Die Alzheimer-Demenz ist eine fortschreitende neurodegenerative Erkrankung, die nicht nur das Gedächtnis und die kognitiven Funktionen beeinträchtigt, sondern auch eine Reihe von neuropsychiatrischen Symptomen hervorrufen kann. Neben Aggressivität, Unruhe und Depressionen tritt häufig Apathie auf, die sich durch reduzierten Antrieb, Interessenverlust und emotionale Gleichgültigkeit auszeichnet. Apathie beeinträchtigt die Lebensqualität der Betroffenen erheblich, erschwert die Teilnahme am Alltagsleben und erhöht die Belastung für Angehörige und Pflegepersonal.
Die Herausforderung Apathie bei Demenz
Apathie ist ein häufiges und belastendes Problem bei Demenzpatienten, das ihre Teilnahme am Alltagsleben sehr erschwert und die Mortalität erhöhen kann. Betroffene sind passiv, zeigen einen Verlust von Enthusiasmus, Interessen und Empathie. Studien zeigen, dass Apathie bereits früh im Verlauf der Erkrankung auftritt und häufig auch über die Dauer der Erkrankung anhält. Sie brauchen mehr Fürsorge von Angehörigen und Pflegenden, was diese ebenso anstrengt wie die Interessenlosigkeit des Patienten.
Apathie bei Alzheimerdemenz belastet nicht nur das Pflegepersonal und die Angehörigen, sondern führt zu einer verminderten Lebensqualität der Betroffenen und verstärkt deren funktionelle und kognitive Defizite. Außerdem scheint das Auftreten von Apathie bei Demenzpatienten mit einer erhöhten Mortalität assoziiert zu sein.
Methylphenidat (Ritalin): Ein Hoffnungsschimmer?
Methylphenidat, besser bekannt unter dem Handelsnamen Ritalin, ist ein Psychostimulans, das hauptsächlich zur Behandlung von Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und Narkolepsie eingesetzt wird. Es wirkt, indem es die Konzentration von Dopamin und Noradrenalin im Gehirn erhöht. Jede*r erhielt oral zweimal täglich zehn Milligramm Methylphenidat für sechs Monate. Gegenüber Placebo konnte eine signifikante Verbesserung des Apathie-Scores gegenüber Placebo gemessen werden. Das in Deutschland unter den Auflagen des Betäubungsmittelgesetzes geführte Methylphenidat wird zwar schon lange gegen Aufmerksamkeitsstörungen wie ADS und ADHS eingesetzt, über den genauen Wirkmechanismus wird aber noch diskutiert. Das Psychostimulans soll peripher oder zentral zu einer Freisetzung von Noradrenalin und Dopamin führen sowie deren Aufnahme aus dem synaptischen Spalt hemmen.
In den letzten Jahren hat das Interesse an der Verwendung von Methylphenidat zur Behandlung von Apathie bei Demenz zugenommen. Mehrere kleine Studien haben die Wirkung von Methylphenidat bei Alzheimer-Patienten mit Apathie untersucht, größere Studien fehlten bisher.
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Aktuelle Forschungsergebnisse: Die ADMET-2-Studie
Eine wichtige Studie in diesem Bereich ist die ADMET-2-Studie (Apathy in Dementia Methylphenidate Trial 2), eine multizentrische, randomisierte, placebokontrollierte Phase-III-Studie, die die Auswirkungen von Methylphenidat auf Apathie bei Alzheimer-Patienten untersuchte.
Methodik
In der multizentrischen Studie nahmen Patienten aus neun Zentren in den USA und einem Zentrum in Kanada teil. Die Teilnehmer wurden im Zeitraum von August 2016 bis Juli 2019 rekrutiert. Die Teilnehmer litten an Alzheimerdemenz und zeigten milde bis moderate kognitive Beeinträchtigungen. Sie wurden 1:1 in zwei Gruppen randomisiert. Eine Gruppe erhielt Methylphenidat in einer Dosierung von 10 mg zweimal täglich, die andere Gruppe erhielt einen Placebo.
Als primäre Endpunkte wurden Änderungen nach 6 Monaten Therapie im Vergleich zur Baseline auf der Neuropsychiatric Inventory (NPI) Subskala für Apathie sowie Änderungen des Alzheimer’s Disease Cooperative Study Clinical Global Impression of Change (ADCS-CGIG) beurteilt. Beide Instrumente werden häufig im Rahmen von Studien zur neuropsychiatrischen Evaluierung von Interventionen bei Alzheimerdemenz eingesetzt. Sekundäre Endpunkte waren Sicherheit, kognitive Änderungen und die Lebensqualität der Teilnehmenden.
Ergebnisse
Insgesamt gingen 200 Patienten in die Studie ein, wovon 99 in die Methylphenidat-Gruppe randomisiert wurden und 101 in die Placebo-Gruppe. Das mittlere Alter der Studienteilnehmer lag bei 76 Jahren, 34% waren weiblichen Geschlechts und 66% waren Männer. Etwa 75% der Teilnehmer nahmen bereits vor Studieneinschluss Cholinesterasehemmer ein, 38% Memantin und etwa ein Drittel SSRI. Die jeweilige Medikation wurde bei Teilnehmern der Verum-Gruppe beibehalten. 21% der Teilnehmer nahmen keine Medikamente zur Alzheimer-Therapie.
Die Ergebnisse der ADMET-2-Studie zeigten, dass Methylphenidat im Vergleich zu Placebo zu einer signifikanten Reduktion der Apathie-Symptome führte. Nach 6 Monaten war der Anteil der Patienten mit Besserung der Apathie unter Methylphenidat deutlich höher als unter Placebo. Die durchschnittliche Differenz auf der NPI-Subskala betrug -1,25 ([95-%-Konfidenzintervall] [-2,03; -0,47]; p = 0,02]) zu Placebo. Der stärkste Rückgang der Apathie wurde in den ersten 100 Tagen erwirkt. Der Anteil der Patienten ohne Apathie war dabei in der Methylphenidat-Gruppe signifikant höher als unter Placebo (Hazard Ratio: 2,16 ([1,19; 3,9]; p = 0,01) und die Odds Ratio einer Verbesserung im ADCS-CGIC betrug 1,90 ([0,95; 3,84]; p = 0,07). Kein Unterschied zwischen beiden Gruppen zeigte sich bei der Kognition und der allgemeinen Lebensqualität. In der Studie wurden 17 schwere unerwünschte Ereignisse berichtet - ohne Assoziation zur Prüfmedikation.
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Die Ergebnisse dieser Phase-III-Studie zeigen Methylphenidat als sicheres und wirksames Medikament zum Erreichen einer Apathieremission bei Patienten mit Alzheimerdemenz.
Weitere Erkenntnisse aus einer kleineren Studie
Eine weitere Studie untersuchte die Wirkung von Methylphenidat bei 60 männlichen Patienten mit leichter Alzheimer-Erkrankung. Die Patienten waren im Mittel 76 Jahre alt und etwa zwei Drittel wurden mit Cholinesterasehemmern behandelt. Die Hälfte der Patienten erhielt zusätzlich Antidepressiva. Nach zwölf Wochen ergaben sich signifikante positive Ergebnisse für den primären Endpunkt sowie für den funktionellen Status und den global-klinischen Eindruck. Die übrigen sekundären Endpunkte waren nicht signifikant unterschiedlich. Dreizehn Patienten in der aktiven Behandlungsgruppe und neun in der Placebo-Gruppe berichteten über Nebenwirkungen. Die häufigsten Nebenwirkungen in der Methylphenidat-Gruppe waren unsystematischer Schwindel, Schlafstörungen und Schmerzen in den Extremitäten.
Bedeutung der Ergebnisse
Die Ergebnisse der ADMET-2-Studie und anderer Studien deuten darauf hin, dass Methylphenidat eine vielversprechende Behandlungsoption für Apathie bei Alzheimer-Patienten sein könnte. Durch die Reduktion der Apathie können Patienten aktiver am Alltagsleben teilnehmen, was ihre Lebensqualität verbessern und die Belastung für ihre Angehörigen verringern kann.
Einschränkungen und offene Fragen
Obwohl die Ergebnisse vielversprechend sind, gibt es auch Einschränkungen und offene Fragen. Wie lange der günstige Effekt von Methylphenidat anhält und ob die Effekte auch für Frauen gelten, beantwortet die Studie nicht. Kritisch berücksichtigt werden muss, dass sehr viele Patienten in der Studie eine Komedikation mit Cholinesterasehemmern und Antidepressiva hatten.
Klinische Relevanz und Ausblick
Die Behandlung von Apathie bei Alzheimer-Demenz ist von großer Bedeutung, da dieses Symptom die Lebensqualität der Patienten und ihrer Angehörigen erheblich beeinträchtigt. Die Ergebnisse der ADMET-2-Studie liefern wichtige Erkenntnisse und eröffnen neue Perspektiven für die Behandlung von Apathie bei Alzheimer-Patienten.
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"Bis heute gibt es keine in Europa zugelassene, ursächliche Therapie für die Alzheimer-Demenz. Umso bedeutsamer ist die Behandlung begleitender Symptome wie der Apathie, dieses allemal, da so auch die therapeutische Mitarbeit der Betroffenen erhöht und somit das Mortalitätsrisiko gesenkt werden kann", unterstreicht Professor Dr.
Weitere Forschung ist jedoch erforderlich, um die langfristigen Auswirkungen von Methylphenidat auf Apathie und andere Symptome der Alzheimer-Demenz zu untersuchen. Es ist auch wichtig, die Sicherheit und Verträglichkeit von Methylphenidat bei älteren Patienten mit Demenz zu berücksichtigen.