Epilepsie, oft vereinfacht als "Gewitter im Gehirn" bezeichnet, stellt eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen weltweit dar. In Deutschland sind schätzungsweise 400.000 bis 800.000 Menschen von dieser Diagnose betroffen. Trotz der Fortschritte in der Entwicklung von Antiepileptika bleibt ein erheblicher Teil der Betroffenen, etwa ein Drittel, therapieresistent, was bedeutet, dass ihre Anfälle durch Medikamente nicht ausreichend kontrolliert werden können.
Epilepsie ist keine homogene Erkrankung, sondern ein Sammelbegriff für verschiedene Zustände, die durch das wiederholte Auftreten unprovozierter epileptischer Anfälle gekennzeichnet sind. Diese Anfälle entstehen durch plötzliche, übermäßige elektrische Entladungen von Nervenzellen im Gehirn, was mit einem elektrischen Kurzschluss oder eben einem Gewitter verglichen werden kann.
Vitamin B6 und seine Bedeutung
Vitamin B6 ist ein Sammelbegriff für verschiedene vitaminwirksame Verbindungen wie Pyridoxin, Pyridoxamin und Pyridoxal. Es gehört zu den wasserlöslichen Vitaminen und ist sowohl licht- als auch hitzeempfindlich. Vitamin B6 spielt eine entscheidende Rolle in einer Reihe von Stoffwechselprozessen, darunter der Aminosäure- und Kohlenhydratstoffwechsel sowie die Bildung von Botenstoffen und dem B-Vitamin Niacin. Gemeinsam mit anderen B-Vitaminen wie Riboflavin, Folat und Vitamin B12 reguliert es den Homocystein-Stoffwechsel.
Die Referenzwerte für die Vitamin-B6-Zufuhr variieren je nach Alter und Geschlecht. Sie reichen von 0,1 mg pro Tag für Säuglinge bis zu 1,6 mg pro Tag für erwachsene Männer. Schwangere sollten 1,5 mg pro Tag im ersten Trimester und 1,8 mg pro Tag im zweiten und dritten Trimester zu sich nehmen, während stillende Mütter 1,6 mg pro Tag benötigen.
Ein Mangel an Vitamin B6 kann zu Blutarmut (Anämie) und neurologischen Störungen führen. Allerdings ist ein ernährungsbedingter Vitamin-B6-Mangel selten und tritt meist in Verbindung mit einem Defizit anderer B-Vitamine auf. Alkoholmissbrauch, Lebererkrankungen, die Einnahme oraler Verhütungsmittel ("Pille") und Medikamente gegen Epilepsie oder Asthma können den Bedarf an Vitamin B6 erhöhen und somit das Risiko eines Mangels verstärken.
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Gute Vitamin-B6-Lieferanten sind Vollkorngetreide, Haselnüsse, Walnüsse, rote Paprika, Sardinen, Makrelen und Schweinefleisch. Auch Fruchtsäfte und Trockenfrüchte können zur Vitamin-B6-Versorgung beitragen.
Pyridoxin-abhängige Epilepsie: Eine seltene Ursache von Anfällen
In seltenen Fällen können Krampfanfälle im Neugeborenenalter auf Stoffwechselerkrankungen beruhen, die durch einen Defekt im Pyridoxin-, Pyridoxalphosphat- oder Folinsäurestoffwechsel verursacht werden. Diese Anfälle sind oft gut behandelbar, indem man dem Körper die entsprechenden Vitamine zuführt.
Die Pyridoxin-abhängige Epilepsie (PDE) ist eine seltene, aber wichtige Ursache für therapieresistente Anfälle, insbesondere im Neugeborenen- und frühen Säuglingsalter. Sie wird durch einen Gendefekt verursacht, der die Verwertung von Vitamin B6 (Pyridoxin) im Gehirn beeinträchtigt.
Ursachen
Die genaue Ursache der PDE ist ein Defekt im Stoffwechsel von Pyridoxin, der dazu führt, dass das Gehirn nicht ausreichend mit der aktiven Form von Vitamin B6, dem Pyridoxal-5'-phosphat (PLP), versorgt wird. PLP ist ein wichtiger Kofaktor für zahlreiche Enzyme, die an der Synthese von Neurotransmittern beteiligt sind. Ein Mangel an PLP kann daher zu einer Störung der neuronalen Funktion und damit zu Anfällen führen. Genetisch bedingte Defekte der P- und T-Proteinuntereinheit (kodiert durch GLDC und AMT) verursachen typischerweise eine NKH.
Symptome
Die Symptome der PDE können sehr unterschiedlich sein, beginnen aber typischerweise kurz nach der Geburt oder im frühen Säuglingsalter. Zu den häufigsten Symptomen gehören:
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- Therapieresistente Anfälle: Dies ist das Hauptmerkmal der PDE. Die Anfälle können verschiedene Formen annehmen, wie z.B. generalisierte tonisch-klonische Anfälle, myoklonische Anfälle oder fokale Anfälle.
- Entwicklungsverzögerung: Viele Kinder mit PDE zeigen eine verzögerte Entwicklung, insbesondere in den Bereichen Sprache und Motorik.
- Reizbarkeit: Betroffene Säuglinge können ungewöhnlich reizbar und schwer zu beruhigen sein.
- Erbrechen und Fütterprobleme: Einige Kinder mit PDE leiden unter Erbrechen und haben Schwierigkeiten beim Füttern.
- Auffälligkeiten im EEG: Das Elektroenzephalogramm (EEG) zeigt oft charakteristische Muster, wie z.B. ein Burst-Suppression-Muster.
Diagnose
Die Diagnose der PDE basiert auf folgenden Kriterien:
- Klinische Symptomatik: Anhaltende, therapieresistente Anfälle im Neugeborenen- oder frühen Säuglingsalter.
- Ausschluss anderer Ursachen: Andere Ursachen für die Anfälle, wie z.B. Hirnschäden, Infektionen oder Stoffwechselstörungen, müssen ausgeschlossen werden.
- Ansprechen auf Pyridoxin: Die Anfälle müssen auf die Gabe von Pyridoxin ansprechen. Dies ist das wichtigste diagnostische Kriterium.
- Liquoranalyse: Eine Lumbalpunktion mit Messung der Liquorglukose (<40 mg/dl in den meisten Fällen) sowie eine Berechnung der Liquor/Blut-Ratio sollte erfolgen.
- Gentest: In einigen Fällen kann ein Gentest durchgeführt werden, um den Gendefekt zu identifizieren.
Behandlung
Die Behandlung der PDE besteht in der lebenslangen Gabe von hochdosiertem Pyridoxin (Vitamin B6). In den meisten Fällen führt dies zu einer vollständigen Anfallskontrolle und einer normalen Entwicklung. Es ist wichtig, die Behandlung frühzeitig zu beginnen, um irreversible Hirnschäden zu vermeiden.
Differenzialdiagnose und Diagnostik bei Fieberkrämpfen
Bei 1 bis 3 Prozent aller febrilen Anfälle im Kindesalter handelt es sich um das erste Symptom einer Meningoenzephalitis. Im Säuglings- und jungen Kleinkindalter können die typischen klinischen Zeichen einer Meningitis fehlen. Daher sollte bei Kindern mit einem febrilen Anfall im ersten Lebensjahr immer und bei Kindern bis zu 18 Monaten in der Regel eine Liquordiagnostik erfolgen. Das Gleiche gilt bei antibiotischer Vorbehandlung in jeder Altersgruppe. Nach dem fünften Lebensjahr sind Fieberkrämpfe als Ursache febriler Anfälle nicht mehr primär anzunehmen. Die Herpesenzephalitis manifestiert sich im Säuglings- und Kleinkindalter oft wie ein komplizierter Fieberkrampf. Entscheidet man sich für eine Lumbalpunktion, sollte auch eine Blutentnahme mit Bestimmung von Natrium, Kalzium und Glucose erfolgen. EEG und Bildgebung sind bei einfachen Fieberkrämpfen nicht erforderlich (6).
Andere Stoffwechselerkrankungen, die mit Anfällen einhergehen können
Neben der Pyridoxin-abhängigen Epilepsie gibt es noch weitere angeborene Stoffwechselstörungen, die sich im Neugeborenenalter mit Anfällen manifestieren können. Dazu gehören:
- Pyridoxal-5-Phosphat-abhängige Enzephalopathie: Eine ähnliche Erkrankung wie die PDE, bei der jedoch nicht Pyridoxin, sondern Pyridoxal-5-Phosphat (PLP) benötigt wird.
- Folat-responsive Anfälle: Anfälle, die auf die Gabe von Folsäure ansprechen.
- Serinmangel: Ein Mangel an Serin, einer Aminosäure, die für die Gehirnfunktion wichtig ist.
- Glukosetransporter-1-Defekt: Ein Defekt im Glukosetransport ins Gehirn, der zu Anfällen und Entwicklungsverzögerung führen kann.
- Nichtketotische Hyperglycinämie (NKH): Eine angeborene Störung im Glycinstoffwechsel, die durch einen enzymatischen Defekt im Glycincleavage-System (GCS) zu einer Akkumulation großer Mengen von Glycin in allen Körpergeweben einschließlich des Gehirns führt.
- Biotinidasemangel: Ein Mangel an Biotinidase, einem Enzym, das für die Verwertung von Biotin (Vitamin B7) benötigt wird.
Es ist wichtig, diese Stoffwechselstörungen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln, um irreversible Hirnschäden zu vermeiden.
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Therapie und Rezidivprophylaxe bei Fieberkrämpfen
Wenn ein Fieberkrampf nicht innerhalb von fünf Minuten spontan endet, muss er medikamentös unterbrochen werden. Eltern von Kindern mit Fieberkrämpfen oder Epilepsie sollten mit einem schnell wirksamen, rektal (oder oral) applizierbaren Benzodiazepin-Präparat zur Anfallsunterbrechung ausgestattet sein (Kasten 2). Bei richtiger Dosierung braucht keine Atemdepression befürchtet zu werden (7). Eine Dauertherapie ist in aller Regel nicht indiziert.
Das generelle Wiederholungsrisiko für Fieberkrämpfe beträgt etwa 30 Prozent. Um weitere Fieberkrämpfe zu vermeiden, werden oft antipyretische Maßnahmen bei fieberhaften Infekten empfohlen. Zwar ist dies pragmatisch sinnvoll und bessert den Allgemeinzustand der Kinder, doch ist gut belegt, dass es hierdurch zu keiner nennenswerten Reduktion des Wiederholungsrisikos von Fieberkrämpfen kommt. Eine intermittierende Diazepamprophylaxe bei Fieber ist in einer Dosis von 0,33 mg/kg/d wirksam (8). Eine solche Therapie sollte aber erst nach wiederholten Fieberkrämpfen erfolgen und nicht länger als maximal 72 Stunden durchgeführt werden. Bei Nebenwirkungen wie erheblicher Sedierung oder Gangunsicherheit muss die Diazepamgabe reduziert oder vorzeitig beendet werden.
Angeborene Stoffwechselerkrankungen als Ursache von Anfällen
Angeborene Stoffwechselerkrankungen ("inborn errors of metabolism", IEM) sind seltene Erkrankungen, bei denen die Prävalenz jeder einzelnen Erkrankung unter 1:2000 Einwohner in Europa liegt. Kumulativ ist jedoch mehr als 1 % der europäischen Bevölkerung von einer IEM betroffen. Die meisten IEM manifestieren sich im Kindesalter, aber es gibt auch spätmanifeste Formen, die erst im Erwachsenenalter symptomatisch werden.
Stoffwechselerkrankungen des Nervensystems (neurometabolische Erkrankungen) sind genetisch bedingte Anomalien von Enzymen oder ein Mangel an Kofaktoren, die zu einer Störung der Entwicklung oder Funktion des Nervensystems führen. Die Bandbreite dieser Stoffwechselstörungen ist groß, ebenso wie das daraus resultierende Spektrum der klinischen Syndrome. Zu den klinischen Erscheinungsformen neurometabolischer Störungen gehören Ataxien, Bewegungsstörungen, Epilepsien oder periphere Neuropathie, aber auch eine neurologische Regression. Der klinische Verlauf im Erwachsenenalter kann sich erheblich von dem im Kindesalter unterscheiden. In den letzten 20 Jahren hat sich unser Verständnis der genetischen und metabolischen Grundlagen für viele neurologische Erkrankungen erheblich erweitert. In einigen Fällen sind heute spezifische Behandlungen möglich oder werden gerade entwickelt.
Leukodystrophien
Leukodystrophien sind genetisch bedingte, meist progrediente Erkrankungen des Myelins im Zentralnervensystem. Es handelt sich um eine heterogene Gruppe mit unterschiedlicher Pathogenese, klinischem Verlauf und diagnostischen Biomarkern. Obwohl sie häufig bereits im Kindesalter beginnen, sind für alle Erkrankungen auch spätmanifeste Verlaufsformen bekannt, bei denen erste Symptome im Jugendlichen- oder Erwachsenenalter auftreten.
Metachromatische Leukodystrophie (MLD): MLD ist eine autosomal-rezessiv vererbte degenerative lysosomale Speicherkrankheit, die durch eine Akkumulation von Sulfatiden im zentralen (ZNS) und peripheren Nervensystem (PNS) bedingt ist. In den meisten Fällen liegen den MLD Varianten im ARSA-Gen zugrunde, die zu einem Mangel an Arylsulfatase A führen. Deutlich seltener ist eine Defizienz des Sphingolipid-Aktivator-Proteins Saposin B, verursacht durch Varianten im PASP-Gen. Auch ein multipler Sulfatase-Mangel, verursacht durch Varianten im SUMF1-Gen, der eine Beeinträchtigung verschiedener Sulfatasen zur Folge hat, resultiert im klinischen Bild einer MLD, wobei in unterschiedlichem Maße auch Aspekte einer Mukopolysaccharidose dazukommen. Pathophysiologisch führt die Akkumulation von Sulfatiden in den myelinproduzierenden Oligodendrozyten zu einer ausgeprägten Demyelinisierung, vermutlich über eine Aktivierung inflammatorischer Zytokine, die apoptotische Vorgänge einleiten. In Abhängigkeit vom Alter bei Auftreten erster Symptome werden die MLD in drei klinische Subtypen unterteilt, wobei grundsätzlich gilt, dass der Krankheitsverlauf umso langsamer ist, je später die ersten Symptome auftreten.
Morbus Krabbe: Eine seltene autosomal-rezessive lysosomale Speichererkrankung, verursacht durch Varianten des GALC-Gens, die zu einer Defizienz der β-Galaktozerebrosidase führt. Der β-Galaktozerebrosidase-Mangel bewirkt eine Akkumulation von Galaktosylceramid und Psychosin, die die Oligodendrozyten zerstört. Im cMRT zeigt sich eine ausgedehnte Demyelinisierung, die die U-Fasern einschließt. Neuropathologisch finden sich zahlreiche mehrkernige PAS-positive Riesenzellen (Globoidzellen).
X-chromosomale Adrenoleukodystrophie (X-ALD): Ein X-chromosomal vererbter Defekt des ALDP-Proteins, eines ATP-abhängigen peroxisomalen Membrantransporters, der durch Varianten im ABCD1-Gen (Xq28) verursacht wird.
Glukosetransporter-Typ-1-Mangel-Syndrom (Glut1-DS)
Das Glukosetransporter-Typ-1-Mangel-Syndrom (Glut1-DS) wird durch Varianten im SLC2A1-Gen hervorgerufen. Die neurologischen Merkmale können in drei Symptombereiche unterteilt werden: Epilepsie, Bewegungsstörungen und kognitive oder Verhaltensstörungen. Der klassische Glut1-DS-Phänotyp ist durch persistierende Symptome gekennzeichnet, die alle 3 Domänen betreffen. Etwa 90 % der Patienten mit einem Glut1-DS haben klinische Anfälle. Die Anfälle treten in der Regel in der frühen Kindheit auf, sind therapierefraktär und können anfangs subtil verlaufen.
Nichtketotische Hyperglycinämie (NKH)
Die nichtketotische Hyperglycinämie (NKH) ist eine angeborene Störung im Glycinstoffwechsel, die durch einen enzymatischen Defekt im Glycincleavage-System (GCS) zu einer Akkumulation großer Mengen von Glycin in allen Körpergeweben einschließlich des Gehirns führt.
Wichtige Aspekte bei der Behandlung von Epilepsie im Kindesalter
- Klinisches Bild und EEG: Das klinische Bild und das EEG spielen eine entscheidende Rolle bei der Entscheidung, ob und welche Pharmakotherapie eingeleitet werden soll.
- Monotherapie: Ziel der antikonvulsiven Therapie ist die Verhinderung weiterer Anfälle, idealerweise durch eine Monotherapie.
- Pharmakoresistenz: Von einer pharmakoresistenten Epilepsie spricht man, wenn zwei geeignete Behandlungsversuche mit vertragenen sowie angemessen ausgewählten und eingesetzten Antiepileptika versagen.
- Langzeitverträglichkeit: Da Antiepileptika potenziell ein Leben lang eingenommen werden, sollte gerade bei Kindern nicht nur auf eine gute Wirksamkeit, sondern auch auf Langzeitverträglichkeit geachtet werden.
- Compliance: Apotheker können die Compliance unterstützen, indem sie den Patienten und Eltern als Ansprechpartner zur Verfügung stehen und sicherstellen, dass die Therapie verstanden wurde.
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