Statine und neurologische Nebenwirkungen: Ein umfassender Überblick

Statine, auch bekannt als HMG-CoA-Reduktasehemmer, sind weit verbreitete Medikamente zur Senkung des LDL-Cholesterins (Low-Density-Lipoprotein), das eine Schlüsselrolle bei der Entstehung von Atherosklerose spielt. Obwohl ihre Wirksamkeit bei der kardiovaskulären Prävention unbestritten ist und sie in den entsprechenden Leitlinien empfohlen werden, berichten viele Patienten über Schwierigkeiten bei der langfristigen Einnahme. Dies führt zu einer verminderten Einnahmetreue, die wiederum mit einer erhöhten Sterblichkeit assoziiert ist. Eine der Hauptursachen für die reduzierte Einnahmetreue sind Statin-assoziierte Muskel-Symptome (SAMS).

Häufigkeit und Definition von Statin-assoziierten Muskel-Symptomen (SAMS)

In der klinischen Praxis und in Beobachtungsstudien berichten 10-30 % der Patienten über SAMS. Diese Symptome stellen eine relevante Ursache für die reduzierte Einnahmetreue dar. Es besteht jedoch eine Diskrepanz zwischen der Inzidenz in Registern und in randomisierten Studien, wobei die Häufigkeit in randomisierten Studien geringer ist und sich kaum von der Placebogruppe unterscheidet.

Klinisch sind SAMS heterogen und umfassen proximale, symmetrische Schmerzen, Verspannungen, Steifheit oder Krämpfe, die von Muskelschwäche begleitet sein können. Körperlich aktive Menschen scheinen besonders betroffen zu sein. Meist ist die Kreatinkinase (CK) nicht erhöht, aber bei Sportlern kann eine leichte CK-Erhöhung bis zu 400 U/L auftreten.

In seltenen Fällen (1:1.000 bis 1:10.000 pro Jahr) kommt es zu CK-Erhöhungen über das Zehnfache der oberen Grenze des Normalbereichs. Noch seltener (ca. 1 pro 100.000 Patienten) sind schwerste Muskelschädigungen mit Rhabdomyolyse, die zu akutem Nierenversagen mit Todesfolge führen kann.

Ursachen und Risikofaktoren für SAMS

Die Pathophysiologie von SAMS ist noch nicht vollständig verstanden. Es werden verschiedene molekulare Mechanismen diskutiert, darunter Veränderungen des zellulären Energiestoffwechsels, der Isoprenylierung von Signalproteinen und der Mitochondrienfunktion.

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Viele klinische und konstitutionelle Faktoren erhöhen das Risiko für SAMS. Die Häufigkeit hängt auch von der Dosis und den Plasmakonzentrationen der Statine ab. Das Risiko steigt mit höheren Dosierungen exponentiell an. Klinisch relevant ist die Erhöhung der wirksamen Statin-Konzentration durch die gleichzeitige Einnahme von Medikamenten wie Makrolidantibiotika oder Azolantimykotika oder auch Grapefruitsaft.

Sowohl bei Ausdauer- als auch bei Krafttraining unter Statintherapie können Symptome auftreten, die von Muskelkater kaum zu unterscheiden sind. Alkoholabusus sollte als Ursache einer CK-Erhöhung und Rhabdomyolyse ausgeschlossen werden.

Genetische Ursachen spielen ebenfalls eine Rolle. Eine starke Assoziation besteht zwischen Polymorphismen im SLCO1B1-Gen und SAMS unter Simvastatin. Dieser Gendefekt erhöht die Statin-Konzentration im Blut.

Diagnostik von SAMS

Die CK-Aktivität ist weder sensitiv noch spezifisch für SAMS. Geeignetere Laborparameter sind nicht bekannt. Eine einmalige Bestimmung der CK-Aktivität vor Therapiebeginn ist ratsam, um auffällige Erhöhungen unter Therapie einordnen zu können. Ferner sollten TSH, Transaminasen, die errechnete glomeruläre Filtrationsrate und Eiweiß im Urin gemessen werden.

Ein allgemeines Screening auf die SLCO1B1-Gen-Variante ist nicht sinnvoll, kann aber in Einzelfällen bei hohem Risiko für SAMS diskutiert werden.

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Neurologische Differenzialdiagnosen

Eine schon bestehende asymptomatische Myopathie kann durch Statin-Einnahme demaskiert werden. Das EMG zeigt bei SAMS keine spezifischen Befunde und ist indiziert, wenn eine Myopathie anderer Ursache differenziert werden soll.

Statin-Reexposition

Große Fallserien zeigen, dass Patienten mit Muskelbeschwerden unter einer Statin-Therapie mehrheitlich im weiteren Verlauf mit einem Statin behandelt werden können. In sogenannten n=1-Studien erhielten Patienten nach einer Medikamentenpause individuell, doppelblind und in zufälliger Reihenfolge Statin oder Placebo. Die Beschwerden, die während der Statin- und der Placebophase berichtet wurden, unterschieden sich nicht signifikant.

Zusammengefasst zeigen die Daten, dass ein sehr großer Anteil der Muskelbeschwerden nicht spezifisch Statin-assoziiert ist. Die Herausforderung im klinischen Alltag besteht darin, Perzeptions- und Übertragungsphänomene sowie den Hawthorne-Effekt von klassischen organischen Muskulopathien zu unterscheiden.

Therapiemonitoring und Prophylaxe

Vor der Einleitung einer Statin-Therapie stehen die eingehende Anamnese und die Basisdiagnostik. Folgende Hinweise können helfen, SAMS zu vermeiden:

  • Die Kontraindikationen für Statine beachten und interferierende Medikamente vermeiden.
  • Bei schweren körperlichen Belastungen sollte die Einnahme von Statinen pausiert werden.
  • Wenn keine Muskelbeschwerden auftreten, ist eine regelmäßige Überprüfung der CK nicht erforderlich.
  • Bei Patienten mit Niereninsuffizienz ab Stadium 3a sollten die Dosisempfehlungen beachtet werden.

Vorgehen bei Verdacht auf SAMS

Ein wichtiger Faktor für die Diagnostik und in vielen Fällen der Schlüssel zum Erfolg ist ausreichend Zeit für den Patienten. Viele Beschwerden lassen sich viralen Infekten, ungewohnter körperlicher Aktivität und Arzneimittelinteraktionen zuordnen. Nicht-Statin-assoziierte muskuläre Erkrankungen müssen berücksichtigt werden.

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Das Arzt-Patienten-Gespräch soll Ängste und Erwartungen des Betroffenen sowie dessen psychosoziale Situation berücksichtigen. Ein großer Anteil der vermeintlich Statin-assoziierten Muskelbeschwerden kann dadurch anderweitig zugeordnet werden.

Beim weiteren Vorgehen wird zwischen Betroffenen mit CK-Erhöhung und solchen ohne CK-Erhöhung unterschieden.

Weitere Nebenwirkungen von Statinen

Neben den Muskel-Symptomen sind auch andere Nebenwirkungen von Statinen bekannt, darunter:

  • Neurologische und neurokognitive Störungen: Es gibt Berichte über Gedächtnisstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten und andere kognitive Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit der Einnahme von Statinen. Ob Statine tatsächlich Depressionen, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen oder sogar Alzheimer hervorrufen, ist jedoch fraglich.
  • Erhöhtes Diabetesrisiko: Statine können das Risiko erhöhen, an Diabetes zu erkranken. In einer Studie von 2019 ergab sich an 228.000 Patienten, dass sich schon innerhalb von drei Monaten nach Beginn der Medikamenteneinnahme das Risiko für Diabetes und Hautinfektionen deutlich erhöhte.
  • Schlafstörungen: Statine können auch zu Schlafstörungen führen, da offenbar auch Alpträume zu ihren Nebenwirkungen gehören können.
  • Sehnenerkrankungen: Statine können auch zu Erkrankungen der Sehnen beitragen, sogar zu Sehnenrissen. Besonders betroffen sind die Achillessehne, die Quadrizepssehne und die distale Bizepssehne.
  • Myasthenia gravis: Statine können eine Myasthenia gravis auslösen oder verschlechtern. Bei Myasthenia gravis, einer nichterblichen Autoimmunerkrankung, ist die Signalübertragung zwischen Nerv und Muskel an der motorischen Endplatte gestört.

Subjektive vs. objektive Nebenwirkungen

In den USA haben Berichte über Nebenwirkungen im Zusammenhang mit einer Statintherapie in den letzten 10 Jahren deutlich zugenommen. Zumeist handelt es sich um subjektive Beschwerden, was Ärzten in ihrem Alltag bewusst sein sollte. Subjektive Nebenwirkungen sind solche, die von den Patienten selbst angegeben werden, ohne dass diese durch physiologische Veränderungen greifbar sind (z.B. Fatigue, Arthralgien, Muskelschwäche/schmerzen ohne Laborbefunde und neurologische Beschwerden wie Kopfschmerzen, Müdigkeit und Schwindel). Objektive Nebenwirkungen sind Symptome, die mit Labor- oder anderen physiologische Auffälligkeiten einhergingen bzw. oder durch medizinisches Personal bestätigt wurden.

Die im Laufe der Zeit zu beobachtenden Piks von Berichten subjektiver Nebenwirkungen korrelierten mit medialen Berichterstattungen bzw. Warnungen über potenzielle Statin-Nebenwirkungen.

Alternativen zu Statinen

Es gibt verschiedene Alternativen zu Statinen, die zur Senkung des Cholesterinspiegels eingesetzt werden können:

  • Ezetimib: Ezetimib hemmt die Cholesterinaufnahme im Darm und kann in Kombination mit Statinen oder als Monotherapie eingesetzt werden.
  • PCSK9-Hemmer: PCSK9-Hemmer sind monoklonale Antikörper, die die Wirkung des PCSK9-Enzyms blockieren und so die LDL-Rezeptoren erhöhen. Sie werden in der Regel alle zwei bis vier Wochen unter die Haut gespritzt.
  • Bempedoinsäure: Bempedoinsäure ist ein ATP-Citrat-Lyase-Inhibitor, der die Cholesterinsynthese in der Leber hemmt.
  • Pflanzliche Mittel: Einige pflanzliche Mittel, wie Artischockenextrakt, können den Cholesterinspiegel senken.

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