Sedierung bei Demenz: Ursachen und Alternativen

Sedierung wird bei Demenz oft eingesetzt, um Unruhe oder Aggression zu dämpfen, doch die Risiken sind hoch, und Alternativen sollten sorgfältig geprüft werden. Ein Blick auf die Praxis des Ruhigstellens durch Sedierung bei Demenz und welche Alternativen möglich sind.

Was bedeutet Sedierung?

Der Begriff Sedierung stammt vom lateinischen «sedare» ab, was auf Deutsch «sinken lassen, beruhigen» bedeutet. Er bezeichnet in der Medizin die Dämpfung von Funktionen des zentralen Nervensystems mit Hilfe eines Beruhigungsmittels. Die Pharmakologie nennt ein solches Mittel «Sedativum», im Plural «Sedativa». Diese Arzneimittel mit sedierender Wirkung sind eine Untergruppe der Psychopharmaka.

Sedierung bei Demenz

Sedierung mit Hilfe von Arzneimitteln ist eine Form der Ruhigstellung. Bei Menschen mit Demenz werden Sedativa aufgrund der besonderen Symptome verordnet, die mit der Krankheit einhergehen. Viele Betroffene fallen im Verlauf der Erkrankung durch gravierende Persönlichkeits- und Verhaltensänderungen auf. Aus Überforderung oder als Folge von nicht behandelten Schmerzen können sie aggressiv werden, beschimpfen Pflegende oder wehren sich körperlich gegen Hilfestellungen.

Manche misstrauen Familie, Freunden oder Pflegenden, sie bestehlen zu wollen. Andere laufen nachts unruhig umher, weil sie nicht wissen, ob Tag oder Nacht ist oder sie sich bedroht fühlen. Wieder andere können enthemmt, sexuell aufdringlich oder apathisch werden. Das alles zu erleben, ist eine grosse Herausforderung für Angehörige und Pflegende. Obwohl die medizinischen Leitlinien dies nicht als erste Wahl vorsehen, greifen manche Ärzte und Pfleger zu Sedativa, um die Patienten ruhigzustellen.

Ursachen von Verhaltensstörungen bei Demenz

Bei einer Demenz entwickeln zwischen 76 und 96 % aller betroffenen Patienten im Verlauf der Erkrankung Symptome wie Aggressivität, Unruhe, Enthemmung, Affektlabilität oder Apathie. Diese Symptome bestehen neben kognitiven Einschränkungen und werden als „Verhaltensstörung bei Demenz“, „nichtkognitive Symptome“ oder „herausforderndes Verhalten“ bezeichnet. Verhaltensstörungen sind nicht nur Begleiter der Demenzerkrankung, sie haben auch nachvollziehbare und oft behandelbare Ursachen.

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Aggressivität und Enthemmung führen zu einer raschen Vorstellung beim Arzt, da sie mit offenkundigem Fehlverhalten verbunden sind. Sie treten jedoch nur in bis zu 50 % der Fälle auf. Viel häufiger entwickeln Demenzerkrankte Apathie und gedrückte Stimmung (50-90 %). Oft werden diese Störungen jedoch übersehen, da ihnen die Dramatik im klinischen Kontext fehlt. Die neuen S3-Leitlinien zur Demenz stärken besonders die nichtmedikamentösen Therapieverfahren der Verhaltensstörung bei Demenz.

Ätiologie und Pathogenese

Die Pathogenese der Verhaltensstörung ist multifaktoriell. Bezüglich biologischer Ursachen wird die metabolische Hypothese favorisiert, bei der von einer Dysregulation der Hypophysen-Hypothalamus-Nebennierenrinden-Achse („Stress-Achse“) und einer resultierenden Imbalance im Transmittersystem mit Auftreten von Wahn (Dopamin) und depressiver Symptomatik (Serotonin) ausgegangen wird. Die Atrophie im Bereich der Nucleus raphe dorsalis (Serotoninmangel) kann ebenfalls zu affektiven Symptomen führen. Die frühzeitige Atrophie des paralimbischen Systems, wie bei Alzheimer-Demenz, kann durch den Eingriff in das dopaminerge Stoffwechselsystem zu Aggressivität durch Wahnsymptome (Vergiftung, Bestehlung) führen, während die Aggressivität bei fronto-temporaler Demenz eher durch Enthemmungsphänomene entsteht. Affektlabilität (Stimmungsschwankungen) bei vaskulären Demenzen kann ebenfalls Aggressivität verursachen. Eine solche ätiologische Unterscheidung der Aggressivität kann hilfreich sein, um differenziert zu therapieren.

Psychologische oder Umfeld-assoziierte Faktoren, wie ein defizitorientierter Umgang (unbewusste kontinuierliche Konfrontation mit den Defiziten) mit dem Erkrankten, und somatische Begleiterkrankungen sind ebenfalls anzuführen. Auch die durch die kognitiven Defizite, wie Desorientierung, Wortfindungsstörungen (Aphasie) oder Störung der Gesichtserkennung (Prosopagnosie), entstandene veränderte Wahrnehmung der Umwelt trägt zu Verhaltensstörungen bei.

Verhaltensstörungen können aber auch infolge somatischer oder psychiatrischer Komorbidität auftreten, die erkannt und spezifisch behandelt werden könnten. Eine rein symptombezogene, symptomatische Therapie (zum Beispiel bei Aggressivität) kann dagegen zu langfristigem Einsatz von Neuroleptika mit Polypharmazie, Nebenwirkungen und erheblichen Kosten für das Gesundheitssystem führen.

Somatische Ursachen von Verhaltensstörungen

In der klinischen Arbeit zeigt sich, dass ein Teil der Verhaltensstörungen somatische Ursachen hat:

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  • Aggressivität, Unruhe und Enthemmung: Wichtige Ursache für diese Symptome sind Schmerzen im Rahmen von Stürzen, unerkannten Frakturen, Osteoporose oder Schmerzen durch fehlsitzende Zahnprothesen (Atrophie des Kiefers). Durch kognitive Defizite sind mittelschwer bis schwer Demenzerkrankte nur unzureichend in der Lage, Schmerzen zu äußern („underreporting of pain“) oder schmerzlindernde Haltungen einzunehmen. Infolge dessen tritt ein unspezifisches Gequältsein auf, das zu Aggressivität führen kann.

    Eine Neuroleptika-Überdosierung wie auch internistische Erkrankungen (Hyperthyreose, Harnwegsinfekte) können Aggressivität auslösen. Bei Missachtung des Grundsatzes „start-low-go-slow“ kann die zu rasche und zu hohe Neuroleptika-Dosierung Verhaltensstörungen auslösen. Therapie wäre das Ausschleichen des Neuroleptikums. Linkshemisphärielle Ischämien können zu einer organisch-affektiven Störung mit Affektlabilität und Unruhe oder zu einer organisch-wahnhaften Störung mit Bestehlungs- oder Vergiftungswahn und Aggressivität führen.

  • Scheinbare Nahrungsverweigerung und Apathie: Die Nichtaufnahme von Nahrung kann durch eine somatische oder psychiatrische Komorbidität entstanden sein. Häufige Ursache ist die Besiedelung der atrophen Magenschleimhaut mit Helicobacter pylori. Die resultierende chronische Gastritis, die kognitiven Defizite und der Appetitverlust führen dazu, dass aus Angst vor Schmerzen keine Nahrung aufgenommen wird. Aufgrund der kognitiven Defizite kann dies nicht geäußert werden; es entsteht der Eindruck der Nahrungsverweigerung. Weitere Ursachen sind die Überdosierung mit Digitalis, Psychopharmaka oder eine Polypharmazie. Linkshemisphäriell gelegene Ischämien können zur „post stroke depression“ mit Antriebslosigkeit und Appetitminderung führen. Hier wäre eine antidepressive Behandlung angezeigt.

  • Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen: Davon betroffene Patienten sind nachts wach und agitiert, tagsüber schläfrig und apathisch. Ursächlich können defizitorientiertes Vorgehen durch Bezugspersonen und somatische Begleiterkrankungen sein. Psychopharmakaüberdosierung und der unkritische Einsatz von Neuroleptika oder Benzodiazepinen führen bei dauerhafter Anwendung zum Persistieren der Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen. Eine dekompensierte Herzinsuffizienz mit Nykturie und häufigem Erwachen ist oft zu beobachten. In diesem Fall sollte die Herzinsuffizienz behandelt und es sollten keine Neuroleptika eingesetzt werden. Neuroleptika könnten zur Verstärkung der Herzinsuffizienz führen und damit die Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen verschlimmern. Auch an nächtliche Hypoglykämien muss gedacht werden.

  • Wahn und Halluzinationen: Bestehlungs- und Vergiftungswahn sowie optische Halluzinationen treten in 30-50 % der Fälle auf. Somatische Ursache können eine Hyperthyreose, Störungen des Blutzuckerstoffwechsels, eine Digitalis-Überdosierung, anticholinerge Nebenwirkungen und eine Psychopharmaka-Überdosierung sein. Auch Seh- oder Hörminderungen begünstigen wahnhafte Symptome. Kraepelin beschrieb 1915 den „Verfolgungswahn der Schwerhörigen“. Es ist wichtig, sensorische Defizite auszugleichen.

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Psychologische und Umfeld-assoziierte Ursachen

Der unbewusst defizitorientierte Umgang mit Demenzpatienten durch ungeschultes Pflegepersonal oder Angehörige mündet in eine kontinuierliche Konfrontation mit krankheitsbedingten Einschränkungen. Da im Rahmen der Atrophie des Hippocampus die Lernfähigkeit verringert wird, führt das tägliche „Einüben“ von Zusammenhängen (Datum, Namen), die für den Alltag verzichtbar sind, je nach prämorbider Persönlichkeit zu Aggressivität oder Depressivität und zur Minderung des Selbstwertgefühls. Vor dem Hintergrund der schwierigen psychosozialen Situation von Demenzkranken (Verlust, Umzug ins Heim) und fehlender kognitiver Verarbeitung, ist im klinischen Alltag die Verstärkung von Verhaltensstörungen zu beobachten.

Posttraumatische Belastungsstörungen zum Beispiel als Ergebnis von Traumatisierungen durch den zweiten Weltkrieg können nun, bei eingeschränkter Kognition, zu Angstzuständen, Schlafstörungen, Alpträumen und Aggressivität führen. Bereits prämorbid bestehende affektive und psychotische Störungen oder Persönlichkeitsakzentuierungen sind geeignet, nun Verhaltensstörungen hervorzurufen oder zu verstärken und müssen im therapeutischen Gesamtkonzept berücksichtigt werden.

Diagnostik und Differenzialdiagnostik

Zunächst sollte die Verhaltensstörung als solche identifiziert und zugeordnet werden. Der Demenztyp ist zu beachten. Alzheimerkranke zeigen durch die limbische und paralimbische Atrophie Wahnsymptome oder Halluzinationen und durch frühzeitige Involvierung der hinteren Raphekerne Depressivität. An fronto-temporaler Demenz Erkrankte erleiden frühzeitig Enthemmungsphänomene und emotionale Indifferenz. Vaskuläre Demenzerkrankungen können durch Affektlabilität imponieren, Lewy-Körperchen-Demenzen durch ausgeprägte, wenig affektbeladene, szenische Halluzinationen.

Die Abgrenzung vom Delir als Verwirrtheitszustand mit organischer Ursache, Bewusstseinsänderung, gestörter Aufmerksamkeit, vegetativen Symptomen und anderen kognitiven Defiziten ist notwendig. Ein Kriterium der Abgrenzung von Verhaltensstörungen ist die Unfähigkeit, Aufmerksamkeit auf etwas zu richten, sie zu verlagern oder aufrechtzuerhalten.

Wichtig ist, die beschriebenen somatischen Komorbiditäten zu erkennen und zu behandeln. Auslösende Faktoren und Situationen sind mittels Fremdanamnese konkret zu identifizieren. Ein Patient mit fortgeschrittener Demenz, der seine verstorbene Ehefrau sucht und permanent hört, dass sie „doch tot“ sei, wird zwangsläufig Verhaltensstörungen entwickeln. Ein psychischer Befund ist hilfreich. Zu achten ist auf Wahnerleben, Stimmungsschwankungen, Appetitverlust und Schlafstörungen. Spezifische Skalen können zur Beurteilung von Ursachen (zum Beispiel Schmerzen, Depression) und Schweregrad der Verhaltensstörungen eingesetzt werden.

Nebenwirkungen und Risiken der Sedierung

Allerdings haben diese Medikamente teils erhebliche Nebenwirkungen. Sedativa können die Auffassungsgabe, die Konzentration sowie das Sprachverständnis und das Ausdrucksvermögen Demenzkranker beeinträchtigen und ausserdem Muskelsteifigkeit, Muskelschwäche, Antriebslosigkeit und Schläfrigkeit auslösen. Damit ist nicht selten auch ein erhöhtes Sturzrisiko verbunden. Oft zeigen diese Medikamente auch gar keine oder eine gegenteilige Wirkung bei Menschen mit Demenz.

Neuroleptika

Über 40 Prozent aller Heimbewohner, die an Demenz leiden, erhalten dauerhaft Neuroleptika, eine Untergruppe der Sedativa. Sie wirken gegen Erregungszustände, Wahnideen, Halluzinationen und Denkzerfahrenheit. Ziel ist es, Symptome wie Aggressivität, Reizbarkeit und Unruhe zu lindern. Doch Studien zeigen: Die Nebenwirkungen überwiegen oft den Nutzen. Muskelanspannungen, Gang- und Sprachstörungen, Zittern und sogar eine erhöhte Sterblichkeit wurden dokumentiert.

Spätestens seit den drastischen Warnungen der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) vor einer erhöhten Mortalität bei Demenzkranken - zunächst für den Einsatz sogenannter atypischer Antipsychotika (2005), später auch für die älteren Antipsychotika (2008) - und der Bekräftigung der Warnung im November 2008 durch die European Medicines Agency (jetzt EMA) sollte deutlich geworden sein, dass Antipsychotika für Demenzkranke eine potenzielle Gefahr darstellen. Das in zahlreichen großen epidemiologischen Studien wiederholt gefundene erhöhte Risiko ist offenbar dosisabhängig, betrifft Schlaganfälle, plötzlichen Herztod sowie andere schwerwiegenden Ereignisse wie Stürze mit Frakturen, Thrombosen oder Pneumonien.

Bei bestimmten Demenzen, wie der Demenz mit Lewy-Körperchen (DLB), ist eine oft fatale Überempfindlichkeit gegen Neuroleptika schon lange bekannt und hier sogar Teil der klinischen Diagnosekriterien geworden. Auch bei den frontotemporalen Demenzen (FTD) werden Neuroleptika wahrscheinlich schlechter vertragen als bei der Demenz vom Alzheimer-Typ.

Dieses Risiko wäre möglicherweise in Kauf zu nehmen, wenn die Wirkung von Antipsychotika auf die psychotischen Symptome und Verhaltensstörungen von Demenzkranken überzeugend wäre. Das ist leider nicht der Fall. So hat beispielsweise CATIE-AD, der Demenz-Teil der CATIE-Studie, keine Überlegenheit der Antipsychotika in den Verum-Armen (Risperidon, Olanzapin und Quetiapin) gegenüber Plazebo bei der Behandlung psychotischer Symptome bei Alzheimer-Demenz nachweisen können. In randomisierten, Plazebo-kontrollierten Absetzstudien wie beispielsweise dem DART-AD Trial oder der Studie von Kleijer et al. (2009) profitierte nur die Gruppe der Demenzkranken mit den schwersten Verhaltensstörungen vom Einsatz von Antipsychotika.

Benzodiazepine

Benzodiazepine sind häufig angewandte Beruhigungsmittel bei nächtlicher Unruhe und Aggression. Doch auch hier gibt es grosse Risiken: erhöhte Sturzgefahr, Abhängigkeit, Lungenentzündungen und eine um rund 40 Prozent erhöhte Sterblichkeit. Fachgesellschaften empfehlen daher: Nichtmedikamentöse Maßnahmen sollten immer erste Wahl sein.

Fehlversorgung durch Sedierung

Laut einer Analyse der Techniker Krankenkasse (2018) zeigt sich eine «flächendeckende Fehlversorgung». Nur 14 Prozent der Betroffenen erhielten ein spezifisches Anti-Dementivum, 26 Prozent wurden ausschliesslich mit einem Sedativum behandelt. Es entsteht der Eindruck, dass viele Menschen mit Demenz lediglich ruhiggestellt werden, anstatt eine passende Therapie zu erhalten.

Auch der Deutsche Ethikrat mahnt zur Vorsicht: Sedierung darf nur als «Ultima Ratio» eingesetzt werden. Diagnostik, Indikationsstellung, Dosierung und Fortführung sollten streng überwacht und dokumentiert werden. Pflegeanbieter sind verpflichtet, Maßnahmen zur Reduktion von Sedierungen umzusetzen.

Therapie von Verhaltensstörungen

Verhaltensstörungen sind integraler Bestandteil des Demenzsyndroms und einer therapeutischen Intervention zugänglich. Hilfreich sind pflegerische Verfahren zur Prävention eines Delirs bei Demenz.

Die Therapie von Verhaltensstörungen sollte im therapeutischen Gesamtkonzept aufeinander abgestimmter nichtmedikamentöser und medikamentöser Behandlungsansätze durchgeführt werden. Im ersten Schritt erfolgt die Psychoedukation aller beteiligten Personen in validierendem, ressourcenorientiertem Umgang. Dann müssen auslösende Faktoren und Situationen erkannt und vermieden werden.

Psychopharmaka sollten dann eingesetzt werden, wenn die nichtmedikamentösen Interventionen nicht effektiv waren. Zuvor muss eine gründliche somatische Abklärung erfolgen. Es sollte nicht vordergründig gefragt werden „Welches Medikament soll der Patient bekommen?“, sondern „Was hat er eigentlich?“.

Medikamentöse Therapie

Antidementiva (Galantamin, Donepezil, Rivastigmin, Memantin) und Psychopharmaka sind bei Verhaltensstörungen wirksam.

Zuerst wird eine somatische Grunderkrankung medikamentös behandelt, wie zum Beispiel ein Harnwegsinfekt mit einem Antibiotikum. Die Psychopharmakotherapie der möglicherweise aus dem Harnwegsinfekt resultierenden Aggressivität ist symptomatisch und zeitlich begrenzt. Anticholinerg wirksame, sedierende und muskelrelaxierende Medikamente sollten gemieden werden, ebenso Medikamente mit hohem Interaktionspotenzial (PRISCUS-Liste).

Behandlung psychotischer Symptome, gesteigerter Psychomotorik und Aggressivität

Eine Neurolepsie erfolgt mittels hochpotent atypischer Neuroleptika, wenn akute Gefährdungssituationen oder schwere psychotische Symptome vorliegen. Eine langsame Aufdosierung („start low go slow“) über 1-2 Wochen und ein kurzfristiger Einsatz aufgrund zerebro- und kardiovaskulärer Risiken sowie erhöhter Mortalität sind zu beachten. Mittel der Wahl ist Risperidon. Olanzapin, Quetiapin und Aripiprazol wirken auf Aggressivität, nicht jedoch auf Wahnsymptome. Olanzapin hat anticholinerge Nebenwirkungen.

Klassische Neuroleptika wie Haloperidol (erhöhtes Risiko für extrapyramidal motorische Nebenwirkungen) oder niederpotente Neuroleptika wie Melperon (Sedierung, Sturzrisiko) sollten kritisch verwendet werden.

Als Neuroleptika bei Demenz mit Lewy-Körperchen sind Clozapin und Quetiapin ohne Verschlechterung der Parkinsonsymptomatik geeignet. Benzodiazepine sollten allenfalls kurzfristig eingesetzt werden. Es bestehen Abhängigkeitspotenzial, erhöhte Sturzgefahr sowie Depressiogenität. Wenn notwendig, sollten Oxazepam oder Lorazepam, die ihre Halbwertszeit im Alter nicht erhöhen, verwendet werden. Carbamazepin wirkt auf agitiertes und aggressives Verhalten, hat aber auch ein hohes Interaktionspotenzial. Valproinsäure zeigt keine Effekte bei agitiertem oder aggressivem Verhalten.

Behandlung affektiver Symptome und Apathie

Am besten sind Serotinwiederaufnahmehemmer zur Behandlung einer affektiven Symptomatik untersucht. Eine Hyponatriämie mit Verschlechterung kognitiver Defizite oder Delir kann gelegentlich auftreten. Fluoxetin und Paroxetin (hohes Interaktionspotenzial) oder Trizyklika (anticholinerge Nebenwirkungen) sollten gemieden werden. Citalopram zeigte Wirksamkeit. Keine randomisierten kontrollierten Studien existieren zu Mirtazapin, Escitalopram, Venlafaxin, Reboxetin und Duloxetin. Der Einsatz erfolgt als individueller Heilversuch. Trazodon hat einen positiven Effekt auf Angstzustände. Risiken sind Sedierung, hypertone Entgleisung und Priapismus. Die Behandlung der Apathie ist nicht ausreichend untersucht. Der Einsatz von Antidementiva als individueller Heilversuch kann jedoch hilfreich sein.

Nichtmedikamentöse Therapieverfahren

Zu psychosozialen Interventionen liegen evidenzbasierte Daten vor. Effektstärken für Erinnerungstherapie, Ergotherapie, körperliche Aktivitäten und aktive Musiktherapie wurden publiziert.

Zunächst müssen alle Personen, die an der Betreuung des Patienten beteiligt sind, eine Psychoedukation und Schulung erhalten, um einen defizitorientierten Umgang zu vermeiden. Mögliche Auslöser der Verhaltensstörungen durch das Verhalten der Bezugspersonen müssen reduziert werden. In der Kommunikation mit dem Kranken sind kurze, prägnante Sätze, eine flexible Wortwahl und eine sonore, angenehme Stimmlage hilfreich.

Welche Alternativen gibt es?

Reto Kressig von der Schweizerischen Gesellschaft für Geriatrie betont: Zuerst sollten immer alle nichtmedikamentösen Maßnahmen ausgeschöpft werden. Beispielsweise:

  • Bei Schlafstörungen: Schlafumgebung optimieren, Lichtverhältnisse verbessern
  • Bei Unruhe oder Aggression: Validierende Gespräche, Beschäftigung, Bewegung, Musik
  • Bei Schmerzen: Ursachen gezielt behandeln, körperliche Beschwerden früh erkennen
  • Allgemein: Biografisch passende Rituale, Tagesstruktur und soziale Teilhabe

Sind Medikamente unumgänglich, muss individuell abgewogen werden, ob sie wirklich notwendig sind.

DECIDE-Projekt zur Reduktion sedierender Psychopharmaka

Um die Verschreibungshäufigkeit von dämpfenden Psychopharmaka bei dementiell erkrankten Bewohnerinnen und Bewohnern in Pflegeheimen und ambulant betreuten Wohngemeinschaften in Bayern nachhaltig zu reduzieren, wurde das DECIDE-Projekt ins Leben gerufen. DECIDE steht für Reduktion sedierender Psychopharmaka bei Heimbewohnerinnen und Heimbewohnern mit fortgeschrittener Demenz. Das Projekt wurde vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege gefördert und 2023 abgeschlossen.

Das Projekt richtete sich an alle, die mit Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohner mit Demenz zu tun haben: Angehörige, Ärztinnen und Ärzte, Pflegepersonal, Amtsrichterinnen und -richter, Apothekerinnen und Apotheker. Die Aufklärung stand im Vordergrund. Ziel war es, die Angst vor dem so genannten De-prescribing - dem schrittweisen Reduzieren bis hin zum Absetzen der Medikamente - zu nehmen. Denn es gibt Studien, die zeigen, dass das in vielen Fällen ohne Nebenwirkungen möglich ist. Wichtig ist, Antipsychotika nicht zu verteufeln.

Im Rahmen des Projekts wurden 50 zufällig ausgewählte Pflegeheime in Bayern und zehn Demenz-WGs besucht. Dort wurden die Medikationspläne angeschaut und für einzelne Fälle auf Basis der Pflegeberichte der letzten drei bis vier Monate Empfehlungen gegeben - zum Beispiel, ob und wie man eine Dosis reduzieren oder ein Medikament absetzen könnte. Die letztendliche Entscheidung lag natürlich immer bei der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt. Außerdem wurde bei den Besuchen eine Fortbildung für das Pflegepersonal angeboten, die immer sehr großen Anklang fand.

Die Ergebnisse des DECIDE-Projekts zeigten, dass ein großer Teil der Menschen mit Demenz in Pflegeeinrichtungen sedierende Psychopharmaka erhält - häufig dauerhaft und ohne regelmäßige Überprüfung der Indikation. Angesichts der Tatsache, dass in den meisten Fällen die Empfehlung zum Ausschleichen oder Absetzen der sedierenden Medikation ausgesprochen wurde, weil über mindestens drei Monate keine Verhaltenssymptome mehr dokumentiert waren, legt nahe, dass die ursprüngliche Indikation möglicherweise gar nicht mehr gegeben war - es aber einfach nicht aufgefallen ist.

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