Viele Mütter kennen das Phänomen: Die EC-Karte im Laden liegen gelassen, beim Einkaufen die Hälfte vergessen, dazu die Frage "hab ich den Herd wirklich ausgemacht?". In den ersten Wochen und Monaten nach der Geburt sind viele Mütter vergesslich. Dieses Phänomen wird oft als "Stilldemenz" bezeichnet. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen, Auswirkungen und möglichen Lösungsansätze für dieses weit verbreitete Phänomen.
Was ist Stilldemenz?
Der Begriff "Stilldemenz" ist irreführend, da er suggeriert, dass es sich um eine Form von Demenz handelt. Es handelt sich jedoch um eine vorübergehende Erscheinung, die mit einer echten Demenzerkrankung nichts zu tun hat. Demenz ist ein Oberbegriff für verschiedene Krankheitsbilder des Gehirns, die mit einem unumkehrbaren Abbau von Synapsen und Nervenzellen einhergehen. "Stilldemenz" hingegen beschreibt eine vorübergehend nachlassende Merk- und Konzentrationsfähigkeit der Mutter. Im englischsprachigen Raum ist auch von "Mommy Brain" (Mama-Hirn) oder "Baby Brain" die Rede.
Ursachen der Vergesslichkeit
Für die Pannen des mütterlichen Gehirns ist eine ganze Reihe von Faktoren verantwortlich. Die Ursachen sind weniger beim Stillen zu suchen als in Stress und Schlafmangel der ersten Monate mit Baby. Eine ganze Reihe von Faktoren sind für die Pannen des mütterlichen Gehirns verantwortlich.
Hormonelle Veränderungen
Hormonelle Veränderungen spielen eine wesentliche Rolle bei der Vergesslichkeit nach der Geburt. Nach der Geburt sinken der Östrogen- und Progesteronspiegel bei der Frau. Schon das erschwert es der Mutter, sich zu konzentrieren bzw. Dinge zu merken. Stattdessen durchströmt das Kuschelhormon Oxytocin den mütterlichen Körper und sorgt vor allem für eine gute Bindung zum Baby. Mamas ganzer Fokus liegt jetzt auf dem Kind - wieder eine wunderbare Überlebensgarantie für das Kleine! Außerdem schüttet der mütterliche Körper nun mehr Prolaktin aus, das die Produktion der Muttermilch ankurbelt. Die Mutter verliebt sich regelrecht in ihr Baby und vergisst die Welt um sich herum, wenn sie es stillt. Dabei lassen diese Hormonveränderungen auch die Erinnerung an den Geburtsschmerz bzw. die weniger schönen Geburtsmomente verblassen. Zugleich können aber auch noch andere Dinge aus dem Erinnerungsspeicher kurzfristig „weg“ sein.
Schlafmangel
Schlafmangel ist ein weiterer grosser Mitspieler bei einer „Stilldemenz“. Schlafmangel kann nämlich zu Konzentrationsmangel und Gedächtnisstörungen führen. Das erklärt auch das Phänomen, dass auch Väter von einer „Stilldemenz“ betroffen sein können. Frisch gebackene Eltern kennen Schlafentzug bzw. oft unterbrochenen Nachtschlaf nur zu gut.
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Stress
Neben der hormonellen Achterbahnfahrt der Mutter und fehlendem Schlaf der Eltern können weitere belastende Umstände (Stress) eine „Stilldemenz“ fördern. So sorgen bei jungen Eltern beispielsweise größere Probleme im häuslichen Umfeld oder in der Partnerschaft sowie traumatische Geburtserlebnisse oder massive Überforderung im neuen Alltag für mehr Vergesslichkeit.
Konzentration auf das Wesentliche
Offenbar hat die Natur es auch mit Unterstützung der Hormone so eingerichtet, dass sich die Schwangere voll auf das Ungeborene und seine Geburt sowie die Mutter voll auf das Neugeborene konzentriert. Eine solche Anpassungsleistung und Spezialisierung des mütterlichen Gehirns ist für das Kind überlebenswichtig!
Auswirkungen der Stilldemenz
Die Auswirkungen der Stilldemenz können vielfältig sein. Sie reichen von harmlosen Vergesslichkeiten bis hin zu Situationen, die als peinlich oder belastend empfunden werden.
- Vergesslichkeit im Alltag: Das Portemonnaie verlegt, den Geburtstag der Schwester vergessen - solche Situationen sind typisch für die Stilldemenz.
- Wortfindungsstörungen: Eine Mutter hat mal erzählt, dass sie manchmal sogar Wortfindungsstörungen hat. Sie möchte z.B. ihren Mann bitten, ihr das Salz zu reichen - aber ihr fällt das Wort „Salz“ gerade nicht ein.
- Gefühl der Unzulänglichkeit: Möglicherweise empfindest du in manchen Situationen auch ein Gefühl der Unzulänglichkeit und denkst, dass etwas mit dir nicht stimmt.
Was hilft gegen Stilldemenz?
Es gibt verschiedene Massnahmen, die helfen können, die Auswirkungen der Stilldemenz zu lindern:
- Schlaf: Da Schlafmangel offenbar zu den Hauptgründen für mütterliche Vergesslichkeit gehört, kann man nur den vielzitierten Rat wiederholen: Schlafe, wenn dein Baby schläft! Und das nicht nur in der Nacht, sondern auch am Tag. Selbstverständlich können auch Väter oder nahestehende Personen das Baby für eine Zeit übernehmen und so für Entlastung und Pausen für Mütter sorgen. Mit kleineren Nickerchen zwischendurch wird die Müdigkeit weniger und das Gehirn ist wieder aufnahmefähiger.
- Gesunde Ernährung: Eine vitaminreiche Ernährung wirkt dem Vergessen der Schwangerschafts- und Stilldemenz entgegen. Besonders wirkmächtig sind hier vor allem das Vitamin B12 (z.B. in Hering, Seelachs), das Vitamin C (z.B. in Hagebutte, roter Paprika, grünem Gemüse) und das Vitamin E (z.B. in pflanzlichen Ölen, Nüssen, grünem Gemüse). Zur gesunden Ernährung gehört es auch, genug zu trinken, vorzugsweise Wasser. Etwa zwei Liter pro Tag dürfen es schon sein.
- Bewegung: Bewegung in Kombination mit Atemtechnik, sowie Spaziergänge an der frischen Luft beruhigen nachweislich das Gehirn und ordnen die Gedanken. Das hilft auch bei Schwangerschafts- und Stilldemenz. Denn geordnete Gedanken helfen, Gedankenprioritäten richtig zu setzen und unterstützen dadurch die Merkfähigkeit des Gehirns.
- Gedächtnisstützen im Alltag: Ein altes Sprichwort lautet: „Wer schreibt, der bleibt.“ In einem griffbereiten Notizheft lässt sich alles festhalten, was nicht vergessen werden soll. Manche Menschen nutzen auch gerne Post-it Zettel, die sie sichtbar an die passenden Stellen kleben - an den Kühlschrank z.B. oder die Wohnungstür.
- Ordnung: Für Schlüssel, Handys, Portemonnaie, Brillen etc. richtest du am besten jeweils feste Plätze ein, an denen die Gegenstände „wohnen“.
- Entspannung: Nicht vergessen: entspannen, entspannen, entspannen. Arbeite mit, nicht gegen Deinen Rhythmus: Fordere Dein Hirn möglichst nur dann, wenn Du Dich fit fühlst. Lege Schlüssel, Geldbeutel, Handy etc. immer an denselben, angestammten Platz. Außer Notizbüchern helfen auch Haftzettel weiter. Aber pappe die nur an Stellen, wo Du sie auch wiederfindest!
Mikrochimärismus: Eine besondere Verbindung zwischen Mutter und Kind
Die emotionale Bindung zwischen Mutter und Kind ist etwas Besonderes. Tatsächlich sind beide nach der Geburt auch physisch miteinander verbunden. Denn während der Schwangerschaft werden Zellen auf den jeweils anderen übertragen. Sie bleiben jahrzehntelang, vielleicht sogar für immer. Das Überleben fremder Zellen im Körper bezeichnen Wissenschaftler*innen als Mikrochimärismus. Das Wort leitet sich ab von Chimära, einem Mischwesen der griechischen Mythologie. Sind wir also alle Mischwesen?
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Forschende vermuten, dass das Überleben fremder Zellen im Körper positive Effekte für Mutter und Kind bieten könnte. "Einerseits zeigen Studien Vorteile auf, zum Beispiel bei der Regeneration von mütterlichem Gewebe oder beim Sicherstellen des immunologischen Schutzes für den sich entwickelnden Fötus", heißt es von Seiten der Forschenden.
Stillen und Intelligenz des Babys
Dass gestillte Säuglinge gesünder sind, konnte in vielen Studien belegt werden. Eine neue Studie zeigt, dass Stillen offenbar sogar die Intelligenz des Babys fördert. Kinder, die zuvor mindestens sechs Monate gestillt worden waren, hatten signifikant höhere IQ-Werte als alle anderen.
Dysphorischer Milchspendereflex (D-MER)
Beim Stillen kann es zum dysphorischen Milchspendereflex kommen. Die dysphorischen Gefühle treten nur kurz vor dem Milchspendereflex beim Anlegen auf, sonst nicht, und dauern nur wenige Minuten, meist zwischen 30 und 90 Sekunden. Es wird vermutet, dass der dysphorische Milchspendereflex durch einen ausgeprägten, aber kurzen Dopaminmangel entsteht, ein Hormon und Neurotransmitter im Gehirn, der die Stimmung hebt und stabilisiert. Es ist hilfreich zu wissen, dass D-MER keine psychische Erkrankung und auch nicht eingebildet ist - es ist eine physiologische Besonderheit.
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