Vorhofflimmern ist eine häufige Herzrhythmusstörung, die mit einem erhöhten Schlaganfallrisiko einhergeht. Bei der Behandlung von Vorhofflimmern stellt sich oft die Frage, ob nach einer erfolgreichen Ablation eine lebenslange Antikoagulation notwendig ist. Diese Frage wurde auf den diesjährigen Herztagen in Bonn in einer Pro & Kontra-Debatte diskutiert.
Vorhofflimmern und Schlaganfallrisiko
Vorhofflimmern ist die häufigste Herzrhythmusstörung, von der in Deutschland etwa 1,8 Millionen Menschen betroffen sind. Dabei schlagen die Vorhöfe des Herzens unkoordiniert und sehr schnell, was zu einer verminderten Blutauswurfleistung führt. Dies kann zur Bildung von Blutgerinnseln (Thromben) in den Vorhöfen, insbesondere im linken Vorhofohr, führen. Wenn sich diese Thromben lösen und über den Blutkreislauf ins Gehirn gelangen, können sie dort Blutgefäße verstopfen und einen ischämischen Schlaganfall verursachen. Vorhofflimmern verursacht ca. 30.000 Schlaganfälle pro Jahr in Deutschland.
Risikobewertung und CHA2DS2-VASc-Score
Zur Abschätzung des Schlaganfallrisikos bei Vorhofflimmern wird in der Regel der CHA2DS2-VASc-Score verwendet. Dieser Score berücksichtigt verschiedene Risikofaktoren wie:
- C: Congestive heart failure (Herzinsuffizienz) - 1 Punkt
- H: Hypertension (Hypertonie, also Bluthochdruck) - 1 Punkt
- A2: Age ≥ 75 years (Alter über 75 Jahre) - 2 Punkte
- D: Diabetes mellitus - 1 Punkt
- S2: Stroke/TIA (Schlaganfall oder transitorische ischämische Attacke in der Anamnese) - 2 Punkte
- V: Vascular disease (Gefäßerkrankungen) - 1 Punkt
- A: Age 65-74 years (Alter zwischen 65 und 74) - 1 Punkt
- Sc: Sex category (weiblich) - 1 Punkt
Je höher der Score, desto höher ist auch das statistische Schlaganfall-Risiko pro Jahr. Bei Männern wird eine Antikoagulation ab einem Score von 2 Punkten oder mehr empfohlen, bei Frauen ab 3 Punkten oder mehr.
Die Pro & Kontra-Debatte
Auf den Herztagen in Bonn wurde die Frage diskutiert, ob Patienten nach einer erfolgreichen Ablation von Vorhofflimmern weiterhin eine Antikoagulation benötigen. PD Dr. Julian Chun vertrat die Pro-Position, also dass ein Absetzen der Antikoagulation möglich ist, während PD Dr. Bogossian dagegen argumentierte.
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Argumente für das Absetzen der Antikoagulation (PD Dr. Chun)
Dr. Chun argumentierte, dass die Leitlinienempfehlungen, die eine lebenslange Antikoagulation bei einem CHA2DS2-VASc von ≥ 2 (Männer) bzw. ≥ 3 (Frauen) empfehlen, nur ein Konsensus (Level C) seien. Er betonte, dass "Leitlinien keine Gesetze sind" und man davon abweichen kann, wenn die Situation es hergibt.
Ein weiteres Argument von Dr. Chun war das Blutungsrisiko, das mit einer lebenslangen OAK vergesellschaftet ist. In Real-Life-Studien beträgt die Rate für schwerwiegende Blutungsereignisse bei Patienten, die mit DOAKs behandelt werden, 4,6 % bis 6,7 % pro Jahr. Solche Ereignisse wirken sich auf die Prognose aus.
Dr. Chun hält ein Absetzen der Antikoagulation nach erfolgreicher Ablation auch deshalb für möglich, weil seiner Ansicht nach ein Zusammenhang zwischen Vorhofflimmern-Last und Schlaganfallrisiko existiert. Sinkt die Vorhofflimmern-Last, sinkt auch das Schlaganfallrisiko. Er verwies auf eine Studie aus dem Jahr 2022, die eine Assoziation zwischen Vorhofflimmern-Last und kardiovaskulärem Outcome feststellte, sowie auf schwedische Registerdaten, die zeigen, dass die Schlaganfall- und Sterberaten durch eine Katheterablation reduziert werden.
Dr. Chun sprach sich für die Implementierung einer „tailored medicine“ aus, bei der die Entscheidung für oder gegen eine Antikoagulation individuell in Abhängigkeit der vorhandenen Vorhofflimmern-Last getroffen wird. Patienten könnten ihre Vorhofflimmern-Last über Handgelenks-Wearables selbst monitoren. Wird dabei eine Vorhofflimmern-Episode detektiert, wird der Patient vorübergehend mit einem DOAK behandelt. Findet sich nichts, braucht der Patient keine OAK.
Argumente gegen das Absetzen der Antikoagulation (PD Dr. Bogossian)
Dr. Bogossian argumentierte, dass bei hohem Risiko die Antikoagulation fortgeführt werden muss. Er stellte den Terminus „erfolgreiche Ablation“ infrage, da die Vorhofflimmern-Rezidivrate in Studien bei 18 % bis 40 % liegt. Vorhofflimmern durch eine Ablation für immer wegzubekommen, hält er für utopisch, weil es seiner Ansicht nach eine progressive Erkrankung ist. Selbst nach scheinbar „erfolgreicher“ Ablation ist seiner Ansicht nach das Risiko, einen Schlaganfall zu entwickeln, bei Patientinnen und Patienten mit einem CHA2DS2-VASc-Score von ≥ 2 (Männer) bzw. ≥ 3 (Frauen) zu hoch, um auf eine Antikoagulation verzichten zu können.
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Er erinnerte an die Gefahren, die von einem ischämischen Schlaganfall ausgehen. Die 5-Jahres-Mortalität liege bei 60 %. Ein solch dramatisches Ereignis sollte seiner Ansicht nach daher unbedingt vermieden werden.
Auf die von Chun hervorgebrachten Bedenken in Bezug auf Blutungsrisiken entgegnete Bogossian, dass mit neuen Medikamenten zur Gerinnungshemmung zu rechnen sei. Konkret verweist er auf die Faktor-XIa-Inhibitoren, die in Phase-II-Studien im Vergleich zu den konventionellen DOAKs deutlich weniger Blutungskomplikationen verursachten.
Einigkeit über personalisierte Therapie
Einig sind sich Bogossian und Chun, dass das Vorhofflimmern-Management in Zukunft personalisierter ausfallen sollte. Bogossian führte aus, dass die Genetik Einfluss auf die Entstehung von Vorhofflimmern hat. In seiner Vorstellung sollte sich das Vorgehen in der Zukunft ändern, hin zu einer personalisierten Genotyp-basierten Behandlung. Vorstellbar wäre, dass Vorhofflimmern-Patienten nach ihren Genen charakterisiert und entsprechend behandelt werden.
Alternativen zur Antikoagulation
Für Patient:innen, bei denen Blutverdünner nicht infrage kommen, gibt es als Alternative den katheterbasierten Verschluss des Vorhofohrs mit einem Okkluder, der das Schlaganfallrisiko verringert. Das Vorhofohr, eine kleine Ausstülpung am linken Vorhof, ist bei Vorhofflimmern ein häufiges Areal für die Bildung von Blutgerinnseln, die Schlaganfälle auslösen können.
Der Fall des 65-jährigen Skifahrers
Zurück zu dem eingangs erwähnten 65-jährigen Mann mit paroxysmalem Vorhofflimmern und einem CHA2DS2-VASc-Score von 2: Braucht dieser Patient nach einer erfolgreichen Ablation wirklich eine lebenslange Antikoagulation?
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Die Antwort ist nicht einfach und hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie z.B.:
- Die Stabilität des Sinusrhythmus nach der Ablation
- Die Vorhofflimmern-Last
- Das Blutungsrisiko des Patienten
- Die Präferenz des Patienten
In diesem Fall könnte man argumentieren, dass der Patient ein Grenzfall ist, in dem man über das Absetzen einer Antikoagulation zumindest nachdenken kann. Er hat einen CHA2DS2-VASc-Score von 2, was ein moderates Schlaganfallrisiko bedeutet. Andererseits ist er ein ambitionierter Skifahrer, was möglicherweise ein erhöhtes Blutungsrisiko mit sich bringt.
Letztendlich muss die Entscheidung für oder gegen eine Antikoagulation individuell in Absprache mit dem Patienten getroffen werden. Dabei sollten alle relevanten Faktoren berücksichtigt werden.
Die Rolle des Kardio-Neuro-Boards
Um die Patient:innen optimal und individuell therapieren zu können, wurde ein kardiologisch-neurologisches Board bestehend aus Spezialist:innen verschiedener Fachdisziplinen campusübergreifend am DHZC und an der Charité geschaffen. In diesem Expertengremium werden komplexe Patientenfälle besprochen und die weitere Therapie festgelegt. In den Besprechungen geht es vor allem um Patient:innen mit Vorhofflimmern, die bereits einen Schlaganfall hatten und/oder zusätzlich ein offenes Foramen ovale (PFO) haben, was das Risiko für Schlaganfälle und Hirnblutungen erhöht.
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