Temporale Epilepsie und Psychose: Ein umfassender Überblick

Die Verbindung zwischen temporaler Epilepsie (TLE) und Psychose ist ein komplexes und vielschichtiges Thema, das sowohl klinische als auch wissenschaftliche Aufmerksamkeit erfordert. Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen Aspekte dieser Beziehung, von den Definitionen und Klassifikationen der Epilepsie bis hin zu den subtilen neurologischen Veränderungen, die bei Patienten mit TLE und Psychose beobachtet werden.

Epilepsie: Definition, Klassifikation und Besonderheiten

Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die durch eine dauerhafte Prädisposition für die Entwicklung epileptischer Anfälle gekennzeichnet ist. Diese Prädisposition geht mit neurobiologischen, kognitiven, psychologischen und sozialen Konsequenzen einher. Ein epileptischer Anfall entsteht durch eine plötzliche, vorübergehende Störung der elektrischen Aktivität im Gehirn. Grundsätzlich kann jedes Gehirn, auch ein völlig gesundes, mit einem epileptischen Anfall reagieren, beispielsweise als Folge von Schlafentzug, Fieber oder der Einnahme bestimmter Substanzen. Solche Anfälle sind meist kurz, bilateral konvulsiv und ohne langfristige Folgen.

Von Epilepsie spricht man, wenn epileptische Anfälle wiederholt (mindestens zweimal) ohne spezifischen Auslöser auftreten. Auch nach einem ersten Anfall kann bereits ein Epilepsiesyndrom diagnostiziert werden, insbesondere wenn zusätzliche Befunde wie eine potenziell epileptogene MRT-Läsion ein erhöhtes Rezidivrisiko (≥60 % in den nächsten 10 Jahren) nahelegen.

Klassifikation epileptischer Anfälle

Die Internationale Liga gegen Epilepsie (ILAE) unterscheidet zwischen fokalen und generalisierten Anfällen.

  • Fokale Anfälle: Diese Anfälle beginnen in einer umschriebenen Region einer Hirnhemisphäre. Die Erregungssteigerung kann auf die Ursprungsregion begrenzt bleiben oder sich innerhalb der Hemisphäre ausbreiten. Fokale Anfälle werden danach unterschieden, ob das Bewusstsein erhalten bleibt oder zu irgendeinem Zeitpunkt des Anfalls gestört ist. Darüber hinaus erfolgt eine Zuordnung basierend auf der frühesten Symptomatik, wobei es fokale Anfälle mit oder ohne motorische Phänomene gibt. Schließlich wird der mögliche Übergang in bilaterale tonisch-klonische Anfälle berücksichtigt.

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    • Auren: Früher wurden fokale Anfälle mit erhaltenem Bewusstsein und ohne motorische Symptome als Auren bezeichnet. Die Symptomatik dieser Anfälle hängt von der Region der Übererregung ab und kann visuelle Wahrnehmungen, Parästhesien oder ein epigastrisches Gefühl umfassen. Auch autonome Symptome wie Gesichtsröte, Tachykardie oder Erbrechen können auftreten.
    • Fokale Anfälle mit motorischen Symptomen: Hier werden unter anderem tonische, atonische, klonische und myoklonische Anfälle unterschieden. Bei automotorischen Anfällen kommen komplexere Symptome wie orale Automatismen, Nesteln oder unsinnige Handlungen vor. Anfälle aus dem Schläfenlappen können mit einer erhaltenen Wahrnehmung starten und dann klassischerweise automotorische und manchmal autonome Symptome zeigen.
    • Hyperkinetische Anfälle: Diese können mit lautem Schreien und Vokalisationen, rhythmischem Schlagen und Treten sowie "Body Rocking" einhergehen. Das Bewusstsein kann während dieser meist kurz dauernden Anfälle erhalten sein.
  • Generalisierte Anfälle: Bei diesen Anfällen sind die Netzwerke beider Hemisphären von Anfang an so stark beteiligt, dass ein regionaler Ursprung weder klinisch noch mit technischen Methoden erfassbar ist.

    • Generalisierter tonisch-klonischer Anfall: Dieser ist durch einen plötzlichen Bewusstseinsverlust mit zunächst tonischer Phase (Versteifung des ganzen Körpers) und Sturzgefahr, gefolgt von einer klonischen Phase (rhythmisch anhaltende Zuckungen der Muskulatur) gekennzeichnet. Meist besteht begleitend eine Zyanose und es kommt zu vermehrtem Speichelfluss. Einnässen und Zungenbiss sind möglich.
    • Absencen: Diese gehen in der Regel ohne motorische Phänomene einher. Die typische Absence dauert zwischen 5 und 20 Sekunden. Atypische Absencen können hinsichtlich Beginn oder Ende unscharf sein, mit weniger deutlicher Beeinträchtigung einhergehen oder auch länger dauern.

Epilepsiesyndrome

Wenn eine typische Kombination elektroklinischer Merkmale wie Alter bei Epilepsiebeginn, Anfallstypen, EEG-Veränderungen und Ätiologie vorliegt, kann ein Epilepsiesyndrom diagnostiziert werden. Diese Diagnose impliziert diagnostische und therapeutische Konzepte und erlaubt die Abschätzung der Prognose. Beispiele hierfür sind das West-Syndrom, das Dravet-Syndrom, die Rolando-Epilepsie und die kindliche Absence-Epilepsie.

Temporallappenepilepsie (TLE)

Die Temporallappenepilepsie (TLE) ist eine Form der fokalen Epilepsie, bei der die Anfälle im Temporallappen des Gehirns entstehen. Der Temporallappen spielt eine wichtige Rolle bei Gedächtnis, Emotionen und Sprache. Daher können Anfälle in diesem Bereich eine Vielzahl von Symptomen verursachen.

Symptome der TLE

  • Aura: Viele Patienten mit TLE erleben vor dem eigentlichen Anfall eine Aura. Diese kann sich als ein aufsteigendes Gefühl im Bauch, visuelle oder auditive Halluzinationen, vestibuläre Symptome, Sprachstörungen oder versive Kopfbewegungen äußern.
  • Psychische Symptome: Traumhaftes Erleben (Dreamy State), Déjà-vu, Jamais-vu, Angst, Freude oder Wut können auftreten.
  • Autonome Symptome: Übelkeit, Dyspnoe, Herzklopfen, Hunger oder Speichelfluss sind möglich.
  • Motorische Symptome: Starrer Blick, "Innehalten", Pupillen zentral, Nesteln, Gestikulieren oder orale Automatismen (Lecken, Kauen, Schmatzen) können beobachtet werden.
  • Bewusstseinsstörung: Mit Amnesie, langsam entwickelnd und sich nach dem Anfall langsam lösend.
  • Postiktale Symptome: Desorientiertheit, Müdigkeit und Unruhe sind häufig.

Ursachen der TLE

Die Ursachen der TLE sind vielfältig. Häufige Ursachen sind:

  • Hippocampussklerose
  • Gliome
  • Arteriovenöse Malformationen
  • Astrozytome
  • Oligodendrogliome
  • Cerebrovaskuläre Erkrankungen
  • Enzephalitis (z.B. Autoimmun-Enzephalitis)

Diagnose der TLE

Die Diagnose der TLE basiert auf der Anamnese, der neurologischen Untersuchung und verschiedenen technischen Untersuchungen:

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  • EEG: Einseitig oder beidseitige temporale Spikes oder Spike-Waves können im EEG sichtbar sein. Oft ist ein Langzeit-EEG erforderlich.
  • MRT-Kopf: Eine hochauflösende MRT des Kopfes ist wichtig, um strukturelle Ursachen der Epilepsie zu identifizieren.
  • Weitere Abklärung: Bei Verdacht auf Vaskulitis, Schlaganfall oder andere seltene Ursachen können weitere Untersuchungen erforderlich sein.

Therapie der TLE

Die Therapie der TLE umfasst in der Regel die medikamentöse Behandlung mit Antiepileptika. Die Wahl des Medikaments sollte stets patientenorientiert und am Nebenwirkungsprofil ausgerichtet sein. Häufig eingesetzte Antiepileptika sind:

  • Lamotrigin
  • Levetiracetam
  • Lacosamid
  • Zonisamid
  • Eslicarbazepin

In einigen Fällen ist eine Epilepsiechirurgie indiziert, insbesondere bei pharmakoresistenter fokaler Epilepsie. Hierbei wird der Anfallsfokus im Gehirn operativ entfernt oder mittels Lasertherapie abgetragen.

Psychose bei Epilepsie

Patienten mit Epilepsie, insbesondere mit TLE, haben ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Psychosen. Die genauen Ursachen für diese Assoziation sind noch nicht vollständig geklärt, aber es gibt verschiedene Theorien.

Mögliche Ursachen und Mechanismen

  • Neuroanatomische Veränderungen: Studien haben gezeigt, dass Patienten mit TLE und Psychose signifikante Reduktionen der grauen Substanz in verschiedenen Hirnstrukturen aufweisen, insbesondere im Temporallappen. Diese Veränderungen können sich mit neuroanatomischen Befunden von schizophren erkrankten Patienten decken.
  • Neurotransmitter-Imbalancen: Veränderungen im Neurotransmitter-System, insbesondere im Dopamin-System, könnten eine Rolle spielen.
  • Chronische Epilepsie: Die chronische Natur der Epilepsie und die damit verbundenen sozialen und psychologischen Belastungen können zur Entwicklung von Psychosen beitragen.
  • Antiepileptika: In seltenen Fällen können auch Antiepileptika selbst psychotische Symptome auslösen.

Autoimmun-Enzephalitis

Autoimmun-Enzephalitiden können sich mit therapierefraktären Anfällen, Status epilepticus und psychotischen Symptomen manifestieren. Beispiele hierfür sind:

  • DPPX-Enzephalitis: Verwirrtheit, kognitive Defizite, Diarrhö und andere gastrointestinale Symptome, Gewichtsverlust, Hyperekplexie, Wahnerleben, Halluzinationen.
  • mGluR5-Enzephalitis: Gedächtnisdefizite, Verwirrtheit, Verhaltensänderungen, emotionale Instabilität.
  • Neurexin-3-alpha-Enzephalitis: Prodromalsymptome (Fieber, Kopfschmerzen, gastrointestinale Beschwerden), Anfälle, Verwirrtheit, Bewusstseinsstörung, Verhaltensänderung, Agitation.
  • Hashimoto-Enzephalopathie (SREAT): Epileptische Anfälle, Verwirrtheit, Gedächtnisstörungen, Sprachstörungen, Verfolgungswahn, Myoklonien, schizophreniforme Störung.
  • Neurolupus: Psychose, kognitive Defizite, affektive Störungen, Kopfschmerzen, Anfälle, Stroke-like-Episoden, Optikusneuropathie, Polyneuropathie.

Diagnose und Therapie

Die Diagnose einer Psychose bei Epilepsie erfordert eine sorgfältige Anamnese, neurologische und psychiatrische Untersuchung sowie gegebenenfalls weitere diagnostische Maßnahmen wie EEG, MRT und Liquoruntersuchung. Die Therapie umfasst in der Regel die Behandlung der Epilepsie mit Antiepileptika und die Behandlung der Psychose mit Antipsychotika. In einigen Fällen kann auch eine immunmodulatorische Therapie erforderlich sein, insbesondere bei Autoimmun-Enzephalitiden.

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Fallbeispiele und klinische Herausforderungen

Die im Ausgangstext genannten Fallbeispiele verdeutlichen die vielfältigen Herausforderungen bei der Behandlung von Epilepsie:

  • Einmal Epilepsie - immer Epilepsie? Dieser Fall zeigt, dass eine Epilepsie nach jahrelanger Anfallsfreiheit und Absetzen der Medikamente nicht mehr zwangsläufig besteht.
  • Vorsicht: Anfallstrigger: Dieser Fall verdeutlicht, dass bestimmte Triggerfaktoren wie Schlafentzug und Fieber Anfälle auslösen können, auch nach jahrelanger Anfallsfreiheit.
  • Herausforderung Epilepsiechirurgie: Dieser Fall zeigt, dass die Identifikation des Anfallsfokus nicht immer einfach ist und dass selbst eine auf eine fokale kortikale Dysplasie verdächtige Struktur nicht immer der epileptogene Fokus sein muss.
  • Vorsicht mit Valproat bei Älteren: Dieser Fall illustriert die Limitationen von Valproinsäure, insbesondere bei älteren Patienten.
  • Antiepileptikum nach erstem Anfall? Dieser Fall zeigt, dass die Entscheidung für oder gegen eine antiepileptische Therapie nach einem ersten Anfall individuell getroffen werden muss.
  • Mehr Lebensqualität mit weniger Antiepileptika: Dieser Fall illustriert, dass eine antiepileptische Polytherapie nicht immer wirksamer ist als eine Monotherapie oder eine Kombinationstherapie mit zwei Medikamenten.
  • Bisher keine Antiepileptika trotz fünf Grand mal: Dieser Fall verdeutlicht, dass nach mehreren unprovozierten Anfällen ein hohes Risiko für weitere Anfälle besteht und eine antiepileptische Therapie indiziert ist.
  • Jugendlicher mit frühen Absencen: Dieser Fall zeigt den oftmals gutartigen Verlauf von kindlichen Absence-Epilepsien, die in der Regel altersabhängig selbstlimitierend sind.
  • Lasertherapie bei Epilepsie: Dieser Fall illustriert eine Alternative zur klassischen Epilepsiechirurgie.

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