Schlaganfall-Lotse: Aufgaben, Bedeutung und Perspektiven in Deutschland

Ein Schlaganfall ist ein einschneidendes Ereignis, das das Leben der Betroffenen und ihrer Angehörigen von einer Sekunde auf die andere verändern kann. In dieser herausfordernden Zeit sind professionelle Hilfe und Begleitung gefragt. Hier setzen Schlaganfall-Lotsen an, die Betroffene und ihre Familien bis zu 12 Monate nach dem Akutereignis begleiten. Sie unterstützen beispielsweise bei der Kommunikation mit medizinischem Fachpersonal, Reha-Einrichtungen und Krankenkassen.

Was ist ein Schlaganfall-Lotse?

Schlaganfall-Lotsen sind professionelle "Kümmerer", die als Case Manager auf Augenhöhe mit den Betroffenen arbeiten. Sie sind Experten, die durch ihre individuelle Unterstützung eine Brücke zwischen medizinischen Fachkräften und Betroffenen bauen. Schlaganfall-Lotsen sind im Rahmen von Projekten an den jeweiligen Partnerkliniken angestellt.

In der Regel haben Schlaganfall-Lotsen einen pflegerischen, therapeutischen oder sozialarbeiterischen Hintergrund. Sie bringen einschlägige Berufserfahrung aus der Arbeit mit Schlaganfall-Betroffenen oder der Neurologie mit. Zusätzlich absolvieren sie eine intensive Care und Case Management Weiterbildung nach Standards der Deutschen Gesellschaft für Care und Case Management (DGCC) und ein Schulungsangebot der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe zum Schlaganfall.

Aufgaben eines Schlaganfall-Lotsen

Ein Schlaganfall-Lotse nimmt die Patientin bzw. den Patienten bereits auf der Schlaganfall-Spezialstation (Stroke Unit) in das Lotsen-Projekt auf. Bereits in den ersten Tagen nach dem Schlaganfall erfolgt ein Informationsgespräch. Entscheidet sich die betroffene Person für die kostenlose Teilnahme, begleitet die Lotsin oder der Lotse sie über ein Jahr. Zu den Hauptaufgaben gehören:

  • Dokumentation der Behandlungen und Koordination der Maßnahmen: Der Lotse dokumentiert die Behandlungen und koordiniert die Maßnahmen.
  • Unterstützung bei Anträgen: Er unterstützt bei der Beantragung von Hilfsmitteln, der Suche nach einem Pflegedienst oder bei notwendigen Umbaumaßnahmen zu Hause.
  • Zielplanung und Maßnahmenfestlegung: Gemeinsam mit den Betroffenen werden, wie im Care und Case Management üblich, Ziele geplant und Maßnahmen festgelegt, um diese zu erreichen.
  • Förderung der Therapietreue und Risikofaktorenkontrolle: Ein besonderes Augenmerk liegt hierbei auf der Therapietreue der Betroffenen und auf der Kontrolle ihrer Risikofaktoren.
  • Einbeziehung des sozialen Umfelds: Um die Betroffenen optimal zu unterstützen, schauen die Lotsinnen und Lotsen auf die vorhandenen Kontakte der Betroffenen und ihren Netzwerken an Unterstützerinnen und Unterstützern. Sie beziehen die Angehörigen und andere Personen aus dem Umfeld der Betroffenen mit ein.
  • Zusammenarbeit mit Ärzten: Besonders wichtig ist den Schlaganfall-Lotsen die gute Zusammenarbeit mit den Haus- und Fachärztinnen bzw. -ärzten der Betroffenen. Die Lotsinnen und Lotsen leiten bspw. Informationen weiter. Die Lotsinnen und Lotsen ersetzen keine Ärztin bzw. keinen Arzt. Dies kann zum Beispiel Hilfe bei der Suche nach einer niedergelassenen Fachärztin oder einem Therapeuten sein.

Bedeutung der Schlaganfall-Lotsen

Schlaganfall-Lotsen spielen eine zentrale Rolle bei der Nachsorge von Schlaganfallpatienten. Sie schließen die Lücke zwischen stationärer Versorgung und ambulanter Nachsorge. Gemeinsam wird sichergestellt, dass die Patient:innen einen individuellen und umfassenden Behandlungsplan erhalten.

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Die Patienten sind in der Regel mit der Komplexität des Gesundheitssystems und seiner Vielzahl an Ansprechpartnern, mit dem Terminieren von Arztbesuchen und Therapien, der Kommunikation mit Kostenträgern und sozialrechtlichen Fragen überfordert. Die Lotsin erstellt einen Versorgungsplan nach Maßgaben der verantwortlichen Behandler. Er dokumentiert Risikofaktoren, sekundärpräventive Maßnahmen, indizierte ambulante Therapien und das soziale Umfeld des Patienten. In weiteren Plänen werden die Aspekte spezifiziert.

Die Patienten zeigten sich „erfreut und beruhigt, einen Ansprechpartner zu haben“. In leichten Fällen steige die Compliance unmittelbar an, in schweren über die Unterstützung der Angehörigen.

Schlaganfall-Lotsen in der Praxis: Beispiele aus Deutschland

LEX LOTSEN OWL

Im Rahmen des Projektes LEX LOTSEN OWL werden die Aufgaben und die Organisation des Einsatzes von Patientenlotsen erprobt. Ziel ist es, Empfehlungen für ein bundesweites Lotsengesetz zu entwickeln.

Im Rahmen des Projektes LEX LOTSEN OWL werden verschiedene Arten von Daten erhoben und verarbeitet. Zu den Stammdaten gehören Angaben wie:

  • Name
  • Adresse
  • Telefonnummer
  • Alter
  • Geschlecht
  • Beruf
  • Wohnsituation
  • Krankenversicherung

Für die Projektdurchführung sowie die wissenschaftliche Auswertung des Projekts ist die Nutzung eines bestimmten Computerprogramms nötig. Das Programm heißt „EDC-Systems secuTrial®“ und wird zur Durchführung von Studien unter Einhaltung ethischer und wissenschaftlicher Richtlinien (Good Clinical Practice) eingesetzt. In diesem Programm werden alle für die Projektdurchführung und Evaluation relevanten Daten gespeichert. Das Zugriffsrecht auf diese Daten unterscheidet sich je nach Befugnis der Projektbeteiligten.

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Der Lotse, der Sie in das Projekt aufnimmt, (und gegebenenfalls seine Urlaubsvertretung) und eine Study Nurse (Studienassistentin) haben Zugriff auf Ihre Kontaktdaten. Sie brauchen diese Daten, um Ihnen im Laufe der Studie Fragebögen zuzuschicken. Die Fragebögen sind für die Auswertung der Studie notwendig. Alle anderen am Projekt Beteiligten sehen nur die jeweils erforderlichen Stammdaten in pseudonymisierter Form. Das bedeutet: Ihr Name wird durch eine Kombination aus Buchstaben und Zahlen ersetzt. Es wird keine Adresse oder Telefonnummer übermittelt.

Als Forschungsinstitut hat das inav Zugriff auf die im EDC-System secuTrial® gespeicherten Stammdaten in pseudonymisierter Form. Zusätzlich werden auch die in den Fragebögen erhobenen Daten in der Software gespeichert und vom inav ausgewertet. Bei allen Patientinnen und Patienten, die der Interventionsgruppe zugeordnet werden, werden zusätzlich zu den Stammdaten auch Gesundheitsdaten erfasst. Zu den Gesundheitsdaten gehören unter anderem allgemeine Angaben wie:

  • Medikamente
  • Blutwerte
  • Gesundheitszustand
  • weitere Erkrankungen
  • Pflegegrad
  • Therapien
  • ärztliche Versorgung
  • Risikofaktoren

Diese Gesundheitsdaten erfasst der Lotse mit ausgedruckten Formularen sowie mit gängigen Programmen zur Textverarbeitung (zum Beispiel Microsoft Word und Excel). Diese Unterlagen und Dokumente werden lokal im Krankenhaus und unter Berücksichtigung der datenschutzrechtlichen Anforderungen aufbewahrt und gespeichert. Über die Datenverarbeitung im Rahmen Ihrer Behandlung im jeweiligen Krankenhaus werden Sie gesondert vom Krankenhaus aufgeklärt. Ein Teil der Stamm- und Gesundheitsdaten (zum Beispiel Alter, Geschlecht) wird in pseudonymisierter Form, sodass keine Rückschlüsse auf Ihre Person möglich sind, zusätzlich im EDC-System secuTrial® eingegeben. Das inav hat zu Evaluationszwecken Zugriff auf die Software secuTrial® und bei Ihnen als Teilnehmer oder Teilnehmerin der Interventionsgruppe neben Ihren Stammdaten ebenfalls Zugriff auf Ihre Gesundheitsdaten in pseudonymisierter Form.

Während der Begleitung durch Ihren Lotsen kann es erforderlich sein, dass sich Ihr Lotse mit anderen an Ihrer Versorgung beteiligten Akteuren (z. B. behandelnde Ärztinnen, Therapeuten) über Ihre Gesundheitsdaten austauscht. Dies ist notwendig, damit der Lotse eine für Sie optimale Versorgung gewährleisten kann. In diesem Fall erhalten die beteiligten Akteure Einblick in Ihre Stamm- und Gesundheitsdaten. Aufgrund des Austauschs über Ihre individuelle Versorgungssituation ist hier ein eindeutiger Bezug zu Ihrer Person herstellbar. Dafür ist es notwendig, dass Sie den Lotsen von seiner Schweigepflicht entbinden. Nach Projektende erhält die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe Zugriff auf die pseudonymisierten Evaluationsdaten ohne Personenbezug und unter Beachtung der rechtlichen Rahmenbedingungen.

BeLOTSE - Berliner Patientenlotsen für integrierte Schlaganfallnachsorge

Mit „BeLOTSE - Berliner Patientenlotsen für integrierte Schlaganfallnachsorge“ ist das erste Schlaganfall-Lotsen-Projekt in der Hauptstadtregion Berlin/Brandenburg gestartet. Von der Arbeit der beiden Lotsinnen, die am Jüdischen Krankenhaus Berlin beschäftigt sind, werden künftig Patientinnen und Patienten aus Berlin und Teilen Brandenburgs profitieren. Von der Klinik aus begleiten sie Schlaganfall-Betroffene und ihre Angehörigen in den ersten 12 Monaten nach dem Schlaganfall und navigieren sie durch das für Laien oft unübersichtliche Gesundheitssystem. Sie unterstützen Betroffene vom Klinikaufenthalt über die Reha bis hin zur häuslichen Nachsorge.

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Schlaganfall-Lotsen in Schleswig-Holstein

In Schleswig-Holstein hat mit Bianca Naß die erste Schlaganfall-Lotsin ihre Arbeit aufgenommen. Das Modell für die Nachbetreuung wurde ursprünglich von der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe entwickelt und in Pilotprojekten gestartet. Inzwischen baut die Stiftung das Projekt mit lokalen und regionalen Kooperationspartnern sukzessive weiter aus.

Schlaganfall-Lotsen am Universitätsklinikum Leipzig

An der Klinik und Poliklinik für Neurologie des Universitätsklinikums Leipzig unterstützen Schlaganfall-Lots:innen die Nachsorge von Patient:innen mit Schlaganfall oder einer kurzfristigen Durchblutungsstörung, der transitorisch-ischämischen Attacke (TIA) mit einem strukturierten Nachsorgekonzept.

Anforderungen an die strukturierte Nachsorge

Forstbestehend sind jedoch die Anforderungen an die Nachsorge, wobei bleibende psychische und auch physische Einschränkungen eine Rolle spielen. Die Patient:innen berichten dabei auch von sogenannten unsichtbaren Folgen, wie beispielsweise Konzentrations- und Gedächtnisschwierigkeiten. Zudem entwickeln rund ein Drittel aller Betroffenen eine behandlungsbedürftige Depression. Die Symptome führen zu einer enormen Belastung im Alltag und im Berufsleben auch vieler junger Menschen.

Aus diesem Grund hat u.a. die European Stroke Organisation einen Stroke Action Plan entworfen, welcher die nachstationäre Versorgung von Patient:innen verbessern soll. Dazu gehört auch die Förderung des Selbstmanagements, die Ermittlung von Problemen und die Planung entsprechender Lösungen.

Auf nationaler Ebene werden Lots:innen nicht nur im Koalitionsvertrag der noch im Amt befindlichen Regierungsparteien als ein Ziel formuliert, sondern auch vom Sachverständigenrat im Gesundheitswesen und der Pflege befürwortet. Zudem setzt sich die Deutsche Stiftung Schlaganfall-Hilfe für die Implementierung in der Regelversorgung ein. Es geht vorrangig um die Sicherstellung einer bedarfsgerechten Versorgung. Das heißt, dass Betroffene unabhängig ihres sozioökonomischen Status sowie ihre Familien unterstützende Personen in der Nachsorge erhalten.

Die Rolle der Schlaganfall-Lots:innen im Nachsorgeprozess

Schlaganfall-Lots:innen beginnen ihre Arbeit direkt auf der Stroke Unit oder Intensivstation und nehmen Patient:innen in das Nachsorgeprogramm auf. Anhand bestimmter Kriterien werden Betroffene dann sechs bzw. zwölf Monate nach dem Ereignis begleitet.

Die Lots:innen unterstützten, beraten und koordinieren nicht nur die Betroffenen sondern auch deren Bezugsperson(en) durch das Sozial- und Gesundheitssystem. Zu den Hauptaufgaben der Lots:innen gehört neben der Erstellung und Überarbeitung des Assessment, die Definition von individuellen Zielen und Maßnahmen und die Erstellung eines Risikofaktorenplans. Daneben fungieren die Lots:innen als Ansprechperson für nachsorgende Strukturen wie Therapeut:innen, ärztliches Personal und weitere behandelnde Personen. Durch regelmäßige Evaluation mit Hilfe von Assessments können unter anderem auch frühzeitige Veränderungen in der Stimmung und der Lebensqualität erkannt und entsprechende Maßnahmen geplant werden.

Die Nachsorge gestaltet sich konkret so, dass innerhalb eines Zeitraumes von einem Jahr quartalsmäßige Kontaktaufnahmen mit den Patient:innen oder Bezugspersonen stattfinden. Darüber hinaus wird ein Hausbesuch angeboten, um eine ganzheitliche Beratung zu ermöglichen und eine bedarfsgerechte Versorgung sicherzustellen. Die Bedarfe werden zusammen mit den Betroffenen und den Bezugspersonen entwickelt und ggf. unterstützend eingeleitet.

Die Unterstützung durch das ärztliche und pflegerische Team

Die Schlaganfall-Lots:innen arbeiten eng mit dem ärztlichen und pflegerischen Team der Klinik und Poliklinik für Neurologie zusammen, um eine optimale Betreuung der Patient:innen sicherzustellen. So finden regelmäßige interne Fallbesprechungen statt, um gemeinsame Lösungswege zu finden und den Blick über den Tellerrand zu ermöglichen.

Perspektiven für die Zukunft

Die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe setzt sich dafür ein, dass Schlaganfall-Lotsen Teil der Regelversorgung werden. Sie arbeitet deshalb mit Lotsen-Projekten für andere Erkrankungen zusammen. Die Schlaganfall-Hilfe möchte, dass Schlaganfall-Lotsen überall in Deutschland Betroffene begleiten. Dafür muss es eine gesetzliche Verankerung geben. Das Rechtsgutachten von Prof. Dr. Schlaganfall-Lotsen und andere Patientenlotsen sollen Teil der Regelversorgung werden. Dafür setzt sich die Schlaganfall-Hilfe ein.

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