Viele Menschen mit Polyneuropathie wünschen sich ein Leben ohne Angst, wieder am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über Möglichkeiten der Selbstbehandlung, insbesondere durch einfache Übungen, die zu Hause durchgeführt werden können, um die Lebensqualität zu steigern, Symptome zu reduzieren und den Gleichgewichtssinn sowie die Leistungsfähigkeit im Alltag zu verbessern.
Warum Selbstbehandlung bei Polyneuropathie wichtig ist
Obwohl professionelle Hilfe im Gesundheitswesen bei einer komplexen Erkrankung wie Polyneuropathie ratsam erscheint, gibt es nur wenige Medikamente, die tatsächlich helfen. Selbst wenn Physiotherapeuten ihr Bestes geben, bleibt oft nicht genügend Zeit, um bei den wenigen Terminen wesentliche Veränderungen zu bewirken. Seriöse Therapeuten bestätigen daher, dass Eigeninitiative und regelmäßiges Üben entscheidend sind, um Fortschritte zu erzielen.
Das Prinzip des Trainings bei Polyneuropathie
Der Schlüssel zum Erfolg liegt in einem Trainingseffekt, der nur durch häufiges Üben erzielt werden kann. Dabei muss das Training weder lange dauern noch körperlich anstrengend sein. Entscheidend ist, das Nervensystem regelmäßig zu trainieren.
Ergänzende physiotherapeutische Methoden
Zusätzlich zu den hier vorgestellten Übungen können Vibrationstraining, Elektrotherapie und Massagen durch Physiotherapeuten die Schmerzen bei Polyneuropathie auf unterschiedliche Weise lindern.
Sicherheit geht vor: Vorbereitung auf die Übungen
Bevor Sie mit den Übungen beginnen, ist es wichtig, sich vorzubereiten, um Verletzungen zu vermeiden. Stellen Sie sich idealerweise zwischen einen Tisch und einen Sessel, um sich bei Gleichgewichtsverlust festhalten oder auffangen zu können.
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Individuelle Beratung und Anpassung
Jeder Mensch ist anders, und so ist es wichtig, die Übungen an die eigenen Fähigkeiten anzupassen. Individuelle Fragen zu den Übungen, der Häufigkeit und zusätzlichen Maßnahmen können persönlich beantwortet werden, um ein maßgeschneidertes Trainingsprogramm zu erstellen.
Übungen für sicheres Stehen und Gehen
Gleichgewichtsübungen
Ziel ist es, wieder sicher stehen zu können. Bereits zwei Minuten pro Übung können helfen, das Gleichgewicht, die Körperwahrnehmung und die Symptome zu verbessern. Integrieren Sie diese Übungen regelmäßig in Ihren Alltag.
Schwierigkeitsgrade anpassen
Passen Sie den Schwierigkeitsgrad der Übungen an Ihre Fähigkeiten an. Beginnen Sie beispielsweise, indem Sie sich an einem Tisch festhalten und die Füße direkt nebeneinander stellen. Steigern Sie die Schwierigkeit, indem Sie einen Fuß etwas nach vorne setzen oder versuchen, auf einem Bein zu stehen.
Augen schließen
Eine zusätzliche Steigerung bei allen Übungen ist das Schließen der Augen. Dadurch werden visuelle Informationen ausgeblendet, und das Nervensystem ist stärker auf die Selbstwahrnehmung angewiesen, um das Gleichgewicht zu halten.
Gehübungen
Sicheres Gehen ist im Alltag von großer Bedeutung. Beginnen Sie damit, in Zeitlupe zu gehen, um die Zeit, die Sie auf einem Bein stehen, zu verlängern. Steigern Sie die Schwierigkeit, indem Sie bei jedem Schritt das Knie anheben oder die Übung mit geschlossenen Augen oder auf den Zehenspitzen ausführen.
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Schrittlänge trainieren
Viele Patienten mit Polyneuropathie neigen zu kurzen Trippelschritten, was jedoch instabil und anstrengend ist. Trainieren Sie stattdessen, möglichst große Schritte zu machen. Zählen Sie, wie viele Schritte Sie für eine bestimmte Strecke benötigen, und versuchen Sie, diese Strecke mit weniger Schritten zu bewältigen.
Übungen mit Alltagsgegenständen
Kein spezielles Equipment notwendig: Ein Balance-Pad und ein Übungsball können hilfreich sein, sind aber nicht unbedingt erforderlich.
Gleichgewicht unter Ablenkung trainieren
Um im Alltag gut vor Stürzen geschützt zu sein, muss das Gleichgewicht auch unter Ablenkung gehalten werden können. Beginnen Sie damit, mit geschlossenen Beinen zu stehen und einen Ball von einer Hand in die andere zu legen.
Spaß am Training
Das Training wirkt besser, wenn es Spaß macht. Üben Sie gemeinsam mit einem Trainingspartner oder integrieren Sie Bewegungen aus anderen Sportarten, die Ihnen Freude bereiten.
Alltagsnahe Übungen
Üben Sie Gehen unter Ablenkung, indem Sie beispielsweise von der Wohnung zur S-Bahn-Station gehen und sich dabei mit Nachbarn unterhalten.
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Koordinationsübungen für die Hände
Auch die Hände können von gezieltem Training profitieren.
Flasche balancieren
Nehmen Sie eine leere Plastikflasche und stellen Sie sie auf die ausgestreckte Handfläche. Balancieren Sie die Flasche und versuchen Sie, Ihre Finger abwechselnd einzeln zu beugen oder zu strecken.
Knöpfe öffnen und schließen
Viele Menschen mit Polyneuropathie haben Probleme mit dem Öffnen und Schließen von Knöpfen. Üben Sie diese Tätigkeit, indem Sie ein Hemd oder eine Bluse nehmen und die Knöpfe immer wieder auf- und zumachen. Kombinieren Sie diese Übung mit Gleichgewichtsübungen, indem Sie beispielsweise auf einem Bein stehen.
Schönschreiben
Versuchen Sie, besonders schön und präzise zu schreiben. Dies verbessert die Datenverarbeitung im Gehirn und kann gegen die Symptome der Polyneuropathie helfen.
Weitere Übungen für die Feinmotorik
Zeichnen, Handarbeit oder Modellbau sind ebenfalls sinnvolle Tätigkeiten, um die Feinmotorik zu trainieren und das Körpergefühl sowie die Bewegungskontrolle der Hände zu verbessern.
Die Bedeutung des Nervensystems beim Training
Um die Polyneuropathie zu verbessern, ist es wichtig, das Nervensystem zu fordern. Durch Gleichgewichtstraining muss das Nervensystem ständig wahrnehmen, wie sich der Körper bewegt, und auf kleinste Änderungen reagieren. Diese Präzisionsarbeit, die durch die Nervenschäden erschwert wird, führt zu einer Verbesserung des Gleichgewichts und der Symptome der Polyneuropathie.
Die Rolle des Gehirns bei Polyneuropathie
Nervenschäden in der Peripherie des Körpers können dazu führen, dass das Gehirn die Signale aus dem Körper nicht mehr richtig interpretieren kann, was zu Taubheitsgefühlen oder Überempfindlichkeit führt. Das Gehirn ist jedoch anpassungsfähig, und Gleichgewichtstraining bewirkt vor allem eine Anpassung des Gehirns, indem es die Wahrnehmung, Interpretation und Reaktion auf Signale aus dem Körper verbessert.
Wichtige Hinweise für das Training
Verausgaben Sie sich nicht bei den Übungen. Es geht nicht darum, Muskeln aufzubauen oder die Ausdauer zu trainieren, sondern das Nervensystem zu schulen. Machen Sie regelmäßig Pausen, da das Nervensystem im frischen, ermüdungsfreien Zustand am besten lernen kann.
Polyneuropathie und Sport
Achten Sie beim Sport darauf, sich nicht zu verletzen. Seien Sie vorsichtig und vermeiden Sie übertriebene Vorsicht, damit die Bewegung Spaß macht. Ein gut trainiertes Gleichgewicht hilft, gefährliche Positionen zu vermeiden, da die verbesserte Wahrnehmung und Bewegungskontrolle rechtzeitig reagieren lassen.
Training im Alter und bei schwerer Polyneuropathie
Auch Menschen mit schwerer Polyneuropathie und ältere Menschen können trainieren. Passen Sie die Übungen an Ihre individuellen Fähigkeiten an.
Medikamentöse Behandlung von Polyneuropathie
Bei Nervenschmerzen können Schmerzmittel wie ASS oder Paracetamol helfen. In schweren Fällen können Opioide verschrieben werden, jedoch nur unter ärztlicher Aufsicht, da sie abhängig machen können. Krampflösende Medikamente wie Gabapentin oder Pregabalin können ebenfalls helfen, die Erregbarkeit der Nervenzellen zu reduzieren. Antidepressiva wie Amitriptylin können die Weiterleitung von Schmerzsignalen im Rückenmark hemmen.
Physikalische Therapie bei Polyneuropathie
Die transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) kann bei Nervenschmerzen helfen, indem sie sanfte elektrische Impulse in die schmerzhafte Hautregion abgibt. Physiotherapie, Wechselbäder, Elektrobehandlung gelähmter Muskeln sowie warme und kalte Wickel können ebenfalls die Durchblutung steigern und geschwächte Muskeln stärken.
Weitere Maßnahmen bei Polyneuropathie
Bei Wadenkrämpfen kann ein Magnesium-Präparat helfen. Orthopädische Hilfsmittel wie spezielle Schienen oder Schuhe können bei Gehproblemen sinnvoll sein. Bei Problemen im Magen-Darm-Trakt kann eine Umstellung der Essgewohnheiten helfen. Gegen Kreislaufprobleme helfen langsames Aufstehen, Stützstrümpfe und regelmäßiges Muskeltraining. Bei Blasenbeschwerden sollten Patienten regelmäßig zur Toilette gehen.
Ursachen und Risikofaktoren von Polyneuropathie
Polyneuropathie kann erblich bedingt oder im Laufe des Lebens erworben sein. Häufige Ursachen sind Diabetes, Alkoholmissbrauch, Entzündungen, Autoimmunerkrankungen, Vitaminmangel, Medikamente, Kontakt mit giftigen Substanzen, HIV-Infektionen, Krebserkrankungen und hormonelles Ungleichgewicht.
Diagnose von Polyneuropathie
Die Diagnose umfasst ein Gespräch mit dem Arzt, eine körperliche Untersuchung sowie verschiedene Untersuchungsmethoden wie Elektroneurographie, Elektromyographie, Urin-, Gehirnwasser-, Blut- oder Gewebeproben sowie genetische Tests und bildgebende Verfahren.
Tipps für die Vorsorge und mehr Lebensqualität
- Blutzucker kontrollieren: Regelmäßige Kontrolle und Einnahme von Medikamenten bei Diabetes.
- Füße kontrollieren: Regelmäßige Kontrolle auf Wunden.
- Bewegen: Aquagymnastik oder Gehtraining können helfen.
Naturheilkundliche Therapieansätze
Neben der Behandlung der Grunderkrankung können naturheilkundliche Ansätze zur Linderung der Beschwerden beitragen.
Hydro- und Thermotherapie
Trockenbürsten, Igelball, Sandbäder, Klopfungen, Wassertreten nach Kneipp, kalte Unterschenkelgüsse, ansteigende Teilbäder, Vollbäder mit Zusatz von Fichtennadeln oder Heublumen und Lehmpackungen können die Durchblutung anregen und schmerzlindernd wirken.
Ernährung und Vitamine
Eine ausgewogene Ernährung mit viel Gemüse, Obst und Vollkornprodukten sowie die Vermeidung von extremen Diäten und toxischen Einflüssen (Alkohol) sind wichtig. Bei Mangelzuständen können Vitamin-B1-, Vitamin-B12- oder Folsäurepräparate sowie Alpha-Liponsäure sinnvoll sein.
Ordnungstherapie
Eine individuelle Diskussion über Lebensstilfaktoren wie Rauchen, Bewegungsmangel, Alkoholkonsum und Stress kann hilfreich sein. Entspannungsverfahren, Yoga oder Akupunktur können ebenfalls zur Schmerzlinderung beitragen.
Phytotherapeutische Präparate
Teufelskrallen-Präparate, Aconit-Nervenöl, Nelken-, Rosmarin- oder Minzöl, Johanniskraut-Rotöl und Einreibungen mit capsaicinhaltiger Salbe oder Cayennepfeffer können äußerlich angewendet werden. Senfmehl-Fußbäder können ebenfalls lindernd wirken.
Bewegungstherapie und Krankengymnastik
Trainingstherapie, Walking, Geräte- oder Ergometertraining und Bewegungsbäder können die Ausdauer verbessern und Muskelschwäche entgegenwirken. Physiotherapeutisch angeleitetes gezieltes Training geschwächter Muskelgruppen, Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitationstherapie (PNF) und Krankengymnastik auf neurophysiologischer Grundlage können ebenfalls hilfreich sein. Bei Gangstörungen oder motorischen Ausfällen kann eine Gangschulung indiziert sein. Funktionelle Störungen an der Wirbelsäule können durch Krankengymnastik, manualtherapeutische Techniken oder mit einer befundorientierten Physiotherapie behandelt werden. Übungen auf dem Kreisel oder eine Gangschulung auf weicher Unterlage zur Gleichgewichtsschulung sind bei Unsicherheit oder Schwindel angezeigt. Vibrationstraining kann ebenfalls zur Verbesserung der Muskelkraft und Koordination beitragen.
Rehabilitation bei Chemotherapie-induzierter Polyneuropathie
Chemotherapie-induzierte Polyneuropathie kann verschiedene Beschwerden verursachen. Es gibt jedoch viele Behandlungsmöglichkeiten und Therapien, die die Lebensqualität verbessern können.
Therapieformen
- Medikamentös: Antidepressiva, Pregabalin und Gabapentin.
- Physikalisch: Ergotherapie, Physiotherapie, Elektrotherapie (galvanische Bäder, Kohlensäurebäder).
- Alternativ: TENS-Therapie, Hochtontherapie, Sensibilisierungstraining.
Ergotherapie
Fokussiert auf Patientinnen und Patienten mit funktionalen Defiziten, um ihnen im täglichen Alltag zu helfen. Schwerpunkte sind Gangsicherheit, Sturzprävention, medizinische Trainingstherapie, Aufbau von Kraft und Ausdauer sowie Schmerzbewältigung.
Sensibilisierungstraining
Reis in eine Schale tun und die Sensibilität der Finger wieder schulen.
Alltagshilfen
Sturzfallen entfernen, rutschfeste Schuhe tragen, für gute Sicht sorgen.
Reha-Aufenthalt
Einzeltherapien in der Ergotherapie und der Physiotherapie, Gruppen zur Behandlung von Polyneuropathie der Füße, Handfunktionsgruppe, Physiotherapie-Bewegungsabläufe, Vibrationstherapie (Galileo Gerät), Elektrotherapie.
Tipps von Betroffenen
- Grad der Behinderung feststellen lassen.
- Sich nicht von Einschränkungen im Kopf abhalten lassen.
- Walking-Stecken verwenden.
- Achtsamkeit im Alltag praktizieren.
- Körperwahrnehmung schulen.
- Übungen sollen Spaß machen.
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