Ein Schlaganfall ist eine Durchblutungsstörung im Gehirn, die nicht nur Erwachsene, sondern auch Ungeborene, Neugeborene, Kinder und Jugendliche betreffen kann. In Deutschland erleiden schätzungsweise 100 Babys pro Jahr einen Schlaganfall im Zeitraum rund um die Geburt. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen, Folgen und Behandlungsmöglichkeiten von Schlaganfällen bei Neugeborenen und Kindern, um das Bewusstsein für diese seltene, aber schwerwiegende Erkrankung zu schärfen.
Was ist ein Schlaganfall?
Der Begriff Schlaganfall (Apoplexie) bezeichnet Durchblutungsstörungen im Gehirn, die verschiedene Ursachen haben können. Im Volksmund wird ein Schlaganfall auch als „Hirnschlag“ oder „Gehirnschlag“ bezeichnet. Zunehmend wird für „Schlaganfall“ der angelsächsische Begriff „Stroke“ verwendet. In deutschen Krankenhäusern heißen Abteilungen für die Behandlung von Schlaganfällen „Stroke Units“, diese richten sich in der Regel an Erwachsene.
Ursachen von Schlaganfällen bei Neugeborenen und Kindern
Die Ursachen für Schlaganfälle bei Kindern sind vielfältig und altersabhängig. Bei Feten und Neugeborenen sind die Ursachen meist anders als bei Kindern und Jugendlichen. Die Ursachen für einen Schlaganfall in der Perinatalperiode (von der 20. Schwangerschaftswoche bis zum 28. Lebenstag) sind vielfältig.
Ein großer Teil der kindlichen Schlaganfälle tritt vor bzw. während der Geburt auf. Ein Schlaganfall bei Kindern kann zum einen von Durchblutungsstörungen durch Gefäßverschlüsse herrühren. Mögliche Risikofaktoren sind Herzfehler oder Gerinnungsstörungen. Zum anderen können auch Hirnblutungen verantwortlich sein.
Zu den häufigsten Ursachen und Risikofaktoren gehören:
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- Arteriopathien: Dies sind Gefäßerkrankungen, die die Blutgefäße im Gehirn betreffen. Eine häufige Form ist die transiente zerebrale Arteriopathie (TCA), die zu Gefäßwandschäden und Minderdurchblutungen führen kann. Auch Bindegewebserkrankungen, Gefäßentzündungen nach Infektionen oder Schädel-Hirn-Verletzungen können zu Einrissen und Aufspaltungen (Dissektionen) in Gefäßwänden und in der Folge zu Einblutungen ins Hirngewebe kommen. Kinder und Jugendliche mit Arteriopathien haben ein bis zu 10 % erhöhtes Risiko, wiederholt Schlaganfälle zu erleiden.
- Herzfehler: Angeborene und erworbene Herzkrankheiten stellen wichtige Risikofaktoren dar.
- Gerinnungsstörungen: Angeborene oder erworbene Störungen der Blutgerinnung können die Bildung von Blutgerinnseln (Thromben) begünstigen, die die Blutgefäße im Gehirn verstopfen und einen Schlaganfall verursachen können.
- Stoffwechselerkrankungen: Manche angeborene Erkrankungen des Stoffwechsels führen zu Ablagerungen von Stoffwechselprodukten an den Innenwänden von Blutgefäßen. Andere gehen mit einer gestörten Funktion der Blutgefäße einher, die eine Gerinnselbildung fördert.
- Medikamente und Behandlungen: Zahlreiche Medikamente und Behandlungen können durch ihre gerinnungsfördernden Nebenwirkungen bzw. durch direkte Schädigung von Blutgefäßen im Gehirn das Schlaganfallrisiko erhöhen.
- Komplizierte Geburt: Bei Neugeborenen kann eine komplizierte Geburt, wie z.B. eine Zangengeburt, die Ursache sein. Auch Frühgeburtlichkeit kann die Entstehung eines Schlaganfalls begünstigen, da die Gefäße bei Frühgeborenen sehr fragil und empfindsam sind.
- Mütterliche Antikörper: Schlaganfälle bei Neugeborenen sind selten und die Ursachen nicht immer bekannt. Eine Mutter mit Neigung zu Blutgerinnseln hatte besondere Abwehrstoffe im Blut: die sogenannten Anti-PF4 Antikörper. Diese Antikörper wurden während der Schwangerschaft auf das Baby übertragen - und lösten beim Neugeborenen einen Schlaganfall aus.
Symptome und Diagnose
Wie sich ein Schlaganfall äußert, hängt von der Stärke, Ursache und dem betroffenen Hirnareal ab. Durch Blutungen und Hirntumore verursachte Anfälle führen zu starken Kopfschmerzen, die einer schweren Migräne ähneln. Die Betroffenen empfinden dies als schmerzhaften Stich oder Schlag auf den Kopf. Schädigt die Durchblutungsstörung motorisch relevante Bereiche im Gehirn, setzen Lähmungserscheinungen ein. Sind das Sprachzentrum oder die Sehrinde betroffen, können eine verwaschene, eingeschränkte Sprache bzw. ein stark eingeschränktes Sehvermögen auftreten. Derartige Ausfallerscheinungen und plötzliche, massive Kopfschmerzen sind Alarmzeichen, auf die Eltern umgehend reagieren sollten.
Die Diagnose eines Schlaganfalls bei Neugeborenen und Kindern kann schwierig sein, da die Symptome oft unspezifisch sind und sich von denen bei Erwachsenen unterscheiden können. Bei Neugeborenen können Krampfanfälle, unregelmäßige Atmung und auffällige Bewegungsmuster der Arme und Beine auf einen Schlaganfall hindeuten. Bei älteren Kindern können plötzliche Schwäche oder Lähmung einer Körperseite, Sprach- oder Sehstörungen, starke Kopfschmerzen oder Gleichgewichtsprobleme auftreten.
Zur Diagnose werden in der Regel bildgebende Verfahren wie Ultraschall, Computertomografie (CT) oder Magnetresonanztomografie (MRT) eingesetzt, um die Durchblutung des Gehirns zu beurteilen und die Ursache des Schlaganfalls zu identifizieren.
"Time is brain": Schnelles Handeln rettet Leben
Bei Verdacht auf einen Schlaganfall gilt die Devise „time is brain“, also „Zeit ist Schutz des Gehirns“. Je schneller die Diagnose gestellt und die Behandlung eingeleitet wird, desto besser sind die Chancen, bleibende Schäden zu minimieren.
Am UKM (Universitätsklinikum Münster) gelang es jetzt, bei dem frischgeborenen kleinen Pepe das lebenswichtige Gefäß innerhalb von 14 Stunden nach der Geburt wiederzueröffnen. Nachdem sich die Diagnose durch eine umgehende Ultraschalluntersuchung bestätigt hatte, entfernten Neuroradiologen Dr. Christian-Paul Stracke, Leiter der Sektion Interventionelle Neuroradiologie am UKM, und sein Team das Gerinnsel mit einem Katheter über die Leiste des Babys aus der Hirnstammarterie. Mit dem minimalinvasiven Eingriff gelang es dem Neuroradiologen im ersten Anlauf, die Hirnstammarterie wieder durchgängig zu machen und den Thrombus vollständig zu entfernen. Was zu diesem Zeitpunkt niemandem bewusst war: Pepe ist weltweit der erste beschriebene Fall einer erfolgreichen Thrombektomie direkt am Tag der Geburt.
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Behandlungsmöglichkeiten
Die Behandlung von Schlaganfällen bei Neugeborenen und Kindern zielt darauf ab, die Durchblutung des Gehirns wiederherzustellen, weitere Schäden zu verhindern und die neurologischen Funktionen zu verbessern.
Zu den wichtigsten Behandlungsansätzen gehören:
- Thrombolyse: Bei einem Verschluss eines Blutgefäßes kann versucht werden, das Blutgerinnsel mit Medikamenten (Thrombolytika) aufzulösen.
- Thrombektomie: In manchen Fällen kann das Blutgerinnsel mit einem Katheter mechanisch entfernt werden (Thrombektomie).
- Gerinnungshemmung: Um die Bildung weiterer Blutgerinnsel zu verhindern, können gerinnungshemmende Medikamente eingesetzt werden.
- Neuroprotektion: Medikamente, die das Gehirn vor weiteren Schäden schützen sollen, können ebenfalls eingesetzt werden.
- Unterstützende Maßnahmen: Dazu gehören die Stabilisierung der Vitalfunktionen, die Kontrolle von Krampfanfällen und die Behandlung von Begleiterkrankungen.
Rehabilitation und Langzeitfolgen
Nach einem Schlaganfall benötigen die meisten Kinder eine umfassende Rehabilitation, um ihre motorischen, sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten wiederzuerlangen oder zu verbessern. Die Rehabilitation umfasst in der Regel Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie und neuropsychologische Therapie.
Die langfristigen Folgen eines Schlaganfalls bei Kindern können vielfältig sein und hängen von der Schwere des Schlaganfalls, dem betroffenen Hirnareal und dem Alter des Kindes zum Zeitpunkt des Schlaganfalls ab. Mögliche Folgen sind:
- Motorische Einschränkungen: Schwäche oder Lähmung einer Körperseite (Hemiparese), Koordinationsprobleme,Gangstörungen
- Sprachstörungen: Sprachverständnisprobleme, Schwierigkeiten bei der Wortfindung, undeutliche Sprache (Dysarthrie)
- Kognitive Beeinträchtigungen: Gedächtnisprobleme, Aufmerksamkeitsdefizite, Lernschwierigkeiten
- Verhaltensauffälligkeiten: emotionale Probleme, soziale Schwierigkeiten
- Epilepsie: Krampfanfälle
Zwei Drittel der Neugeborenen, Kinder und Jugendlichen, die einen Schlaganfall überleben, haben danach gesundheitliche Probleme.
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Leben mit den Folgen eines Schlaganfalls: Nela's Geschichte
Nela erlitt vermutlich schon im Mutterleib einen Schlaganfall. Als sie vier Monate alt war, bemerkten ihre Eltern, dass etwas nicht stimmte. Sie hielt das linke Händchen ständig zur Faust geballt, das linke Bein wirkte kürzer und leicht verdreht. Über ein Jahr mussten sie auf die richtige Diagnose warten. Nela ist damit aufgewachsen. Es gab also keinen bestimmten Tag, an dem ihre Mutter ihr das gesagt habe. Sie habe Nela und ihrem Bruder allerdings sehr früh erklärt, dass es Kinder und Menschen mit und ohne Behinderung gibt.
Mittlerweile ist Nela in der vierten Klasse. Ihre Mitschüler wissen Bescheid. Sie sagt, dass ihr Gehirn wie eine Fernsteuerung ist und ihre Hand und ihr Bein wie die ferngesteuerten Autos. Und dann sage ich, dass ein Kabel in der Fernsteuerung verstopft war und deswegen die Autos nicht mehr fahren konnten.
Auf den ersten großen Meilenstein folgen viele weitere. Nela lernt Schwimmen, macht sogar das Seepferdchen-Abzeichen. Sie ist auch bei der Freiwilligen Kinderfeuerwehr und lernt gerade Schlagzeug.
Zerebralparese als mögliche Folge eines frühkindlichen Schlaganfalls
Eine Zerebralparese bezeichnet eine Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit, die auf eine frühkindliche Schädigung des sich entwickelnden Gehirns zurückzuführen ist. Sie heißt deshalb auch infantile Zerebralparese (lateinisch infans bedeutet „Kind“). Ausgangspunkt einer Zerebralparese ist immer eine Entwicklungsstörung oder Schädigung von Teilen des Gehirns, die an der Bewegungssteuerung beteiligt sind. Babys können im Mutterleib einen Schlaganfall erleiden, zum Beispiel wenn sich in der Plazenta Blutgerinnsel bilden, die den Blutfluss zum Gehirn blockieren. Das kann mit einer Hirnblutung verbunden sein und die gesunde Entwicklung des Gehirns stören.
Die Behandlung einer Zerebralparese zielt darauf ab, die Beweglichkeit und Unabhängigkeit der Betroffenen zu erhalten und zu fördern. Die Rehabilitation erfolgt entsprechend der jeweiligen Grunderkrankung in Zusammenarbeit mit Physiotherapeutinnen, Logopädinnen, Ergotherapeutinnen, Immunspezialistinnen und Neurolog*innen. Sie begleiten die jungen Patientinnen und Patienten teilweise über mehrere Jahre. Kinder sind sehr lernfähig und haben deshalb gute Aussicht auf Heilung. Je nach Schwere des Schlaganfalls können Einschränkungen zurückbleiben, mit denen die Betroffenen erfahrungsgemäß aber durchaus gut zurechtkommen können. Somit ist die Prognose in vielen Fällen positiv.
Prävention
Einige Risikofaktoren für Schlaganfälle bei Neugeborenen und Kindern lassen sich beeinflussen. Dazu gehören:
- Vermeidung von Risikofaktoren während der Schwangerschaft: Rauchen, Alkoholkonsum und Drogenkonsum sollten vermieden werden.
- Impfungen: Röteln können als Gefährdung ausgeschlossen werden, wenn die Mutter vor der Schwangerschaft dagegen geimpft wird.
- Optimale Geburtsbetreuung: Eine sorgfältige Überwachung und Betreuung während der Geburt kann das Risiko von Komplikationen und Sauerstoffmangel reduzieren.
- Behandlung von Grunderkrankungen: Herzkrankheiten, Gerinnungsstörungen und Stoffwechselerkrankungen sollten frühzeitig erkannt und behandelt werden.