Ein Kribbeln oder Taubheitsgefühl im Bein, das Gefühl, dass das Bein „eingeschlafen“ ist, ist ein Phänomen, das viele Menschen kennen, besonders nach langem Sitzen in einer Position. In den meisten Fällen ist dies harmlos und verschwindet schnell durch Bewegung. Anhaltende oder häufig auftretende Missempfindungen können jedoch ein Zeichen für eine zugrunde liegende Erkrankung sein, insbesondere eine Nervenerkrankung. Plötzliche Taubheitsgefühle in Verbindung mit Symptomen wie einseitiger Lähmung oder Sprachproblemen können auf einen Schlaganfall hindeuten und erfordern sofortige medizinische Hilfe.
Wo treten Kribbeln und Taubheitsgefühle auf?
Kribbeln und Taubheitsgefühle können in verschiedenen Körperteilen auftreten, einschließlich Beinen, Armen, Händen, Fingern, Füßen, Zehen und Gesicht. Seltener können diese Empfindungen auch am Kopf, Rumpf, an den Lippen oder im Mund auftreten.
Ursachen von Kribbeln und Taubheitsgefühlen
Missempfindungen resultieren oft aus Problemen mit den peripheren Nerven, den kleinen Nerven in Händen oder Füßen, die weit entfernt von den zentralen Nerven in Gehirn oder Rückenmark liegen. Kribbeln und Taubheitsgefühle können aber auch direkt im zentralen Nervensystem entstehen oder psychisch bedingt sein.
Kribbeln: Eine „falsche“ Nervenaktivität
Kribbeln ist ein unangenehmes, meist schmerzloses Gefühl auf der Körperoberfläche. Nervenzellen in der Haut nehmen Sinnesreize wie Berührung oder Druck auf und leiten diese über Nervenbahnen zum Gehirn weiter, wo die Empfindung wahrgenommen wird. Bei Kribbeln als Krankheitszeichen sind die Nerven aktiv, ohne dass ein äußerer Reiz erkennbar ist. Es kommt also zu einer „falschen“ Nervenaktivität. Menschen beschreiben das Kribbeln unterschiedlich: als Ziehen, Stechen oder Ameisenlaufen. Es kann sich brennend oder elektrisierend anfühlen.
Taubheitsgefühle: Verminderte Nervenaktivität
Taubheitsgefühle deuten darauf hin, dass die Nerven zu wenig aktiv sind. In manchen Fällen sind die Nerven in den betroffenen Bereichen geschädigt und haben ihre Funktion verloren, was das Empfinden mindert. Plötzliche Taubheitsgefühle und Lähmungen auf einer Körperseite können auf einen Schlaganfall hindeuten und erfordern sofortiges Handeln (Notruf 112).
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Erkrankungen und Störungen, die mit Kribbeln und Taubheitsgefühlen einhergehen können
Im Folgenden werden einige Erkrankungen und Störungen aufgeführt, die mit Kribbeln und Taubheitsgefühlen einhergehen können:
Erkrankungen der Nerven
- Polyneuropathie: Schäden an den peripheren Nerven, insbesondere an den Nervenenden in Händen und Füßen. Typische Symptome sind Kribbeln, Ameisenlaufen und Taubheitsgefühle, die sich oft handschuh- oder sockenförmig ausbreiten.
- Restless-Legs-Syndrom (RLS): Missempfindungen wie schmerzhaftes Kribbeln, Ziehen und Brennen in den Beinen, die sich in Ruhe, besonders abends und nachts, verschlimmern. Betroffene verspüren oft einen starken Bewegungsdrang.
- Multiple Sklerose (MS): Eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die meist im jungen Erwachsenenalter beginnt.
- Parkinson-Krankheit: Absterben bestimmter Nervenzellen im Gehirn, die den Botenstoff Dopamin bilden. Dies führt zu Muskelsteifigkeit, Zittern und Bewegungsarmut.
- Migräne: Kribbeln und Taubheitsgefühle können eine Migräne-Attacke ankündigen, meist im Gesicht oder einseitig an Armen oder Beinen.
- Guillain-Barré-Syndrom (GBS): Eine seltene Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem die peripheren Nerven angreift und zerstört. Symptome beginnen oft mit Kribbeln und Taubheitsgefühlen in Händen und Füßen und können sich zu Lähmungen ausweiten.
- Bandscheibenvorfall: Ausgetretene Bandscheibenmasse kann auf Nervenwurzeln drücken und Schmerzen, Kribbeln und Lähmungserscheinungen in Bein oder Arm verursachen, je nach Lage des Vorfalls.
- Karpaltunnelsyndrom: Einklemmung des Mittelhandnervs im Karpaltunnel, was zu Kribbeln an Mittel- und Ringfinger führt, später auch an Daumen und Zeigefinger.
- Ulnartunnel- und Ulnarrinnensyndrom: Druck auf den Ellen-Nerv (Nervus ulnaris) im Bereich des Ellenbogens oder an der Hand, was zu Taubheitsgefühlen führt, besonders am kleinen Finger und teilweise am Ringfinger.
- Leistentunnelsyndrom (Meralgia paraesthetica): Einklemmung des Oberschenkelhautnervs im Bereich des Leistenbands oder Leistenkanals, oft durch enge Kleidung oder Übergewicht, was zu Schmerzen und Gefühlsstörungen am oberen und seitlichen Oberschenkel führt.
Durchblutungsstörungen
- Schlaganfall: Unterbrechung der Blutversorgung eines Teils des Gehirns, meist durch ein Blutgerinnsel. Kribbeln, Taubheitsgefühle oder Lähmungserscheinungen in Arm, Bein oder Gesicht können auf einen Schlaganfall hindeuten, besonders wenn sie nur eine Körperseite betreffen.
- Periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK): Behinderung des Blutflusses in den Beingefäßen, was zu Schmerzen führt, besonders beim Gehen (Schaufensterkrankheit).
- Raynaud-Syndrom: Gefäßkrämpfe, ausgelöst durch Kälte oder Stress, die zu anfallsartigen Durchblutungsstörungen führen, vor allem in den Händen, manchmal auch in den Füßen. Bemerkbar macht sich das typischerweise durch kalte, blasse, bläuliche oder rote und gefühllose Finger, die wehtun und sich taub anfühlen können.
Psychische Störungen
- Angst-/Panikattacken und Angststörungen (Phobien): Missempfindungen wie Kribbeln oder Taubheitsgefühle können begleitend zu Panikattacken oder Angstzuständen auftreten.
- Hyperventilationssyndrom: Hektisches Ein- und Ausatmen in Stress-Situationen oder während einer Panikattacke, was zu einer Abnahme des Kohlendioxids im Blut führt und Nerven und Muskeln kurzfristig zu stark erregt. Dies kann Gefühlsstörungen und Verkrampfungen verursachen.
- Somatoforme Störungen: Körperliche Beschwerden ohne erkennbare körperliche Ursache, wie Müdigkeit, Muskelverspannungen, Zungenbrennen oder Kribbeln.
Medikamente und Umweltgifte
- Vergiftungen: Zum Beispiel mit Schwermetallen, können chronische Schäden an den Nerven verursachen, die zu Missempfindungen führen.
- Medikamente: Kribbeln und Taubheitsgefühle können als unerwünschte, aber meist vorübergehende Nebenwirkung einiger Medikamente auftreten.
Weitere mögliche Ursachen
- Wirbelsäulenprobleme: Erkrankungen der Wirbelsäule wirken sich immer wieder auf die Extremitäten mit aus. Ein tauber Oberschenkel deutet meist auf den LWS-Bereich hin - taube Arme oder Hände lassen eher eine Erkrankung im HWS bzw.
- Bandscheibenvorfall in der LWS: Durch diese Wirbelkanalverengung kommen die Nervenbahnen in Bedrängnis und reagieren oft gereizt. Neben starken Schmerzen sind Taubheitsgefühle und ein Kribbeln in den Beinen bzw. im Oberschenkel ein häufiges Symptom.
- Muskelverspannungen: Starke Verspannungen, wie sie auch bei einem Hexenschuss vorkommen können, sind manchmal der Auslöser für eine vorübergehende Taubheitsgefühl im Oberschenkel.
- Vitamin B12-Mangel: Das Vitamin ist an vielen Prozessen im Körper beteiligt - unter anderem an der Funktion der Nerven. Mögliche Folge eines Mangels sind ein Kribbeln oder Taubheitsgefühle.
- Restless-Legs-Syndrom: Treten Taubheitsgefühle, ein Kribbeln oder auch leichte Schmerzen an Beinen und Füßen auf, kann dies auf das Restless-Legs-Syndrom hindeuten.
- Rückenmarksverletzung: Eine Erschütterung des Rückenmarks kann für kurzfristige Störungen in der Motorik führen.
- Leistenbandeinklemmung: Da der Platz hier sehr begrenzt ist, sind Einklemmungen und Entzündungen keine Seltenheit. Bei einer Meralgia paraesthetica ist vor allem der Nervus cutaneus femoris lateralis betroffen.
Diagnose von Kribbeln und Taubheitsgefühlen
Die hausärztliche Praxis ist die erste Anlaufstelle, um Kribbeln und Taubheitsgefühle abklären zu lassen.
Persönliches Gespräch
Um die genauen Ursachen herauszufinden, ist zunächst ein ausführliches persönliches Gespräch wichtig. Der Arzt wird Fragen stellen wie:
- Wo treten die Missempfindungen auf?
- Seit wann bestehen die Beschwerden?
- Gibt es Begleitsymptome wie Schmerzen, Lähmungen oder Sensibilitätsstörungen?
- Bestehen Vorerkrankungen wie Diabetes oderMultiple Sklerose?
- Werden Medikamente eingenommen?
Nimmt man Reize auf der Haut nicht mehr richtig wahr, etwa einen Piks mit der Nadel, sind meist die kleinen Nervenenden geschädigt.
Blut-Tests
Mit Blut-Tests lassen sich weitere Hinweise auf die möglichen Ursachen finden. Gemessen werden zum Beispiel:
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- der Blutzuckerspiegel
- die Menge bestimmter Vitamine und Mineralstoffe
- Entzündungswerte
Weiteruntersuchung
Je nach Verdachtsdiagnose kommen weitere Untersuchungen infrage, wie zum Beispiel:
- Neurologische Untersuchung: Prüfung der Reflexe, Sensibilität, Muskelkraft und Koordination.
- Elektrophysiologische Untersuchungen (NLG/EMG): Messung der Nervenleitgeschwindigkeit und der Muskelaktivität, um Nervenschäden zu erkennen.
- Bildgebende Verfahren (MRT/CT): Darstellung von Gehirn, Rückenmark und Nerven, um beispielsweise Bandscheibenvorfälle oder Tumore auszuschließen.
- Liquoruntersuchung: Analyse der Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit, um Entzündungen oder andere Erkrankungen des Nervensystems festzustellen.
- Hautbiopsie: Entnahme einer Hautprobe zur Untersuchung der kleinen Nervenfasern.
- Dopplersonographie der Gefäße: Untersuchung der Blutgefäße, um Durchblutungsstörungen festzustellen.
Länger bestehende Missempfindungen sollten ärztlich abgeklärt werden.
Therapie von Kribbeln und Taubheitsgefühlen
Die Therapie richtet sich nach der jeweiligen Ursache.
- Behandlung der Grunderkrankung: Wenn das Taubheitsgefühl ein Begleitsymptom einer bestehenden Grunderkrankung ist, ist die zielgerichtete Behandlung dieser Krankheit erforderlich.
- Polyneuropathie: Die Therapie hängt davon ab, welche Form dieser Erkrankung vorliegt. Eine diabetische Polyneuropathie erfordert vor allem eine optimale Einstellung des Blutzuckers und den kompletten Verzicht auf Alkohol. Liegt ein Mangel an Vitamin B12 oder Folsäure vor, bessern sich die Symptome unter Umständen, wenn man den Mangel ausgleicht.
- Infektionen: Tritt die Hypästhesie infolge einer bakteriellen Infektion (zum Beispiel Borreliose) auf, hilft eine Therapie mit Antibiotika. Wenn das Taubheitsgefühl mit Gürtelrose zusammenhängt, behandelt derdie ArztÄrztin diese zumeist mit dem Wirkstoff Aciclovir.
- Bandscheibenvorfall: Die Therapie besteht vor allem darin, die Wirbelsäule zu entlasten - zum Beispiel durch eine Stufenbettlagerung. Um die Schmerzen zu lindern, verabreichen Fachleute mitunter entzündungshemmende Schmerzmittel (zum Beispiel aus der Gruppe der NSAR) oder Glukokortikoide und Mittel zur Muskelentspannung (Muskelrelaxanzien). Um langfristig die Rückenmuskulatur zu kräftigen, empfiehlt sich anschließend eine Physiotherapie.
- Medikamente: Bei einer medikamenteninduzierten Polyneuropathie sollte nach Möglichkeit das auslösende Medikament abgesetzt werden.
Weitere Therapiemöglichkeiten
- Schmerzlinderung: Antidepressiva und Medikamente gegen Krampfanfälle (Epilepsie), sogenannte Antikonvulsiva, haben sich bewährt.
- Capsaicin-Pflaster: Capsaicin ist für die Schärfe der Chilischoten verantwortlich und hat sich in Form von Capsaicin-Pflastern auf der Haut in Studien als erfolgversprechendes Mittel gegen Polyneuropathie erwiesen.
- Elektrotherapie: Die Nerven werden durch Impulse aus einem speziellen Gerät so stimuliert, dass Erkrankte statt Schmerzen ein leichtes Kribbeln spüren. Von außen lässt sich dieses durch ein TENS-Gerät erreichen.
- Gleichgewichtstraining: Gegen die fortschreitende Gangunsicherheit wirkt Gleichgewichtstraining in der Physiotherapie.
- Akupunktur: Wie die gezielten Reize der Akupunktur die Nerven beleben, ist noch ungeklärt.
- Bewegung: Sorgen Sie für ausreichend Bewegung, etwa durch flotte Spaziergänge oder Radfahren. Kräftigungs-, aber auch Dehnübungen steigern die Durchblutung noch zusätzlich. Stehen Sie auch bei sitzenden Tätigkeiten immer wieder zwischendurch auf und gehen Sie herum, damit das Blut nicht in den Beinen "versackt".
- Körperbewusstsein trainieren: Entstehen Taubheitsgefühle im Rahmen von Panikattacken oder als Ausdruck einer psychischen Störung, helfen eventuell Übungen zur Verbesserung des Körperbewusstseins.
- Vermeidung von Risikofaktoren: Viele Abnutzungsprozesse entstehen aber durch einen falschen Lebensstil - z. B. durch Rauchen, Übergewicht oder Bewegungsarmut.
- Geeignete Kleidung und Schuhe: Wer zu enges oder unpassendes Schuhwerk trägt, wird es - ob kurz oder lang - im Körper spüren.
Wichtige Hinweise
- Plötzliche Taubheitsgefühle, insbesondere in Verbindung mit Lähmungen oder Sprachstörungen, können auf einen Schlaganfall hindeuten und erfordern sofortige medizinische Hilfe (Notruf 112).
- Die Informationen in diesem Artikel ersetzen nicht die professionelle Beratung durch einen Arzt oder Apotheker.
- Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung können helfen, die Symptome zu lindern und das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen.
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