Die Wechselwirkung zwischen Musik, Epilepsie und Gehirnaktivität ist ein faszinierendes Forschungsgebiet, das in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte gemacht hat. Von der Rekonstruktion von Musik aus Gehirnsignalen bis hin zur Untersuchung der Auswirkungen von Musik auf Epilepsie-Symptome bietet diese Forschung neue Einblicke in die Funktionsweise des Gehirns und das Potenzial für innovative Behandlungen.
Musikrekonstruktion aus Gehirnsignalen
Einem Team um Robert Knight von der Universität Berkeley in Kalifornien ist es gelungen, einen Song anhand von EEG-Daten zu rekonstruieren. Die Forscher spielten 29 Epilepsiepatienten ein Lied der englischen Rockband Pink Floyd vor und zeichneten gleichzeitig die intrakraniellen EEG-Signale auf. Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz (KI) und der aktuellen Computerleistung konnte das Team den Song aus den Hirnsignalen rekonstruieren.
Die KI wurde zunächst mit den Daten der EEG-Signale gefüttert und mit den entsprechenden Stellen in dem Song verglichen. Eine 15 Sekunden lange Sequenz des Liedes wurde ausgenommen, um die KI anhand des erlernten Algorithmus erzeugen zu lassen. Das Ergebnis ist zwar nicht perfekt, aber der Song ist in seiner Grundstruktur erkennbar. In einem Spektrogramm betrug die Übereinstimmung mit dem echten Songclip 43 %.
Für die Rekonstruktion nutzte die KI nur die EEG-Signale von 347 Elektroden, die sich hauptsächlich über drei Regionen des Gehirns befanden: dem Gyrus temporalis superior, dem sensomotorischen Cortex und dem Gyrus frontalis inferior. Interessanterweise waren vor allem die Ableitungen auf der rechten Gehirnhälfte wichtig für die Auswertung, obwohl Sprache, die ja ein wichtiger Bestandteil der Musik ist, vor allem auf der linken Hemisphäre verarbeitet wird.
Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen um Ludovic Bellier von der University of California in Berkeley hatten den Song "Another Brick in the Wall, Part 1" der britischen Rockband Pink Floyd von 1979 genutzt. Sie zeichneten über direkt auf das Gehirn aufgebrachte Elektroden die neuronale Aktivität bei 29 Menschen auf, die einem dreiminütigen Ausschnitt des Klassikers lauschten. Es handelte sich um Patientinnen und Patienten im Vorfeld einer Epilepsie-Operation.
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Aus den aufgezeichneten Aktivitätsdaten verschiedener Hirnregionen wurde mithilfe spezieller Kodierungsmodelle der ursprüngliche Song rekonstruiert, von dem so - mehr oder weniger - erkennbare Versionen entstanden. Der Rhythmus sei intakt, der Text zwar verworren, aber entzifferbar, so die Forscher. Zu den Erkenntnissen gehörte auch, dass an der Musikwahrnehmung beide Hemisphären des Gehirns beteiligt sind, die Rechte aber merklich stärker. Das Team machte bei seinen Untersuchungen zudem eine Hirnregion im Schläfenlappen ausfindig, die für die Rhythmuswahrnehmung zuständig ist, in diesem Fall des Gitarrenrhythmus.
Das Potenzial für Brain-Computer-Interfaces
Das längerfristige Ziel der Forscher ist ein Brain-Computer-Interface, das es Patienten mit Hirnerkrankungen, etwa einer amyotrophen Lateralsklerose oder einer Aphasie, ermöglichen würde, mit ihrer Umgebung über eine computergenerierte Sprache zu kommunizieren, die die musikalischen Elemente wie Rhythmus, Betonung, Akzent und Intonation berücksichtigt.
Die Ergebnisse könnten künftig für bessere Gehirn-Maschine-Schnittstellen genutzt werden, hoffen die Forschenden. Die heute verwendeten Schnittstellen für Menschen, die nicht sprechen können, seien zwar dazu in der Lage, Wörter zu entschlüsseln - die von ihnen reproduzierten Sätze klängen aber stark nach Roboter. Es fehle an Sprachmelodie, Emotionen, den vielen Ausdruck bringenden Details von Sprache.
Musik und Epilepsie: Der Mozart-Effekt und seine Grenzen
Die Musik von Wolfgang Amadeus Mozart wurde insbesondere in den letzten fünfzig Jahren erstaunliche Auswirkungen zugeschrieben. So erhielten Berichte über mögliche positive Effekte des Hörens von Mozarts Sonate KV448 auf Epilepsiesymptomatiken hohe mediale Aufmerksamkeit. Die empirische Belastbarkeit der zugrundeliegenden wissenschaftlichen Befunde blieb bis dato unklar.
Mozarts Musik wurde in der Vergangenheit mit etlichen angeblich positiven Auswirkungen auf Mensch, Tier und sogar Mikroorganismen in Verbindung gebracht. So sollte zum Beispiel das Hören dieser Musik die Intelligenz von Erwachsenen, Kindern oder Föten im Mutterleib steigern. Aber auch Kühe gäben mehr Milch und selbst Bakterien in Kläranlagen würden ihre Arbeit besser verrichten, wenn sie Mozarts Komposition hören.
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Die Mehrheit dieser vorgeblichen Effekte hat keinerlei wissenschaftliche Grundlage. Mozarts Musik ist schön, Linderung bei Epilepsie kann man sich von ihr leider nicht erwarten.
In jüngster Zeit erfuhr dieser Mozart-Effekt eine weitere Variation: Einige Studien berichteten von Symptomlinderungen bei Epilepsiepatienten, nachdem diese KV448 gehört hatten. Die neue umfassende Forschungssynthese von Sandra Oberleiter und Jakob Pietschnig von der Universität Wien zeigte anhand der gesamten verfügbaren wissenschaftlichen Literatur zu diesem Thema, dass es keine belastbaren Nachweise zu einem solchen positiven Effekt von Mozarts Musik auf Epilepsie gibt: Zurückzuführen ist dieser angebliche Mozart-Effekt auf selektive Berichte, zu kleine Stichproben und inadäquate Forschungspraktiken in diesem Literaturkorpus.
Zoe Wees und ihr Kampf gegen Epilepsie in der Musik
Die deutsche Sängerin Zoe Wees hat ihre Erfahrungen mit Epilepsie in ihrer Musik verarbeitet und damit international Aufmerksamkeit erlangt. In ihrer ersten Single "Control" spricht sie über ihren Kampf mit der Krankheit, an der sie als Kind litt. Das Schreiben eines Songs über ihre Krankheit war für sie ein Weg, diese schwierigen Momente zu verarbeiten, es ist ein therapeutischer Prozess. Die Epilepsie lässt sie in ständiger Angst, die Kontrolle zu verlieren. Aber sie verwandelte diese Angst in Stärke, indem sie Control schrieb, eine Flucht, in die sie all ihre Energie steckte. Es ist auch eine Quelle der Inspiration für andere Menschen mit ähnlichen Problemen.
Zoe Wees kennen wir von Hits wie "Girls Like Us" oder "Control". Im November 2023 erschien dann ihr lang erwartetes Debütalbum, welches den Titel "Therapy" trägt. Bei ENERGY sprach die 22-Jährige ganz exklusiv in einer kleinen Runde mit Fans & ENERGY Moderatorin Mona über das Album, ihre Epilepsie, Therapie, Panikattacken und mehr. Eingeladen waren Marco, Jamy, Lucy & Amira - alle haben ihre ganz eigenen Erfahrungen mit dem Thema seelische Gesundheit gemacht. Das Ziel der Gesprächsrunde: Einen Safe Space für Gespräche über Mental Health schaffen und in einen hilfreichen Austausch gehen.
Zoes neues Album heißt "Therapy" und dessen Titel ist auch wirklich Programm: Vier Jahre lang hat Zoe daran gearbeitet und der Schaffensprozess war wie eine große Therapiesitzung. Das Schreiben ist - neben ihrer eigentlichen Therapie mit ihrer Psychologin - das Tool, was Zoe am meisten hilft. Wenn sie schreibt, dann geht es erstmal nur ums Schreiben - nicht darum, dass der Song auch wirklich erscheinen muss. Ihre Therapie hilft ihr dabei, Themen und die richtigen Worte zu finden.
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Im Kindesalter wurde bei Zoe Wees eine Rolando-Epilepsie diagnostiziert. Mit 14 Jahren, als die Epilepsie laut Arzt weg war, plagten sie trotzdem noch ähnliche Symptome: "Genauso wie ein epileptischer Anfall eigentlich: es fängt an, es wird alles taub, […] es zuckt tatsächlich auch. Ich zittere komplett, mein Herz schlägt sehr schnell - manchmal fall ich um, weil mein Herz einfach zu schnell schlägt - solche Sachen." Da wurde Zoe klar: Das sind Panikattacken und sie muss sich wieder Hilfe holen.
Der Gedanke daran, die Krankheit als etwas zu akzeptieren, das ein Leben lang nicht mehr weggeht, hat Zoe Wees extrem geholfen. "Diese Akzeptanz hat mir das alles leichter gemacht", verrät sie.