Die vaskuläre Demenz ist eine Form der Demenz, die durch Durchblutungsstörungen im Gehirn verursacht wird. Kardiovaskuläre Risikofaktoren spielen eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung von Demenz, wobei ein Drittel aller Demenzfälle mit solchen Risikofaktoren assoziiert sein könnte. Zu diesen Risikofaktoren zählen Rauchen, Adipositas, Bluthochdruck, Diabetes mellitus und Hypercholesterinämie. Insbesondere hohe LDL-Cholesterin-Werte scheinen mit neurodegenerativen Prozessen in Verbindung zu stehen. Vor diesem Hintergrund wird die Rolle von Statinen, die zur Senkung des LDL-Cholesterins eingesetzt werden, in der Prävention und Behandlung der vaskulären Demenz intensiv diskutiert.
Hintergrund: Demenz und kardiovaskuläre Risikofaktoren
Die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste Form der Demenz, mit einer Inzidenz von 13 % bei Menschen über 65 Jahren, die mit zunehmendem Alter auf 45 % (ab 85 Jahren) ansteigt. Da es derzeit keine kausale Therapie für diese Erkrankung gibt und die demografische Entwicklung zu einer Zunahme der Krankheitsfälle führt, liegt ein Schwerpunkt auf der Identifizierung von Risikofaktoren und entsprechenden Präventionsmaßnahmen.
Kardiovaskuläre Risikofaktoren sind auch für die Entwicklung von Demenz von Bedeutung. Ein Drittel aller Demenzfälle könnte mit kardiovaskulären Risikofaktoren assoziiert und daher vermeidbar sein. Zu den kardiovaskulären Risikofaktoren gehören neben Rauchen, Adipositas, Bluthochdruck und Diabetes mellitus auch eine Hypercholesterinämie. Dabei sind die LDL-Cholesterin-Werte mit dem Demenzrisiko assoziiert. Hohe LDL-Spiegel scheinen mit neurodegenerativen Prozessen assoziiert zu sein, und die Ergebnisse neuerer Studien deuten auf einen Zusammenhang zwischen Entzündung, Dyslipidämie, Arteriosklerose und Demenz hin.
Die familiäre Hypercholesterinämie stellt ein mögliches Modell zur Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Arteriosklerose und Demenz dar. Diese hereditäre Erkrankung wird durch eine Mutation im LDL-Cholesterin-Rezeptor ausgelöst. Bei Menschen mit familiärer Hypercholesterinämie treten von Geburt an hohe LDL-Cholesterinwerte auf, die das Risiko einer frühen Arteriosklerose und von kardiovaskulären Erkrankungen erhöhen.
Zielsetzung von Studien zur Statin-Therapie bei Demenz
Ein Team um Dr. Liv Mundal vom Oslo University Hospital, Norwegen, untersuchte, ob Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie ein erhöhtes Demenzrisiko haben und ob eine Statin-Therapie das Demenzrisiko bei diesen Patienten beeinflusst [1].
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Methodik von Studien zur Statin-Therapie bei Demenz
Die Datenerhebung fand im Rahmen einer prospektiven Kohortenstudie statt, die zwischen 2008 und 2018 in Norwegen durchgeführt wurde. Die statistische Auswertung erfolgte im Zeitraum von Januar 2021 bis Februar 2022. In die Studie wurden Menschen mit genetisch bestätigter familiärer Hypercholesterinämie und eine nach Alter und Geschlecht gematchte Kontrollen ohne familiäre Hypercholesterinämie aus der norwegischen Bevölkerung einbezogen.
Eine Demenz wurde nach der anerkannten ICD-Klassifikation definiert. Registriert wurden Fälle von Demenz allgemein, vaskulärer Demenz und Alzheimer-Demenz. Daneben wurden Daten zur Statin-Einnahme aus verschiedenen Patienten- und Verschreibungsregistern in Norwegen berücksichtigt (Norwegian Patient Registry, Cause of Death Registry, Norwegian Prescription Database). Berechnet wurden die Hazard Ratios (HR) für das Demenzrisiko von Personen mit familiärer Hypercholesterinämie und den gematchten Kontrollen. Die kumulierten Statin-Tagesdosen wurden ebenfalls berechnet.
Ergebnisse von Studien zur Statin-Therapie bei Demenz
Insgesamt gingen 3.520 Individuen mit familiärer Hypercholesterinämie in die Studie mit ein. Davon war ca. die Hälfte (52 %) weiblichen Geschlechts und das mittlere Alter bei Studieneintritt lag bei 51,8 Jahren. Die Kontrollgruppe bestand aus 69.713 Individuen mit korrespondierender Alters- und Geschlechtsverteilung.
Innerhalb des Beobachtungszeitraums von 10 Jahren entwickelten 62 Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie und 1.294 der Kontroll-Probanden eine Demenz. Damit liegt, betrachtet man die Größe der Gesamtgruppen (einer Person mit familiärer Hypercholesterinämie wurden 20 Kontroll-Personen gegenübergestellt), kein bedeutender Unterschied zwischen beiden Gruppen vor. Die meisten Demenzfälle traten bei Menschen ab 70 Jahren auf (39 Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie [62,9%] und 870 Kontroll-Personen [62,7%]). Insgesamt zeigten sich keine signifikanten Unterschiede im Demenzrisiko zwischen beiden Gruppen (HR für Demenz 0,9%; 95% Konfidenzintervall [CI] 0,7-1,2).
Es zeigte sich keine Assoziation zwischen den kumulierten Statin-Tagesdosen und Demenz bei Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie, unabhängig von der Statin-Dosis (niedrig = unter 5.000 Tagesdosen, hoch = über 10.000 Tagesdosen).
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Schlussfolgerungen aus Studien zur Statin-Therapie bei Demenz
Die Studienergebnisse deuten darauf hin, dass Menschen mit einer familiären Hypercholesterinämie kein erhöhtes Demenzrisiko im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung haben. Eine Statin-Therapie bei Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie scheint das Demenzrisiko ebenfalls nicht zu beeinflussen.
Limitationen der Studie sind das relativ junge Alter der Teilnehmenden. Bezüglich der Ergebnisse zur Statin-Therapie könnte diese das Demenzrisiko bei Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie beeinflusst haben.
Weitere Forschungsergebnisse und Kontroversen
Die wissenschaftliche Datenlage zu Statinen und kognitiver Beeinträchtigung ist nach wie vor widersprüchlich. Dabei basieren die gegensätzlichen Schlussfolgerungen auf zwei unabhängigen Wirkmechanismen: Die schädigende Wirkung der Statine wird damit erklärt, dass sie die Cholesterin-Level im ZNS reduzieren und somit das Gedächtnis schädigen. Die Gegenseite argumentiert, dass Statine auf lange Sicht das physiologische Gleichgewicht an Cholesterin wiederherstellen und in den Entstehungsprozess von Alzheimer eingreifen können.
Statine und kognitive Fähigkeiten: Eine komplexe Beziehung
Ob die Einnahme von Statinen die kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigen kann, wird kontrovers diskutiert. Klar ist: Schlaganfallprävention trägt grundsätzlich zu deren Erhalt bei. Doch wie sieht es darüber hinaus mit Nebenwirkungen aus?
Die Statintherapie ist in der Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen etabliert. Auch wenn das Risiko für schwere Nebenwirkungen gering ist, wurde über leichte Komplikationen berichtet. Über einen möglichen Einfluss von Statinen auf die kognitiven Fähigkeiten herrscht Uneinigkeit, sowohl eine Verbesserung als auch eine Verschlechterung des Gedächtnisses wurde in Studien beobachtet.
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Aktuelle Studienlage: ASPREE-Studie
In einer großen Analyse wurde jetzt untersucht, ob der Einsatz von Statinen bei älteren Patienten tatsächlich mit kognitiven Einbußen oder Demenz einhergeht.
Für die Analyse nutzten die Forscher um Dr. Zhen Zhou von der Universität von Tasmanien in Hobart Daten aus der randomisierten ASPREE-Studie, in der über 65-Jährigen täglich niedrig dosiertes ASS verabreicht worden war. Die fast 20.000 Teilnehmer hatten zu Beginn weder kardiovaskuläre Erkrankungen noch schwere körperliche Einschränkungen oder Demenz. Sie wurden in zwei Gruppen eingeteilt, abhängig davon, ob sie Statine einnahmen (31%) oder nicht.
Kein Zusammenhang mit kognitivem Abbau beobachtet
Während der Nachbeobachtungszeit entwickelten 566 Patienten eine Demenz, einschließlich möglicher Alzheimererkrankungen und Mischformen. Die Einnahme von Statinen war nicht mit einem höheren Risiko für Demenz, Alzheimer oder Mischformen assoziiert als Statinverzicht. Es traten 380 Fälle leichter kognitiver Beeinträchtigungen auf. Auch hier entdeckten die Forscher keinen Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Statinen und einem gesteigerten Risiko. Bezüglich der Veränderung einzelner kognitiver Komponenten wie Aufmerksamkeit, Sprache oder Merkfähigkeit gab es keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Zwischen den Nutzern von hydrophilen und lipophilen Statinen entdeckten die Forscher ebenfalls keine Unterschiede.
Sie beobachteten jedoch eine signifikante Wechselwirkung zwischen den kognitiven Fähigkeiten zu Studienbeginn und einer Statintherapie: In der Analyse stieg das Risiko für Demenz und Veränderungen des episodischen Gedächtnisses, wenn die kognitiven Fähigkeiten zu Studienbeginn abnahmen. Das episodische Gedächtnis gehört zum Langzeitgedächtnis und ist bei Alzheimer-Demenz häufig betroffen.
Ausnahme: Patienten mit bereits eingeschränkter Kognition?
„Diese Studie ergänzt die bisherige Forschung, indem sie darauf hindeutet, dass die Einnahme von Statinen zu Studienbeginn nicht mit einer späteren Demenz und einem langfristigen kognitiven Abbau bei älteren Patienten assoziiert ist“, fassen Zhou und Kollegen zusammen. Eine Einschränkung ist jedoch, dass die Analyse auf Beobachtungsdaten basiert. Die Mediziner empfehlen, die Ergebnisse mit Vorsicht zu interpretieren, bis randomisierte Studien dazu vorliegen.
In einem Begleitkommentar heben Dr. Christie Ballantyne und Dr. Vijay Nambi vom Baylor College of Medicine in Houston als Stärke der Studie die große Kohorte und die standardisierten Kognitionstests hervor. „Ungeklärte Fragen, wie die in dieser Analyse aufgeworfene zu potenziellen Nebenwirkungen von Statinen bei Personen mit leicht eingeschränkter Kognition, können nur in randomisierten Studien beantwortet werden“, ergänzen sie.
Cholesterinstoffwechsel im Gehirn und Alzheimer
Wissenschaftler der Universität Bonn haben herausgefunden, dass der Cholesterinstoffwechsel im Gehirn das Risiko für Alzheimer beeinflusst. Cholesterinsenkende Medikamente - so genannte Statine - reduzieren das Risiko für Alzheimer. Diese Entdeckung sorgte vor einigen Jahren für großes Aufsehen. Wissenschaftler der Abteilung für Klinische Pharmakologie der Universität Bonn um Privatdozent Dr. Dr. Dieter Lütjohann klären jetzt Schritt für Schritt, warum Statine den Verlust von Hirnsubstanz bei Alzheimer hemmen. Eine ihrer neuesten Erkenntnisse: Die Konzentrationen bestimmter Vorstufen des Cholesterins sowie seines Abbauprodukts 24S-Hydroxycholesterin im Liquor* sinkt, wenn Patienten mit Statinen behandelt werden. "Wir vermuten, dass unter der Therapie mit Statinen im Gehirn weniger Cholesterin gebildet und dadurch auch weniger Cholesterin abgebaut wird", erläutert Lütjohann. Diese Wirkung der Medikamente war bislang unbekannt - zurzeit werden Statine in erster Linie eingesetzt, um die Cholesterinbildung in der Leber zu hemmen und so der Arteriosklerose vorzubeugen. Auf welche Weise die Arzneien auch im zentralen Nervensystem wirken können, sollen jetzt weitere Studien klären. Die Bonner Forschungsarbeiten erhalten finanzielle Unterstützung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).
Eine andere Beobachtung der Wissenschaftler zeigt, dass der Cholesterinstoffwechsel im Gehirn tatsächlich etwas mit Alzheimer zu tun haben muss. Denn Statine können auch die Liquor-Konzentration von ß-Amyloid reduzieren. Dieses Protein hat für die Entstehung von Alzheimer entscheidende Bedeutung. Bei betroffenen Patienten finden sich massenhaft krankhafte Ablagerungen von ß-Amyloid im Gehirn. Lütjohann: "Wir haben beobachtet, dass die Abnahme des ß-Amyloid-Gehaltes und der Konzentration des 24S-Hydroxycholesterins, eines hirnspezifischen Abbauprodukts des Cholesterins, im Liquor sehr gut miteinander korrelieren.
Diagnosemöglichkeiten verbessern
Die Möglichkeit der Alzheimer-Therapie mit Statinen ist aber nur ein Aspekt des Forschungsprojektes. Auch für die Diagnose der Hirnerkrankung bieten sich neue Möglichkeiten. Dabei spielt 24S-Hydroxycholesterin eine Schlüsselrolle. Die Substanz wird beim Menschen ausschließlich im zentralen Nervensystem gebildet. Nur in Form von 24S-Hydroxycholesterin kann Cholesterin die Barriere zwischen Blut und Hirngewebe überwinden. Die Substanz ist deshalb ein hervorragender Indikator für den Cholesterinstoffwechsel im Gehirn. Lütjohann: "Bei Alzheimer-Patienten ist der Gehalt von 24S-Hydroxycholesterin im Liquor dauerhaft und im Blut zumindest im Anfangsstadium der Krankheit deutlich erhöht.
Sicherheitsprofil von Statinen
Trotz der potenziellen Vorteile müssen auch die Risiken und Nebenwirkungen von Statinen berücksichtigt werden.
Häufige Nebenwirkungen
Muskelschmerzen waren in den Reviews von USPSTF (18) (9 RCTs, n = 46.388) und Cochrane (25) (9 RCTs, n = 37.939) unter Statinen numerisch geringfügig gehäuft. Auffallend ist dabei, dass in den überwiegend doppelblinden RCTs Muskelschmerzen auch unter Placebo von etwa jedem 11. Patienten beklagt wurden (USPSTF: 7,9 % vs. 7,2 %; Cochrane: 9,5 % vs. 9,2 %). Cai et al. (35) unterschieden zwischen subjektiv berichteten Muskelschmerzen und Myopathien mit nachgewiesenem relevantem Anstieg der CK, zumeist in den Primärstudien definiert als CK-Anstieg > 5 x ULN. Unter Einschluss von deutlich mehr RCTs als bei Cochrane und USPSTF fanden Cai et al. (21 RCTs, n = 65.304) eine geringe, aber signifikante Häufung von Muskelschmerzen (9,60 % vs. 9,51 %; OR 1,06; 95 % CI 1,01-1,13), entsprechend 15 zusätzlichen Fällen von Muskelschmerzen pro 10.000 Patienten, die ein Jahr lang mit Statinen behandelt wurden.
Auf Basis individueller Patientendaten berücksichtigte eine Analyse der CTT nicht nur den Term „Myalgie“, sondern auch die Begriffe „Wadenschmerz, Muskelkrämpfe, muskulo-skelettale Schmerzen und Muskelschwäche“. In der gepoolten Analyse von 16 RCTs (n = 95.890) trat im ersten Behandlungsjahr ein zusätzlicher Fall solcher Muskelbeschwerden bei 100 Patienten mit moderat dosierten Statinen auf (moderat dosierte Statine vs. Placebo: 18 % vs. 17 %, RR 1,07; 95 % CI 1,03-1,10). Der weitaus überwiegende Anteil der Muskelbeschwerden (94 %) war somit nicht durch die Statintherapie verursacht. Im weiteren Studienverlauf klagten Patienten unter moderat dosierten Statinen nicht mehr häufiger über Muskelbeschwerden als unter Placebo (5,2 % vs. 5,4 %; RR 0,98; 95 % CI 0,95-1,02) (56).
Seltene, aber schwerwiegende Nebenwirkungen
In der Metaanalyse von Cai et al. traten Myopathien unter Statinen nicht gehäuft auf (25 RCTs, n = 65.304; OR 0,88; 95 % CI 0,62-1,24) (35). Rhabdomyolysen waren in der Primärprävention sehr selten und unter Statinen nicht signifikant gehäuft (8 RCTs, n = 59.672; Statin vs. Kontrolle: 4 vs. 2 Fälle) (18). Bei Berücksichtigung einer größeren Datenbasis sowohl der Primär- als auch der Sekundärprävention (21 RCTs, n = 129.526) traten Rhabdomyolysen unter Statinen signifikant und dosisabhängig gehäuft, aber sehr selten auf: Bei einer fünfjährigen Statintherapie ist laut CTT mit einer zusätzlichen Rhabdomyolyse pro 10.000 Patienten zu rechnen (37).
Diabetesrisiko
Die Studienlage zur Neuentwicklung von Diabetes mellitus Typ 2 unter Statinen in der Primärprävention ist inkonsistent, da verschiedene Reviews unter Einschluss jeweils unterschiedlicher Primärstudien zu divergierenden Ergebnissen kamen. Der Cochrane-Review berücksichtigte lediglich zwei RCTs (AFCAPS/TexCAPS (57) und JUPITER (39)) und sah - dominiert durch die Studie JUPITER - ein signifikant erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Diabetes mellitus Typ 2 (25). Es ist unklar, weshalb der Cochrane-Review keine weiteren Studien berücksichtigte. Die Metaanalyse von NICE fand unter Einschluss von fünf RCTs ebenfalls ein signifikant erhöhtes Diabetesrisiko bei Patienten ohne manifeste atherosklerotische kardiovaskuläre Erkrankung (ASCVD) (4,2 % vs. 3,7 %; RR 1,12; 95 % CI 1,02-1,22; I² = 39 %). Eine ähnlich starke relative Risikoerhöhung bestand unter Einbezug von fünf Studien der Sekundärprävention (4,7 % vs. 4,3 %; RR 1,09; 95 % CI 1,03-1,17; I² = 35 %) (4). Zum gleichen Ergebnis wie NICE kamen Thakker et al., die in ihre Metaanalyse sowohl RCTs der Primär- als auch der Sekundärprävention einschlossen (18 RCTs, n = 163.039) (36). Laut Thakker et al. besteht unter Statinen im Vergleich zu Placebo eine relative Risikoerhöhung von 12 %, einen Diabetes mellitus zu entwickeln (OR 1,12; 95 % CI 1,05-1,21; I² = 36 %) (36).
Bei einer von NICE und Thakker et al. abweichenden Studienauswahl fanden die Reviews von USPSTF (sechs RCTs) (18;20) und Cai et al. (neun RCTs) (35) kein signifikant erhöhtes Diabetesrisikos unter Statinen. Allerdings bestand in beiden Reviews eine relevante Heterogenität der eingeschlossenen Studien (I² = 50 %). Ein möglicher Grund für die beobachtete Heterogenität sind die unterschiedlichen Methoden der Primärstudien, neu aufgetretene Fälle von Diabetes mellitus zu diagnostizieren. So hatte beispielsweise die Studie WOSCOPS (47), die einen protektiven Effekt von Statinen zeigte, besonders stringente Diagnosekriterien: Sie forderte den zweimaligen Nachweis eines Nüchtern-Blutzuckers > 126 mg/dl mit einem Anstieg von mindestens 36 mg/dl im Vergleich zum Ausgangswert bei Studienbeginn. Dagegen basierten bei der Studie JUPITER, die im Rahmen der Primärprävention als einzige Einzelstudie ein signifikant erhöhtes Diabetesrisiko feststellte, neudiagnostizierte Diabetesfälle auf einer nicht näher definierten ärztlichen Diagnose. Zudem könnte das Diabetesrisiko durch die Statinintensität beeinflusst sein: Subgruppenanalysen von NICE zeigten ein ansteigendes Risiko bei zunehmender Statinintensität (niedrige Statinintensität: RR 1,05; moderate Statinintensität: RR 1,11; hohe Statinintensität: RR 1,25) (4). Konsistent hierzu setzte die Studie JUPITER als einzige Einzelstudie mit Rosuvastatin 20 mg ein Statin in hoher Dosierung ein.
Hämorrhagische Schlaganfälle
Es liegt keine Metaanalyse zur Häufigkeit von hämorrhagischen Schlaganfällen unter Statinen in der Primärprävention vor. Die CTT (37) fand für eine gemischte Population aus Primär- und Sekundärprävention eine numerische Risikoerhöhung von 15 % (188 vs. 163 Fälle; RR 1,15; 95 % CI 0,87-1,51). Unter Einbezug der Studien SPARCL (58) und CORONA (59), für die keine Individualdaten verfügbar waren, ergab sich eine signifikante Risikoerhöhung um 21 % pro 1 mmol/l LDL-C-Reduktion (RR 1,21; 95 % CI 1,05-1,41; p = 0,01). Dieses Ergebnis ist allerdings nicht direkt auf die Primärprävention übertragbar, da in die Studie SPARCL nur Patienten mit Zustand nach Schlaganfall oder TIA eingeschlossen wurden. Für Patienten ohne kardiovaskuläre Vorerkrankung ist laut CTT-Analyse höchstens mit einigen wenigen zusätzlichen hämorrhagischen Schlaganfällen pro 10.000 behandelter Patienten zu rechnen.
Leberfunktionsstörungen
Der Review der USPSTF (10 RCTs, n = 44.936) fand keinen signifikanten Anstieg von Leberfunktionsstörungen unter Statinen (RR 0,94; 95 % CI 0,78-1,13), definiert als Transaminasenanstieg entsprechend den jeweiligen Grenzwerten der Primärstudien (zumeist ALT-Anstieg ≥ 3-fach des oberen Normwertes) (18). Cai et al. berichteten dagegen über ein signifikant erhöhtes Risiko für Leberfunktionsstörungen (21 RCTs, n = 54.803). Die relative Risikoerhöhung um ein Drittel (RR 1,33; 95 % CI 1,12-1,58) entspricht drei zusätzlichen Fällen pro 1000 Patienten über eine Behandlungsdauer von vier Jahren (35). Aus Sicht der AkdÄ ist die klinische Relevanz asymptomatischer Transaminasenanstiege gering.
Weitere potenzielle Nebenwirkungen und Wechselwirkungen
Im Zusammenhang mit der Einnahme von Statinen einschließlich Simvastatin wurde über kognitive Beeinträchtigungen (z. B. Gedächtnisverlust, Vergesslichkeit, Amnesie, Gedächtnisstörungen, Verwirrung) berichtet.
Bei der Einnahme von Statinen und bestimmten Medikamenten müssen Wechselwirkungen beachtet werden. So blockieren einige Arzneien den Abbau von Statinen. Der so erhöhte Statinwirkstoffspiegel erhöht das Risiko von Muskelbeschwerden. Zu ihnen gehören etwa: die Calciumantagonisten Verapamil, Diltiazem, Amlodipin, das Rhythmusmedikament Amiodaron sowie die Antibiotika Erythromycin und Clarithromycin. Umgekehrt können Statine die Wirkung anderer Medikamente beeinflussen. Bekannt ist auch die Wechselwirkung mit Grapefruit und Grapefruitsaft, die allerdings nur bei Simvastatin, Atorvastatin, Lovastatin zu einer Wirkungsversstärkung führen kann. Bei der Einnahme dieser Statine sollte wegen des damit verbundenen erhöhten Risikos für Muskelbeschwerden auf Grapefruit und Grapefruitprodukte verzichtet werden. Für Rosuvastatin, Pravastatin und Fluvastatin gilt dies nicht.
Mythen und Fakten über Statine
Es ist wichtig, einige weit verbreitete Irrtümer über Statine auszuräumen:
- Irrtum: Manche Menschen mit hohem Cholesterin werden sehr alt, ohne je ein Statin eingenommen zu haben. Das zeigt, dass man auf Statine verzichten kann.
- Richtigstellung: Es gibt tatsächlich Menschen, die trotz hoher Cholesterinwerte sehr alt werden. Doch sie sind die Ausnahme. Und damit ist nicht bewiesen, dass Statine verzichtbar sind.
- Irrtum: Gesunde Ernährung und Bewegung reichen aus, um hohe Cholesterinwerte zu senken.
- Richtigstellung: Gesunde Ernährung gehört ebenso wie tägliche Bewegung, ausreichend Entspannung, Verzicht aufs Rauchen zu einem gesunden Lebensstil, der bei allen Herzkrankheiten und auch zu ihrer Vorbeugung unverzichtbar ist. Der LDL-Cholesterinwert lässt sich damit jedoch - je nach Ausgangszustand - nur um etwa fünf bis zehn Prozent senken. Die Aufnahme von LDL-Cholesterin wird zudem im Wesentlichen durch die Leber (nicht den Magen oder den Darm) reguliert. Bei Personen mit hohen LDL-Werten liegen genetische Veränderungen zugrunde, d.h. die Betroffenen sind nicht „Schuld“ an ihren hohen Werten durch ungesunde Ernährung.
- Irrtum: Statine schädigen die Muskeln dauerhaft.
- Richtigstellung: Selbst bei Jahrzehnte-langer Einnahme werden Statine im Allgemeinen sehr gut vertragen. In Beobachtungsstudien, die auf Berichten von Patienten beruhen, traten Muskelbeschwerden (die häufigste Nebenwirkung, vor allem bei Therapiebeginn und bei hoher Dosierung) bei fünf bis zehn Prozent auf. Allerdings werden (altersbedingte) Bewegungsschmerzen oft fälschlicherweise auf eine Statineinnahme zurückgeführt.
- Irrtum: Alle Statine wirken gleich.
- Richtigstellung: Der Wirkungsmechanismus aller Statine ist gleich: Sie hemmen ein spezifisches Enzym in der Leber - die HMG-CoA-Reduktase. Dadurch gibt es weniger Cholesterin in den Zellen. Dieser “Mangel“ bewirkt letztlich, dass die Zellen mehr LDL-Cholesterin zum Ausgleich aus dem Blut aufnehmen können. Der LDL-Cholesterin-Wert sinkt. Die einzelnen Substanzen werden allerdings unterschiedlich verstoffwechselt und sie haben eine unterschiedliche Wirkstärke. Dadurch unterscheiden sie sich bei den empfohlenen Dosismengen und der Tageshöchsdosis. Die stärkste Senkung des LDL-Cholesterins lässt sich durch Atorvastatin und Rosuvastatin erzielen.
- Irrtum: Statine sollten nur bis zum 75. Lebensjahr eingenommen werden.
- Richtigstellung: Statine schützen Patienten mit koronarer Herzkrankheit und anderen arteriosklerotischen Erkrankungen auch im Alter über 75 Jahren vor Herzinfarkt und Schlaganfall. In Studien konnte sogar nachgewiesen werden, dass das Absetzen von Statinen im Alter besonders gefährlich ist.