Einleitung
Der Begriff „Dysphagie“ (griech.: dys=gestört und phagein=essen) bezeichnet eine Störung der Schluckfähigkeit von Nahrung, Flüssigkeit und Speichel. Obwohl der physiologische Schluckakt meist unbewusst abläuft, ist er ein komplexer Vorgang, an dem über 25 Muskelpaare und 6 Hirnnerven beteiligt sind. Der Schluckakt dient nicht nur der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme, sondern bereitet auch Genuss und ist Teil des sozialen Lebens. Daher führen Schluckstörungen meist zu einem erheblichen Verlust an Lebensqualität und sozialer Teilhabe. Zahlreiche Krankheiten können eine Dysphagie begünstigen, wobei neurologische Erkrankungen, allen voran der akute Schlaganfall, zu den häufigsten Ursachen zählen. Daher werden Schluckstörungen, die durch Schädigungen des zentralen oder peripheren Nervensystems, der neuromuskulären Übertragungsregion oder der Muskulatur selbst verursacht werden, als „neurogene Dysphagien“ bezeichnet.
Ursachen der Dysphagie
Schluckstörungen können vielfältige Ursachen haben. Neben neurologischen Ursachen spielen auch mechanische und psychische Faktoren eine Rolle.
Neurologische Ursachen
Neurologische Erkrankungen sind die häufigsten Ursachen für Dysphagien. Dazu gehören:
- Schlaganfall: Dysphagie nach einem Schlaganfall ist hochprävalent und führt zu schwerwiegenden Komplikationen wie Aspirationspneumonie und Mangelernährung.
- Parkinson-Erkrankung: Bei der Parkinson-Erkrankung können alle Phasen des Schluckaktes beeinträchtigt sein.
- Multiple Sklerose (MS): Laut DEGAM-Leitlinie sollen insbesondere bei zunehmendem EDSS die Dysphagie-Symptome wie Verschlucken, Steckenbleiben von Nahrung in Hals und Rachen, verminderte Trinkmenge, Fieberschübe, Pneumonien und weitere einzeln abgefragt werden.
- Andere neurologische Erkrankungen: Schädigungen des zentralen oder peripheren Nervensystems, der neuromuskulären Übertragungsregion oder der Muskulatur selbst können ebenfalls zu Dysphagien führen.
Mechanische Ursachen
Mechanische Ursachen können den Schluckakt behindern. Dazu zählen:
- Stenosen im Bereich des Ösophagus: Chronische Entzündungen oder Ösophagustumore können zu einer Verengung der Speiseröhre führen. Nahrungsbrei, Flüssigkeiten und sogar Speichel können dann nicht mehr ungestört passieren.
- Divertikel im Bereich des Ösophagus: Eine Bariumbreischluck-Diagnostik kann ein falsches Divertikel identifizieren, das von der hinteren Wand des oberen Ösophagus ausgeht, was mit einem Zenker-Divertikel übereinstimmt.
- Nach vorne wachsende Knochensporne der Halswirbelsäule (Spondylophyten)
- Ösophagusmembranen: Bariumbreischluck mit Ösophagusmembranen im oberen Ösophagus.
- Ösophagusstriktur: Bariumbreischluck, welcher eine Ösophagusstriktur zeigt, die im proximalen Ösophagus lokalisiert ist, wobei Strikturen normalerweise im distalen Ösophagus auftreten. Ein Endoskopiebild kann eine deutliche Ösophagusstriktur zeigen.
- Ösophaguskarzinom: Die Ösophagogastroduodenoskopie (EGD) zeigt ein auswucherndes Plattenepithelkarzinom, was zu einer Verengung des Lumens führt.
Psychische Ursachen
In seltenen Fällen können Schluckstörungen auch rein psychische Gründe haben, z.B. nach einem traumatischen Erleben.
Lesen Sie auch: Ursachen und Risikofaktoren für Schlaganfälle bei Katzen
Altersbedingte Ursachen
Mit zunehmendem Lebensalter steigt auch das Risiko, eine Schluckstörung zu entwickeln. Ursachen hierfür sind physiologische Altersveränderung der am Schluckakt beteiligten anatomischen Strukturen sowie der Schluckmuskulatur (sog. „primäre Presbyphagie“) aber auch bestimmte mit dem Alter assoziierte Erkrankungen (sog. „sekundäre Presbyphagie“). Altersbedingte Veränderungen wie ein reduzierter Zahnstatus, eine eingeschränkte Beweglichkeit oder eine nachlassende Kaukraft können sich auf die einzelnen Phasen des Schluckaktes auswirken.
Der physiologische Schluckakt
Der physiologische Schluckvorgang verläuft in mehreren Phasen:
- Präorale Phase: Die Vorbereitung zur Nahrungsaufnahme inklusive Speichelproduktion und Aktivierung der Magensäureproduktion.
- Orale Phase: Der Nahrungsbrei wird zu einem Bolus geformt und mit Hilfe der Zunge entlang des Gaumens in Richtung Rachen transportiert.
- Pharyngeale Phase: Unter Verschluss des Nasenraumes wird der Bolus durch die Kontraktion der Schlundmuskulatur, einer Schubbewegung des Zungenrückens und der Hebung des Kehlkopfes nach oben vorne weiter in Richtung Speisröhreneingang transportiert. Der Pharynx wird durch Bildung des Passavant-Wulsts (Kontraktion des M. Vergrößerung des M.) verschlossen.
- Ösophageale Phase: Mittels peristaltischer Wellen und der gleichzeitigen Öffnung des Mageneingangs erfolgt dann der Weitertransport des Bolus in den Magen.
Bei einer Dysphagie können diese Funktionen einer oder mehrerer Schluckphasen beeinträchtigt sein.
Symptome der Dysphagie
Die Beschwerden finden sich typischerweise im Mund- oder Rachenbereich. Nahrung und/oder Flüssigkeit können entweder gar nicht oder nur unvollständig in die Speiseröhre transportiert werden und fließen entweder in den Mund-Nasen-Rachenraum zurück oder geraten in die Luftröhre oder die Lunge (sog. „Aspiration“). Die oropharyngeale Dysphagie wird häufig von einem starken Hustenreiz begleitet. Dieser kann jedoch z.B. bei gestörter Sensibilität auch ausbleiben (sog. stille Aspiration), was dann eine besondere Gefahr für den Patienten bedeutet und dazu führt, dass die Dysphagie im klinischen Bereich übersehen werden kann. Betroffene berichten typischerweise von Schmerzen oder Brennen hinter dem Brustbein (sog. „nicht kardialer Brustschmerz“) und dem Gefühl von steckengebliebener Nahrung, „das Essen rutscht nicht richtig runter“. Weitere Symptome können sein:
- Verstärkter Speichelfluss
- Ungewollter Gewichtsverlust
- Häufiges Verschlucken oder Husten beim Essen
- Fremdkörpergefühl im Hals ("Globusgefühl")
- Verminderte Trinkmenge
- Fieberschübe
- Pneumonien
Diagnostik der Dysphagie
Laut aktueller Leitlinien ist eine frühe Abklärung der Schluckfähigkeit bei allen Schlaganfallpatienten dringend empfohlen. Ein Dysphagiescreening sollte bei jedem Schlaganfallpatienten so früh wie möglich durchgeführt werden, z. B. mit einem Wasserschlucktest oder einem Multikonsistenzprotokoll. Anschließend ist bei Patienten mit auffälligem Screening oder bestehenden Risikofaktoren für Dysphagie eine flexible endoskopische Evaluation des Schluckens (FEES) indiziert. Die Diagnostik bei Schluckstörungen ist eine interdisziplinäre Aufgabe und wird von Ärzten, Logopäden und Pflegepersonal durchgeführt. Dabei werden die Sensibilität, die Motorik und die Koordination der komplexen Bewegungsabläufe begutachtet.
Lesen Sie auch: Gesundheitliche Rückschläge und politische Leistungen von Lafontaine
Anamnese und klinische Untersuchung
Einleitung einer geeigneten Abklärung basierend auf der Anamnese und den Symptomen der Patient*innen → Diagnostik der zugrunde liegenden Ätiologie (z. B. Die Patienten werden ausführlich zu ihrer individuellen Problematik beraten.
Apparative Diagnostik
- Bariumbreischluck-Diagnostik: Eine Bariumbreischluck-Diagnostik, die ein falsches Divertikel identifiziert, das von der hinteren Wand des oberen Ösophagus ausgeht, was mit einem Zenker-Divertikel übereinstimmt. Bariumbreischluck mit Ösophagusmembranen im oberen Ösophagus. Bariumbreischluck, welcher eine Ösophagusstriktur (Pfeil) zeigt, die im proximalen Ösophagus lokalisiert ist, wobei Strikturen normalerweise im distalen Ösophagus auftreten. Achalasie: schnabelförmige Erscheinung bei einem Bariumbreischluck. Diffuser Ösophagusspasmus: Bariumbreischluck mit dem typischen „Korkenzieher“-Muster
- Videoendoskopische Schluckuntersuchung (FEES): Einschluss aller Arten von Schluckstörungen: kindliche Fütter- und Schluckstörungen, neurologische, organische, funktionelle oder altersbedingte Schluckstörungen. videoendoskopische Schluckuntersuchung FEES (gerne Einbeziehung der bereits behandelnden Logopädinnen und Logopäden in die Untersuchung) Diagnostik, Beratung, Therapieanbahnung und Empfehlungen für alle Altersgruppen (Säuglings- und Kindesalter bis ins hohe Erwachsenenalter), ggf. Die Beurteilung des Schluckaktes erfolgt während des Schluckens mittels eines flexiblen Endoskops durch die Nase. Es wird hierfür angefärbtes, angedicktes Wasser unterschiedlicher Konsistenz und angefärbter Keks (fest, breiförmig, flüssig) verabreicht.
- Ösophagogastroduodenoskopie (EGD): Die Ösophagogastroduodenoskopie (EGD) zeigt ein auswucherndes Plattenepithelkarzinom, was zu einer Verengung des Lumens führt. A: Endoskopie des Ösophagus, die eine Refluxösophagitis zeigt und B: Endoskopie mit Nachweis einer Ösophagusstriktur bei einem Patienten mit Sklerodermie. Ein Endoskopiebild kann eine deutliche Ösophagusstriktur zeigen.
Logopädische Beurteilung
Es wird durch die Logopädin ein Sicht-, Tast- und Bewegungsbefund der am Schlucken beteiligten Muskulatur durchgeführt. Untersucht wird die muskuläre Spannung von Kehlkopf-, Zungen-, Hals- und Schultermuskulatur und die Beweglichkeit des Kehlkopfes, des Zungenbeins und des Kopfes. Sollten Einschränkungen bestehen, die den Schluckvorgang beeinträchtigen können, wird versucht, mit manueller Therapie über eine Mobilisation der Strukturen eine Veränderung herbeizuführen. Die Behandlung erfolgt überwiegend im Liegen auf einer Behandlungsliege. Die meisten Techniken lassen sich aber auch im Sitzen (z.B. im Rollstuhl) durchführen. Bei Bedarf werden kompensatorische Schlucktechniken angeleitet. Anschließend wird, wenn möglich (z.B. nach dem Mittagessen, das die Patienten im Rahmen des Tagesklinikaufenthalts erhalten) überprüft, ob sich die Mobilisation oder die Schlucktechnik positiv auf den Schluckvorgang ausgewirkt hat.
Therapie der Dysphagie
Das Ziel der Schlucktherapie ist die Verbesserung des Schluckvorgangs und der Schutz der Atemwege. Sie richtet sich nach der zugrundeliegenden Ursache der Dysphagie. Aus einer meist interdisziplinär ausgerichteten, akkuraten Diagnostik lassen sich individuelle Behandlungsmaßnahmen ableiten, so dass schwerwiegende Komplikationen, wie Mangelernährung, Dehydration und Aspirationspneumonie, minimiert werden können.
Konservative Therapie
- Diätetische Modifikationen: Therapeutisch können diätetische Modifikationen dazu beitragen, Komplikationen zu verringern.
- Maßnahmen der Mundhygiene: Therapeutisch können Maßnahmen der Mundhygiene dazu beitragen, Komplikationen zu verringern.
- Ernährungstherapie: Therapeutisch kann eine Ernährungstherapie dazu beitragen, Komplikationen zu verringern.
- Logopädische Schlucktherapie: Bei der eingeschränkten Muskelfunktion der parkinsonbedingten Dysphagie kann eine logopädische Schlucktherapie unterstützend wirken.
- Manuelle Therapie: Manuelle Therapie (nach R. Horst; J. Lieberman; G. Münch) bei Schluckstörungen, Globusgefühl und VCD ggf.
Medikamentöse Therapie
Bei der Medikation ist darauf zu achten, ob eine Einnahme uneingeschränkt möglich ist oder ggfls.
Weitere Therapieansätze
- ggf. Block- und Intervalltherapie
- ggf. Ernährungsberatung, Trachealkanülenmanagement, Physiotherapie
Komplikationen der Dysphagie
Schwerwiegende Komplikationen wie Dehydration, Malnutrition, Aspiration (auch still) und eine vital bedrohliche Aspirationspneumonie können die Folge sein. Mangelernährung, Dehydratation und lebensbedrohende Aspirationspneumonien stellen ernsthafte Folgen einer Schluckstörung dar. Bei vielen neurologischen Erkrankungen zählen sie zu den häufigsten und gefährlichsten Symptomen. Die Aspiration kann hier aufgrund einer gestörten laryngealen Sensibilität auch still verlaufen.
Lesen Sie auch: Rehabilitation bei Gesichtsfeldausfall
Dysphagie bei speziellen Erkrankungen
Diffuser Ösophagusspasmus
Funktions- und Motilitätsstörungen treten typischerweise aufgrund einer Pathologie der Muskeln des Ösophagus auf, was zu einer Störung der Peristaltik führt. Diffuser Ösophagusspasmus: Bariumbreischluck mit dem typischen „Korkenzieher“-Muster
Systemische Sklerose
Haut: Aufbau und Funktion, Gelenke und innere Organe führt. A: Endoskopie des Ösophagus, die eine Refluxösophagitis zeigt und B: Endoskopie mit Nachweis einer Ösophagusstriktur bei einem Patienten mit Sklerodermie
Achalasie
Achalasie: schnabelförmige Erscheinung bei einem Bariumbreischluck
tags: #schlaganfall #assoziierte #dysphagie #ursachen #therapie