Schlaganfallähnliche Ereignisse: Eine umfassende Differentialdiagnose

Ein Schlaganfall ist eine gefäßbedingte Erkrankung des Gehirns, die durch eine plötzliche Schädigung von Hirngewebe aufgrund eines Gefäßverschlusses oder einer Hirnblutung gekennzeichnet ist. Jährlich erleiden in Deutschland etwa 200.000 Menschen ihren ersten Schlaganfall und 70.000 einen wiederholten Schlaganfall. Von diesen Patienten sterben innerhalb des ersten Jahres 25-33 % an den Folgen des Schlaganfalls. Es ist zwingend erforderlich, ein bildgebendes Verfahren (CT oder MRT) durchzuführen, um zwischen einem Gefäßverschluss (ischämischer Schlaganfall, ca. 80 % aller Fälle) und einer Hirnblutung (hämorrhagischer Schlaganfall, ca. 20 % aller Fälle) zu unterscheiden.

Ischämischer Schlaganfall

Ein ischämischer Schlaganfall entsteht durch eine Verengung oder einen vollständigen Verschluss einer Hirnarterie. Ursachen hierfür können Thrombosen sein, die sich direkt in den Hirnarterien aufgrund von Arteriosklerose bilden. Aber auch ein Embolus aus einer anderen Körperregion kann sich in einer Hirnarterie festsetzen.

Hämorrhagischer Schlaganfall

Einem hämorrhagischen Schlaganfall liegt eine Blutung im Gehirn zugrunde. Man unterscheidet zwischen einer intrazerebralen Blutung (ICB) und einer Subarachnoidalblutung (SAB). Bei einer intrazerebralen Blutung (ICB) kommt es zu einer direkten Blutung in das Hirngewebe, häufig ausgelöst durch chronische Hypertonie, aber auch durch Gefäßmissbildungen oder Tumore. Bei einer Subarachnoidalblutung (SAB) kommt es zu einer Blutung in den Subarachnoidalraum (Bereich zwischen Gehirn und Hirnhäuten).

Bei beiden Arten von Schlaganfällen kommt es zu einer Minderversorgung des Gehirns mit Nährstoffen, allen voran Sauerstoff und Glukose, in dessen Folge es zum massiven Untergang von Nervenzellen im Gehirn kommt.

Transitorisch-ischämische Attacke (TIA)

Kommt es zu einer Schlaganfall-Symptomatik, welche sich innerhalb von 24 Stunden vollständig zurückbildet, spricht man von einer transitorisch-ischämische Attacke (TIA). Patienten mit TIA-Symptomatik innerhalb der letzten 48 Stunden sollten umgehend auf einer Stroke Unit behandelt werden. In der akuten Notfallsituation ist ein zügiger Transport in eine Stroke-Unit für den Patienten überlebenswichtig → „Time is Brain!“. Die Untersuchung des Patienten erfolgt nach dem ABCDE-Schema, kritische ABC-Probleme werden umgehend behandelt.

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Ein venöser Zugang sollte nur gelegt werden, wenn dies in einem akzeptablen Zeitrahmen geschehen kann. Bei einem Großteil der Schlaganfallpatienten ist eine Gabe von Medikamenten nicht nötig, dennoch kann es zu unerwarteten Verschlechterungen des Patienten kommen. Eine Sauerstoffgabe sollte nur bei einer Sättigung < 95 % erfolgen. Bei jedem Verdacht auf einen Schlaganfall sollte zwingend die Messung des Blutzuckers erfolgen, da eine Hypoglykämie zu ähnlichen Symptomen führen kann. Analog zu einer Hypoglykämie kann auch eine Hypertonie zu Schlaganfallsymptomen führen, weshalb eine Messung des Blutdrucks ebenfalls zwingend erforderlich ist. Behandelt wird ein Blutdruck von < 120mmHg sys mit Hinweis auf Exsikkose durch intravenöse Volumengabe. Ein Blutdruck > 220mmHg sys oder > 120 mmHg dia. Bei Patienten mit einer Körperkerntemperatur > 37,5°C kann eine Antipyrese mittels Paracetamol durchgeführt werden. RR sys. >220 mmHg sys. oder >120 mmHg dia. → Senkung des RR mittels Urapidil (max. ZNS-Schäden durch bspw. American Heart Association (AHA) & American Stroke Association (ASA). (2019). Guidelines for the Early Management of Patients With Acute Ischemic Stroke: 2019 Update to the 2018 Guidelines for the Early Management of Acute Ischemic Stroke: A Guideline for Healthcare Professionals From the American Heart Association/American Stroke Association. Stroke, 50(12), 344-418. Deutscher Berufsverband Rettungsdienst e.V. (DBRD). Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e.V., Mader, F. M. & Schwenke, R. (2020, Februar). Schlaganfall: S3-Leitlinie. degam.de. Grensemann, J., Fuhrmann, V. & Kluge, S. (2018). Hankey, G. J. (2017). Hennerici, M. G. & Kern, R. (2017, Juli 24). S1-Leitlinie Diagnostik akuter zerebrovaskulärer Erkrankungen. DGN - Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Kobayashi, A., Czlonkowska, A. et al. (2018). European Academy of Neurology and European Stroke Organization consensus statement and practical guidance for pre-hospital management of stroke. European Journal of Neurology, 25(3), 425-433. Ringleb, P., Köhrmann, M. & Jansen, O. (2021). S2e-Leitlinie Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls. Deutsche Gesellschaft für Neurologie. Roffe, C., Ali, K. et al. (2011). The SOS Pilot Study: A RCT of Routine Oxygen Supplementation Early after Acute Stroke - Effect on Recovery of Neurological Function at One Week. PLoS ONE, 6(5), e19113. Royal Collage of Physicians (RCP) Intercollegiate Working Party for Stroke. (2017). National clinical guideline for stroke.

Differentialdiagnose: Schlaganfall-Mimics und Chamäleons

In der Notfallmedizin ist es entscheidend, einen Schlaganfall schnell zu erkennen und zu behandeln. Allerdings gibt es eine Reihe von Erkrankungen, die ähnliche Symptome wie ein Schlaganfall verursachen können. Diese werden als Schlaganfall-Mimics (Stroke Mimics) oder Schlaganfall-Chamäleons (Stroke Chameleons) bezeichnet. Es ist wichtig, diese zu erkennen, um unnötige und potenziell gefährliche Thrombolysen zu vermeiden.

  • Delir: Insbesondere bei älteren Patienten kann ein Delir Schlaganfall-Symptome imitieren, vor allem wenn nicht-motorische Symptome wie eine fluktuierende Aufmerksamkeitsstörung, Bewusstseinsstörung oder neurokognitive Symptome im Vordergrund stehen. Die steigende Delirinzidenz aufgrund der demografischen Entwicklung und zunehmender sozialmedizinischer Engpässe unterstreicht die Bedeutung dieser Differentialdiagnose.

  • Migräne mit Aura: Migräne, auch bei Kindern und Jugendlichen zunehmend, kann neurologische Defizite verursachen, die einer TIA ähneln.

  • Tumore: Hirntumore (z. B. Astrozytom, Oligodendrogliom, Meningiom) oder Metastasen anderer Malignome können, wenn sie wachsen, neurologische Symptome ähnlich denen eines ischämischen Schlaganfalls verursachen.

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  • Hirnabszess: Ein Hirnabszess, eine Eiteransammlung im Hirnparenchym aufgrund einer Infektion, kann ebenfalls Schlaganfall-ähnliche Symptome hervorrufen.

  • Aneurysma oder Dissektion der Karotis: Diese Zustände können Nackenschmerzen und/oder schlaganfallähnliche Symptome verursachen.

  • Hypoglykämie: Ein Abfall des Glukosespiegels kann neuroglykopenische Symptome wie Schwindel, Verwirrtheit, Lethargie und Bewusstlosigkeit verursachen und eine TIA oder einen Schlaganfall vortäuschen.

  • Epilepsie: Insbesondere die Todd-Parese nach einem fokalen Anfall kann Schlaganfallsymptome imitieren.

  • Primäre mitochondriale Erkrankungen (MitE): Diese genetisch bedingten Dysfunktionen der Mitochondrien können sich mit vielfältigen Symptomen und in jedem Alter manifestieren, wobei Gehirn, Sinneszellen, Augen-, Herz- und Skelettmuskulatur besonders vulnerabel sind. Das MELAS-Syndrom (mitochondriale Enzephalomyopathie, Laktatazidose und schlaganfallähnliche Episoden) ist eine wichtige Differentialdiagnose, insbesondere bei jungen Patienten.

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Diagnostische Maßnahmen zur Unterscheidung

Um Schlaganfall-Mimics von einem echten Schlaganfall zu unterscheiden, sind verschiedene diagnostische Maßnahmen erforderlich:

  • Anamnese: Eine sorgfältige Anamnese, idealerweise unter Einbeziehung von Familienmitgliedern oder Betreuern, ist entscheidend, um den genauen Zeitpunkt des Auftretens und des Abklingens der Symptome zu erfassen.

  • Körperliche Untersuchung: Eine umfassende körperliche und neurologische Untersuchung ist unerlässlich, um fokale neurologische Ausfälle zu identifizieren und andere mögliche Ursachen der Symptome zu erkennen. Der Face Arm Speech Test (FAST) hat sich hier bewährt.

  • Bildgebung: Die kraniale Computertomographie (CT) ist aufgrund ihrer schnellen Durchführbarkeit in der Regel die erste Wahl bei Verdacht auf Schlaganfall. Die Magnetresonanztomographie (MRT) ist sensitiver beim Nachweis von Infarktläsionen und möglichen Ursachen, ihre Anwendung ist jedoch durch mangelnde Verfügbarkeit, längere Untersuchungsdauer und weitere Störfaktoren eingeschränkt. Bei ischämischen Infarkten ist eine Darstellung der extrakraniellen Gefäße zum Nachweis von Carotis-Stenosen indiziert (Duplex/Doppler-Sonographie und/oder CT- oder MRT-Angiographie).

  • Laboruntersuchungen: Die Messung des Blutzuckers ist obligat, um eine Hypoglykämie auszuschließen. Weitere Laboruntersuchungen können helfen, Elektrolytstörungen, Infektionen oder andere Stoffwechselentgleisungen zu identifizieren.

Besondere Aspekte bei mitochondrialen Erkrankungen

Mitochondriale Erkrankungen (MitE) können eine Vielzahl von neurologischen Symptomen verursachen, die einem Schlaganfall ähneln können. Besonders das MELAS-Syndrom (mitochondriale Enzephalomyopathie, Laktatazidose und schlaganfallähnliche Episoden) ist eine wichtige Differentialdiagnose.

MELAS-Syndrom

Das MELAS-Syndrom ist eine mitochondriale Multisystemerkrankung, die meist in der ersten bis zweiten Lebensdekade beginnt. Bei voller Ausprägung zeigt sich die Erkrankung schon in der Kindheit durch Entwicklungsverzögerung, Kleinwuchs, muskuläre Belastungsintoleranz, Migräne, epileptische Anfälle und schlaganfallähnliche Episoden. Im Verlauf treten häufig Schwerhörigkeit, Diabetes mellitus sowie kardiale und gastrointestinale Manifestationen hinzu. Die schlaganfallähnlichen Episoden wurden in einem Konsensuspapier definiert als sich subakut entwickelnde enzephalopathische Krisen mit neurologischen und psychiatrischen Symptomen (unter anderem Bewusstseinsstörung, Kopfschmerzen, epileptische Anfälle, visuelle Ausfälle, visuelle Halluzinationen, Agitation, Verhaltensstörungen), die auf dem Boden epileptischer Aktivität entstehen (19). Im cMRT imponieren sie als meist okzipital gelegene, nicht an Gefäßterritorien gebundene, kortikale Hyperintensitäten (Abbildung 1b). Diese können sich zusammen mit der klinischen Symptomatik komplett zurückbilden oder zu kortikalen laminären Nekrosen entwickeln. Im längeren Verlauf entwickeln Patienten mit MELAS meist eine deutliche Hirnatrophie und Demenz.

Diagnostik bei Verdacht auf MitE

  • Anamnese und klinische Untersuchung: Spezifische Symptome oder Symptomkonstellationen oder eine ungewöhnliche Kombination multipler Organmanifestationen können Hinweise auf eine MitE liefern.

  • Laborchemische Untersuchungen: Eine Laktaterhöhung in Blut und Liquor kann den Verdacht untermauern.

  • Bildgebende Untersuchungen: Pathognomonische Befunde der kranialen Magnetresonanztomografie (cMRT) können auf eine MitE hinweisen.

  • Molekulargenetische Methoden: Molekulargenetische Methoden, wie „whole exome sequencing“ (WES) oder „whole genome sequencing“ (WGS), haben sich als Erstliniendiagnostik etabliert, um die enorme genetische Heterogenität von MitE zu adressieren.

Therapie

Die Therapie von Schlaganfall-Mimics richtet sich nach der zugrunde liegenden Ursache. Bei einem echten Schlaganfall ist eine schnelle Rekanalisierung der verschlossenen Gefäße indiziert, entweder durch systemische Thrombolyse oder mechanische Thrombektomie. Bei Hirnblutungen ist eine Lysetherapie kontraindiziert.

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