Stress ist ein allgegenwärtiges Phänomen im modernen Leben. Er kann sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf unseren Körper und Geist haben. Dieser Artikel beleuchtet die komplexen Auswirkungen von Stress auf das Gehirn, von den neuronalen Mechanismen bis hin zu den potenziellen Folgen für Gedächtnis, Kognition und psychische Gesundheit.
Einführung
Stress ist eine natürliche Reaktion des Körpers auf Herausforderungen und Veränderungen. In akuten Situationen kann Stress uns helfen, leistungsfähiger und aufmerksamer zu sein. Wenn Stress jedoch chronisch wird, kann er sich negativ auf unsere Gesundheit auswirken, insbesondere auf das Gehirn.
Die Stressreaktion im Gehirn
Wenn wir Stress erleben, werden verschiedene Regionen unseres Gehirns aktiv. Die Amygdala, das Angstzentrum des Gehirns, spielt eine zentrale Rolle bei der Verarbeitung von Emotionen und der Auslösung der Stressreaktion. Sobald die Amygdala eine Situation als neu oder potenziell gefährlich interpretiert, wird das Stresshormon Cortisol freigesetzt.
Die Rolle der Amygdala
Die Amygdala ist ein mandelförmiger Komplex von Nervenzellen im unteren Bereich des Gehirninneren und Teil des limbischen Systems. Sie steuert unsere psychischen und körperlichen Reaktionen auf Stressoren. Bei eingehenden Signalen, die Aufmerksamkeit erfordern, feuern ihre Nervenzellen, wodurch wir wacher und aufmerksamer werden. Ab einer bestimmten Schwelle aktiviert die Amygdala die Kampf- oder Flucht-Reaktion.
Zwei Wege der Stressreaktion
Die Amygdala nutzt zwei Wege, um die Kampf- oder Flucht-Reaktion auszulösen:
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- Der schnelle Weg: Über das sympathische Nervensystem, das den Körper auf Aktivität einstimmt, gelangt die Information "Gefahr" zum Nebennierenmark. Dort werden Adrenalin und Noradrenalin ausgeschüttet, die Herzfrequenz und Blutdruck erhöhen, die Muskelspannung steigern und mehr Blutzucker freisetzen.
- Der langsame Weg: Parallel informiert die Amygdala den Hypothalamus, der hormonelle Botenstoffe ausschüttet, darunter das Corticotropin-releasing-Hormon. Dieses Hormon wirkt auf die Hirnanhangdrüse (Hypophyse) und veranlasst sie, das Adrenocorticotropin (ACTH) freizusetzen. ACTH gelangt zur Nebennierenrinde und veranlasst diese, Cortisol auszuschütten.
Die Auswirkungen von Hormonen
Die ausgeschütteten Hormone bewirken eine Reihe von Veränderungen im Körper:
- Die Atmung beschleunigt sich.
- Puls und Blutdruck steigen an.
- Die Leber produziert mehr Blutzucker.
- Die Milz schwemmt mehr rote Blutkörperchen aus, die Sauerstoff zu den Muskeln transportieren.
- Die Adern in den Muskeln weiten sich.
- Der Muskeltonus steigt.
- Das Blut gerinnt schneller.
- Die Zellen produzieren Botenstoffe für die Immunabwehr.
- Verdauung und Sexualfunktionen gehen zurück.
Stress und Gedächtnis
Die Amygdala veranlasst auch den Hippocampus, eine wichtige Gedächtnisregion, sich die stressauslösende Situation gut zu merken. Dies hilft uns, uns vor dem Stressor in Acht zu nehmen. Chronischer Stress kann jedoch die Zellfortsätze im Hippocampus schädigen und das Gedächtnis beeinträchtigen. Veränderungen von Kodierungen im Hippocampus erschweren das Erinnern.
Stress und Denken
Die Amygdala ist eng mit dem präfrontalen Kortex verbunden, der für die Kontrolle der Emotionen und unser Verhalten wichtig ist. Chronischer Stress kann den präfrontalen Kortex verändern und es erschweren, sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Dauerstress führt dazu, dass hier Nervenverbindungen verloren gehen. Unser Urteilsvermögen ist beeinträchtigt und durch die Überaktivierung der Amygdala werden Situationen emotionaler bewertet als üblich.
Die Stressbremse
Normalerweise reguliert eine eingebaute Stressbremse die Stressreaktion. Wenn ausreichend Cortisol im Blut vorhanden ist, stoppt die Nebennierenrinde die Produktion von weiterem Cortisol, und das parasympathische Nervensystem wird aktiv, wodurch wir uns beruhigen und entspannen.
Wenn die Hormone aus dem Ruder laufen
Wenn das Zusammenspiel der Hormone nicht optimal funktioniert, kann es zu einer Überproduktion von Cortisol kommen, was zu Denkstörungen, Gewebeschwund im Gehirn und Störungen des Immunsystems führen kann. Auch die Entstehung von Depressionen und Stoffwechselstörungen kann auf diesen Einfluss zurückgeführt werden.
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Auswirkungen von Stress auf den Hippocampus
Wiederholter Stress destabilisiert die Synapsen in der Hippocampus-Region CA1, die für das episodische Gedächtnis wichtig ist. Dies führt zunächst zu Hyperaktivität der Neuronen, gefolgt vom Verschwinden von Nervenverbindungen und einer Veränderung der Kodierung. Alessio Attardo und sein Team vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie und dem Leibniz-Institut für Neurobiologie haben diesen Mechanismus entdeckt.
In Experimenten mit Mäusen, die trainiert wurden, die Position einer versteckten Plattform in einem Schwimmbecken zu erlernen, stellten die Wissenschaftler fest, dass wiederholter Stress zunächst die neuronale Aktivität erhöhte, aber anschließend die räumlich-zeitliche Struktur der Aktivitätsmuster verloren ging und die Enkodierung der Erinnerung im Hippocampus litt. Die veränderte Aktivität ging mit einer Abnahme von erregenden Synapsen einher, da vorhandene Synapsen durch den Stresseinfluss destabilisiert wurden und die Neubildung von synaptischen Kontakten drastisch abnahm.
Interessanterweise wurde der Verlust von Verbindungen in den Neuronen des Hippocampus erst nach mehreren Tagen Hyperaktivität deutlich, und die Desorganisation der Kodierung im Hippocampus zeigte sich erst nach einem erheblichen Kontaktverlust. Akuter Stress hingegen führte eher zu einer Stabilisierung der erregenden Synapsen, die in zeitlicher Nähe zum Stressereignis entstanden.
Chronischer Stress und seine Folgen
Langanhaltender Stress bringt unser neuronales Netzwerk aus dem Gleichgewicht und kann zu dauerhaften Veränderungen in unserer Hirnstruktur führen. Die Amygdala wird größer, während der Hippocampus und der präfrontale Kortex schrumpfen. Dies kann zu einer Reihe von körperlichen und psychischen Beschwerden führen, wie Erschöpfung, Reizbarkeit, Überforderung, Schlafstörungen und Vergesslichkeit.
Stress beeinträchtigt die Struktur und Funktion des Gehirns, was zu kognitiven Defiziten und einem erhöhten Risiko für psychiatrische Störungen wie Depression, Schizophrenie, Angstzuständen und posttraumatischen Belastungsstörungen führen kann.
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Stress und psychische Erkrankungen
Frühe traumatische Erfahrungen können die Arbeitsweise von Genen, die an der Stressreaktion beteiligt sind, so beeinflussen, dass Stresshormone schneller und intensiver ausgeschüttet werden. Dieser Effekt kann lebenslang bestehen bleiben.
Studien haben gezeigt, dass Mäusebabys, die in einem kritischen Stadium ihrer Entwicklung von ihrer Mutter getrennt werden, als ausgewachsene Tiere eher Anzeichen von Angst und Depression zeigen. Nella Christie Delva, eine Fulbright-Stipendiatin, forscht an den genetischen und neuronalen Veränderungen, die bei Mäusen zu depressivem Verhalten führen, wenn sie Stress ausgesetzt sind. Ihre Forschung konzentriert sich auf die Rolle von Dopaminrezeptoren in einem Subtyp von Neuronen. Sie hat herausgefunden, dass Mäuse, denen Dopaminrezeptoren (D1) fehlen, weniger anfällig für depressive Verhaltensweisen sind.
Stress und Arbeitsgedächtnis
Akuter psychischer Stress beeinträchtigt auch zentrale kognitive Funktionen wie das Arbeitsgedächtnis. Studien haben gezeigt, dass unter Stress die bewusste Steuerung von Gedanken und Handlungen nachlässt, während unbewusste, automatische Reaktionen zunehmen.
Die transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS) des ventromedialen präfrontalen Kortex (vmPFC) kann die negativen Auswirkungen von Stress auf das Gedächtnis verringern. Die Teilnehmenden konnten sich besser auf die Gedächtnisaufgabe konzentrieren, und die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol nahm ab.
Stressoren
Belastungen am Arbeitsplatz, Spannungen in der Familie, finanzielle oder gesundheitliche Probleme - jeder Mensch erlebt in seinem Leben stressige Phasen. Stress ist an sich nichts Negatives. Er hilft uns dabei, belastende Situationen zu bewältigen und uns an Veränderungen anzupassen. Heutzutage wird Stress jedoch oft zum ständigen Begleiter. Wenn Stress über lange Zeit oder sehr häufig auftritt, gerät unser Körper aus seinem natürlichen Gleichgewicht.
Die Bedeutung der Resilienz
Es ist wichtig zu verstehen, warum manche Menschen widerstandsfähig sind, obwohl sie Stress ausgesetzt sind, während andere emotionale Störungen entwickeln. Forschung in diesem Bereich könnte zu neuen Therapien zur Linderung der negativen Auswirkungen von wiederholtem Stress führen.
Bewältigungsstrategien
Die gute Nachricht ist, dass die schädlichen Wirkungen von Stress auf unseren Körper und Geist weitgehend umkehrbar zu sein scheinen. Körperliche Aktivität, ausreichend Schlaf, eine ausgewogene Lebensweise und gezielte Entspannung durch Progressive Muskelentspannung oder Autogenes Training können helfen, den Hippocampus wieder in Schwung zu bringen.
Es gibt auch spezielle Stressbewältigungskurse, die verschiedene Strategien vermitteln, wie man im Alltag besser mit Stress und seinen Folgen umgehen kann.
Messung der Stressreaktion
Die Messung der Herzschlagvariabilität kann helfen, den Aktivierungsgrad des vegetativen Nervensystems zu bestimmen. Stress führt zu Anspannung, und bei dauerhafter Anspannung "kippt" das vegetative Nervensystem in einen Modus der Überaktivierung des Sympathikus.
Auch die Messung von Cortisol kann in Ausnahmefällen empfehlenswert sein, meist bei diagnostisch unklaren Erschöpfungszuständen.
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