Die tägliche Nutzung von Smartphones ist für viele Menschen, insbesondere für Kinder und Jugendliche, zur Gewohnheit geworden. Durchschnittlich verbringen 16- bis 19-Jährige 4:15 Stunden täglich am Smartphone, wie die JIM-Studie 2023 zeigt. Dies weicht stark von der Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) ab, die lediglich etwa zwei Stunden Bildschirmzeit pro Tag empfiehlt. Doch welche Auswirkungen hat diese intensive Nutzung auf die Entwicklung des kindlichen Gehirns?
Bildschirmnutzung und Gehirnentwicklung
Eine hohe Bildschirmzeit birgt Risiken, besonders für junge Menschen. Dr. Avelina Lovis Schmidt, Psychologin an der Technischen Universität Chemnitz, warnt, dass der Medienkonsum die kognitive, soziale und emotionale Entwicklung beeinflusst. Jeder Moment vor dem Bildschirm fehlt dem Gehirn, um in der analogen Umwelt Erfahrungen zu sammeln. "Durch Bildschirmnutzung wird diese lernförderliche Freizeit verdrängt."
Verringerte Konzentration und Leistungsfähigkeit
Die Expertin Lovis Schmidt stellte in ihren Untersuchungen einen Zusammenhang zwischen Bildschirmnutzung und schlechteren schulischen Leistungen fest. "Wenn eine Person außerhalb der Schulzeit viele Videospiele spielt, vergehen eben mal so drei, vier Stunden. In dieser Zeit geht Lernzeit verloren." Dies führt zu verringerter Konzentrationsfähigkeit und fehlender Achtsamkeit.
Die Vorbildfunktion der Eltern
Eltern spielen eine entscheidende Rolle im Umgang ihrer Kinder mit digitalen Medien. Eine aktuelle Studie zeigt, dass digitale Ablenkung durch Smartphones oder Tablets bei Kindern - besonders im Alter bis fünf Jahre - mehr Schaden anrichten kann, als den meisten Eltern bewusst ist. Kinder, deren Eltern häufig am Gerät waren, zeigten geringere kognitive Fähigkeiten, eher emotionale Probleme sowie Verhaltensprobleme und verhielten sich weniger sozial. Außerdem hätten diese Kinder eine insgesamt schwächere Bindung an ihre Eltern und verbrächten selbst viel Zeit vor Bildschirmen.
Technologie-Interferenz und ihre Folgen
Die Forschung bezeichnet die digitale Ablenkung der Eltern als Technologie-Interferenz, kurz Technoferenz. Paula Bleckmann, Professorin für Medienpädagogik an der Alanus Hochschule Alfter, bestätigt, dass Kinder, deren Eltern häufiger digital abgelenkt sind, ein signifikant erhöhtes Risiko haben, digitale Medien selbst schon in jüngerem Alter und zeitlich ausgedehnter zu nutzen - bis hin zu einer späteren möglichen Sucht.
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Auswirkungen auf Kleinkinder
Besonders gravierend sind die Ausprägungen von übermäßiger Handynutzung der Eltern auf Kleinkinder. Denn da sind die Auswirkungen sehr grundlegend und prägend für die weitere Entwicklung. Eine finnische Studie zeigte, dass die alltägliche verbale Interaktion zwischen Eltern und Kind eingeschränkt ist, wenn Mama oder Papa öfter das Handy benutzen. Dadurch könne sich zum Beispiel die Sprachentwicklung der Kinder verzögern.
Was Eltern tun können
Eltern sollten sich bewusst machen, welche Technikgewohnheiten sie haben und bildschirmfreie Zeiten und Zonen schaffen - vor allem im Umgang mit dem Nachwuchs. Marcelo Toledo-Vargas, Hauptautor einer Studie, rät etwa darauf zu achten, dass gerade beim Essen, während der Spielzeiten oder beim Ins-Bett-Bringen keine Handys im Raum sind oder stumm geschaltet sind. Medienpädagogikprofessorin Bleckmann rät den Medienkonsum realistisch zu betrachten, denn "an dem Perfektionsanspruch, zu den Wachzeiten ihres Kinder niemals digital abgelenkt zu sein, würden fast alle scheitern". "Kinder brauchen keine perfekten Eltern, sondern Eltern, die eigene Bedürfnisse und kindliche Bedürfnisse klug ausbalancieren", betont sie.
Die Rolle des Smartphones im Alltag
Smartphones sind zu einem zentralen Bestandteil unseres Alltags geworden. Sie lenken uns ab, selbst wenn sie ausgeschaltet auf dem Tisch liegen. Prof. Dr. Sven Lindberg, Leiter der Klinischen Entwicklungspsychologie an der Universität Paderborn, hat eine Studie zum Einfluss des Smartphones auf kognitive Fähigkeiten durchgeführt. Er erklärt, dass die bloße Anwesenheit des Smartphones sich ungünstig auf die Produktivität auswirkt, dabei muss es nicht mal zu einer Interaktion mit dem Gerät kommen. Die Tatsache, dass das Handy in Sichtweite ist - selbst wenn es ausgeschaltet ist - beeinflusst die kognitive Leistung. Nutzer*innen arbeiten langsamer und unkonzentrierter.
Auswirkungen auf die Aufmerksamkeit
Lindberg betont, dass es eine übergeordnete Instanz benötigt, um den Drang zu unterdrücken, sich augenblicklich mit dem Smartphone beschäftigen zu wollen. Die Fähigkeit, Handlungen zu organisieren, zu analysieren und zu vergleichen sowie Impulse zu kontrollieren wird als exekutive Funktion bezeichnet. Bei Aufgaben, die eine hohe Konzentration erfordern, ist es deshalb sinnvoll, das Handy in einem anderen Raum zu platzieren, um negative Auswirkungen auf die Arbeits- und Aufmerksamkeitsleistung zu verringern.
Warnungen von Kinderärzten
Kinderärzte warnen vor den Auswirkungen des Smartphone-Gebrauchs von Eltern auf das Bindungs- und Spielverhalten kleiner Kinder. Beides ist die Grundlage für psychische Gesundheit und emotionale, soziale und kognitive Bildung und jede einschneidende Störung hat Folgen für die weitere Entwicklung. Das Jugendamt Frankfurt hat im Rahmen der Frühen Hilfen eine deutschlandweite Kampagne gestartet, mit der Eltern auf diese Gefahren hingewiesen werden.
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Die Bedürfnisse der Kinder
Zu Beginn der Entwicklung eines Kindes müssen die Bedürfnisse des Kindes im Mittelpunkt stehen. Damit Kinder in den ersten zwei Jahren eine sichere Bindung zur primären Bezugsperson aufbauen können, benötigen sie die ungestörte Aufmerksamkeit, den feinfühligen Umgang und die weitgehende Anwesenheit dieser Person. Ist die Aufmerksamkeit der Bezugsperson immer wieder abgezogen durch die vollkommene Konzentration auf ein digitales Medium, reagieren die meisten Kinder verstört darauf.
Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung
Wenn die Eltern jedoch dazu übergehen, ihrem kleinen Kind das hoch interessante Ding zum Spielen zu überlassen, ist es ruhig und zufrieden. Passiert das häufig und langzeitig, wird das Kind in seiner Entwicklung in mehrfacher Hinsicht beeinträchtigt. Die biologisch angelegten Lernprozesse werden gestört, die kognitive und soziale Entwicklung ist eingeschränkt. Des weiteren besteht die Gefahr, später Suchtverhalten zu entwickeln.
Die Bedeutung von Bewegung und sensorischem Empfinden
Bei kleinen Kindern wird Lernen ausschließlich über die Bewegung und das sensorische Empfinden in Gang gesetzt. Die ersten zwei Jahre werden deshalb auch als senso-motorische Phase bezeichnet. Darüber werden die Milliarden Gehirnzellen und die einzelnen Bereiche im Gehirn nach und nach miteinander verknüpft, so dass in der Folge gegen Ende des zweiten Lebensjahres Denken möglich ist. Vorher ist Denken und Handeln dasselbe. Wird die Bewegungslust durch ein solch faszinierendes Spielzeug nicht mehr empfunden, kommen die biologisch verankerten Antriebe des Erkundens, der Wissbegierde, der Nachahmung, des Spielens und des schöpferischen Erfindens nicht oder zu wenig zum Einsatz.
Einschränkungen in der Entwicklung
Die digitalen Medien passen also in den so wichtigen senso-motorischen Entwicklungsrahmen der ersten Jahre nicht hinein. Gibt es durch eine häufige Nutzung digitaler Medien zu viele Störungen, führt das zur Einschränkung in der gesamten Entwicklung. Im Gehirn löst das digitale Feuerwerk schneller Videos und bunter Animationen ein Reizbombardement aus, das auf das Stammhirn (unteres limbisches System) niedergeht. Es trifft in erster Linie das Belohnungssystem, das bei kleinen Kinder durch einen häufigen Gebrauch digitaler Medien völlig überdreht. Bestimmte Module reifen dann zu schnell und unzulänglich. Wichtige Teilbereiche des Stirnhirns können sich nicht voll entfalten.
Suchtgefahr und Lernprozesse
Um die Suchtgefahr zu verstehen, hilft das Wissen über den Ablauf des normalen Lernprozesses, der zur Speicherung des Wahrgenommenen im Langzeitgedächtnis führt. Der digitale Sinnesreiz schießt sich jedoch auf verkürztem Weg direkt ins Belohnungszentrum des limbischen Systems (Ausschüttung von Dopamin) und trickst den zum Lernen notwendigen Weg über den Hippocampus und den Gedächtnisspeicher im Großhirn aus. Wenn kleine Kinder das Smartphone der Eltern zur Ruhigstellung bekommen, wirkt dieses Feuerwerk besonders stark.
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Auswirkungen auf das soziale Denken
Das soziale Denken und Verstehen ist in der Vorschulzeit erst im Aufbau, so dass Störungen von außen langfristige Folgen haben können. In den ersten zwei Jahren läuft das soziale Handeln nur über die Gefühlsansteckung. Erst zwischen 2 und 3 Jahren kommt die Kognition dazu. Es ist die Zeit, wo sich das ichbezogene Denken aufgliedert und die Kinder mühsam lernen, sich in den anderen hinein zu versetzen.
Die Bedeutung des Spiels
Das Spiel mit anderen Kindern ist besonders wichtig, weil das soziale Lernen am Beginn über das bewusste gemeinsame Spiel in Gang kommt: Beim Rollenspiel schlüpfen die Kinder in verschiedene Rollen und üben dabei unbewusst, sich in die andere Rolle hinein zu versetzen. Auch die sprachliche und die kognitive Entwicklung wird durch diese Spiele vorangetrieben.
Digitale Medien in Kitas
Es gibt keinen den Kindern nutzenden Grund, in der Kita digitalen Medien einzusetzen. Auch die als „Haus der kleinen Forscher“ hervorgehobenen, mit digitalen Medien arbeitenden Kitas mit ihren begrenzten Medienzeiten ziehen diese von den entwicklungsfördernden Aktivitäten der Kinder ab. Des weiteren kann von Vorschulkindern noch kein realistisches Verständnis für ihre Umwelt erwartet werden.
Empfehlungen für den Umgang mit digitalen Medien
Alle wirtschaftsunabhängigen Experten empfehlen, Kindern erst mit 12 Jahren digitale Medien selbstverantwortlich zu überlassen. Das bedeutet, in Kitas sollten keine digitalen Medien eingesetzt werden. Da sich derzeit die ganze Gesellschaft in einem Rausch der digitalen Möglichkeiten befindet, ist es jedoch schwer, die Kinder davor zu schützen.
Die Vorbildfunktion der Eltern
Eltern müssten sich ihrer Vorbildfunktion bewusst sein. Wenn sie selbst ständig das Smartphone in der Hand haben, können sie dies den Kindern nicht ausreden. Dann sind sie unglaubwürdig und die Kinder lernen, dass das Smartphone einen besonderen Wert hat.
Studienergebnisse und Forschung
Etwa zehn Stunden pro Tag verbringen Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren laut einer Studie der Postbank im Internet. Der Hirnforscher Prof. Manfred Spitzer machte die dramatische Situation klar: "Wenn Jugendliche viel Zeit mit Ballern und mit Unfug am Bildschirm verbringen, dann kann das nicht gut für ihre Bildung sein". Er verweist auf Schweden, wo die Grundschulen wieder mit Büchern ausgestattet werden, da der Einsatz digitaler Medien im Unterricht nicht dazu führt, dass die Schülerinnen und Schüler besser lernen.
Auswirkungen auf die Gesundheit
Spitzer sieht Haltungsschäden, Kursichtigkeit oder Bluthochdruck als Auswirkungen von ausschweifender Handy- und Tabletnutzung. Es leiden zudem die kongnitive und die emotionale Intelligenz und auch die sprachliche Entwicklung. Vor allem das Nahsehen führe zu Kurzsichtigkeit, der stärkste Risikofaktor für Erblindung.
Smartphone-Abhängigkeit und Gehirnaktivität
Eine aktuelle Studie soll die Gehirnstruktur und -funktion bei Smartphonenutzer*innen zu zwei Zeitpunkten untersuchen, und zwar vor und nach einem 72-stündigen Zeitraum, in dem das Smartphone nicht genutzt werden soll. Ziel der Studie ist es daher, herauszufinden, ob der - selbst kurzzeitige - Verzicht auf das Smartphone zu messbaren Veränderungen der Gehirnaktivität führt.
Die Komplexität der Auswirkungen
"Zu viel" von irgendetwas ist immer schädlich. Viel auf Bildschirme oder das Smartphone zu starren, kann den Augen schaden. Eine Metaanalyse fand 2024 einen Zusammenhang zwischen der Kurzsichtigkeit und der Zeit vor dem Bildschirm. Allerdings sind nicht nur die digitalen Medien Risikofaktoren, auch das Lesen in Büchern oder Zeitungen kann Kurzsichtigkeit begünstigen. Umgekehrt hilft es, wenn wir uns regelmäßig bei Tageslicht im Freien aufhalten und häufiger in die Ferne schauen.
Studien zu Gehirnveränderungen
Zwei Studien einer amerikanischen Forschungsgruppe deuten darauf hin, dass sich das Gehirn durch bildschirmbasierte Medien verändert, etwa in den Bereichen, die für Sprache und Lese- sowie Schreibfähigkeiten zuständig sind. Eine 2024 veröffentlichte Untersuchung beobachtete die Gehirnentwicklung von Kindern, die zu Beginn der Studie zwischen neun und zehn Jahren alt waren. Interessanterweise fanden sie keinen Einfluss der Medien auf das Großhirn. In gewisser Weise schien die Entwicklung des Kleinhirns (Cerebellum) verändert, das beispielsweise zur Koordination von Bewegungen benötigt wird.
Alternative Meinungen
Die amerikanische Psychologin Dr. Jean M. Amy Orben und Andrew K. Przybylski kommen zu dem Schluss, dass sich die Nutzung digitaler Medien kaum auf die Psyche von Kindern und Jugendlichen auswirkt. Möglicherweise tragen die sozialen Medien allerdings zu einem höheren Risiko von Selbstverletzung oder gar Suizidgedanken bei, vor allem dann, wenn junge Menschen im Netz gemobbt werden.
Die Generation Alpha-Studie
Die im Jahr 2021 vom Institut für Generationenforschung durchgeführte Generation Alpha-Studie kommt zu ähnlichen Ergebnissen. In der Studie untersuchte das Institut die Entwicklungsbereiche von Kindern. Dazu beurteilten mehr als 1.000 pädagogische Fachkräfte in Deutschland die Kinder in ihren Betreuungsgruppen. Sie nahmen große Defizite in der sprachlichen, kognitiven und emotionalen Entwicklung der Kinder wahr. Vor allem in den vergangenen Jahren kam es zu einem Abfall der Entwicklungsleistungen der Kinder. Hierfür machen die pädagogischen Fachkräfte einerseits die digitalen Geräte aus, die den Alltag der Kinder bereits von der Wiege an begleiten.
Erziehungsstil und kindliche Entwicklung
Die Generation-Alpha-Studie liefert einen neuen Erklärungsansatz: Laut den pädagogischen Fachkräften sollte der Erziehungsstil einiger Eltern mitberücksichtigt werden. Paradoxerweise beurteilen die pädagogischen Fachkräfte bei den Kindern genau die Entwicklungsbereiche am schlechtesten, die die Eltern am meisten fördern. Laut den pädagogischen Fachkräften fruchtet das elterliche Erziehungsverhalten nicht in der Weise, wie sich die Eltern das vorstellen.
Ein gesunder Umgang mit Technologie
Dass Kinder Smartphones nutzen, ist nicht per se schädlich. Entscheidend ist ein gesunder Umgang mit der Technologie. Hirnforscher Martin Korte fordert uns dazu auf, regelmäßig zu reflektieren, ob wir uns mit unserem Konsum noch wohlfühlen oder ob er uns in unserer Lebensqualität einschränkt. Kinder brauchen hier die Unterstützung durch ihre Erziehungsberechtigten.
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