Multiple Sklerose und Persönlichkeitsveränderungen: Eine umfassende Betrachtung

Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), die Gehirn und Rückenmark betrifft. Weltweit sind mehr als 2,3 Millionen Menschen betroffen, wobei Frauen doppelt so häufig betroffen sind wie Männer. Die Erkrankung manifestiert sich typischerweise im jungen Erwachsenenalter, meist zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr, kann aber auch bei Kindern und Jugendlichen diagnostiziert werden. MS ist nicht ansteckend, nicht zwangsläufig tödlich, kein Muskelschwund und keine psychische Erkrankung.

Symptome und Diagnose der Multiplen Sklerose

Die Multiple Sklerose wird oft als die "Krankheit der 100 Gesichter" bezeichnet, da ihre Symptome vielfältig sind und an verschiedenen Körperteilen gleichzeitig auftreten können. Zu Beginn der MS-Erkrankung treten häufig motorische Störungen wie Lähmungen und Sehstörungen mit Verschwommen- oder Nebelsehen als Ausdruck einer Entzündung der Sehnerven (Optikusneuritis) auf. Daneben kommen oft Gefühlsstörungen der Haut ("Sensibilitäts-Störungen") vor, meist in Form von Kribbeln, (schmerzhaften) Missempfindungen oder einem Taubheitsgefühl. Außerdem können unterschiedlichste Beschwerden wie Blasenstörungen, Unsicherheit beim Gehen oder beim Greifen, Doppelbilder und "verwaschenes" Sprechen auftreten.

Im Verlauf der Erkrankung sind die Lähmungserscheinungen häufig mit einem Steifigkeitsgefühl ("wie Blei an den Beinen") verbunden, was als Spastik bezeichnet wird. Spastische Lähmungserscheinungen betreffen vor allem die Beine. Blasenstörungen können sich als häufiger, nicht gut kontrollierbarer Harndrang (imperativer Harndrang), einer Blasenentleerungs-Störung bis hin zur Inkontinenz oder als kombinierte Schädigung zeigen.

Viele Betroffene berichten zudem, dass sich ihre Arme oder Beine "pelzig" anfühlen. Das Gehen fällt ihnen schwer, das Stehen wird anstrengend, weil "die Beine irgendwie nicht da sind". Sind die Arme betroffen, wird oft das Greifen ungenau oder Gegenstände lassen sich nicht sicher festhalten. Bei einer Multiplen Sklerose treten häufig Blasen- und Darmstörungen auf. Dabei werden die "Kommandos" nicht mehr oder nur verlangsamt über die Nervenbahnen weitergeleitet. Verstopfungen können sehr schmerzhaft sein. Ungewollter Harnverhalt (Ischurie; Wasserlassen kaum bis nicht möglich) kann ebenfalls auftreten, wobei die Blase zwar voll ist, aber die betroffene Person sie nicht entleeren kann. Multiple Sklerose verursacht vor allem Schmerzen in den Armen und Beinen, die häufig morgens direkt nach dem Aufstehen auftreten.

Die Diagnose der MS ist oft schwierig, da es keine einzelnen Befunde oder Untersuchungstechniken gibt, die die MS alleine sichern. Die meisten Anfangsbeschwerden können auch denen anderer Krankheiten entsprechen, daher kann es sogar für einen erfahrenen Arzt schwierig sein, die Krankheitszeichen bereits im Frühstadium exakt einzuordnen. Eine gesicherte Diagnose beruht auf einer umfassenden Anamnese, das heißt einer möglichst detaillierten Erfassung der bisherigen Krankheitsgeschichte, und einer Reihe von weiteren Untersuchungen, die zumeist mit folgenden Methoden durchgeführt werden:

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  • Neurologische, körperliche Untersuchung
  • Evozierte Potentiale (Nervenleitfähigkeit und Geschwindigkeit)
  • Lumbalpunktion (Nervenwassergewinnung)
  • Magnetresonanztomographie (MRT, Kernspinresonanz-Tomographie des Gehirns und des Rückenmarkes)

Wie die Teile eines Mosaiks ermöglichen die verschiedenen Untersuchungsergebnisse die Diagnose. Es gibt international anerkannte Diagnosekriterien (die McDonald-Kriterien), die eine Diagnosestellung unterstützen. Dennoch kann es manchmal Wochen, Monate, zuweilen sogar Jahre dauern, bis die Diagnose eindeutig feststeht.

Ursachen und Risikofaktoren der Multiplen Sklerose

Die Ursachen der MS sind noch nicht vollständig geklärt. Vermutet wird ein ganzes Bündel an Ursachen, wobei einzelne Faktoren alleine vermutlich nicht die Erkrankung auslösen, sondern mehrere Bedingungen zusammentreffen müssen (multifaktorielle Entstehung). Das genaue Zusammenspiel dieser Faktoren ist bislang nicht hinreichend bekannt.

Das Abwehrsystem des Körpers, das Immunsystem, spielt dabei eine zentrale Rolle. Bei der MS scheint ein Teilbereich dieses Abwehrmechanismus falsch programmiert zu sein, das heißt, er richtet sich gegen den eigenen gesunden Körper. So kommt es z.B. durch eine Fehlsteuerung innerhalb des Immunsystems zur Bildung von Abwehrelementen (Zellen und Eiweißstoffe/Antikörper, Entzündungsstoffe), die am Myelin, den Nervenzellen und ihren Nervenfasern Schädigungen und Störungen verursachen können. Im Zusammenhang mit MS wird häufig von einer Autoimmunerkrankung gesprochen.

Auch eine Beteiligung genetischer Faktoren ist nicht ausgeschlossen und wird intensiv erforscht. Das heißt aber nicht, dass es eine direkte Vererbung der Erkrankung gibt - vererbt wird eher eine "Neigung", die Erkrankung möglicherweise zu bekommen, eine sogenannte Prädisposition. Als potentielle Faktoren, die eine solche "Neigung" weiter verstärken können, werden zum Beispiel der Einfluss von Umweltfaktoren wie Infektionen im Kindesalter, aber auch andere Aspekte, wie Vitamin D und die Ernährung vermutet.

Psychische Auswirkungen und Persönlichkeitsveränderungen bei MS

Neben den körperlichen Symptomen können bei MS-Patienten auch neuropsychiatrische Auffälligkeiten auftreten. Bereits Charcot beschrieb im 19. Jahrhundert auch psychiatrische Syndrome als Teil der Erkrankung. Am häufigsten treten Depressionen und Angststörungen auf. Im Krankheitsverlauf können auch kognitive Defizite und organische Persönlichkeitsveränderungen hinzukommen.

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Psychische Erkrankungen und MS hängen eng zusammen. Psychiatrische Symptome sind bei Multipler Sklerose häufig im Rahmen der vieljährigen Krankengeschichte anzutreffen. Es hat sich im Kontext der Behandlung der MS bewährt, zu unterscheiden zwischen psychiatrischen Störungen, die:

  • Unmittelbare Folge der MS als organischer Erkrankung oder der Behandlung sind (kognitive Defizite, Wesensveränderungen, Depression, Psychosen, …)
  • Psychoreaktiv als Folge der Erkrankung auftreten (Probleme mit der Krankheitsverarbeitung, Depression, Angststörungen, Belastungsreaktionen, …)
  • Ohne direkten ursächlichen Zusammenhang mit der MS bereits bestanden oder sich im Krankheitsverlauf entwickeln (Komorbidität)

Eine Wesensveränderung ist bei MS durchaus möglich. Gerade bei langjährigen Verläufen treten psychiatrische Symptome häufig auf. Wobei sich die Medizin jedoch einig ist: Die psychischen Beschwerden müssen bei jedem MS-Patienten professionell erfasst und ganzheitlich beleuchtet werden.

Kognitive Beeinträchtigungen und "Brain Fog"

Etwa zwei Drittel aller MS-Betroffenen leiden neben den körperlichen Symptomen auch unter kognitiven Einschränkungen. Betroffene berichten auch häufig von einem "Brain Fog". Dabei fühlt es sich an, als ob der Kopf und die Gedanken vernebelt wären. Bei Multipler Sklerose kann es schwerer sein, Informationen zu verstehen oder sich an sie zu erinnern.

Psychische Belastung durch die Diagnose und den Krankheitsverlauf

Die Erstdiagnose einer chronischen Erkrankung ist für die meisten Betroffenen ein Schock. Die Einschränkungen im gewohnten Lebensalltag, in Partnerschaft, Familie und Beruf werden als schwierig und bedrohlich erlebt. Die Anpassung an die Krankheit, das Leben mit MS scheint aus eigener Stärke nicht machbar.

Die Ursachen der MS sind bis heute nicht vollständig geklärt, eine exakte Prognose ist nicht möglich - das belastet viele Patienten sehr. Die Unvorhersagbarkeit des Krankheitsverlaufes stellt eine besondere Belastung für Neuerkrankte und ihre Angehörigen dar.

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Auswirkungen auf Beziehungen und das soziale Umfeld

Wenn ein Familienmitglied die Diagnose MS bekommt, steht zunächst die Welt still. Sie trifft alle Beteiligten wie ein Schlag. Auch für Menschen mit MS ist der Umgang mit ihren Angehörigen vermutlich nicht immer einfach. Es geht um den Umgang zwischen MS-Patient:innen und ihren Liebsten im engeren Umfeld, um ihre Bedürfnisse und die Art, wie diese formuliert werden. Der wichtigste Punkt für beide Seiten: Reden Sie darüber! Angehörige sind nicht automatisch die Pfleger:innen, Betroffene nicht automatisch hilfsbedürftig.

Therapie und Behandlungsmöglichkeiten

Obwohl die Multiple Sklerose bis heute nicht ursächlich heilbar ist, gibt es Behandlungsmöglichkeiten, die zum Ziel haben:

  • Die akute Entzündungs-Reaktion eines Schubes zu hemmen (Schubtherapie)
  • Das Fortschreiten der Erkrankung aufzuhalten
  • Die beschwerdefreie/-arme Zeit zu verlängern (verlaufsmodifizierende Therapie)
  • Die MS-Symptome zu lindern und möglichen Komplikationen vorzubeugen (Symptomatische Therapie)

Vor allem die letzten beiden Therapiebereiche werden in der Regel kombiniert angewendet. Es gilt heute als ehrgeiziges Therapieziel, Krankheitsaktivität/Schübe völlig zu verhindern, die schleichende Behinderungsprogression nachhaltig zu verlangsamen und im Idealfall sogar zu stoppen. Zur Behandlung der MS sind verschiedene Medikamente verfügbar. Diese können sich auf die Psyche der Betroffenen auswirken. Sprechen Sie mit IhrerIhrem Ärztin, wenn Sie psychische Veränderungen bemerken.

Psychotherapeutische und supportive Maßnahmen

In der Marianne-Strauß-Klinik gibt es die Möglichkeit einer zielorientierten psychotherapeutischen Kurzintervention durch eine/n Arzt/Ärztin oder klinische Neuro-/Psychologen. Die inhaltlichen Schwerpunkte setzen wir in Absprache mit Ihnen, so z. B.:

  • Differenzierung zwischen psychischer Symptomatik und somatischer Erkrankung
  • Krankheitsbewältigung
  • Umgang mit Emotionen
  • Bewältigung familiärer Konflikte

Es werden sowohl tiefenpsychologische und verhaltenstherapeutische Verfahren als auch unterschiedliche Entspannungsmethoden angewendet. Zusätzlich gibt es auch die Möglichkeit einer medikamentösen Behandlung.

Rehabilitation und soziale Unterstützung

Beeinträchtigen die MS-Beschwerden die Selbstständigkeit der betroffenen Person, so hat sie unter Umständen Anspruch auf einen Pflegegrad. Beeinträchtigt die MS-Krankheit die Teilhabe oder Funktionen der betroffenen Person, so kann sie beim Versorgungsamt einen Grad der Behinderung (GdB) beantragen.

Leben mit Multipler Sklerose

Ein selbstbestimmtes Leben mit MS ist möglich. Viele Betroffene müssen Schritt für Schritt lernen, mit ihrer Krankheit umzugehen. Es ist wichtig, sich an den Arzt des Vertrauens zu wenden, falls neue Beschwerden verspürt werden oder, wenn die ersten Symptome erneut auftreten. Der Verlauf einer MS kann von Patient zu Patient sehr unterschiedlich sein. Deshalb ist es nicht möglich, eine genaue Voraussage des individuellen Verlaufes zu treffen. Dennoch muss betont werden, dass die MS nicht zwangsläufig schwer verlaufen muss. Im Gegenteil, gerade zu Beginn der Erkrankung kann es zu einer weitgehenden Abheilung der entzündlichen Herde und damit zur Rückbildung der auftretenden Krankheitszeichen kommen.

Umgang mit der Diagnose und den Symptomen

Sollten Sie selbst die Diagnose "MS" erhalten haben, sprechen Sie mit Ihrem Arzt offen über Ihre Zweifel und Ängste. Sagen Sie ihm, ob Sie eine zusätzliche Meinung hören wollen. Das wird sicher nicht in jedem Fall notwendig sein, aber unter Umständen hilft es Ihnen, besser einordnen zu können, ob es sich um eine klinisch eindeutige MS oder zunächst nur um einen MS-Verdacht handelt.

Selbsthilfegruppen und Informationsquellen

Es gibt zahlreiche Selbsthilfegruppen und Informationsquellen für MS-Patienten und ihre Angehörigen. Diese bieten Unterstützung, Austausch und Informationen über die Erkrankung und ihre Behandlung.

Patientenverfügung

Eine Patientenverfügung stellt sicher, dass Ihre medizinischen Wünsche auch in unerwarteten Situationen respektiert werden und bewahrt so Ihre Selbstbestimmung. Sie greift in Situationen, in denen Sie aufgrund von Krankheit oder Verletzung nicht in der Lage sind, sie selbst auszudrücken. Dieses Dokument entlastet zudem Ihre Angehörigen von schwierigen Entscheidungen, vermeidet Missverständnisse und schützt vor unerwünschter Über- oder Unterbehandlung.

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