Aphasie nach Schlaganfall: Verlauf, Therapie und Unterstützung

Eine Aphasie ist eine erworbene Sprachstörung, die durch Schädigungen im Gehirn verursacht wird. Betroffene haben Schwierigkeiten, sich verständlich zu machen und andere zu verstehen, was die sprachliche Verständigung erheblich beeinträchtigt. Die Aphasie betrifft das wichtigste Kommunikationsmittel des Menschen und stellt somit eine schwere Belastung für Betroffene und ihr Umfeld dar. In Deutschland leben über 100.000 Menschen mit Aphasie, und jährlich erkranken etwa 25.000 Menschen neu daran.

Was ist Aphasie?

Aphasie ist eine Sprachstörung, bei der die Fähigkeit, Sprache zu erzeugen und ihren Sinn zu verstehen, gestört ist. Im Gegensatz dazu beeinträchtigen Sprechstörungen die Wortbildung durch Funktionsstörungen der Artikulationsorgane wie Lippen, Zunge, Kehlkopf oder Stimmlippen. Die Aphasie betrifft nicht die Sprechmotorik, sondern die Sprachzentren im Gehirn, meist in der linken Großhirnhälfte.

Ursachen und Entstehung

Die Ursache einer Aphasie ist immer eine Schädigung des Gehirns. In den meisten Fällen liegt die Schädigung im Bereich der linken Großhirnhälfte. Ein Schlaganfall (Apoplex) ist mit Abstand die häufigste Ursache für eine Aphasie. Ca. 10 Prozent der Aphasien sind Folge einer Schädel-Hirn-Verletzung, 7 Prozent entstehen durch Hirntumore, auf Entzündungen im Gehirn oder Sauerstoffmangel sind ca. zurückzuführen.

Bei einem Schlaganfall werden Hirnregionen nicht mehr ausreichend versorgt, was zum Absterben von Hirnzellen führt. Da für unterschiedliche Sprachleistungen unterschiedliche Bereiche des Großhirns verantwortlich sind, können Schädigungen in umschriebenen Hirnarealen zu verschiedenen charakteristischen Sprachstörungen führen.

Formen der Aphasie

Es gibt verschiedene Formen der Aphasie, die sich in ihren Symptomen und dem Grad der Beeinträchtigung unterscheiden:

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  • Globale Aphasie: Die schwerste Form der Sprachstörung. Betroffen sind sowohl die Sprachproduktion als auch das Sprachverständnis. Meistens gelingt es nur, einzelne Wörter zu sprechen und auch nur wenige Wörter oder sehr einfache Aufforderungen zu verstehen.
  • Broca-Aphasie: Hierbei ist überwiegend das Formulieren gestört. Der Sprachstil wirkt wie ein Telegramm. Häufig werden Silben und Laute vertauscht. Die Betonung der Wörter, der Satzbau und weitere stilistische Elemente können nicht mehr so wie vorher verwendet werden. Das Sprachverständnis ist für komplexe Wortfolgen gestört, allerdings wird der ungefähre Inhalt verstanden. Die Schädigung (Läsion) ist im sogenannten Broca-Areal lokalisiert, das sich im unteren Stirnlappen (Frontallappen), bei den meisten Menschen der linken Gehirnhälfte, befindet. Ursache ist häufig ein Verschluss der mittleren Hirnarterie (Arteria cerebri media) oder einer ihrer Äste, die Arteria praerolantica, welche unter anderem für die Blutversorgung des Broca-Sprachzentrums sorgt.
    • Merkmale der Broca-Aphasie:
      • Spärliche oder keine spontanen Äußerungen.
      • Agrammatismus: Erhebliche Vereinfachung der Sprache durch Auslassen von Wortendungen bei Substantiven, Adjektiven und Verben.
      • Bildung kurzer Sätze im Telegrammstil.
      • Im Extremfall Bildung nur unzusammenhängender Worte in Zweier- oder Dreiergruppen.
      • Phonematische Paraphasien, d.h., klangliche Veränderung von Worten durch Auslassen von Lauten.
      • Semantische Paraphasien, d.h., Vertauschen von Wörtern.
      • Beeinträchtigung der Steuerung und Ausführung von Sprechbewegungen (Dysarthrie).
      • Das Nachsprechen ist wie die Spontansprache beeinträchtigt. Auffällig sind vor allem Wortverkürzungen und phonematische Paraphasien.
      • Das Sprachverständnis ist für komplexe Wortfolgen gestört, allerdings wird der ungefähre Inhalt verstanden.
      • Ebenfalls ist die Eigenwahrnehmung der Sprache bei Patienten mit Broca-Aphasie typischerweise gut erhalten, d.h.
  • Wernicke-Aphasie: Betroffene können gesprochene Sprache nur teilweise oder gar nicht verstehen. Worte und Laute werden verwechselt, es werden lange, verschachtelte Sätze gebildet. Betroffene Patienten “erfinden” häufig neue Wörter, sogenannte Neologismen. Inhalte werden falsch assoziiert, z.B.
  • Amnestische Aphasie: Hierbei ist vor allem die Wortfindung gestört. Das Gegenüber wird gut verstanden, dem Sprechenden fehlen die Worte. Die Satzinhalte wiederholen sich oft und es werden Floskeln oder Umschreibungen verwendet, um die Wortfindungsstörung zu überspielen. Amnestische Aphasiker können das in der Regel durch Redefloskeln oder Umschreibungen kaschieren.

Diagnose

Die Diagnose wird von einem Sprachtherapeuten (Logopäde) gestellt. Dazu werden spezielle Testverfahren angewendet. Bei der Analyse der Aphasie wird auf Wortfindungsstörungen, Wortwiederholungen, Wort- und Lautverdrehungen geachtet.

  • Aachener Aphasie-Bedside-Test: Hierbei wird auf sprachliche Störungen beim Nachsprechen, Lesen und Schreiben geachtet.
  • Aphasie-Schnell-Test (AST): Dieser Test wurde für leichte bis mittelgradige akute Aphasien entwickelt und dauert etwa fünf bis 15 Minuten. Mit diesem Test kann zum einen ermittelt werden, ob eine Aphasie vorliegt oder nicht.
  • Weitere Tests: Der Test dauert zwischen 60 und 90 Minuten. Erst nach etwa sechs Wochen kann eine detaillierte Beurteilung der sprachlichen Fähigkeiten des Betroffenen stattfinden. Dafür stehen unterschiedliche Tests zur Verfügung.

Verlauf

Wie die Krankheit verläuft, hängt stark von der Ursache und dem Ausmaß der Hirnstörung ab. Kleine Hirnschädigungen haben in der Regel eine günstigere Prognose als große Schädigungen, in denen große Teile des Gehirns betroffen sind. 44 Prozent der Patienten, die zunächst aphasische Symptome aufweisen haben nach 6 Monaten keine Aphasie mehr. In den ersten vier Wochen normalisiert sich bei circa einem Drittel die Sprachfunktion.

Therapie

Ein frühestmöglicher Therapiebeginn nach Eintritt der Schädigung ist sehr wichtig. Grundsätzlich gilt, dass die logopädische Therapie so früh wie möglich begonnen werden sollte, am besten noch während des Krankenhausaufenthaltes. Die Aphasie-Therapie besteht aus Übungen für Sprechen, Konzentration und Verständnis, Bestandteil sind aber auch Rollenspiele, in denen Alltagssituationen nachgestellt und geübt werden. Wenn der Betroffene wieder zuhause ist, muss die logopädische Therapie von einem Arzt verordnet werden. Grundsätzlich kann die ambulante Logotherapie einzeln oder in Gruppen stattfinden.

Die Behandlung der Aphasie ist nicht invasiv, das heißt, Betroffene müssen nicht befürchten, am Gehirn operiert zu werden. Das übergeordnete Ziel der Aphasie-Therapie ist es, die sprachlichen Fähigkeiten des Patienten wiederherzustellen, zu verbessern oder zu erhalten. Betroffene lernen, die Sprachstörung durch andere Ausdrucksmöglichkeiten wie Gestik oder durch die Zuhilfenahme von Hilfsmitteln zu kompensieren. Entscheidend ist es, dass die Patienten dazu befähigt werden, wieder kommunizieren zu können. Die Behandlung der Aphasie liegt im Aufgabenbereich der Logopädie, also des Sprachtherapeuten. Patienten führen speziellen Aphasie-Übungen unter der Anleitung der Logopäden durch. Das genaue Therapieziel orientiert sich am Einzelfall, je nach Aphasie-Form, Schweregrad sowie allgemeiner gesundheitlicher Verfassung des Betroffenen.

Phasen der Therapie

Die Aphasie-Therapie gliedert sich in verschiedene Phasen:

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  • Aktivierungsphase: Hauptziel ist es, den Patienten zum Sprechen anzuregen. Diese Phase sollte so schnell wie möglich nach der Hirnschädigung beginnen. Während des Aufenthaltes auf der Wachstation im Krankenhaus sollte der Betroffene unterstützt, motiviert und sprachlich gefordert werden. In dieser sogenannten Aktivierungsphase sollte der Patient so stimuliert werden, dass das Sprachverständnis für alltägliche Situationen verbessert wird und bereits jetzt zu sprachlichen Äußerungen angeregt wird.
  • Übungsphase: Diese besteht aus mehreren einstündigen Therapiesitzungen pro Woche. Diese Phase dauert mindestens 1 Jahr, meist eher länger. Da jede Aphasie-Form unterschiedlich ist, gibt es keine festen Zeitvorgaben. Diese Übungsphase geht in die sich anschließende Konsolidierungsphase über. Hier gilt es, die erarbeiteten Therapieinhalte zu festigen und in den Alltag zu integrieren. Dies geschieht oft durch häusliche Übungen oder auch Kommunikationsgruppen. In diesen Gruppen werden z. B.
  • Konsolidierungsphase: Hier gilt es, die erarbeiteten Therapieinhalte zu festigen und in den Alltag zu integrieren. Dies geschieht oft durch häusliche Übungen oder auch Kommunikationsgruppen.

Therapieinhalte

Die logopädischen Therapieinhalte bestehen u.a. aus der Zuordnung von Bildern und Begriffen, Satzergänzungsübungen sowie dem Nachsprechen von vorgegebenen Wörtern und Sätzen.

Technische Hilfsmittel

Technische Entwicklungen erleichtern Therapeuten die Behandlung und Betroffenen ihren Alltag. Dazu gehören beispielsweise Sprachapps wie Neolexon, Constant Therapy, Tactus oder Lingraphica und spezielle Computerprogramme wie EvoCare, aphasiaware und Lingware. Studien wie die Big-CACTUS-Studie von 2019 zeigen, dass Patienten mit Sprachapps und Sprachsoftware zur Aphasie-Behandlung größere Fortschritte erzielen als ohne die Übungen.

  • Die neolexon Aphasie-App ermöglicht Menschen mit Sprachverlust nach einem Schlaganfall selbstständig und unbegrenzt zu Hause auf dem Tablet oder PC zu trainieren. Die behandelnde Logopädin stellt die neolexon Aphasie-App individuell für die Patient:innen ein, die von mehr als 400.000 Übungsmöglichkeiten profitieren. Durch eine hohe Benutzerfreundlichkeit können auch Betroffene mit motorischen, visuellen und kognitiven Beeinträchtigungen eigenständig üben. Die Wirksamkeit der App wurde durch Deutschlands größte Therapiestudie bei Aphasie bestätigt (AddiThA). Sie ist die einzige App auf Rezept im Bereich Schlaganfall und somit kostenlos für alle gesetzlich Versicherten.

Berufliche Wiedereingliederung

Der berufliche Wiedereinstieg mit einer Aphasie kann Betroffene vor große Herausforderungen stellen. Nicht alle Berufe sind mit einer Aphasie gleichermaßen vereinbar. Das Heidelberger Aphasie-Modell ist ein Angebot des Berufsförderungswerks in Kooperation mit dem Bundesverband Aphasie e. V. und den SRH Fachschulen. In dieser Zeit werden die Menschen zudem darüber beraten, welche beruflichen Tätigkeiten in Frage für sie kommen könnten. Danach absolvieren sie eine drei- bis sechsmonatige Berufsvorbereitung. Im gewählten Berufszweig folgt eine Qualifizierung in Form einer Umschulung oder Ausbildung.

Umgang mit Aphasie

Häufig sind aphasische Symptome ein sehr belastender Einschnitt in das alltägliche Leben. Wichtig ist es für Betroffene, geduldig und ruhig mit sich selbst zu bleiben. Wichtig ist es allerdings auch, dass Grenzen der Therapie akzeptiert werden können und Betroffene es lernen, mit den Einschränkungen so gut es geht zurechtzukommen.

Verhaltensstrategien für Angehörige

  • Geduld: Aphasiker suchen oftmals lange nach Worten. Nicht das “Wort aus dem Mund nehmen”.
  • Kommunikation erleichtern: Hier helfen einfache Fragen, die mit “ja/nein” beantwortet werden können.
  • Nicht zu viel korrigieren: Aphasiker haben sehr oft Angst, beim Sprechen Fehler zu machen.
  • Störquellen beseitigen: Menschen mit Aphasie fällt es schwer, sich auf mehrere Dinge gleichzeitig zu konzentrieren. Wenn mehrere Menschen an einem Gespräch beteiligt sind, sollten diese nicht durcheinander sprechen.
  • Kontakte erleichtern: Angehörige von Betroffenen sollten anderen Menschen die Scheu nehmen, auf Aphasiker zuzugehen.
  • Aphasie-Patienten sollten nicht bevormundet oder “wie Kinder” behandelt werden.
  • Im Gespräch empfiehlt es sich, die Sätze immer kurz und einfach zu halten und den Betroffenen ausreichend Zeit zum Verarbeiten zu geben.
  • Menschen mit Aphasie brauchen vor allem Verständnis für ihre Situation. Es ist enorm wichtig, einfühlsam mit ihnen umzugehen und die Sprachstörung immer im Blick zu haben. Hier sind Geduld und ein ruhiges, störungsarmes Umfeld wichtig.
  • Nicht immer ist Menschen mit einer Aphasie bewusst, dass ihre Botschaft beim Gegenüber nicht ankommt. Sie können aber an der Mimik ablesen, ob das, was sie sagen, Sinn ergibt. Die meisten Familien entwickeln nach und nach eine Kommunikationsstrategie.

Hilfsmittel und Unterstützungsangebote

  • Pflegekurse: Pflegekurse werden von den Pflegekassen finanziert und sind gemäß § 45 SGB XI für die Teilenehmenden kostenfrei. Kommunikation spielt in vielen Modulen von Pflegekursen eine wichtige Rolle.
  • Kommunikationshilfen: Es gibt Hilfsmittel, die es Aphasikern trotz eingeschränkter Sprachfähigkeit ermöglichen, an Gesprächen teilzunehmen. Darüber hinaus gibt es inzwischen eine große Vielfalt an elektronischen Kommunikationshilfen. Bevor sich Aphasiker Hilfsmittel anschaffen, sollten sie einen Antrag auf Kostenübernahme für elektronische oder nicht-elektronische Hilfsmittel beim zuständigen Kostenträger stellen. Dem Antrag muss ein Kostenvoranschlag beigefügt werden. Kommunikationshilfen gibt es inzwischen auch als digitale Anwendungen (Apps) für Smartphones und Tablets. Aphasiker können sich auf der Internetseite der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) informieren. Dort gibt es ein Verzeichnis der stationären Einrichtungen für medizinische Rehabilitation. In der Suchmaske kann das Krankheitsbild „Sprachstörung“ oder „Sprachbehinderungen“ ausgewählt werden.
  • Selbsthilfegruppen: Es gibt Selbsthilfegruppen, deren Angebote sich speziell an Aphasiker richten. Für viele Betroffene ist es hilfreich, sich in diesem Rahmen über Themen auszutauschen, die sie mit nicht betroffenen Menschen schwierig nur besprechen können. Selbsthilfegruppen unterscheiden sich zum einen in professionell geführte Gruppen, die auch therapeutische Angebote haben. Zum anderen gibt es von Betroffenen selbst organisierte Gruppen. Eine zentrale Interessenvertretung ist der Bundesverband für die Rehabilitation der Aphasiker e.V.

Rechtliche Aspekte

  • Pflegegrad: Betroffene sollten prüfen, ob ihnen ein Pflegegrad zusteht, womit sie finanzielle Unterstützung erhalten können.
  • Nachteilsausgleich: Bei Hirnschäden mit kognitiven Leistungseinschränkungen, wie einer Aphasie, haben Betroffene die Möglichkeit, einen Nachteilsausgleich zu erhalten.
  • Patientenverfügung: Eine Patientenverfügung ist ein wichtiges Dokument, das sicherstellt, dass Ihre medizinischen Wünsche respektiert werden, wenn Sie aufgrund von Krankheit oder Verletzung nicht in der Lage sind, sie selbst auszudrücken. Sie entlastet auch Angehörige von schwierigen Entscheidungen, vermeidet Missverständnisse und schützt vor unerwünschter Über- oder Unterbehandlung.

Zusammenfassung

Die Aphasie ist eine komplexe Sprachstörung, die das Leben der Betroffenen und ihrer Angehörigen erheblich beeinträchtigen kann. Eine frühzeitige Diagnose und Therapie sind entscheidend für den Verlauf der Erkrankung. Neben der logopädischen Behandlung spielen der Umgang mit der Aphasie im Alltag und die Unterstützung durch Angehörige, Selbsthilfegruppen und technische Hilfsmittel eine wichtige Rolle. Es ist wichtig, dass Betroffene und ihr Umfeld sich über die Erkrankung informieren und Strategien entwickeln, um die Kommunikation zu erleichtern und die Lebensqualität zu verbessern.

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