambulante Weiterbehandlung geplant.

Ambulante Psychotherapie bei Anfallserkrankungen

Die Wirksamkeit der ambulanten neurologischen Arbeit mit Patient/-innen mit Anfällen kann durch eine zusätzliche Behandlung psychischer und kognitiver Beeinträchtigungen deutlich erhöht werden. Für Menschen mit dissoziativen Anfällen ist Psychotherapie ohnehin die Therapie der Wahl. Aber auch die vielfältigen und komplexen psychischen Begleitphänomene bei epileptischen Anfallserkrankungen lassen sich mit einer psychotherapeutischen Wahrnehmungseinstellung oft gut bearbeiten.

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Spezifische psychopathologische Phänomene

Eine bedeutsame Ergänzung für eine im engeren Sinne psychotherapeutische Behandlung von Anfallserkrankungen bilden - neben einer psychotherapeutischen Ausbildung - Kenntnisse der spezifischen psychischen Symptomatiken, die bei Anfallserkrankungen auftreten können. Als solche sind aus der klinischen Praxis z. B. bei dissoziativen Patient/-innen deren charakteristische Aussparungs- und Delegationstendenzen mit entsprechenden Herausforderungen für die Behandler/-innen zu nennen oder bei Epilepsiepatient/-innen z. B. deren im Rahmen von Auren auftretende autoskopische Derealisations- oder Depersonalisationsgefühle oder experientelles Erleben, (pseudo)halluzinatorische, posttraumatisch-intrusive Erlebnisse, aber auch z. B. schamvoll erlebte Zwänge und polymorphe Ängste. Diese Symptomatiken werden von Patient/-innen in der Regel nicht lehrbuchmäßig mitgeteilt und sind oft auch nicht einfach zu erfragen. Sie bedürfen, um besprechbar zu werden, einer längeren Phase der Vertrauensbildung und müssen aus oft flüchtigen, eher andeutungshaft bleibenden Hinweisen entnommen und aus solchen Fragmenten „zusammengesetzt“ werden.

Zusammenhänge mit anderen psychischen Störungen

Hinlänglich bekannt ist, dass Epilepsien häufig mit depressiven und mit Angsterkrankungen einhergehen. Weniger bekannt ist, dass, wie Kanner et al. zeigen konnten, die Patient/-innen bei Vorhandensein einer Angst- oder depressiven Störung signifikant häufiger unerwünschte medikamentöse Nebenwirkungen erleiden. Erstaunlich wenig untersucht sind zudem Zusammenhänge zwischen Epilepsien und posttraumatischen Belastungsstörungen. Für die Praxis ist dieser Befund insbesondere auch deshalb von Belang, als er Hypervigilanz bis hin womöglich zur Hyperekplexie sowie aber auch phobisches Vermeidungsverhalten im Traumakontext zuzuordnen anregt. Noch kaum bekannt ist die ebenfalls von Soncin et al. berichtete anfallssemiologische Beobachtung, dass bei Epilepsiepatient/-innen mit PTBS intrusive Gedanken und Gefühle auch in Anfällen erlebt werden.

Gestaltung des zeitlichen Rahmens

In einer ambulanten psychotherapeutischen Behandlung eröffnen sich Möglichkeiten der Gestaltung des zeitlichen Rahmens, die im Vergleich zu dem einer stationären Behandlung Erörterung verdienen. Insofern kann das, was im offenen psychotherapeutischen Setting rätselhaft daherkommt, zum Ausgangsmaterial für weiterführende Explorationen werden. Ambulant zu behandeln bringt demgegenüber immer wieder die Erfahrung mit sich, dass manche semiologische, psychodynamische oder weitere biopsychosoziale Aspekte - insbesondere wenn sie mit Angst oder auch Scham verbunden sind - erst nach vielen Sitzungen zur Sprache finden und daraus dann der weiteren Arbeit noch wichtige Impulse erwachsen können. Gerade die kommunikative Bearbeitung der im Erleben von Epilepsiepatient/-innen so charakteristischen Schwerbeschreiblichkeit bedarf des zeiterfordernden Aufbaus einer tragfähigen, auch schwierige Affekte zulassenden Behandlungsbeziehung. Strukturdefizite können mittels sog. Zusammenhangsbildungen angegangen werden.

Eigen- und Fremdanamnese

In der Epileptologie wird in der Regel eine Fremdanamnese erhoben, um in Erfahrung zu bringen, was Dritte während Anfällen wahrgenommen haben und was Patient/-innen naturgemäß allenfalls eingeschränkt wahrnehmbar war. Die besondere Komplexität dieser Situation, in der eine Fachperson in Gegenwart des Patienten/der Patientin eine dritte Person über etwas befragt, was einerseits das Leben der betroffenen Person zentral prägt und worüber er andererseits nur von Dritten etwas weiß, wird in der Epileptologie wenig reflektiert und auch nur unvollständig genutzt. Die dann einsetzende Aushandlung von Rederechten verdient ebenso viel Aufmerksamkeit wie das semiologisch Beschriebene. Ein etwas anderer Gesprächsablauf hat sich bewährt: Indem man das Gespräch zunächst mit dem Patienten/der Patientin allein beginnt - und, dabei durchaus auch eine gewisse Irritiertheit der Angehörigen aushaltend, den Angehörigen sagt, man werde sie später dazubitten -, erhöht man die Aussichten erheblich, dass die Eigenwahrnehmungen der Kranken zur Sprache gelangen können. Werden die Angehörigen dann nach der ersten Gesprächsphase hinzugebeten, sollte man ihnen das von den Patient/-innen Gesagte zusammenfassen und ihnen die Möglichkeit zur Ergänzung oder auch Korrektur geben. Alle Beteiligten sehen sich nun der Aufgabe gegenüber, die Perspektiven der anderen mit ihren eigenen abzugleichen.

Konzept des „Selbsthandelns“

Mit dem Konzept „Selbsthandeln bei Anfällen“ wurde in jüngster Zeit ein integratives, schulenübergreifendes Verfahren vorgelegt, welches aus der ambulanten Behandlungspraxis heraus in einem partizipativen, d. h. die von Anfällen betroffenen Menschen einschließenden Prozess entwickelt wurde. Im Mittelpunkt des CBT-gestützten Therapieprozesses „Selbst-Handeln bei Anfällen“ steht in einem ersten Schritt, den erkrankten Menschen ein Verständnis ihrer veränderten Lebenssituation zu ermöglichen. In einem zweiten Schritt wird versucht, aus diesem Verständnis gesundheitsfördernde Handlungsmöglichkeiten für eine aktive Lebensgestaltung auf verschiedenen Ebenen abzuleiten. Für die Analyse von Anfallssituationen stehen neben anschaulichen Anfallsmodellen dezidierte Anleitungen zur Verfügung, die es erkrankten Menschen in unterstützter Eigenarbeit ermöglichen, das Zusammenspiel von inneren, äußeren sowie von kurz- bzw. langfristigen anfallsfördernden Bedingungen im eigenen Fall einzuschätzen. Neben den anfallsfördernden Bedingungen wird ebenso großer Wert auf das Aufspüren von stabilen und/oder stabilisierenden Bedingungen gelegt. Dem oftmals angst- sowie krankheitsfördernden Eindruck, dass Anfälle zufällig und jederzeit auftreten könnten, wird möglichst gezielt entgegengewirkt. Grundlegend wird der Verlauf von Anfällen daraufhin untersucht, ob Warnzeichen den Anfallsbeginn ankündigen.

Informationen und soziale Unterstützung

Um unerwünschte oder krankheitsfördernde Auswirkungen der Erkrankung auf das Leben der Betroffenen zu minimieren, wurden erstens bewährte Wege beispielhaft vorgestellt, und anschließend wurde individuell ausgearbeitet, wie das soziale Umfeld über Anfälle informiert werden kann. Diese Informationen helfen, sowohl eigene Ängste und Vorurteile als auch Ängste und Vorurteile im sozialen Umfeld abzubauen. So kann Stigmatisierungs- und Ausgrenzungsprozessen entgegengewirkt und die Teilhabe und Integration anfallskranker Menschen gefördert werden. Schließlich werden besonders irritierende Anfallsphänomene und die Auswirkungen häufiger Begleiterkrankungen verständlich gemacht und gesundheitsfördernde Entwicklungen als ein fortschreitender und dynamischer Prozess dargestellt.

Selbstwirksamkeit

Da die Selbstwirksamkeitsüberzeugung für die Förderung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität von Menschen mit Epilepsie besonders relevant erscheint, wurde in einer qualitativen Studie die Entwicklung der Selbstwirksamkeitserwartung bei Patient/-innen untersucht, die nach dem Ansatz „Selbst-Handeln bei Anfällen“ behandelt wurden. Diese qualitative Analyse ergab, dass die Entwicklung von Selbstwirksamkeit durch die persönlichen Ausgangsziele der Patient/-innen motiviert und durch die Ermutigung zur eigenständigen Entwicklung persönlicher Lösungsstrategien erleichtert wurde. Die Teilnehmer/-innen formulierten, dass sich dieses Gefühl nicht trotz, sondern wegen der Herausforderungen durch die Epilepsie einstellte.

Systemische Therapie

Die Sensibilisierung und Reflexion der Wahrnehmung in unterschiedlichen sozialen Erfahrungsperspektiven ist in der systemischen Therapie wesentlich. Anregungen zur Reflexion im systemischen Kontext können sein: Wie beeinflusst das Auftreten von Anfällen die familiären und beruflichen Beziehungen? Wie können Kinder im Umgang mit den Anfällen eines Elternteils unterstützt werden? Wie können Eltern mit ihrem Schutzbedürfnis umgehen, wenn Kinder trotz Anfällen eigene Erfahrungen machen wollen? Was bedeutet es für die Geschwister, wenn ein Kind aufgrund seiner Erkrankung mehr Aufmerksamkeit braucht? Wie wirkt sich die Erfahrung eines anfallsbedingten Autonomie- und Kontrollverlustes auf die Identitätsentwicklung aus? Was bedeutet es, während eines Anfalls Erfahrungen zu machen, die aufgrund des spezifischen Anfallserlebens schwer in Worte zu fassen sind und daher nur schwer oder gar nicht mit anderen geteilt werden können? Eine Erkrankung an einer Epilepsie kann die Betroffenen jähen und radikalen Zustands- und mithin auch Identitätserschütterungen aussetzen. Spezifische epilepsietypische Zumutungen wie beispielsweise Derealisationen können zu einem Gefühl der Verwirrung über die eigene Identität beitragen. Die Unvorhersehbarkeit und der Kontrollverlust während eines Anfalls können das Vertrauen in den eigenen Körper erschüttern.

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