Schlaganfall und epileptische Anfälle: Ein komplexer Zusammenhang

Epileptische Anfälle nach einem Schlaganfall sind ein häufiges und komplexes Problem in der Neurologie. Neurologen werden durch die Verbesserung der Schlaganfallbehandlung vermehrt mit der speziellen Behandlung von Post-Schlaganfall-Anfällen (PSA) und Epilepsie (PSE)-Patienten in Berührung kommen. Epileptische Anfälle können sowohl Diagnostik als auch Therapie von Patienten mit Schlaganfällen komplizieren.

Einleitung

Ein Schlaganfall ist eine Durchblutungsstörung des Gehirns, die zu einer Funktionsstörung der nicht richtig durchbluteten Hirnareale führt. Er wird oft zu den häufigsten Krankheiten im Alter gezählt und tritt häufiger im fortgeschrittenen Alter auf. Über 50 Prozent der Fälle betreffen über 65-Jährige, in rund 15 Prozent sind Personen unter 40/45 Jahren betroffen. Eine Person über 70 Jahre hat ein höheres Schlaganfall-Risiko als eine Person mit 60 Jahren. Die Hauptrisikofaktoren für einen Schlaganfall sind Bluthochdruck und Vorhofflimmern. Andere relevante Risikofaktoren sind Diabetes, Rauchen, Bewegungsmangel und Fettstoffwechselstörung. Maßnahmen, die effektiv einem Bluthochdruck, Übergewicht, Bewegungsmangel und Diabetes vorbeugen, sind die besten Tipps zur Prävention eines Schlaganfalls. Dazu gehört eine vernünftige Ernährung, wie z.B. eine balancierte, ausgewogene, mediterrane Diät, ausreichend Bewegung (20 bis 30 Minuten pro Tag, bei der man leicht schwitzt) und die Behandlung von Risikofaktoren wie Diabetes oder Bluthochdruck.

Die Krankheitsbezeichnung Epilepsie beschreibt das wiederholte Auftreten von epileptischen Anfällen. Epileptische Anfälle können genetisch bedingt sein oder durch eine Schädigung des Gehirns, z. B. durch einen Schlaganfall, verursacht werden. Bei einem epileptischen Anfall kommt es entweder zu Funktionsstörungen in einer Hirnregion (fokale Anfälle) oder in beiden Gehirnhälften (generalisierte Anfälle), wodurch körperliche und geistige Funktionen während des Anfalls gestört sind. Die Wahrscheinlichkeit, während seines Lebens einen epileptischen Anfall zu erleiden, wird auf 8-10 Prozent geschätzt. Ob eine Neigung zu epileptischen Anfällen vorliegt, wird durch Messung der Hirnströme EEG (Untersuchung der elektrischen Aktivität der Hirnrinde) erkannt.

Definitionen und Klassifikation

Akut symptomatische Anfälle (ASA)

Akut symptomatische Anfälle (ASA) sind epileptische Anfälle, die in engem zeitlichen Zusammenhang mit systemischen Veränderungen (z. B. toxisch oder metabolisch) oder einer direkten ZNS-Schädigung auftreten. Für den Schlaganfall definierte man diese als „Frühanfälle“ innerhalb von 7 Tagen, wobei sich ca. 50 % innerhalb der ersten 24 h manifestieren. Obwohl die Wahl des Zeitintervalls von 1 Woche pathophysiologisch arbiträr erscheint, beruht diese Definition v. a. auf der populationsbasierten Studie von Hesdorffer et al. 2009 bei Patienten nach Schädel-Hirn-Trauma, Schlaganfall und ZNS-Infektionen. In der Schlaganfallgruppe betrug das 10-Jahres-Risiko, nach einem ASA innerhalb der ersten Woche einen ersten unprovozierten Anfall (nach 1 Woche) zu erleiden, 30 %. ASA stellen allerdings sowohl im Kindesalter als auch beim Erwachsenen einen Risikofaktor für die Entwicklung einer Epilepsie dar.

Unprovozierte Anfälle

Ein unprovozierter Anfall ist definiert als epileptischer Anfall ohne engen zeitlichen Bezug zu einer systemischen Veränderung oder einer akuten ZNS-Schädigung. Für den Schlaganfall definierte man dies als „Spätanfälle“ > 7 Tage nach dem Ereignis. Gemäß der neuen ILAE-Definition von Epilepsie mit der Wahrscheinlichkeit eines Rezidivrisikos innerhalb von 10 Jahren von zumindest 60 % (adäquat dem Risiko nach 2 unprovozierten Anfällen) erfüllt damit der Schlaganfallpatient bereits die Kriterien einer Epilepsie. Pathophysiologisch soll dafür eine Gliose mit meningozerebraler Narbenbildung verantwortlich sein.

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Post-Schlaganfall-Epilepsie (PSE)

Unter dem Krankheitsbegriff Epilepsie wird das wiederholte Auftreten von epileptischen Anfällen verstanden. Das einmalige Auftreten eines Anfalls, zum Beispiel ein Fieberkrampf bei Kleinkindern, ist somit nicht unter dem Krankheitsbegriff Epilepsie einzuordnen. Ein epileptischer Anfall ist also das vorübergehende und meist einmalige Auftreten einer abnormalen Aktivität von Nervenzellen des Gehirns, die grundsätzlich jedes Gehirn als Reaktion auf eine Schädigung erzeugen kann. Das heißt, dass die Nervenzellen im Gehirn übermäßig aktiv sind und zu viele Signale angeben. Dadurch kann die Kommunikation zwischen den Nervenzellen gestört sein.

Epidemiologie

Etwa 5 Prozent aller Patienten mit einem Hirninfarkt durch Blutmangel in einer umschriebenen Hirnregion erleiden einen epileptischen Anfall. Bei einer Hirnblutung liegt das Risiko bei etwa 8 Prozent. 70 Prozent dieser Anfälle treten innerhalb von 7 Tagen nach einem Schlaganfall auf. Das Risiko, innerhalb von 10 Jahren nach einem Schlaganfall einen epileptischen Anfall zu erleiden, beträgt ca. In einer amerikanischen Studie wurde bei mehr als 770.000 Erwachsenen untersucht, wie häufig epileptische Anfälle bei Schlaganfall-Patienten nach der Entlassung aus dem Krankenhaus auftraten. Innerhalb eines Jahres (Inzidenz) waren es 1,68 Prozent, in 8 Jahren insgesamt 9,27 Prozent.

Die Inzidenz von ASA nach jeglichem Schlaganfall beträgt 3-6 %, dabei liegt die Inzidenz für arterielle Blutungen (IZB und SAB) mit 10-16 % höher und kann bei zerebralen venösen Infarkten mit kortikaler Beteiligung bis zu 40 % ausmachen. Die Risikofaktoren für einen ASA sind eine kortikale Lokalisation, eine Blutung (oder hämorrhagische Transformation eines ischämischen Infarktes), aber auch die Größe und die Schwere des Schlaganfalls sowie eine Lokalisation im vorderen Stromkreislauf (Versorgungsgebiet der A. carotis interna). Die Inzidenz für einen unprovozierten Anfall mehr als 7 Tage nach einem zerebrovaskulären Ereignis beträgt 10-12 % innerhalb eines Zeitraumes von 5 bis 10 Jahren. Dabei ist die Inzidenz gleich bezüglich der Art des Schlaganfalls (Blutung oder Ischämie). Bekannte Risikofaktoren für einen unprovozierten Anfall nach Schlaganfall sind kortikale Lokalisation, die Größe der Läsion (z. B. > 10 ml Volumen bei intrazerebralen Blutungen) und akut symptomatische Anfälle innerhalb von 7 Tagen.

Mehr als ein Drittel der neu diagnostizierten Epilepsien bei Patienten über 60 Jahren haben einen abgelaufenen Schlaganfall als Ursache. ASA sind epileptische Anfälle, die in enger zeitlicher Beziehung zu systemischen Veränderungen (z. B. toxisch oder metabolisch) oder einer direkten ZNS-Schädigung auftreten.

Risikofaktoren

Schlaganfallschwere, kortikale Lokalisation, junges Alter und Hämorrhagie stellen wichtige Risikofaktoren für epileptische Anfälle nach einem Schlaganfall dar. Die Risikofaktoren für einen ASA sind eine kortikale Lokalisation, eine Blutung (oder hämorrhagische Transformation eines ischämischen Infarktes), aber auch die Größe und die Schwere des Schlaganfalls sowie eine Lokalisation im vorderen Stromkreislauf (Versorgungsgebiet der A. carotis interna).

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Pathophysiologie

Bei einem epileptischen Anfall kommt es entweder zu Funktionsstörungen in einer Hirnregion (fokale Anfälle) oder in beiden Gehirnhälften (generalisierte Anfälle), wodurch körperliche und geistige Funktionen während des Anfalls gestört sind. Das Gehirn ist ein Organ, welches wie auch das Herz, seine Funktionen neben chemischen auch aus elektrischen Signalen aufbaut. Das findet Ausdruck in den vom Schädel ableitbaren Hirnströmen (Elektroenzephalogramm, EEG), vergleichbar mit dem Elektrokardiogramm (EKG). Hirnzellen kommunizieren also durch elektrische Signale, die auch entlang der Nerven zu allen Teilen des Körpers gelangen. Ein epileptischer Anfall wird bei einer Hirnschädigung durch eine akute “elektrische Explosion” ausgelöst, die zu Funktionsstörungen in einer umschriebenen Hirnregion (fokale Anfälle) führt oder das gesamte Gehirn betreffen (generalisierte Anfälle). Während eines epileptischen Anfalls ist die Kommunikation der Nervenzellen untereinander gestört. Das hat zur Folge, dass auch die körperlichen und geistigen Funktionen, für die diese Nervenzellen zuständig sind (z.B. Motorik, Sprache, Bewusstsein), nicht mehr richtig funktionieren.

Diagnose

Für die Diagnose und Versorgung von Patienten mit epileptischen Anfällen mit oder ohne einen Schlaganfall ist das medizinische Fachgebiet Neurologie zuständig. Bei Verdacht auf einen epileptischen Anfall wird eine Blutuntersuchung durchgeführt hinsichtlich der Konzentration des Prolaktin und der Kreatinkinase (CK). Zur möglichst exakten Epilepsie-Diagnostik wird die Ableitung eines Elektroenzephalogramms (EEG), auch als Langzeit-EEG und meist auch eine Kernspintomografie (MRT) durchgeführt.

Therapie

Akutphase

Bei einem akut epileptischen Frühanfall „Post-Schlaganfall-Anfall“ (PSA) mit struktureller Läsion kann bereits unter bestimmten Bedingungen eine antiiktale Therapie erfolgen. So kann z. B. bei einem Anfall nach Infarkt mit hämorrhagischer Transformation eine kurzfristige Behandlung (1 Monat) günstig im Hinblick auf die Verhinderung von Spätanfällen und damit einer Epilepsie (PSE) sein. Entsprechendes wird auch bei multiplen Frühanfällen (innerhalb 24 h) diskutiert. Bei einem akut symptomatischen Anfall infolge intrazerebraler Hämorrhagie, Sinusvenenthrombose und motorischen Defiziten kann u. U. eine mehrwöchige Therapie individuell erwogen werden.

Langzeittherapie

Patienten, die eine Epilepsie nach dem Schlaganfall entwickeln, sollten eine dauerhafte medikamentöse Anfallsprophylaxe erhalten. Der Therapieerfolg ist davon abhängig, ob der Patient die verordneten Medikamente nach ärztlicher Vorschrift einnimmt, ob er sich also therapietreu (adhärent) verhält. Viele Patienten werden erfolgreich mit Monotherapie behandelt. Klinische Studien sprechen insgesamt dafür, dass neuere antiiktale Substanzen aufgrund ihrer besseren Verträglichkeit für epileptische Anfälle nach Schlaganfall vorzuziehen sind. Von den neueren antiiktalen Substanzen sind Lamotrigin (LTG,) Levetiracetam (LEV) und Gabapentin (GBP) bei PSE untersucht worden. Dabei zeigten sich eine relativ gute Verträglichkeit und günstiges Interaktionsprofil.

Medikamentöse Therapie

  • Lamotrigin (LTG): Zeigte moderate Wirksamkeit, gute Verträglichkeit, eher stimmungsaufhellend, geringes Interaktionspotenzial, Einmalgabe möglich.
  • Levetiracetam (LEV): Zeigte starke Wirksamkeit, geringes Interaktionspotenzial, Reizbarkeit, Zweimalgabe und i.v.-Applikation. Während der Levetiracetam-Behandlung waren 77,1 % der Patienten 1 Jahr anfallsfrei. Vier Patienten setzten LEV wegen intolerabler Nebenwirkungen ab (11,4 %) (Müdigkeit assoziiert mit Gangstörung 1 Patient und aggressives Verhalten bei 3 Patienten).
  • Gabapentin (GBP): Zeigte möglicherweise schwächere Wirksamkeit, geringes Interaktionspotenzial, zudem war eine Mehrfachgabe erforderlich.

Carbamazepin, Phenytoin und Valproat gehören bei älteren Patienten mit Komorbidität durch weniger gute Verträglichkeit und deutliches Interaktionspotenzial nicht zur ersten Wahl. Hier sind insbesondere die Interaktion von Carbamazepin mit Antikoagulanzien sowie mögliche Erniedrigung von Simvastatin durch Carbamazepin oder Eslicarbazepin zu bedenken.

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Besondere Situationen

  • Postschlaganfall-Status epilepticus (SE): Das Risiko für neurologische Folgeschäden ist 2‑ bis 3‑fach nach 10 Jahren Verlaufsbeobachtung erhöht (von 31 Patienten mit SE starben 15 Patienten, davon 5 Patienten im SE), was für eine Langzeittherapie spricht. Eine intravenöse Lacosamid-Verabreichung wies eine gute Wirkung und Verträglichkeit bei nicht konvulsivem Status epilepticus (NCSE) nach Schlaganfall bei Patienten über 70 Jahren auf.

Therapiestrategie

Eine risikobasierte Therapiestrategie von einem Frühanfall (PSA) oder Spätanfall (PSE) ist schematisch in Abb. 1 nach Zelano wiedergegeben. Faktoren wie „leichte“ Anfälle (z. B. ohne Bewusstseinsverlust und ohne tonisch-klonische Entäußerungen sowie mit geringer Verletzungsgefahr im Anfall) können veranlassen, von einer antiiktalen Therapie Abstand zu nehmen.

Erste Hilfe bei einem epileptischen Anfall

Während eines Anfalls sollten Angehörige und auch mögliche Ersthelfer die unmittelbare Umgebung des Patienten sichern. In jedem Fall sollte der Notruf 112 gewählt werden. Die stabile Seitenlage sollte angestrebt werden. Sehr wichtig ist, die Dauer des Anfalls zu dokumentieren, damit ein lebensbedrohlicher sog. Status epilepticus rechtzeitig erkannt und behandelt werden kann.

Schlaganfall-Therapie und Anfallsrisiko

Die Differenzialdiagnose zwischen akutem Hirninfarkt und Todd-Parese kann schwierig sein, wenn andere motorische Anfallssymptome der Beobachtung entgangen sind. Da rt-PA neurotoxisch auf das infarzierte Gehirn wirken könnte, wurde diskutiert, ob die Thrombolyse ein Risikofaktor für epileptische Anfälle nach Schlaganfall sei. Bei der Analyse verschiedener Behandlungsgruppen (IV-tPA oder intraarterieller Thrombolyse [IAT] oder Kombination von IV-tPA+IAT) waren alle Reperfusionstherapien im Vergleich zu konservativer Schlaganfallbehandlung mit Anfallsentwicklungen assoziiert. Es wurde postuliert, dass Anfälle ein Anzeichen einer erfolgreichen Reperfusion nach Thrombolyse seien. Wegen der ähnlichen Häufigkeit bei rt-PA- oder IAT- oder IAT+rt-PA-Behandlung wird diskutiert, ob nicht der gemeinsame Grund für Anfallsaktivierung in der Verbesserung der Perfusion durch alle genannten Therapiemethoden sei.

Prognose

Patienten, die einen einmaligen epileptischen Anfall innerhalb der ersten Woche nach dem Schlaganfall hatten, haben eine gute Prognose. Diese Frühanfälle führen selten zu einer chronischen Epilepsie und beeinflussen nicht das Behandlungsergebnis der Rehabilitation. Unprovozierte Anfälle mehr als 7 Tage nach Schlaganfall haben ein hohes Rezidivrisiko (70 %) und erfüllen die Kriterien für eine Epilepsie. Die Inzidenz beträgt 10-12 %.

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