Schwindel ist ein weit verbreitetes Symptom, das viele Menschen im Laufe ihres Lebens erfahren. Fachleute gehen davon aus, dass rund jeder dritte Erwachsene in Deutschland schon einmal moderaten bis starken Schwindel erlebt hat. Bei Menschen über 70 Jahre tritt Schwindel fast dreimal so oft auf wie bei jüngeren. Er ist ein häufiger Grund für Arztbesuche, wobei die Ursachen vielfältig sein können. Entsprechend den unterschiedlichen Ursachen und bestimmter charakteristischer Merkmale werden verschiedene Formen von Schwindel unterschieden. Daher ist es erforderlich, dass Schwindel interdisziplinär betrachtet und abgeklärt wird.
Vielfältige Erscheinungsformen des Schwindels
Schwindel ist nicht gleich Schwindel. Die Beschwerden sind von Mensch zu Mensch variabel. Betroffene mit Schwindel haben oft Schwierigkeiten, ihr Leiden zu beschreiben. Die Art des Schwindelgefühls kann unterschiedlich sein, wie Dreh-, Schwank- oder Benommenheitsschwindel. Zusätzlich können Begleiterscheinungen wie Gangunsicherheit, Hörprobleme oder Kopfschmerzen auftreten. Zum einen sollte man beschreiben können, ob es sich um einen Dreh- oder Schwankschwindel handelt, ob ein Liftschwindel (als wenn man mit einem Lift hinunterfährt), eine Fallneigung oder ein Taumeln mit Gangunsicherheiten auftreten. Zum anderen sollten die Dauer, die Häufigkeit sowie die Körperbewegungen, bei denen die Schwindelattacken ausgelöst werden, festgehalten werden. Wichtig ist auch die Angabe sogenannter Nebensymptome, welche gleichzeitig mit den Schwindelattacken auftreten. Hierzu gehören ein schlechteres Hören, ein plötzlich aufgetretenes Ohrgeräusch, ein Schwarzwerden vor Augen, ein Verschwommensehen sowie ein Augenflimmern.
Ursachenforschung: Ein interdisziplinärer Ansatz
Die Ursachen für Schwindel sind vielfältig und reichen von harmlosen Auslösern bis hin zu ernsthaften Erkrankungen. Hinter akuten Schwindelanfällen verbergen sich beispielsweise häufig neurologische Erkrankungen. Eine exakte Diagnose des vorliegenden Schwindels zu erstellen fällt in das Fachgebiet des Neurologen und des HNO-Arztes und beim phobischen Schwindel auch in den Bereich des Psychiaters. Schwindel bei Herzrhythmusstörungen sollte internistisch/kardiologisch abgeklärt werden.
HNO-ärztliche Ursachen
Die meisten Schwindel-Erkrankungen finden sich im Bereich des peripheren Gleichgewichtsapparates. Erkrankungen des Gleichgewichtsorgans im Innenohr sind nicht selten, daher kommt dem HNO-Arzt bzw. der HNO-Ärztin beim Symptom Schwindel eine wichtige Aufgabe zu. In Betracht als Auslöser für Schwindelbeschwerden kommen vor allem, meist viral-bedingte Entzündungen des Gleichgewichtsnervs (Nervus vestibularis) sowie Erkrankungen des im Innenohr gelegenen Gleichgewichtsorgans (Vestibularapparat) wie beim sogenannten Morbus Menière.
- Gutartiger paroxysmaler Lagerungsschwindel: Die häufigste Schwindelerkrankung ist der gutartige Lagerungsschwindel (benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel), welcher in den meisten Fällen in wenigen Tagen erfolgreich behandelt werden kann. Auslöser dieser Schwindelerkrankung sind kleine Kristalle im Gleichgewichtsorgan des Innenohrs, welche sich ablösen und in den so genannten Bogengang verrutschen. Hier lösen sie nach bestimmten Kopfbewegungen eine Fehlreizung aus und signalisieren dem Gehirn eine scheinbare Drehbewegung, wodurch ein Schwindelgefühl ausgelöst wird.
- Morbus Menière: Beim so genannten Morbus Menière liegt eine Erkrankung des Innenohres vor, bei der es neben Drehschwindel auch zu Ohrengeräuschen und einer Hörminderung kommt. Verantwortlich für die Attacke ist ein Aufstau von Flüssigkeit (Endolymphe) im Gleichgewichtsorgan. Ist der Druck entsprechend hoch kommt es zur Zerreißung einer Membran und zum Druckausgleich. Dies löst die Schwindelattacke aus.
- Neuritis vestibularis: Wenn der Schwindel länger als 24 Stunden anhält, liegt am ehesten eine Entzündung und der Ausfall eines Gleichgewichtsnerven vor (Neuritis vestibularis, auch Akute unilaterale Vestibulopathie genannt).
Neurologische Ursachen
Weitere Erkrankungen können mit Schwindel einhergehen. Dazu zählen Störungen des zentralen vestibulären Systems (z.B. Kleinhirnerkrankungen), Erkrankungen der Augen, des Kreislaufsystems (Herzrhythmusstörungen), des Muskelapparates und des peripheren Nervensystems (Polyneuropathie). Drehschwindel könne beispielsweise durch eine relative harmlose Entzündung des Gleichgewichtsnervs, durch Sonderformen der Migräne oder eine Störung der Innenohrfunktion hervorgerufen werden, aber auch durch eine lebensgefährliche Hirnblutung oder einen Hirntumor.
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- Zentraler Schwindel: Eine mögliche Ursache für Schwindel ist eine Funktionsstörung oder Schädigung im Gleichgewichtszentrum des Gehirns („zentraler“ Schwindel). Häufige, aber nicht notwendige Begleitsymptome bei Schädigungen im Hirnstamm oder Kleinhirn sind Sprech-, Schluck- oder Sehstörungen. Sie können auch mit Lähmungen verbunden sein.
- Multiple Sklerose: Entzündungsherde im Kleinhirn oder Hirnstamm verursachen häufig Schwindel und Störungen des Gleichgewichts.
- Parkinson: Dies beeinträchtigt die Gang- und Standsicherheit, was diffusen Schwindel mit Störungen des Gleichgewichts auslöst. Dazu tragen auch starke Schwankungen des Blutdrucks bei, die bei Menschen mit Parkinson häufig sind.
- Polyneuropathie: Dadurch entstehen Schwindelgefühl und Unsicherheit beim Gehen.
Weitere Ursachen
- Psychogener Schwindel: Schwindel kann auch seelisch bedingt sein. Man spricht dann von primärem oder sekundärem somatoformen Schwindel.
- Herz-Kreislauf-Probleme: Sie tritt häufig auch beim Aufstehen aus dem Sitzen oder Liegen auf (orthostatischer Schwindel).
- Stoffwechselstörungen: Zu niedrige Zuckerwerte bei Menschen mit Diabetes können zu Schwindel und Benommenheitsgefühl führen. Funktionsstörungen der Schilddrüse, insbesondere eine Unterfunktion, können Schwindel auslösen.
- Medikamente: Unerwünschte Nebenwirkungen von Medikamenten können zu Schwindel führen. Vor allem Beruhigungs- und Schlafmittel sowie muskelentspannende Mittel wirken dämpfend und können schwindlig machen. Harntreibende Mittel (Diuretika) und Herz-Kreislauf-Medikamente zählen ebenfalls dazu.
- Infekte: Schwindel bei Infekten (etwa grippale Infekte, COVID) kann Folge einer gestörten Kreislaufregulation sein.
- Hormonelle Veränderungen: Schwindel während der Periode kann unterschiedliche Ursachen haben. Schwindel während der Schwangerschaft entsteht durch Veränderungen des mütterlichen Organismus. Schwindel während der Wechseljahre ist ebenfalls häufig anzutreffen.
- Alkohol: Alkohol verursacht Schwindel, indem er die Kleinhirnfunktion und damit die Feinabstimmung der Körper- und Augenbewegungen beeinträchtigt. Am Tag danach verstärken Wassermangel im Körper (Dehydrierung), giftige Abbauprodukte des Alkohols, niedriger Blutzucker und schlechter Schlaf den Schwindel.
Diagnostik: Den Ursachen auf der Spur
Bereits aus einer exakten Beschreibung der Beschwerden kann man erste Rückschlüsse auf deren Ursache ziehen. Die Anamnese ist also ein wichtiger Teil der Diagnostik. Die Diagnostik von Schwindel erfordert eine sorgfältige Anamnese, körperliche Untersuchung und gegebenenfalls weiterführende Tests.
Anamnese
An erster Stelle der Anamnese steht das ausführliche Arzt-Patient-Gespräch. Eine Anamnese ist nichts anderes als eine umfassende Erfragung von möglichst aussagekräftigen Informationen zum subjektiven Schwindelgefühl und der Krankheitsgeschichte des Patienten.
Körperliche Untersuchung
Zunächst prüft man die Gang- und Standsicherheit, erschwert durch Stehen auf einem Bein oder den Seiltänzergang. Der vestibulo-okuläre Reflex lässt sich über den Kopfimpulstests prüfen. Ferner nutzt man eine Brille mit lupenartigen Gläsern. Die Patientin oder der Patient kann durch diese „Frenzelbrille“ keine Objekte fixieren. Auch erscheinen die Augen stark vergrößert.
Technische Untersuchungen
Je nach Ergebnissen entscheidet sich, ob im individuellen Fall noch eine weitere Diagnostik mit speziellen Hörtests oder mit einer radiologischen Darstellung des Gleichgewichtsorgans (z.B. MRT) erforderlich ist.
- Elektronystagmographie (ENG) / Videonystagmographie (VNG): Bei der Video-Nystagmographie (kurz: VNG) werden die Augenbewegungen entweder direkt per Darstellung auf einem vergrößernden Bildschirm oder einer Videobrille mit Hilfe mehrerer, kleiner Infrarotkameras erfasst.
- Thermische Vestibularisprüfung: Bei der thermischen Vestibularisprüfung wird im horizontale Bogengang des jeweiligen Ohres der Gleichgewichtssinn angeregt.
- Kopfimpulstest (KIT): Der Kopfimpulstest (KIT) ist ein Verfahren, mit welchem die Funktion jedes einzelnen Bogengangs im Innenohr nahezu isoliert untersucht werden kann.
- Weitere neurologische Untersuchungen: Zu den möglichen Untersuchungen beim Neurologen gehören eventuell eine Funktionsprüfung der Hirnnerven, eine Aufzeichnung der Hirnströme sowie bildgebende Verfahren.
Therapie: Individuelle Behandlungsansätze
Die Behandlung von Schwindel richtet sich immer nach der Ursache. Schwindel ist nicht immer heilbar, aber meist gut behandelbar. Es gibt verschiedene Therapieansätze, die je nach Ursache des Schwindels zum Einsatz kommen.
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Lagerungsmanöver
Abhilfe bringt in diesem Fall ein einfaches und gezieltes Lagerungsmanöver, das sogenannte "Befreiungsmanöver", welches die Steinchen an ihren ursprünglichen Ort zurück verlagert. Nach Anleitung durch den HNO-Arzt werden diese Übungen vom Patienten gezielt durchgeführt.
Medikamentöse Therapie
Insgesamt ist zu sagen, dass Medikamente gegen Schwindel häufig nur in geringem Ausmaß und meistens nur in der akuten Phase einer Schwindelattacke helfen. Danach sollten Sie abgesetzt werden um nicht einer Neueichung des Gleichgewichts-Systems im Wege zu stehen.
Physiotherapie
Die besten Behandlungsergebnisse sind durch Physiotherapie mit den Schwerpunkten Gleichgewichts- und Gangtraining auch unter Anwendung von spezifischen Lagerungsübungen zu erzielen.
Psychotherapie
Psychotherapie ist immer dann angezeigt, wenn der Schwindel psychiatrische Ursachen hat oder zu psychiatrischen Störung geführt hat.
Was tun bei akutem Schwindel?
Generell sollten sich Betroffene bei einer Schwindelattacke hinlegen und die Beine hoch lagern, sofern dieses möglich ist. Dadurch wird das Sturzrisiko verringert und eine mögliche Kreislaufschwäche gelindert. Bei akutem Schwindel darf man kein Kraftfahrzeug führen.
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Wann zum Arzt?
Grundsätzlich gilt, dass bei Schwindelattacken, die länger anhalten oder wiederkehren, unbedingt ein HNO-Arzt oder ein Neurologe aufgesucht werden sollte. Vor allem dann, wenn gleichzeitig mit dem Schwindel Hörstörungen und/oder Übelkeit auftreten, ist der HNO-Arzt der richtige Ansprechpartner. Wenn der Schwindel häufig auftritt, lange anhält oder die Lebensqualität einschränkt, sollte man ärztlichen Rat suchen. Hat der Schwindel erstmalig akut begonnen oder ist er sehr einschränkend? Ist der Schwindel von Symptomen wie Lähmungen, Unfähigkeit zu stehen, Sprach- oder Sehstörungen, starken Kopfschmerzen, Brustschmerzen oder Bewusstseinsverlust begleitet?
Spezialisierte Hilfe
Deutschlandweit haben Schwindelpatienten die Möglichkeit, sich bei akuten Schwindelanfällen in spezialisierte Schwindelambulanzen und Schwindelzentren zu begeben. Das Ziel ist immer, den Betroffenen, die unter häufigen und starken Schwindelbeschwerden leiden, schnell zu helfen.