Sprachprobleme nach einer Schädigung des Gehirns, wie sie beispielsweise durch einen Schlaganfall verursacht werden, sind eine häufige und oft sehr belastende Folge. Diese Sprachstörungen, Aphasien genannt, können die Kommunikation erheblich beeinträchtigen und den Alltag der Betroffenen stark verändern.
Was ist eine Aphasie?
Der Begriff "Aphasie" stammt aus dem Griechischen und bedeutet "Sprachlosigkeit" oder "Verlust der Sprache". Medizinisch gesehen handelt es sich um eine erworbene Sprachstörung, die durch eine Schädigung des Gehirns verursacht wird. Es ist wichtig zu betonen, dass eine Aphasie keine Sprechstörung ist, die auf Problemen mit der Mundmuskulatur oder der Motorik beruht, sondern eine Störung des Sprachsystems selbst. Die geistigen Fähigkeiten der Betroffenen, wie Denken, Wissen und Erinnern, sind in der Regel nicht beeinträchtigt.
Ursachen einer Aphasie
Die häufigste Ursache für eine Aphasie ist ein Schlaganfall, der in etwa 80 Prozent der Fälle verantwortlich ist. Ein Schlaganfall entsteht durch eine Durchblutungsstörung im Gehirn, die zu einer Schädigung des Sprachzentrums führt. Weitere mögliche Ursachen sind:
- Schädel-Hirn-Trauma
- Tumoren im Gehirn
- Hirnblutungen
- Entzündliche Erkrankungen des Gehirns (z. B. Enzephalitis)
- Vergiftungen
- Demenz (z.B. Alzheimer, Frontotemporale Demenz)
- Multiple Sklerose (MS)
Wie sich eine Aphasie äußert
Die Symptome einer Aphasie können vielfältig sein und hängen von der Art und dem Ausmaß der Hirnschädigung ab. In der Regel sind mehrere sprachliche Fähigkeiten gleichzeitig in unterschiedlichem Ausmaß betroffen. Zu den typischen Symptomen gehören:
- Sprachverständnis: Schwierigkeiten, gesprochene oder geschriebene Sprache zu verstehen.
- Wortfindung: Probleme, die richtigen Wörter zu finden oder sich an sie zu erinnern (Anomie).
- Sprachproduktion: Schwierigkeiten, flüssig und grammatikalisch korrekt zu sprechen.
- Lesen und Schreiben: Beeinträchtigungen beim Lesen und Verstehen von Texten sowie beim Schreiben von Wörtern und Sätzen.
- Wahrnehmung und Verarbeitung von Sprachlauten: Beeinträchtigungen der auditiven, taktilen und visuellen Wahrnehmung.
Manchmal können sich die Symptome auch verbessern oder verändern, insbesondere wenn die Aphasie durch eine nicht fortschreitende Erkrankung verursacht wurde.
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Formen der Aphasie
Um die Vielfalt der Symptome besser einordnen und behandeln zu können, werden verschiedene Formen der Aphasie unterschieden. Die vier häufigsten Formen sind:
- Globale Aphasie: Die schwerste Form der Aphasie, bei der sowohl das Sprachverständnis als auch die Sprachproduktion stark beeinträchtigt sind. Betroffene können sich meist nur mit einzelnen Wörtern oder Floskeln äußern.
- Broca-Aphasie: Auch als motorische Aphasie bezeichnet. Hier ist die Sprachproduktion stark beeinträchtigt, während das Sprachverständnis relativ gut erhalten ist. Betroffene sprechen oft langsam und mühsam in kurzen,Telegramm-artigen Sätzen.
- Wernicke-Aphasie: Auch als sensorische Aphasie bezeichnet. Bei dieser Form ist das Sprachverständnis stark beeinträchtigt, während die Sprachproduktion flüssig, aber oft unverständlich ist. Betroffene sprechen in langen, verschachtelten Sätzen, die wenig Sinn ergeben.
- Amnestische Aphasie: Hier stehen Wortfindungsstörungen im Vordergrund. Das Sprachverständnis und die Sprachproduktion sind weniger stark beeinträchtigt. Betroffene umschreiben oft Gegenstände oder verwenden Füllwörter.
Es ist wichtig zu beachten, dass jede Aphasie individuell ist und sich in ihren Symptomen und ihrem Schweregrad unterscheiden kann.
Diagnose einer Aphasie
Die Diagnose einer Aphasie erfolgt durch erfahrene Experten, in der Regel Neurologen und Logopäden. Zunächst wird ein ausführliches Gespräch mit dem Patienten und seinen Angehörigen geführt, um die Beschwerden und die Krankengeschichte zu erfassen. Anschließend erfolgen umfangreiche neurologische Untersuchungen und spezielle Sprachtests, wie z. B. der Aachener Aphasie Test (AAT).
Mithilfe bildgebender Verfahren, wie der Computertomographie (CT) oder der Magnetresonanztomographie (MRT), kann die Ursache der Aphasie festgestellt und das Ausmaß der Hirnschädigung beurteilt werden.
Therapie einer Aphasie
Die Therapie einer Aphasie zielt darauf ab, die sprachlichen Fähigkeiten des Patienten wiederherzustellen, zu verbessern oder zu erhalten. Ziel ist es, die Kommunikationsfähigkeit so weit wie möglich zu verbessern und die Betroffenen in die Lage zu versetzen, wieder am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
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Die Behandlung erfolgt in der Regel durch Logopäden, die spezielle Aphasie-Übungen mit den Patienten durchführen. Die Therapie kann einzeln oder in Gruppen stattfinden. Neben der direkten Sprachtherapie können auch andere Therapieformen, wie z. B. Ergotherapie oder Physiotherapie, sinnvoll sein, um Begleiterscheinungen der Aphasie zu behandeln.
Mögliche Therapieansätze
- Sprachtherapie (Logopädie und/oder Linguistik): Verbesserung von Sprechen, Verstehen, Lesen und Schreiben.
- Computerunterstützte Sprachtherapie: Einsatz von speziellen Softwareprogrammen und Apps zur Unterstützung der Therapie.
- Neuropsychologische Therapie: Verbesserung von Aufmerksamkeit, Gedächtnis und anderen kognitiven Funktionen.
- Physiotherapie: Behandlung von Lähmungen und Bewegungseinschränkungen.
- Ergotherapie: Übungen zum Wiedererlernen von Alltagsfähigkeiten.
- Real Life-Training: Anwenden von Kommunikationsstrategien in realen Alltagssituationen.
Bedeutung der Kompensation
Ein wichtiger Aspekt der Aphasie-Therapie ist die Kompensation der Sprachstörung. Betroffene lernen, die fehlenden sprachlichen Fähigkeiten durch andere Ausdrucksmöglichkeiten, wie z. B. Gestik, Mimik oder den Einsatz von Hilfsmitteln, zu ersetzen.
Medikamentöse Behandlung
Bisher gibt es keine Medikamente, die die Aphasie direkt behandeln können. Allerdings können Medikamente eingesetzt werden, um die Grunderkrankung, die die Aphasie verursacht hat, zu behandeln oder Begleiterscheinungen, wie z. B. Depressionen, zu lindern.
Forschungsergebnisse
Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) in Leipzig haben herausgefunden, dass das Gehirn in manchen Fällen Hirnschädigungen gut kompensieren kann, in anderen jedoch nicht. So kann beispielsweise bei einer Schädigung des Areals, das für die Bedeutung der Sprache zuständig ist (Gyrus angularis), das benachbarte Areal (Gyrus supramarginalis) einspringen und dessen Funktion übernehmen. Dies funktioniert jedoch nicht bei grundlegenderen Prozessen, wie der Verarbeitung der rhythmischen Struktur eines Wortes.
Diese Erkenntnisse können dazu beitragen, die Therapie von Aphasien in Zukunft gezielter auf die Bereiche auszurichten, die sich am ehesten kompensieren lassen, und die Hypothese vom hierarchischen Aufbau der Sprache zu bestätigen.
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Technologische Hilfsmittel
Technische Entwicklungen erleichtern die Behandlung und den Alltag von Aphasie-Patienten. Dazu gehören Sprach-Apps wie Neolexon, Constant Therapy, Tactus oder Lingraphica und spezielle Computerprogramme wie EvoCare, aphasiaware und Lingware. Studien zeigen, dass Patienten mit Sprach-Apps und Sprachsoftware zur Aphasie-Behandlung größere Fortschritte erzielen als ohne diese Übungen.
Intensives Sprachtraining
Studien haben gezeigt, dass intensives Sprachtraining auch sechs Monate oder länger nach dem auslösenden Schlaganfall zu einer entscheidenden Verbesserung der Sprachstörung und der Lebensqualität führen kann. Intensives Sprachtraining bedeutet mindestens zehn Stunden pro Woche bei mindestens drei Wochen Dauer des Intensivtrainings.
Umgang mit Aphasie im Alltag
Der Umgang mit einer Aphasie stellt sowohl für die Betroffenen als auch für ihre Angehörigen eine große Herausforderung dar. Es gibt jedoch einige Tipps, die den Alltag erleichtern können:
- Kommunikation: Sprechen Sie langsam, deutlich und in einfachen Sätzen. Vermeiden Sie Fremdwörter und komplizierte Formulierungen. Geben Sie dem Betroffenen ausreichend Zeit, um zu antworten. Verwenden Sie Gesten, Mimik und andere nonverbale Kommunikationsmittel.
- Unterstützung: Bieten Sie dem Betroffenen Unterstützung bei alltäglichen Aufgaben an, ohne ihn zu bevormunden. Fördern Sie seine Selbstständigkeit und Eigenverantwortung.
- Verständnis: Zeigen Sie Verständnis für die Situation des Betroffenen und nehmen Sie seine Gefühle ernst. Vermeiden Sie es, ihn zu korrigieren oder ihm das Wort aus dem Mund zu nehmen.
- Geduld: Seien Sie geduldig und tolerant. Es kann dauern, bis sich der Betroffene an die neue Situation gewöhnt hat und Fortschritte macht.
- Hilfsmittel: Nutzen Sie Hilfsmittel, wie z. B. Bildkarten, Kommunikationsbücher oder elektronische Kommunikationshilfen.
- Selbsthilfegruppen: Suchen Sie den Kontakt zu anderen Betroffenen und ihren Angehörigen. Der Austausch in Selbsthilfegruppen kann sehr hilfreich sein.
Tipps für Angehörige
- Behandeln Sie den Aphasiker als Gesprächspartner auf Augenhöhe.
- Sprechen Sie nicht über ihn, sondern mit ihm.
- Formulieren Sie Fragen so, dass sie mit "Ja" oder "Nein" beantwortet werden können.
- Halten Sie Blickkontakt.
- Sorgen Sie im Gespräch für eine ruhige Umgebung.
- Versuchen Sie, verständnisvoll und geduldig zu sein.
- Beachten Sie die Mimik des Betroffenen.
Berufliche Wiedereingliederung
Der berufliche Wiedereinstieg mit einer Aphasie kann eine große Herausforderung darstellen. Nicht alle Berufe sind mit einer Aphasie gleichermaßen vereinbar. Es gibt jedoch spezielle Programme und Angebote, die Betroffene bei der beruflichen Wiedereingliederung unterstützen.
Selbsthilfegruppen und Interessenvertretungen
Für viele Betroffene ist es hilfreich, sich in Selbsthilfegruppen mit anderen Aphasikern auszutauschen. Es gibt sowohl professionell geführte Gruppen als auch von Betroffenen selbst organisierte Gruppen. Eine zentrale Interessenvertretung ist der Bundesverband für die Rehabilitation der Aphasiker e.V.
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