Die Parkinson-Krankheit, eine fortschreitende neurodegenerative Erkrankung, betrifft weltweit Millionen von Menschen. In Deutschland leben aktuell etwa 400.000 Menschen mit Parkinson, wobei die meisten im Alter zwischen 60 und 70 Jahren betroffen sind. Die Krankheit manifestiert sich durch Symptome wie Zittern (Tremor), Muskelsteifheit, verlangsamte Bewegungen (Bradykinese) und Haltungsinstabilität. Im fortgeschrittenen Stadium der Krankheit kommt es zunehmend zu Schwankungen der Beweglichkeit über den Tag, mit erneuten Phasen der Bewegungsarmut, Muskelverkrampfungen und Schmerz trotz regelmäßiger Einnahme der Medikation. Umgekehrt können paradoxerweise auch Phasen einer Überbeweglichkeit auftreten, in der die Patient:innen unwillkürliche, tänzelnde Bewegungen zeigen.
Die Behandlung von Parkinson konzentrierte sich traditionell auf die Linderung der Symptome durch Medikamente, insbesondere durch die Substitution von Dopamin. Jedoch stossen diese Behandlungen im Laufe der Zeit an ihre Grenzen, was zu unvorhersehbaren Wirkungsschwankungen und Nebenwirkungen führt. Um diese Herausforderungen zu bewältigen, werden zunehmend smarte Technologien eingesetzt, die das Potenzial haben, die Lebensqualität von Parkinson-Patienten erheblich zu verbessern.
Innovative Technologien zur Verbesserung der Parkinson-Behandlung
Das Institut für Angewandte Medizininformatik entwickelt smarte Tools für die Therapie von Patient:innen mit neurodegenerativen Erkrankungen. Diese innovativen Ansätze umfassen unter anderem:
- Smarte Textilien: Eine "Smart Textile"-Kappe, ausgestattet mit einer kleinen Kamera, erfasst Daten zur Mimik von Parkinson-Patienten. Christopher Gundler, Teamleiter „Angewandte KI im Gesundheitswesen“ am Institut für Angewandte Medizininformatik des UKE, erläutert, dass der Gesichtsausdruck bei Parkinson-Erkrankten wie versteinert wirken kann (Hypomimie). Die Kappe misst die Häufigkeit und Schwere dieser Symptome.
- Smartwatches: Mittels einer speziellen Software können Smartwatches am Handgelenk motorische Symptome wie krankheitsbedingten Tremor der Hand oder ein Zappeln, das auch bei Überdosierungen der Medikamente auftreten kann, messen.
- Schmerzuhr: Ein eigens designtes Device, eine „Schmerzuhr“, soll qualitative Auskünfte über nichtmotorische Symptome wie Schmerzen und Zittern liefern.
- Symptomtagebuch-App: Mithilfe einer innovativen Symptomtagebuch-App für Smartphone oder iPad sollen zuverlässige Angaben dazu gesammelt werden, zu welchen Tageszeiten Ausfälle und Schmerzen verstärkt auftreten.
- Emma Watch: Die Emma Watch, entwickelt von Microsoft, nutzt Vibrationsmotoren, um das Zittern von Parkinson-Patienten zu reduzieren. Dies ermöglicht Betroffenen, ihre Hände besser zu kontrollieren und Fähigkeiten wie Schreiben und Zeichnen wiederzuerlangen.
Diese Technologien generieren eine Fülle von aussagekräftigen Daten, die in Kombination mit traditionellen Behandlungsmethoden eine individualisierte und optimierte Medikamentenanpassung ermöglichen.
Die Rolle von Smartwatches bei der Erfassung von Bewegungsdaten
Smartwatches spielen eine zentrale Rolle bei der Erfassung von Bewegungsdaten, die für die Diagnose und Behandlung von Parkinson von entscheidender Bedeutung sind. Sie sind mit Sensoren wie Akzelerometern und Gyroskopen ausgestattet, die Veränderungen in der Bewegung erfassen können. Diese Daten können verwendet werden, um:
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- Tremor zu messen: Die Smartwatch kann die Frequenz und Intensität des Zitterns in den Händen oder anderen Körperteilen erfassen.
- Bradykinese zu quantifizieren: Die Verlangsamung der Bewegungen kann durch die Analyse der Beschleunigungsdaten gemessen werden.
- Gangmuster zu analysieren: Die Smartwatch kann Informationen über die Schrittlänge, die Gehgeschwindigkeit und die Haltungsstabilität liefern.
- Dyskinesien zu identifizieren: Die Smartwatch kann unwillkürliche, tänzelnde Bewegungen erkennen, die als Dyskinesien bezeichnet werden und oft als Nebenwirkung von Medikamenten auftreten.
Die kontinuierliche Erfassung dieser Daten ermöglicht es Ärzten, ein umfassenderes Bild des Krankheitsverlaufs zu erhalten und die Therapie entsprechend anzupassen.
Forschungsergebnisse und Studien
Mehrere Studien haben die Wirksamkeit von Smartwatches bei der Überwachung von Parkinson-Symptomen belegt:
- Eine Studie in npj Parkinson's Disease (2024) zeigte, dass handelsübliche Wearables genutzt werden könnten, um den Verlauf des Morbus Parkinson genauer zu verfolgen. Die Smartwatches verfügen über einen Akzelerometer, der die verminderten Bewegungen des Arms und den Tremor aufzeichnet, die Kennzeichen der Erkrankung sind. Auch die verminderte tägliche Schrittzahl liefert Hinweise auf den Verlauf der Erkrankung.
- Eine frühere Studie desselben Forschungsteams hatte gezeigt, dass Smartphone, Smartwatch und Sensoren in der Lage waren, gesunde Menschen von Patienten im Frühstadium eines Morbus Parkinson zu unterscheiden (npj Parkinson's Disease, 2023).
- Forscher der Universität Bielefeld haben mit speziellen Uhren Puls und Stresslevel der Fußballfans von Arminia Bielefeld und VfB Stuttgart beim DFB-Pokalfinale Ende Mai vermessen. Sie konnten so buchstäblich deren „Fußballfieber“ erfassen. Erstes Ergebnis: Die Forscher fanden klare Parallelen zwischen Spielverlauf und Körperreaktionen.
Diese Studien belegen, dass Smartwatches wertvolle Werkzeuge für die objektive Messung von Parkinson-Symptomen sind und zur Verbesserung der klinischen Versorgung beitragen können.
Telemedizin und Tiefe Hirnstimulation (THS)
Die Kombination von Smartwatch-Daten und Telemedizin eröffnet neue Möglichkeiten für die Behandlung von Parkinson-Patienten. Alireza Gharabaghi, Neurochirurg am Universitätsklinikum Tübingen, begleitet derzeit die ROAM-Studie, in der bei 100 Patienten mit implantiertem Hirnschrittmacher relevante Werte wie Zittern, Steifigkeit oder Schlaf per Smartwatch aufgezeichnet werden. Dies soll die Nachsorge entscheidend verbessern.
Die Betroffenen können via Remote-Steuerung, also zuhause, den Stimulator von der Klinik feinjustieren lassen. Gharabaghi betont, dass die Telemedizin dazu beitragen kann, dass Patienten für jede Neueinstellung und jedes Gespräch nicht mehr längere Reisen auf sich nehmen müssen.
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Die Tiefe Hirnstimulation (THS) ist eine weitere wichtige Therapieoption für Parkinson-Patienten, bei der Elektroden in bestimmte Hirnareale implantiert werden, um die Symptome zu lindern. Die Daten, die von Smartwatches erfasst werden, könnten in Zukunft genutzt werden, um die THS-Einstellungen noch individueller anzupassen und die Wirksamkeit der Therapie zu optimieren.
Herausforderungen und Zukunftsperspektiven
Obwohl Smartwatches und andere smarte Technologien vielversprechend sind, gibt es auch Herausforderungen zu bewältigen:
- Datenvalidierung: Es ist wichtig, die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der von den Wearables erfassten Daten sicherzustellen.
- Datenintegration: Die Daten von verschiedenen Geräten und Quellen müssen zusammengeführt und analysiert werden, um ein umfassendes Bild des Patienten zu erhalten.
- Datenschutz: Der Schutz der persönlichen Gesundheitsdaten der Patienten muss gewährleistet sein.
- Regulierung: Es ist wichtig, klare Richtlinien und Standards für den Einsatz von Wearables im Gesundheitswesen zu entwickeln.
Trotz dieser Herausforderungen ist das Potenzial von Smartwatches und anderen smarten Technologien zur Verbesserung der Parkinson-Behandlung enorm. In Zukunft könnten diese Technologien dazu beitragen, die Diagnose früher zu stellen, die Therapie individueller anzupassen, die Lebensqualität der Patienten zu verbessern und die Forschung voranzutreiben. Die Vision ist, dass die Geräte selbst in der Lage sind, wann, wie viel und auf welche Art sie stimulieren müssen. Das können diese Geräte lernen, indem sie einerseits Hirnsignale messen, also wissen, welche krankhaften Aktivitäten sie behandeln müssen. Und andererseits auch Informationen haben, in welcher Tagesphase sich ein Patient befindet: ob er oder sie sich gerade etwas mehr bewegen oder zur Ruhe kommen will.
Wearables im Gesundheitssystem
Can Dincer skizziert drei mögliche künftige Anwendungsszenarien für Wearables im Gesundheitssystem:
- Diagnostische Unterstützung: Bei Beschwerden bittet der Arzt den Patienten, ein Wearable über mehrere Tage zu tragen, um bestimmte Parameter kontinuierlich zu überwachen.
- Tägliche Gesundheitsüberwachung: Wearables geben morgens direkt Auskunft über den Gesundheitszustand und messen vitale und biochemische Gesundheitsparameter.
- Personalisierte Medikation: Wearables unterstützen bei der Einnahme von Medikamenten in der richtigen Menge, da sich diese mit der Zeit, dem Gewicht und dem Alter verändert.
Ein erfolgreiches Beispiel dafür ist die kontinuierliche Blutzuckermessung (CGM), bei der Sensoren und Insulinpumpen bereits heute in Echtzeit zusammenarbeiten.
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