Die Small-Fiber-Neuropathie (SFN) ist eine Erkrankung, die die dünnen, sensiblen Aδ- und C-Nervenfasern betrifft. Eine Schädigung dieser Nervenfasern führt zu neuropathischen Schmerzen, oft von brennender Qualität, sowie zu Parästhesien, Dysästhesien, veränderter Thermo- und Nozizeption und vegetativen Beschwerden.
Was ist Small-Fiber-Neuropathie?
Die Small-Fiber-Neuropathie (SFN) gehört zur Gruppe der Polyneuropathien, also generalisierten Erkrankungen des peripheren Nervensystems. Die Erkrankung betrifft vor allem die dünnen, unmyelinisierten C-Fasern, die für die Übermittlung von Schmerzsignalen zuständig sind, sowie die dünn myelinisierten Aδ-Fasern. Diese Fasern befinden sich in der Haut und verschiedenen anderen Organen. Die Schädigung dieser Nervenfasern führt zu einer Vielzahl von Symptomen.
Ursachen der Small-Fiber-Neuropathie
Die Ursachen der SFN sind vielfältig und können in erworbene und hereditäre Formen unterteilt werden. Bei etwa der Hälfte der Patienten mit SFN kann jedoch keine klare Ursache gefunden werden, was als idiopathische SFN bezeichnet wird.
Erworbene Ursachen
Ein Großteil der Betroffenen zieht sich die Nervenschädigung durch metabolisch-toxische Einflüsse zu, wie z. B. einen gestörten Glukosemetabolismus, Alkoholkonsum oder im Rahmen von Autoimmunerkrankungen und Infekten. Zu den häufigsten erworbenen Ursachen gehören:
- Diabetes mellitus: Diabetes ist eine der Hauptursachen für SFN. Hohe Blutzuckerspiegel können die Nervenfasern schädigen.
- Gestörte Glukosetoleranz: Auch eine beeinträchtigte Glukosetoleranz, die noch nicht die Kriterien für Diabetes erfüllt, kann zu Nervenschäden führen.
- Alkoholmissbrauch: Chronischer Alkoholkonsum kann toxisch auf die Nerven wirken und eine SFN verursachen.
- Autoimmunerkrankungen: Erkrankungen wie systemischer Lupus erythematodes (SLE), Sjögren-Syndrom, Zöliakie und Sarkoidose können Entzündungen verursachen, die die Nerven schädigen.
- Infektionen: Virusinfektionen wie HIV und Hepatitis C können ebenfalls zu einer SFN führen. Auch nach einer Corona-Erkrankung kann eine SFN auftreten.
- Medikamente und Substanzen: Bestimmte Medikamente, wie Metronidazol, Statine, Nitrofurantoin und Chemotherapeutika, können als Nebenwirkung eine SFN verursachen.
- Vitaminmangel: Ein Mangel an Vitamin B1 oder B12 kann ebenfalls eine SFN verursachen. Eine Vitamin-B6-Überdosierung kann auch eine Ursache sein.
- Hypothyreose: Eine Schilddrüsenunterfunktion kann in manchen Fällen mit einer SFN einhergehen.
- Paraneoplastische Syndrome: In seltenen Fällen kann eine SFN durch ein paraneoplastisches Syndrom im Zusammenhang mit Krebserkrankungen wie dem multiplen Myelom verursacht werden.
Patienten mit einer erworbenen SFN profitieren von der kausalen Therapie der zugrunde liegenden Erkrankung.
Lesen Sie auch: Small Fiber Neuropathie verstehen: Ursachen, Symptome, Therapie
Hereditäre Ursachen
Neben der erworbenen Form der SFN können pathogene Varianten in verschiedenen schmerzassoziierten Genen zur Ausbildung einer hereditären Form der Erkrankung beitragen. Klassischerweise sind hier pathogene Gain-of-function-Varianten in den Genen SCN9A, SCN10A und SCN11A, codierend für die spannungsabhängigen Natriumkanäle NaV1.7, NaV1.8 und NaV1.9 („voltage-gated sodium channel“ [NaV]), zu nennen. Daneben stehen weitere schmerzassoziierte Gene wie TRPA1, TRPV1 und TRPV3 (Transient-receptor-potential[TRP]-Kanäle) im Verdacht, eine Rolle bei der Ausbildung einer SFN spielen zu können. Ebenso ist eine symptomatische Überschneidung der SFN mit Erkrankungen aus dem Spektrum der hereditären sensorischen und autonomen Neuropathien (HSAN) möglich, hierbei vorrangig verursacht durch pathogene Sequenzvarianten in den Genen SPTLC1 und SPTLC2, involviert in den Sphingolipidmetabolismus. Zu den hereditären Ursachen gehören:
- Mutationen in Natriumkanal-Genen: Mutationen in den Genen SCN9A, SCN10A und SCN11A, die für spannungsabhängige Natriumkanäle codieren, können zu einer erhöhten Erregbarkeit der Nervenzellen und damit zu Schmerzen führen.
- Mutationen in TRP-Kanal-Genen: Mutationen in den Genen TRPA1, TRPV1 und TRPV3, die für Transient-Receptor-Potential-Kanäle codieren, können ebenfalls zur Entstehung einer SFN beitragen.
- Hereditäre sensorische und autonome Neuropathien (HSAN): Mutationen in Genen wie SPTLC1 und SPTLC2, die am Sphingolipidstoffwechsel beteiligt sind, können zu einer SFN führen.
- Amyloidose: Insbesondere die Transthyretin-Amyloidose kann eine SFN verursachen.
- Morbus Fabry: Diese lysosomale Speicherkrankheit kann ebenfalls mit einer SFN einhergehen.
Idiopathische Small-Fiber-Neuropathie
Bei der Hälfte der PatientInnen mit Small-Fiber-Neuropathie (SFN) findet sich für die Symptomatik keine erklärende Ätiologie. Diese heterogene Gruppe wird als „idiopathisch“ zusammengefasst. In dieser Gruppe gibt es eine Subgruppe, bei der eine genetische Testung zu einem „Befund“ geführt hat, der zum Zeitpunkt der Diagnostik häufig (noch) keine sicher pathogene genetische Variante in einem schmerzassoziierten Gen aufdeckt. In wenigen Fällen können die Varianten im Verlauf durch Segregationsanalysen oder geeignete funktionelle Analysen hinsichtlich ihrer Pathogenität näher untersucht werden. Meist bleibt die Einordnung der Varianten jedoch weiterhin unklar. Die betroffenen PatientInnen werden in der Regel nicht weiter beobachtet, sodass über ihre klinischen Merkmale wenig bekannt ist, obwohl sie in der klinischen Praxis eine wichtige und herausfordernde Subgruppe bilden.
Symptome der Small-Fiber-Neuropathie
Die Symptome der SFN sind vielfältig und können die sensorischen, autonomen und motorischen Funktionen beeinträchtigen. Typischerweise beginnen die Symptome an den Zehen und Fingerspitzen, da die Nervenenden hier am weitesten vom Zellkörper entfernt und somit anfälliger für Schädigungen sind.
Sensorische Symptome
- Neuropathische Schmerzen: Brennende, stechende oder elektrisierende Schmerzen, die oft als sehr quälend empfunden werden.
- Parästhesien: Kribbeln, Taubheitsgefühle oder Ameisenlaufen in den Extremitäten.
- Dysästhesien: Schmerzhafte Missempfindungen, bei denen harmlose Berührungen als schmerzhaft wahrgenommen werden (Allodynie) oder normale Reize übersteigert empfunden werden (Hyperalgesie).
- Veränderte Temperaturwahrnehmung: Verminderte oder übersteigerte Empfindlichkeit gegenüber Kälte und Wärme.
- Verminderte Schmerzempfindlichkeit: In einigen Fällen kann die Schmerzempfindlichkeit reduziert sein, was das Risiko von Verletzungen erhöht.
Autonome Symptome
- Veränderungen der Schweißproduktion: Vermehrtes Schwitzen (Hyperhidrose) oder vermindertes Schwitzen (Anhidrose), oft lokalisiert an den Füßen oder Händen.
- Herz-Kreislauf-Probleme: Schwindel, niedriger Blutdruck (Hypotonie) oder Herzrasen (Tachykardie), insbesondere beim Aufstehen (orthostatische Hypotonie).
- Magen-Darm-Beschwerden: Völlegefühl, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall oder Verstopfung.
- Blasenfunktionsstörungen: Schwierigkeiten beim Wasserlassen oder unvollständige Blasenentleerung.
- Sexuelle Funktionsstörungen: Erektionsstörungen bei Männern oder verminderte Libido bei Frauen.
Motorische Symptome
Obwohl die SFN primär die sensorischen und autonomen Nervenfasern betrifft, können in einigen Fällen auch motorische Symptome auftreten, insbesondere wenn auch größere Nervenfasern betroffen sind.
- Muskelschwäche: Schwäche in den Füßen oder Händen, die zu Schwierigkeiten beim Gehen oder Greifen führen kann.
- Muskelkrämpfe: Schmerzhafte Muskelkrämpfe, insbesondere in den Beinen.
Diagnose der Small-Fiber-Neuropathie
Die Diagnose der SFN basiert auf einer Kombination aus Anamnese, klinischer Untersuchung und speziellen Tests.
Lesen Sie auch: Alles über Small-Fiber-Neuropathie
Anamnese und klinische Untersuchung
Eine ausführliche Anamnese, in der die Symptome, deren Verlauf und mögliche Risikofaktoren erfasst werden, ist entscheidend. Bei der klinischen Untersuchung werden die sensorischen Funktionen, Reflexe und autonomen Funktionen überprüft. Wichtig ist der Ausschluss anderer Ursachen für die Beschwerden, wie z.B. eine Polyneuropathie der großen Nervenfasern.
Quantitative sensorische Testung (QST)
Die QST ist eine Methode zur quantitativen Bestimmung der sensorischen Wahrnehmung. Dabei werden verschiedene Reize wie Wärme, Kälte, Vibration und Druck auf die Haut appliziert und die Schwellenwerte für die Wahrnehmung dieser Reize gemessen. Eine pathologische QST kann Hinweise auf eine SFN liefern.
Hautbiopsie
Die Hautbiopsie ist der Goldstandard zur Diagnose der SFN. Dabei wird eine kleine Hautprobe entnommen, meist am Unterschenkel, und die Dichte der intraepidermalen Nervenfasern (IENFD) bestimmt. Eine reduzierte IENFD ist ein Zeichen für eine SFN.
Weitere diagnostische Verfahren
- Elektrophysiologische Untersuchungen: Im Gegensatz zur Polyneuropathie der großen Nervenfasern sind die Nervenleitgeschwindigkeiten bei der SFN in der Regel normal. Allerdings können spezielle elektrophysiologische Tests wie die Laserevozierten Potentiale (LEP) oder der quantitative Sudomotorische Axonreflex-Test (QSART) zur Beurteilung der Funktion der kleinen Nervenfasern eingesetzt werden.
- Corneale konfokale Mikroskopie: Dieses nicht-invasive Verfahren ermöglicht die Beurteilung der Nervenfaserdichte in der Hornhaut des Auges und kann eine Alternative zur Hautbiopsie darstellen.
- Laboruntersuchungen: Um mögliche Ursachen der SFN zu identifizieren, werden verschiedene Laboruntersuchungen durchgeführt, wie z.B. Blutzucker, HbA1c, Vitamin B12-Spiegel, Schilddrüsenwerte, Autoantikörper und Entzündungsmarker.
- Genetische Tests: Bei Verdacht auf eine hereditäre SFN können genetische Tests durchgeführt werden, um Mutationen in schmerzassoziierten Genen zu identifizieren.
Therapie der Small-Fiber-Neuropathie
Die Therapie der SFN zielt darauf ab, die zugrunde liegende Ursache zu behandeln und die Symptome zu lindern.
Kausale Therapie
Wenn eine behandelbare Ursache für die SFN gefunden wird, steht deren Therapie im Vordergrund.
Lesen Sie auch: Aktuelle Leitlinie: Small-Fiber-Neuropathie
- Diabetes mellitus: Eine optimale Blutzuckereinstellung ist entscheidend, um die Nervenschädigung zu stoppen oder zu verlangsamen.
- Alkoholmissbrauch: Ein sofortiger und lebenslanger Verzicht auf Alkohol ist notwendig.
- Autoimmunerkrankungen: Immunsuppressive Therapien können eingesetzt werden, um die Entzündung zu reduzieren und die Nerven zu schützen.
- Vitaminmangel: DieSubstitution der fehlenden Vitamine ist wichtig, um die Nervenfunktion zu verbessern.
Symptomatische Therapie
Die symptomatische Therapie zielt darauf ab, die Schmerzen und andere Beschwerden zu lindern.
- Medikamentöse Therapie:
- Antidepressiva: Trizyklische Antidepressiva wie Amitriptylin und selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI) wie Duloxetin können neuropathische Schmerzen lindern.
- Antikonvulsiva: Medikamente wie Gabapentin und Pregabalin werden häufig zur Behandlung neuropathischer Schmerzen eingesetzt.
- Schmerzmittel: In schweren Fällen können Opioide in Betracht gezogen werden, sollten aber aufgrund des Suchtpotenzials nur mit Vorsicht eingesetzt werden.
- Topische Therapien: Capsaicin-Pflaster oder Lidocain-Pflaster können bei lokalisierten Schmerzen eingesetzt werden.
- Lacosamid: Das Antiepileptikum Lacosamid kann in speziellen Fällen bei SFN mit Mutationen in Natriumkanal-Genen eingesetzt werden.
- Nicht-medikamentöse Therapie:
- Physiotherapie: Kann bei motorischen Einschränkungen und Gangunsicherheit helfen.
- Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS): Kann zur Schmerzlinderung eingesetzt werden.
- Ergotherapie: Kann helfen, den Alltag besser zu bewältigen und Kompensationsstrategien zu entwickeln.
- Psychologische Therapie: Kann helfen, mit den chronischen Schmerzen und den psychischen Belastungen umzugehen.
- Weitere Therapieansätze:
- Medizinisches Cannabis: Der Einsatz von medizinischem Cannabis bei chronischen neuropathischen Schmerzen wird kontrovers diskutiert, kann aber in einigen Fällen eine Option sein.
- Kortikosteroide: In akuten Fällen einer inflammatorischen SFN können Kortikosteroide in Erwägung gezogen werden.
Rehabilitation und Selbsthilfe
- Rehabilitation: Eine stationäre oder ambulante Rehabilitation kann helfen, dieFunktionsfähigkeit zu verbessern und den Alltag besser zu bewältigen.
- Selbsthilfegruppen: Der Austausch mit anderen Betroffenen kann sehr hilfreich sein und praktische Tipps für den Alltag liefern.
- Ernährung und Bewegung: Eine ausgewogene Ernährung und regelmäßige Bewegung können die Regeneration der Nerven anregen und die Symptome lindern.
- Fußpflege: Bei Sensibilitätsstörungen ist eine tägliche Fußpflege unverzichtbar, um Verletzungen undFolgeschäden vorzubeugen.
- Hilfsmittel: Verschiedene Hilfsmittel können das Leben mit Polyneuropathie erleichtern, z.B. spezielle Schuhe,Einlagen oder Gehhilfen.
Forschung und Ausblick
Die Forschung zur SFN ist weiterhin aktiv, insbesondere im Bereich der genetischen Ursachen und der Entwicklung zielgerichteter Therapien. DieEntschlüsselung der Pathomechanismen und die Identifizierung neuer genetischer Veränderungen könnten in Zukunft zu besseren Diagnose- undTherapiemöglichkeiten führen.
tags: #small #fiber #neuropathie #ursachen