Schlaganfall und Krebs: Ein komplexer Zusammenhang

Sowohl Krebserkrankungen als auch Schlaganfälle gehören weltweit zu den häufigsten Ursachen für Krankheit und Tod. Viele Krebserkrankungen und Schlaganfälle haben gemeinsame Risikofaktoren, beispielsweise Rauchen und Adipositas. Manchmal besteht ein kausaler Zusammenhang zwischen einem Schlaganfall und Krebs. So kann eine zugrundeliegende, noch nicht bekannte Krebserkrankung einen Schlaganfall verursachen. Generell haben Krebspatienten ein erhöhtes Schlaganfallrisiko aufgrund direkter Effekte des Tumors, prothrombotischer Effekte und durch manche der Therapien, die bei einer Krebserkrankung angewendet werden.

Kryptogener Schlaganfall und okkulte Krebserkrankungen

Studien zeigen, dass eine zuvor nicht bekannte Krebserkrankung bei 2% bis 5% aller Patienten im ersten Jahr nach einem ischämischen Schlaganfall diagnostiziert wird und vermutlich bereits zur Zeit des Schlaganfalls vorlag. Bei Patienten mit einem kryptogenen Schlaganfall - also einem Schlaganfall, dessen Auslöser nicht ermittelt werden konnte - vermutet man die Zahl von okkulten Krebserkrankungen noch höher.

Kryptogene Schlaganfälle treten vor allem bei jüngeren Patienten auf, deren Alter zum Zeitpunkt des Schlaganfalls zwischen 18 und 49 Jahren liegt. In dieser Altersgruppe liegt die Rate kryptogener Schlaganfälle bei bis zu 30%. Bei älteren Menschen sind kryptogene Schlaganfälle seltener. Insgesamt ist die Datenlage zu okkulten Krebserkrankungen als Ursache für Schlaganfälle bei jüngeren Menschen bislang dünn.

Aktuelle Studien zum Zusammenhang

Eine aktuelle Studie, deren Ergebnisse im Fachjournal “JAMA Network Open“ publiziert wurden, liefert neue Daten. Forscher um Jamie Verhoeven vom Department of Neurology, Radboud University Medical Center, Donders Institute for Brain, Cognition and Behavior in Nijmegen, Niederlande, untersuchten die Assoziation zwischen einem ersten Schlaganfall und einer neuen Krebsdiagnose nach dem ersten Schlaganfall unter Berücksichtigung der Art des Schlaganfalls, des Alters sowie des Geschlechts der Teilnehmer. Einen Vergleich mit der Allgemeinbevölkerung nahmen die Forscher ebenfalls vor.

Studiendesign und Datengrundlage

In die Registerstudie gingen die Daten von 390.398 Patienten aus den Niederlanden mit einem Alter ab 15 Jahren, ohne vorherige Krebsdiagnose und mit einem ersten Schlaganfall bzw. einer ersten intrazerebralen Blutung (ICH) im Zeitraum zwischen 1998 bis 2019 ein. Ausgeschlossen wurden Menschen mit Tumoren des ZNS, zerebralen Metastasen und Non-Melanom-Hauttumoren. Der primäre Outcome war die kumulative Inzidenz von einer ersten Krebsdiagnose nach einem erstmals aufgetretenen Schlaganfall.

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Die Studie inkludierte die Daten von 27.616 Patienten im Alter von 15 bis 49 Jahren. Das mediane Alter lag bei 44,5 Jahren, das Geschlechterverhältnis war annähernd gleich (50,4% Frauen) und 22.622 (81,9%) der Probanden erlitten einen ischämischen Schlaganfall. Ältere Patienten ab dem 50. Lebensjahr waren mit 362.782 Probanden vertreten. Das mittlere Alter dieser Gruppe lag bei 75,8 Jahren, auch hier war das Geschlechterverhältnis ausgewogen und 307.739 (84,4%) der Teilnehmer hatten einen ischämischen Schlaganfall.

Ergebnisse: Krebsrisiko nach Alter und Geschlecht

Die kumulative Inzidenz einer neuen Krebserkrankung lag nach 10 Jahren in der Altersgruppe von 15 bis 49 Jahren bei 3,7% (95% Konfidenzintervall [KI] 3,4% bis 4,0%). Bei den Teilnehmern mit einem Alter ab 50 Jahren lag die kumulative Inzidenz bei 8,5% (95%-KI 8,4% bis 8,6%). In der Gruppe der unter 50-Jährigen war das Risiko für eine Krebserkrankungen bei Frauen höher als bei Männern. Bei den älteren Teilnehmern ab dem 50. Lebensjahr verhielt es sich umgekehrt, hier waren Männer häufiger von einer Krebserkrankung betroffen.

Erhöhtes Krebsrisiko bei jüngeren Menschen nach Schlaganfall

Auf den ersten Blick ist das Krebsrisiko bei älteren Patienten mit Schlaganfall also höher. Verhoeven et al. verglichen im zweiten Schritt die Tumorinzidenz der Teilnehmer mit den Schlaganfällen mit der Tumorinzidenz der Allgemeinbevölkerung unter Adjustierung auf das Alter. Hier stellten sich die Ergebnisse für das erste Jahr nach dem Schlaganfall wie folgt dar:

  • Altersgruppe 15-49 Jahre: standardisiertes Inzidenzverhältnis (SIR) nach Schlaganfall 2,6% (95%-KI 2,2 bis 3,1); SIR nach ICH 5,5% (95%-KI 3,8 bis 7,3)
  • Altersgruppe ab 50: SIR nach Schlaganfall 1,2% (95%-KI 1,2 bis 1,2); SIR nach ICH 1,2% (95%-KI 1,1 bis 1,2).

Gerade in der Gruppe der jungen Erwachsenen war die Wahrscheinlichkeit einer Krebsdiagnose im ersten Jahr nach dem Schlaganfall also deutlich erhöht im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung.

Dieser Effekt hielt über den Zeitraum von einem Jahr hinaus an. Die Häufigkeit einer Krebsdiagnose sank mit zunehmendem zeitlichem Abstand zum Schlaganfall, blieb im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung aber noch bis zu acht Jahre nach einem ischämischen Schlaganfall erhöht. Auch bei Menschen über 50 zeigte sich eine solche Tendenz, allerdings deutlich weniger ausgeprägt und lediglich im ersten Jahr nach dem Schlaganfall.

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Häufige Krebserkrankungen nach Schlaganfall

In der Studie wurden bei Patienten nach einem Schlaganfall häufig Bronchialkarzinome, hämatologische Krebserkrankungen und gastrointestinale Tumore diagnostiziert. Eine Erklärung über gemeinsame Risikofaktoren gibt es beim Bronchialkarzinom, denn Rauchen erhöht sowohl das Risiko für Neoplasien der Lunge als auch das Risiko vaskulärer Erkrankungen. Die Risikoerhöhung durch Rauchen erklärt allerdings nicht die anderen Krebsentitäten.

Kopf-Hals-Tumore und Schlaganfallrisiko

Unter dem Begriff Kopf-Hals-Tumor (Head and Neck Cancer, HNSCC) werden maligne Tumoren in Regionen wie der Mundhöhle, Pharynx und Larynx zusammengefasst. Die Therapie besteht derzeit insbesondere aus Operation, Bestrahlung (Radiatio), Chemotherapie und deren Kombination. Die Nähe dieser Tumore zu den großen Halsgefäßen erhöht das Risiko vaskulärer Komplikationen, insbesondere von Schlaganfällen. Therapeutische Maßnahmen wie die Radiochemotherapie erhöhen das Risiko zusätzlich.

Review analysiert Zusammenhang zwischen Apoplex und Kopf-Hals-Tumorbehandlungen

Trotz dieses Wissens gibt es bisher keine exakten Daten bezüglich der Zusammenhänge zwischen der Apoplex-Inzidenz, -Mortalität oder der Zeit bis zum Auftreten des ersten Schlaganfalls bei unterschiedlichen Therapieformen des Kopf-Hals-Tumors. Das vorliegende Review mit Meta-Analyse hatte zum Ziel, diese Wissenslücke zu schließen, indem sie die Daten aus 69 Studien mit insgesamt 258.850 Patienten auswertete.

Die Wissenschaftler untersuchten die Schlaganfallinzidenz und -mortalität sowie prädiktive Faktoren in Bezug auf verschiedene Therapiemodalitäten.

Schlaganfallinzidenz bei Kopf-Hals-Tumorpatienten

Die Studie zeigte, dass die Schlaganfall-Inzidenzraten im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung signifikant erhöht waren. So ergab die Auswertung der Studien eine globale kumulative Schlaganfallinzidenz von 4,1 % bei HNSCC-Patienten. Bei den Patienten, die sich einer Radiochemotherapie unterzogen, stieg die Inzidenz auf 4,9 %, während sie bei bestrahlten Patienten 3,8 % betrug. Die mediane Zeit bis zum ersten Apoplex lag bei 45 Monaten nach Radiochemotherapie bzw. bei 36 Monaten nach reiner Bestrahlung.

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Schlaganfallmortalität bei Kopf-Hals-Tumorpatienten

Eine positive Entwicklung ist, dass die Schlaganfallmortalität von 28,5 % vor 2010 auf 14,5 % zwischen 2010 und 2024 gesunken ist. Die Mortalität unterschied sich bei den verschiedenen Behandlungsformen und ist nach einer Radiochemotherapie mit 39,1% höher als nach einer reinen Radiatio (18,7%).

Risikofaktoren für Apoplex bei Kopf-Hals-Tumorpatienten

Als signifikante Risikofaktoren für das Auftreten eines Schlaganfalls im Zusammenhang mit der HNSCC-Therapie identifizierte die Studiengruppe arteriellen Hypertonie (HR = 1,75), Diabetes mellitus (HR = 1,71) und ein Alter über 65 Jahre (HR = 2,17).

Empfehlungen für die Praxis

Die Ergebnisse dieser Analyse betonen die Notwendigkeit eines erhöhten Bewusstseins für das gesteigerte Schlaganfallrisiko bei HNSCC-Patienten. Das Risiko hängt von der gewählten Therapie ab. Insbesondere die Radiochemotherapie erhöht das Apoplexrisiko. Da Schlaganfälle meist nach 36-45 Monaten nach der Radiochemotherapie auftreten, empfehlen die Studienautoren bei diesen Patienten ein enges Monitoring und proaktives Management der Risikofaktoren.

Schlaganfall als Vorbote einer Krebserkrankung bei älteren Menschen

Eine Krebserkrankung kann sich bei älteren Menschen durch einen Herzinfarkt oder Schlaganfall ankündigen. Das geht aus einer Fall-Kontroll-Studie hervor, in der Patienten im Monat vor der Krebsdiagnose 5-mal häufiger an einem Herzinfarkt oder Schlaganfall erkrankten als andere Senioren (1).

Viele maligne Erkrankungen beeinflussen die Blutgerinnung. Der Zusammenhang von Tumorerkrankungen und venösen Thrombosen wurde bereits vor 150 Jahren erkannt. Es wird geschätzt, dass 20 % aller venösen Thromboembolien bei Krebspatienten auftreten. Deshalb weist eine Thrombose ohne erkennbare Ursache bei einem älteren Menschen immer auf eine mögliche Krebserkrankung hin.

Dass Krebserkrankungen allerdings auch arterielle Thrombosen auslösen, ist weniger bekannt. Die wichtigsten Folgen sind ein Schlaganfall oder ein Herzinfarkt. Babak Navi vom Weill Cornell Medical Center in New York hat hierzu die Daten von Medicare-Versicherten (in den USA die staatliche Krankenversicherung für Senioren) mit dem Krebsregister SEERS abgeglichen.

Ergebnisse der Studie von Navi

Ergebnis: Von den 374 331 US-Senioren, die zwischen 2005 und 2013 an Krebs erkrankten, erlitten 2313 (0,62 %) im Monat vor der Diagnose einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall. Dies waren 5½ mehr als in einer Kontrollgruppe von Versicherten ohne Krebs - ein hochsignifikanter Unterschied (Odds Ratio: 5,63; 95-%-Konfidenz-Intervall: 5,07-6,25). Ein Anstieg des arteriellen Thromboserisikos war 150 Tage vor der Diagnose nachweisbar. Je näher die Diagnose lag, desto höher auch das Risiko. Am deutlichsten war es bei Patienten mit Lungen- und Darmkrebs sowie fortgeschrittenem Krebsleiden erhöht.

Empfehlungen für die Praxis

Navi rät den Ärzten bei älteren Patienten, die scheinbar ohne Grund einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erleiden, gezielt nach einer Krebserkrankung zu suchen. Die Patienten sollten an den empfohlenen Vorsorgeuntersuchungen wie Koloskopie oder Mammografie teilnehmen, um den Krebs vielleicht noch in einem heilbaren Stadium zu diagnostizieren.

Weitere Aspekte und Forschung

Die therapeutischen Optionen in der Onkologie nehmen zu, aber eine schnelle und effektive Vorhersage des individuellen Ansprechens ist weitestgehend noch nicht möglich. Grenacher et al. et al.

Omega-3-Fettsäuren und Schlaganfallrisiko

Nach Angaben der World Stroke Organisation erleidet jeder vierte Erwachsene über 25 Jahre im Laufe seines Lebens einen Schlaganfall. Der Schlaganfall zählt zusammen mit Herz- und Krebserkrankungen zu den häufigsten Todesursachen in Deutschland und ist die häufigste Ursache für bleibende Behinderung im Erwachsenenalter. Eine neue Studie, die in der Fachzeitschrift Stroke veröffentlicht wurde, zeigt, dass Menschen mit den höchsten Omega-3-Blutspiegeln ein 17 % geringeres Schlaganfallrisiko haben. Forscher u. a. aus Australien, Kanada, Deutschland, den Niederlanden, Japan und den Vereinigten Staaten analysierten die Daten von 183 291 Teilnehmern aus 29 Studien. Das Durchschnittsalter der Teilnehmer lag bei 65 Jahren. Die gepoolte Analyse untersuchte den Zusammenhang zwischen dem Omega-3-Blutspiegel (Omega-3-Index) und dem Risiko eines Schlaganfalls jeglicher Ursache. Die Teilnehmer wurden auf der Grundlage ihres Omega-3-Index in fünf gleiche Gruppen eingeteilt. Während einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 14,3 Jahren traten insgesamt 10.561 Schlaganfälle auf: 8220 Hirninfarkte und 1142 Hirnblutungen. Die Ergebnisse der gepoolten Analyse zeigten, dass die Teilnehmer mit dem höchsten Omega-3-Index ein 17 % geringeres Schlaganfallrisiko hatten als die Teilnehmer mit dem niedrigsten Omega-3-Index. Im Vergleich zu den Teilnehmern mit den niedrigsten Omega-3-Blutspiegeln hatten die Teilnehmer mit den höchsten Omega-3-Blutspiegeln ein um 18 % geringeres Risiko für einen Hirninfarkt. Die Forscher stellten außerdem fest, dass die EPA- und DHA-Blutspiegel nicht mit einem höheren Risiko für Hirnblutungen verbunden waren.

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