Es ist ein weit verbreitetes Phänomen: Man trifft jemanden, der Name wird genannt, und wenige Augenblicke später ist er bereits wieder vergessen. Ein schlechtes Namensgedächtnis kann unangenehm sein, besonders in beruflichen oder gesellschaftlichen Situationen. Doch woran liegt es, dass wir uns Namen so schwer merken können? Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen Ursachen für ein schlechtes Namensgedächtnis und gibt Tipps, wie man es verbessern kann.
Die Natur des Namensgedächtnisses
Unser Namensgedächtnis ist Teil unserer kristallinen Intelligenz, also des Faktenwissens, das wir im Laufe unseres Lebens ansammeln. Es ist nicht grundsätzlich schlechter als andere Gedächtnisinhalte, aber das Gefühl, sich gerade an Namen schlecht zu erinnern, entsteht oft, weil es uns unangenehm ist, den Namen einer bekannten Person vergessen zu haben.
Abstraktion und Informationsflut
Namen sind abstrakte Informationen, die unser Gehirn schwerer verarbeiten kann als konkrete Bilder oder Sinneseindrücke. In Situationen, in denen wir viele neue Menschen kennenlernen, wie auf Partys oder bei neuen Jobs, werden wir mit einer Flut von Sinneseindrücken überflutet. Unser Gehirn kann in solchen Momenten nur eine begrenzte Anzahl von Informationen speichern, etwa sieben bis neun. Da unser Gehirn unterbewusst entscheidet, welche Informationen wichtig sind, kann es passieren, dass ein Name schnell wieder vergessen wird, weil er als nicht relevant eingestuft wird. Stattdessen prägen wir uns vielleicht die Augenfarbe oder die Kleidung der Person ein.
Evolutionäre Ursachen
Neuropsychologe Professor Josef Kessler von der Uniklinik Köln erklärt, dass das schlechte Namensgedächtnis auch evolutionäre Ursachen hat. Gesichter können wir uns besser merken, da es dafür eine eigene Region im Gehirn gibt. In der Evolution war das Erkennen von Gesichtern wichtiger als das Merken von Namen, da unsere Vorfahren in übersichtlichen Sippen lebten und es ausreichte, andere wiederzuerkennen. Namen kamen erst später hinzu.
Bedeutung und Relevanz
Auch die Bedeutung, die eine Person für uns hat, spielt eine Rolle. Wenn uns jemand kurz auf einer Party vorgestellt wird, ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass wir uns den Namen merken, als wenn es sich um unseren zukünftigen Vorgesetzten handelt oder um jemanden, der aus anderen Gründen relevant für uns ist. In solchen Fällen ist die Verarbeitungstiefe größer.
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Persönlichkeitsmerkmale und Gedächtnis
Eine aktuelle Studie hat gezeigt, dass neurotische Persönlichkeitsmerkmale mit einem schlechteren Gedächtnis zusammenhängen können. Menschen mit irrationalen Ängsten haben möglicherweise einen "volleren" Kopf, was die Gedächtnisleistung beeinträchtigen kann. Die Persönlichkeit kann also eine ursächliche Rolle für ein schlechtes Gedächtnis spielen.
Die Big-Five-Persönlichkeitsmerkmale
Die Studie untersuchte den Zusammenhang zwischen den Big-Five-Persönlichkeitsmerkmalen und dem episodischen Gedächtnis, also der Fähigkeit, sich an Erlebtes zu erinnern. Dabei zeigte sich, dass Personen mit einer "offenen" Persönlichkeit besonders gut abschnitten, ebenso wie Personen mit Extraversion, zumindest in jüngeren und mittleren Altersgruppen. Neurotizismus und Verträglichkeit hingegen fielen in den älteren Altersgruppen weniger positiv auf.
Neurotizismus und psychologisches Leid
Der Forscher Dr. Weixi Kang erklärt, dass Neurotizismus typischerweise mit mehr psychologischem Leid verbunden ist, was die für die Gedächtnisleistung zuständigen Teile des Nervensystems belasten könnte. Die guten Ergebnisse bei der Extraversion-Gruppe könnten dagegen mit der Bereitschaft zu sozialer Interaktion zusammenhängen, was sich positiv auf die geistige Gesundheit auswirken kann.
Alter und Gedächtnisleistung
Es ist normal, dass die Gedächtnisleistung ab dem 25. Lebensjahr leicht abnimmt. Dies liegt jedoch weniger daran, dass wir Namen nicht mehr abspeichern können, sondern eher daran, dass unsere Konzentrationsspanne kürzer wird. Zudem haben wir im Laufe des Lebens bereits unglaublich viele Informationen gespeichert, was es dem Gehirn erschwert, die richtige Information wiederzufinden.
Kontextuelle Erinnerung
Um das Wiederfinden von Informationen zu erleichtern, kann man sich an bestimmte Kontexte erinnern, wie Filmszenen oder Erlebnisse mit einer bestimmten Person. Je älter wir werden, desto mehr Informationen sind in unserem Gehirn abgelegt, oft auch assoziativ überlappend, was die Unterscheidung erschwert.
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Gedächtnis und geistige Leistung im Alter
Im Alter betreffen Gedächtnisstörungen häufiger das Kurzzeitgedächtnis. Ältere Menschen benötigen manchmal mehr Zeit, um neue Inhalte zu lernen und abzurufen. Die geistige Leistungsfähigkeit muss jedoch nicht zwangsläufig mit den Lebensjahren abnehmen. Eine aktive, gesunde Lebensweise unterstützt die Gehirnfunktionen.
Weitere Ursachen für Gedächtnisstörungen
Neben den genannten Faktoren gibt es weitere Ursachen für Gedächtnisstörungen, die medizinisch behandelt werden müssen.
Vorübergehende Gedächtnisschwächen
Schlafmangel, Stress, Zeitdruck, psychische Belastungen oder auch positive Ablenkung können die geistige Leistungsfähigkeit kurzzeitig negativ beeinflussen. Auch eine laute Umgebung erschwert die Konzentration. Einsamkeit und mangelnde Anregung lähmen ebenso die geistige Wachheit. Zudem spielt die körperliche Verfassung eine Rolle. Flüssigkeitsmangel kann sich unmittelbar auf die Denkleistung auswirken. Alkoholmissbrauch und Drogen können das Denkvermögen nachhaltig schädigen.
Krankhafte Ursachen
Auffällige Gedächtniseinbußen werden als Amnesie bezeichnet. Mögliche krankhafte Auslöser sind ein schlecht eingestellter Diabetes, Bluthochdruck, Infektionskrankheiten, Schilddrüsenstörungen oder Mangelerscheinungen wie Vitamin-B12-Mangel. Bestimmte Medikamente können zeitlich begrenzte Gedächtnisstörungen hervorrufen. Auch psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angsterkrankungen oder Psychosen beeinflussen Denkvorgänge und Gedächtnis.
Transiente globale Amnesie
Plötzlich streikt das Gedächtnis. Für die Betroffenen ist der vorübergehende Gedächtnisaussetzer äußerst beunruhigend. Sie können sich neue Eindrücke und Inhalte nur noch für wenige Sekunden merken. Mögliche Auslöser sind ungewohnte körperliche Anstrengung, psychische Belastung, ein Sprung ins kalte Wasser oder Geschlechtsverkehr. Nach höchstens einem Tag funktioniert das Erinnerungsvermögen wieder normal. Ein Arzt sollte den kurzzeitigen Gedächtnisverlust abklären, um eine eventuell dahinter verborgene Erkrankung auszuschließen.
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Demenzerkrankung
Alarmierend wird es, wenn sich deutliche Hirnleistungsstörungen abzeichnen, die Gedächtnisprobleme über Monate anhalten und weitere geistige Ausfälle dazukommen. Zu den am meisten gefürchteten Ursachen zählen Demenzerkrankungen aufgrund von Hirnabbauprozessen oder Durchblutungsstörungen. Warnzeichen für eine beginnende Demenz können unter anderem ein auffallend nachlassendes Kurzzeitgedächtnis, Wortfindungs- und Orientierungsprobleme sowie Veränderungen in der Persönlichkeit sein.
Weitere mögliche Ursachen
Weitere mögliche Gründe für eine abnehmende Gehirnleistung sind Hirntumore, Hirninfarkte, Entzündungen der Hirngefäße, Schädel-Hirn-Verletzungen, Sauerstoffmangel, epileptische Anfälle, entzündliche Erkrankungen des Zentralnervensystems oder eine schwere Alkoholerkrankung.
Tipps zur Verbesserung des Namensgedächtnisses
Es gibt verschiedene Strategien, um das Namensgedächtnis zu verbessern.
Konzentration und Wiederholung
Sich beim Kennenlernen darauf konzentrieren, sich wirklich den Namen zu merken. Die Person in der Unterhaltung mehrmals mit Namen ansprechen, um ihn sich besser einzuprägen. Das Gegenüber fühlt sich geschmeichelt und ernstgenommen, wenn ihr Name wiederholt wird.
Assoziationen und Bilder
Im Gehirn eine Hilfsbrücke bauen, indem man den Namen mit etwas Vertrautem assoziiert. Eine Möglichkeit, sich Namen besser einzuprägen, ist, sie mit einem konkreten Bild zu verbinden.
Notizen und digitale Hilfsmittel
Sich sofort Notizen machen oder sich den Namen im Smartphone abspeichern. Den neuen Kollegen oder die neue Kollegin noch am selben Tag auf beruflichen Netzwerken im Internet kontaktieren, um bei Bedarf "spicken" zu können.
Offene Kommunikation
Wenn der Name komplett vergessen ist, hilft nur nachfragen. Dabei hilft die Flucht nach vorne: "Entschuldige bitte, ich kann mir Namen ganz schlecht merken. Dafür kann ich mich noch an alle Details erinnern, die du mir erzählt hast!"
Gedächtnistraining
Ein gutes Namensgedächtnis ist letztlich auch eine Sache des Trainings. Es gibt wissenschaftlich geprüfte Gedächtnistrainings, die die fluide Intelligenz steigern und somit auch das Namensgedächtnis verbessern können.
Therapie von krankhaften Gedächtnisstörungen
Je nach Erkrankungsbild sind unterschiedliche therapeutische Maßnahmen angezeigt. Sind die Gedächtniseinbußen Folge einer inneren Erkrankung, normalisiert sich die geistige Leistungsfähigkeit in der Regel mit einer konsequenten Behandlung. Bei Bluthochdruck, ungünstigen Blutfettwerten oder Diabetes ist eine gute Einstellung der Werte wichtig, um die Entwicklung späterer Hirnleistungsstörungen zu verhindern. Ziel der Behandlung einer Demenzerkrankung ist es, die Selbstständigkeit des Patienten so lange wie möglich aufrechtzuerhalten. Hier helfen gezieltes Training der Gedächtnisfunktionen und Alltagskompetenzen im Rahmen von psychosozialen Therapien. Medikamente, sogenannte Antidementiva, können für gewisse Zeit die geistigen Fähigkeiten verbessern und den Hirnleistungsabbau hinauszögern.
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