Skoliose neurologische Ursachen: Ein umfassender Überblick

Die Skoliose ist eine dreidimensionale Achsabweichung der Wirbelsäule, die sich durch eine Seitverbiegung und gleichzeitige Fehlrotation der Wirbelkörper zueinander auszeichnet. Im Gegensatz zur gesunden Wirbelsäule, die sich nach vorne und hinten biegen kann, krümmt sich die Wirbelsäule im Falle einer Skoliose auch zur Seite.

Einführung

Die Wirbelsäule ist das zentrale Stütz- und Bewegungsorgan des Körpers. Sie ist von hinten oder vorne betrachtet gerade aufgebaut. Ihre Aufgaben bestehen darin, die Stabilität des Körpers zu gewährleisten und die bei aufrechtem Gang auftretenden Kräfte abzufangen. Eine Skoliose kann diese Aufgaben beeinträchtigen und zu verschiedenen Beschwerden führen.

Formen der Skoliose

Skoliosen werden nach ihrer Ursache unterschieden:

  • Idiopathische Skoliose: In etwa 85 % der Fälle ist die Ursache unbekannt.
  • Neurogene Skoliose: Sie entsteht aufgrund einer neurologischen Erkrankung.
  • Myopathische Skoliose: Sie wird durch Erkrankungen der Muskulatur verursacht.

Was ist eine neurogene Skoliose?

Wenn die Ursache für eine Wirbelsäulendeformität in einer neurologischen Erkrankung liegt, spricht man von einer neurogenen oder neuromuskulären Skoliose. Die neurogene Skoliose ist eine Form der Skoliose, die aufgrund von neurologischen oder neuromuskulären Erkrankungen entsteht, wie z. B. Zerebralparese, Muskeldystrophie, spinale Muskelatrophie oder Rückenmarksveränderungen/-verletzungen. Im Grunde kann jede neuromuskuläre Erkrankung im Wachstumsalter eine Skoliose hervorrufen. Im Gegensatz zur idiopathischen Skoliose, die erst im Jugendalter auffällig wird, findet sich die neurogene Skoliose bereits im Säuglings- und Kleinkindalter wieder.

Ursachen und Häufigkeit

Neuromuskuläre Skoliosen machen einen Anteil von ca. 5% der behandlungsbedürftigen Skoliosen aus. Patienten mit neuromuskulärer Grunderkrankung entwickeln in zwei Dritteln der Fälle eine behandlungsbedürftige Skoliose.

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Die Ursache für die Entwicklung einer neuromuskulären oder neuropathischen Skoliose ist eine Grunderkrankung des Nervensystems oder der Muskulatur, weshalb der Halteapparat die Wirbelsäule nicht ausreichend stützen kann und es zu einem Kollaps der Wirbelsäule kommt. Es wird angenommen, dass es aufgrund der neuromuskulären Grunderkrankung zu einem Ungleichgewicht des Halteapparates und damit zu einem Kollaps der Wirbelsäule kommt.

Einige Beispiele für neurologische Grunderkrankungen, die eine neurogene Skoliose verursachen können, sind:

  • Infantile Zerebralparese (ICP)
  • Syringomyelie
  • Rückenmarktumore
  • Rückenmarktraumata (Verletzungen des Rückenmarks)
  • Poliomyelitis ("Kinderlähmung")
  • Muskeldystrophie
  • Spinale Muskelatrophie
  • Rückenmarksveränderungen/-verletzungen
  • Arnold-Chiari-Syndrom, Typ I
  • Klinefelter-Syndrom
  • Trisomie 21 (Down-Syndrom)
  • Turner-Syndrom

Symptome

Skoliosen können mit sichtbaren, aber auch mit unsichtbaren Symptomen einhergehen, die nicht auf den ersten Blick auffallen. Patienten mit neuromuskulärer Skoliose leiden i.d.R. an Symptomen ihrer zugrundeliegenden Grunderkrankung. Die Wirbelsäulen-Deformität (Skoliose / Kyphose) ist lediglich eines von vielen Problemen dieser Patienten.

Typischerweise zeigt sich die Wirbelsäulen-Deformität schon in früher Kindheit und nimmt rasch zu. Neuromuskuläre Deformitäten neigen dazu, aufgrund der fehlenden Rumpfmuskelstabilität auch nach Wachstumsabschluß weiter zuzunehmen, d.h. schlechter zu werden. Die Beschwerdebilder der Patienten sind extrem unterschiedlich, da sehr unterschiedliche Grunderkrankungen einer neuromuskulären Skoliose zugrunde liegen können. Das Spektrum reicht von nahezu gesunden Patienten bis hin zu schwerst pflegebedürftigen Patienten. Die Beschwerden reichen von Schmerzen, Verlust der Sitzfähigkeit oder Stehfähigkeit über eine Häufung von Atemwegsinfekten bis hin zu globalen Entwicklungsstörungen.

Sichtbare Anzeichen einer Skoliose sind u.a.:

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  • Eine unterschiedliche Höhe der Schultern
  • Eine schiefe Kopfhaltung
  • Ein herausragendes Schulterblatt
  • Ein schiefer Rücken
  • Ein einseitiger Schulterhochstand
  • Das einseitige Verstreichen der Taillendreiecke
  • Beim Vornüberbeugen das Auftreten einer Lendenwulst
  • Beckenschiefstand
  • Hervorstehende Rippen auf der einen Seite des Brustkorbes von hinten betrachtet (Rippenbuckel). Vor allem beim Vorbeugen kommt er deutlicher zum Vorschein.
  • Zunehmendes Abkippen des Oberkörpers zu einer Seite bei Rollstuhlpatienten

Weil die Skoliose eine Verschiebung der Wirbelsäulenmuskulatur verursacht, kann man sie zudem an Muskelwulsten im Hals- oder Lendenwirbelbereich erkennen. Neben der eigentlichen Krümmung (Primärkrümmung) bildet die Wirbelsäule häufig auf der Gegenseite auch eine ausgleichende Sekundärkrümmung aus, die unter- bzw. oberhalb der Primärkrümmung anschließt. Diese natürliche Reaktion des Rückens erfolgt, um einen lot- und statikgerechten Stand zu ermöglichen.

In schweren Fällen kann es zur Kompression von Nervenwurzeln kommen, was Schmerzen und neurologische Ausfälle verursachen kann. Durch die Wirbelsäulenverformung und die mangelnde Möglichkeit zum muskulären Ausgleich der Verkrümmung, kann es zu einer zunehmenden Einschränkung der Beweglichkeit des Brustkorbes kommen. Dies kann sich durch eine schlechtere Lungenfunktion oder später auch durch Veränderungen des Herz-Kreislauf-Systems bemerkbar machen.

Diagnose

Die Diagnose einer neurogenen Skoliose erfolgt durch eine körperliche Untersuchung und bildgebende Verfahren. Diagnostiziert wird eine Skoliose durch eine klinische Untersuchung und Röntgenaufnahmen der gesamten Wirbelsäule.

  • Körperliche Untersuchung: Der Arzt achtet auf sichtbare Anzeichen einer Skoliose, wie z. B. eine unterschiedliche Schulterhöhe oder einen Rippenbuckel.
  • Röntgenaufnahmen: Röntgenaufnahmen der Wirbelsäule in verschiedenen Ansichten sind Standard, um den Grad der Krümmung (Cobb-Winkel) zu bestimmen. Insbesondere ein Beckenschiefstand und der Rumpfüberhang sollten radiologisch miterfasst sein.
  • Weitere bildgebende Verfahren: Auch weitere bildgebende Verfahren wie MRT- und CT-Untersuchungen bekommen bei der neuromuskulären Skoliose einen höheren Stellenwert, um mögliche anatomische Fehlbildungen der Wirbelkörper oder des Rückenmarks zu erkennen.
  • Neurologische Untersuchung: Zur definitiven Diagnosesicherung sind gegebenenfalls neben der Beurteilung durch einen Orthopäden begleitend auch Untersuchungen beim Neurologen und Kinderarzt notwendig.
  • Genetische Untersuchungen: Auch weiterführende genetische Untersuchungen zur Bestimmung der Grunderkrankung (falls noch nicht bekannt) können erforderlich sein.

Therapie

Die Behandlung der neurogenen Skoliose zielt darauf ab, die Progression der Krümmung zu verlangsamen und die Lebensqualität zu verbessern. Mitentscheidend für die Therapieplanung ist, ob aufgrund der Grunderkrankung bereits eine Immobilisation, Rollstuhlpflichtigkeit oder Bettlägrigkeit besteht. Da die neuromuskuläre Skoliose Folge einer anderen Grunderkrankung ist, steht in diesem Fall vor allem der Erhalt der Lebensqualität im Vordergrund, wie beispielsweise das Erhalten der schmerzfreien Sitzfähigkeit im Rollstuhl oder eine Verbesserung der Lungenfunktion.

Grundsätzlich können Skoliosen operativ oder konservativ behandelt werden, wobei eine Operation nur bei einer sehr starken Skoliose notwendig ist. Während bei einer idiopathischen Skoliose der überwiegende Anteil gut auf eine konservative Therapie (ohne Operation) anspricht, ist dies bei einer fortschreitenden neuromuskulären Skoliose meist nicht der Fall. Daher nimmt die operative Versorgung bei den neuromuskulären Skoliose einen deutlich höheren Stellenwert ein, da die Möglichkeiten einer konservativen Therapie zum Teil stark limitiert sind.

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Konservative Therapie

„Konservativ“ meint eine Behandlung ohne Operation. Die Aufgaben und Chancen der nicht operativen Behandlung liegen bei Patienten mit neuromuskulärer Skoliose im Erhalt von Funktionen, im Erlernen von Kompensationstechniken bei Rollstuhlpflichtigkeit und Vermeidung von Kontrakturen.

Die Möglichkeiten der konservativen Therapie sind:

  • Verlaufskontrollen: Nur bei gering ausgeprägten Krümmungen empfehlenswert. Der Zeitabstand der einzelnen Kontrolluntersuchungen ist individuell zu treffen.
  • Physiotherapie: Hier kommen insbesondere physiotherapeutische, ergotherapeutische und physikalische Maßnahmen zum Einsatz. Gemeinsam mit dem Physiotherapeuten erlernen Skoliosepatienten praktische Übungen, um die Wirbelsäulenverkrümmung durch eigenen Muskeleinsatz sowie die richtige Atmung zu korrigieren. Der Vorteil der Krankengymnastik liegt in der Verbesserung des Allgemeinzustandes, wie etwa einer verbesserten Lungenfunktion oder um Einsteifungen von Gelenken entgegenzuwirken. Auch zum Erhalt der Muskelkraft ist Physiotherapie sinnvoll. Eine Verbesserung der bestehenden Wirbelsäulenverkrümmung ist jedoch aufgrund einer häufig nicht ausreichend zu trainierenden (isotonischen) Rückenmuskulatur meist nicht zu erwarten. Sport und Bewegung sind - soweit möglich - bei Skoliose generell sehr sinnvoll, weil dadurch Bauch- und Rückenmuskulatur gestärkt werden, was wiederum der Wirbelsäule Halt gibt.
  • Korsett-Therapie: Ein dauerhaftes Aufhalten oder Lenken einer neuromuskulären Skoliose durch Tragen eins Korsetts ist wenig erfolgversprechend. Im individuellen Fall kann jedoch durch gezielte Orthesenversorgung und Korsett-Therapie sowie Anpassung der Rollstuhlform und -funktion eine verbesserte Rumpfstabilisierung und Sitzposition, insbesondere im häufig notwendigen Rollstuhl, erreicht werden. ein Stützkorsett kann zu einer zumindest vorübergehenden Stabilisierung der Krümmung beitragen, um die Steh- oder Sitzfähigkeit zu erhalten. Anders als bei der idiopathischen Skoliose ist die Therapie mit einem Korsett bei neuropathischer Skoliose auch nach Abschluss des Wachstums sinnvoll. In den meisten Fällen kann jedoch ein Korsett das Voranschreiten der Krümmung nicht dauerhaft aufhalten. Auch ist der Nutzen in der Literatur umstritten. Bei eingeschränkter Kommunikationsfähigkeit ist eine regelmäßige Kontrolle entscheidend, um der Entstehung von Druckgeschwüren durch ausreichende Weichbettung zuvorzukommen.Ein orthopädisches Korsett ist eine individuell angepasste Rumpf-Orthese, die an bestimmten Stellen der Wirbelsäule Druck ausübt. Durch Hohlräume im Korsett bewegt sich der Rücken aktiv in die korrekte Stellung. Neben seiner Stützfunktion ist das Korsett ein wichtiges Therapiegerät. In der Regel wird neben der Korsett-Behandlung zusätzlich eine Physiotherapie verordnet. Damit die Behandlung mit einem Korsett effektiv ist, muss die Orthese möglichst viel getragen werden - optimalerweise 23h am Tag (also auch nachts).
  • Sitzschalen: Sitzschalen können (wie auch eine Korsett-Therapie) eine aufrechte Position im Rollstuhl ermöglichen.

Operative Therapie

Unter Rücksichtnahme auf die Grunderkrankung und den Gesundheitsstatus bei Nachweis der Skolioseprogredienz sollte zeitgerecht die Option auf Stabilisierung und operative Korrektur evaluiert werden. Bei der operativen Therapie der neuromuskulären Skoliose spielen der Schweregrad der Grunderkrankung und funktionelle Ausprägungen der Muskulatur (z.B. spastische oder paralytische Formen) eine Rolle bei der Festlegung des operativen Verfahrens, ebenso die Möglichkeit zur Mitarbeit des Patienten sowie der allgemeine Gesundheitszustand und die Lungenfunktion. Bei schwerer Beckenfehlstellung und -kippung sowie ausgeprägter spastischer Komponente können Korrekturoperationen unter Einschluss des lumbosakralen Übergangs erforderlich sein.

Als Richtwerte für die operative Versorgung gelten grundsätzlich die gleichen wie bei der idiopathischen Skoliose:

  • Cobb-Winkel über 40-50 Grad
  • Rasche Verschlechterung der Skoliose

Ziel einer Operation ist es, die skoliotische Krümmung soweit wie möglich zu korrigieren und die Wirbelsäule zu stabilisieren, um eine weitere Krümmung auszuschließen. Das Ausmaß der Operation ist abhängig von der Mobilität der Patienten. Um die bestehende Mobilität der Patienten zu erhalten, wird anders als bei der idiopathischen Skoliose der Zeitpunkt der Operation eher frühzeitig empfohlen.

Zur Behandlung werden langstreckige Versteifungsoperationen (Fusions-Operationen) mittels Schrauben-Stab-Systemen durchgeführt. Zusätzliche Maßnahmen während der Operation, wie zum Beispiel das Aufmeißeln von Verknöcherungen (Osteotomien) und das Einbringen von Knochensubstanz am Ende der Operation, ermöglichen eine optimale Korrektur und langfristige Stabilität.

Die möglichen Komplikationen gleichen denen der operativen Versorgung einer idiopathischen Skoliose. Gegebenenfalls höhere Risiken hängen von bestehenden Vorerkrankungen ab (wie beispielsweise ein erhöhtes Risiko für Lungeninfekte bei bereits vorbestehenden Lungenfunktionsstörungen oder Implantatversagen bei durch Immobilisation bestehender verminderter Knochendichte). Generell muss das Operationsrisiko immer individuell mit dem behandelnden Wirbelsäulenchirurgen besprochen werden.

Weitere Skolioseformen

Neben der idiopathischen und der neurogenen Skoliose gibt es noch weitere Formen:

  • Kongenitale Skoliose (Fehlbildungsskoliose): Sie entsteht durch angeborene Fehlbildungen der Wirbelsäule.
  • Fibropathische Skoliose: Sie tritt im Zusammenhang mit Erkrankungen wie dem Marfan-Syndrom auf.
  • Posttraumatische Skoliose: Sie entsteht nach einem Unfall mit Gewalteinwirkung, einer Amputation oder einer Tumoroperation im Bereich der Wirbelsäule.
  • Schmerzskoliose: Sie wird durch Schmerzen verursacht, z. B. bei einem Bandscheibenvorfall.
  • Systemerkrankungsbedingte Skoliosen: Sie treten im Rahmen von Systemerkrankungen auf.
  • Statische Skoliose: Sie entsteht durch statische Ungleichgewichte, z. B. durch Beinlängendifferenzen.

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