Die semantische Demenz (SD) ist eine Form der frontotemporalen lobären Degeneration (FTLD), die durch den fortschreitenden Verlust des semantischen Gedächtnisses gekennzeichnet ist. Dies bedeutet, dass Betroffene die Bedeutung von Wörtern, Namen, Objekten und Gesichtern vergessen. Im Vergleich zur Alzheimer-Demenz ist die FTLD eher selten, aber sie stellt eine einschneidende Form der Demenz dar, wobei der größte Leidensdruck oft auf den pflegenden Angehörigen lastet.
Definition und Einordnung
Die Frontotemporale lobäre Degeneration (FTLD) umfasst eine heterogene Gruppe von Erkrankungen, deren gemeinsames Merkmal eine Atrophie (Gewebeschwund) im Bereich des Frontal- und/oder Temporallappens des Gehirns ist. Die semantische Demenz (SD) entsteht, wenn die Atrophie vorwiegend im Temporallappen beginnt.
Die Weltgesundheitsorganisation (ICD-10) definiert Demenz als ein Syndrom infolge einer meist chronischen oder fortschreitenden Erkrankung des Gehirns. Nach DSM-IV-TR sind bedeutende Merkmale einer Demenz die Entwicklung multipler kognitiver Defizite, die eine Gedächtnisstörung beinhalten.
Epidemiologie
Die FTLD macht etwa 3 bis 9 Prozent aller Demenzen aus, wobei die Alzheimer-Demenz mit etwa 65 Prozent deutlich häufiger vorkommt. Betrachtet man jedoch nur die präsenilen Erkrankungen (Beginn vor dem 65. Lebensjahr), ist die FTLD häufiger. Schätzungen zufolge sind in der Altersgruppe der 45- bis 65-Jährigen 10 bis 30 von 100.000 Personen betroffen. In Deutschland sollen es mindestens 30.000 Patienten sein. Der Krankheitsbeginn liegt bei durchschnittlich 60 Jahren, mit einer großen Spannbreite von 21 bis 83 Jahren. Männer und Frauen scheinen gleich häufig betroffen zu sein.
Ursachen
Warum es zu einem Untergang der Nervenzellen bei der SD kommt, ist bislang unbekannt. Im Gegensatz zu Morbus Alzheimer und zur vaskulären Demenz spielen nicht-genetische Risikofaktoren wie erhöhter Blutdruck, Traumata oder Depressionen bei FTLD keine Rolle. Bei etwa 30 Prozent der Patienten ist die Erkrankung genetisch bedingt; die Familienanamnese ist positiv. Ein dominanter Erbgang ist bei etwa 10 Prozent der Betroffenen bekannt, insbesondere bei der behavioralen Variante (bvFTD), seltener bei SD.
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Es wurden jedoch verschiedene Genmutationen identifiziert, die mit einer FTLD assoziiert sind. Neue Forschungsergebnisse gibt es zum C9orf72-Gen. Wie Münchner Forscher herausfanden, tragen etwa 10 Prozent aller erkrankten Personen einen besonderen Gendefekt. An einer Stelle im Gen C9orf72 beobachtete man hundertfache Wiederholungen der Sequenz GGGGCC, die bei gesunden Personen weniger als 20-mal vorkommt. Zellkulturversuche zeigten, dass die überlange Abfolge der Sequenz GGGGCC in Proteine übersetzt wird, obwohl ein reguläres Startsignal zur Übersetzung in Proteine für diesen normalerweise stillen Bereich des Erbguts fehlt. Diese Proteine kommen sonst nicht im Körper vor, sind "völlig nutzlos und sehr schlecht löslich". Daher bildeten sie Aggregate und scheinen die Nervenzelle zu schädigen.
Weitere Ablagerungen im Gehirn von FTLD-Patienten lassen sich anderen Proteinen zuordnen. Sie bestehen bei etwa 50 Prozent der Patienten aus TAR-DNA-bindendem Protein-43 (TDP-43) und bei 40 Prozent aus dem Mikrotubuli-assoziierten Tau-Protein.
Symptome
Die semantische Demenz (SD) geht mit einem verminderten Wortschatz einher, die Patienten vergessen die Bedeutung von Wörtern, Namen und Objekten. Zudem können sie Gesichter nicht mehr erkennen. Verhaltensauffälligkeiten wie Egoismus, fehlende Empathie oder Geiz sind ebenfalls charakteristisch, treten jedoch oft nicht gleich zu Beginn der Erkrankung auf.
- Sprachliche Defizite: Verminderter Wortschatz, Schwierigkeiten beim Benennen von Objekten und beim Verstehen von Wörtern. Die Sprache kann als "flüssig", aber inhaltsleer beschrieben werden; Artikulation und Syntax sind unauffällig. Es kann zu semantischen Paraphasien kommen, wobei einzelne semantische Felder (z.B. Tiernamen) stärker betroffen sein können. Eine Oberflächendyslexie/-dysgraphie kann nicht ausgeschlossen werden.
- Visuelle Agnosie: Schwierigkeiten beim Erkennen von Gesichtern (Prosopagnosie) und Objekten. Im späteren Verlauf können Patienten mit SD auch visuell oder taktil wahrgenommene Objekte nicht mehr erkennen; die Schriftsprache wird in Mitleidenschaft gezogen.
- Verhaltensänderungen: Egoismus, fehlende Empathie, Geiz. Diese Symptome treten jedoch oft nicht gleich zu Beginn der Erkrankung auf.
- Relativ intaktes episodisches Gedächtnis: Über einen langen Zeitraum sind das episodische Gedächtnis, das Sozialverhalten sowie die räumliche Orientierung nicht betroffen.
Im Endstadium der Krankheit ist ein Mutismus (Verlust der Sprechfähigkeit) ggf. mit Zeichen des Klüver-Bucy-Syndroms zu beobachten.
Diagnose
Da die FTLD bei Allgemeinärzten kaum bekannt ist, vergeht bis zur korrekten Diagnose meist längere Zeit. Häufig werden zunächst Fehldiagnosen wie Depression, Schizophrenie, Manie oder Alkoholsucht gestellt. Im Verdachtsfall sollte ein Psychiater oder Neurologe oder eine Spezialambulanz aufgesucht werden.
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Bei der Diagnose spielt die Fremdanamnese eine wichtige Rolle. Die Untersuchungen umfassen psychologische Tests des Gedächtnisses, der Sprache und des Denkvermögens. Weiterhin werden bildgebende Verfahren wie Kernspintomografie (MRT), Computertomografie (CT) oder Positronen-Emmissions-Tomografie (PET) angewandt. Eine Liquorpunktion trägt dazu bei, infektiöse oder entzündliche Erkrankungen auszuschließen. Die Konzentration von Neurodegenerationsmarkern im Liquor zu bestimmen, ist - im Gegensatz zur Alzheimer-Diagnostik - wenig hilfreich. Amyloid-Ablagerungen, die typisch für die Alzheimer-Erkrankung sind, treten bei FTLD nicht auf. An Biomarkern steht bislang nur Progranulin zur Verfügung.
Therapie
Bislang gibt es keine evidenzbasierte medikamentöse Therapie bei einer FTLD-Form. Zur symptomatischen Behandlung einer Depression können SSRI wie Citalopram und Sertralin eingesetzt werden, da sie den Antrieb steigern und zu einer affektiven Ausgeglichenheit führen können. Sind die Patienten sehr aggressiv oder enthemmt, können Antipsychotika wie Quetiapin, Melperon oder Olanzapin helfen. Doch hier ist Vorsicht geboten, da manche Patienten bereits unter niedrigen Dosen ein ausgeprägtes extrapyramidales Syndrom entwickeln.
Ein Hoffnungsträger für eine künftige Therapie ist Methylenblau, das die Aggregation von Tau-Proteinen hemmt. Einen weiteren Ansatz bietet Progranulin, ein Protein, dessen Fehlen im Körper zu einer FTLD führen kann. In Zellkulturen konnte man die Produktion von Progranulin durch Amiodaron erhöhen. Aber es ist noch unklar, ob sich dieser Ansatz zu einer Therapie weiterentwickeln lässt.
Die nicht-medikamentöse Therapie bei Frontotemporaler Demenz setzt vor allem auf Maßnahmen, die den Lebensstil betreffen. Jeder Patient ist einzigartig. Was bei der einen Person mit FTD womöglich gut klappt, funktioniert bei einer anderen Person weniger gut.
Verlauf und Prognose
Bei FTLD-Kranken schreitet die Atrophie im Verlauf der Erkrankung fort und betrifft dann auch Gehirnbereiche, die für das Gedächtnis oder die Orientierung verantwortlich sind. Auf welche Art und wie schnell die Erkrankung fortschreitet, ist individuell sehr unterschiedlich. Folglich umfasst auch die Überlebenszeit der Betroffenen eine große Spanne: je nach Studie zwischen acht und 14 Jahren nach dem Auftreten der ersten Symptome. Es gibt sehr rasch progrediente Fälle, aber auch benigne Varianten.
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Im fortgeschrittenen Stadium einer FTD treten meist auch Symptome der anderen Variante auf. Ein Patient, bei dem anfangs eher die Symptome der Verhaltensvariante der FTD im Vordergrund standen, entwickelt im weiteren Verlauf auch Sprachstörungen. In diesem mittleren Stadium sind Menschen mit FTD in ihrem Alltag zunehmend auf Hilfe angewiesen. Im Endstadium der Frontotemporalen Demenz ähneln die Symptome vor allem der Alzheimer-Krankheit: Es kommt zum weitgehenden Verlust der Selbstständigkeit und teilweise auch der Sprache.
Umgang mit der Erkrankung
Die Diagnose einer semantischen Demenz ist eine Herausforderung sowohl für die Betroffenen als auch für ihre Angehörigen. Es ist wichtig, sich umfassend über die Erkrankung zu informieren, rechtzeitig rechtliche Vorkehrungen zu treffen, die Kommunikation anzupassen, Routinen im Alltag zu schaffen, ein demenzgerechtes Zuhause zu gestalten und geduldig zu bleiben.
Tipps für den Umgang mit semantischer Demenz:
- Informieren Sie sich: Verstehen Sie, was semantische Demenz ist, welche Symptome sie verursacht und wie sie sich im Laufe der Zeit entwickeln kann.
- Treffen Sie frühzeitig rechtliche Vorkehrungen: Erstellen Sie rechtzeitig Vollmachten und Verfügungen.
- Passen Sie die Kommunikation an: Formulieren Sie möglichst einfache Sätze. Offene Fragen können Patienten schnell überfordern und sollten daher für ernsthafte Gespräche vermieden werden.
- Schaffen Sie Routinen im Alltag: Ein geregelter Tagesablauf gibt Patienten mit SD Sicherheit und kann dazu beitragen, Verwirrung zu reduzieren.
- Schaffen Sie ein demenzgerechtes Zuhause: Passen Sie das häusliche Umfeld Ihres betroffenen Angehörigen Stück für Stück an, um eine Wohlfühlatmosphäre zu erzeugen und die Sicherheit zu erhöhen.
- Bleiben Sie geduldig: Veränderungen im Verhalten und in der Persönlichkeit können sehr belastend sein - gerade für die Angehörigen.
- Achten Sie bei allem auch auf sich selbst: Vergessen Sie Ihre eigene Gesundheit und Ihr Wohlbefinden nicht.
- Schaffen Sie positive Momente: Versuchen Sie, trotz aller Herausforderungen auch schöne Momente miteinander zu erleben. Gemeinsame Aktivitäten wie Musik hören, Fotos anschauen oder Zeit an der frischen Luft verbringen tun meist gut und können die Bindung stärken.
Unterstützung für Betroffene und Angehörige
Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft e. V. Selbsthilfe Demenz (www.deutsche-alzheimer.de) ist eine gute Anlaufstelle für Angehörige von FTLD-Patienten. Bei der regionalen Alzheimer-Gesellschaft oder im Netz (info(at)deutsche-alzheimer.de) kann man Informationsmaterialien wie die Broschüre "Frontotemporale Demenz" sowie eine DVD "Leben mit FTD" bestellen. In vielen Fällen können die Erfahrungsberichte anderer Menschen in ähnlicher Situation weiterhelfen, um ein Gefühl für die Erkrankung zu bekommen und unter Umständen von den Erfahrungen anderer zu profitieren. Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft (DAlzG) e. V. hat eine Broschüre mit Erfahrungsberichten von Angehörigen von Menschen mit Frontotemporaler Demenz zusammengestellt.
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