Die transkutane Vagusnervstimulation (t-VNS) rückt zunehmend in den Fokus der Epilepsiebehandlung, insbesondere für Patientinnen und Patienten, bei denen eine medikamentöse Therapie nicht ausreichend wirksam ist (pharmakoresistente Epilepsie) und ein epilepsiechirurgischer Eingriff nicht in Frage kommt oder abgelehnt wird. Dieser Artikel beleuchtet den aktuellen Stand der Forschung, laufende Studien und die potenziellen Vorteile dieser nicht-invasiven Methode.
Hintergrund: Arzneimittelresistente Epilepsie und Behandlungsalternativen
Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, bei der das Gehirn oder einzelne Hirnbereiche übermäßig aktiv sind und zu viele Signale abgeben, was zu epileptischen Anfällen führt. Medikamente spielen eine zentrale Rolle bei der Behandlung von Epilepsie, jedoch sprechen etwa 30 % der Betroffenen nicht ausreichend auf eine medikamentöse Therapie an und leiden weiterhin unter regelmäßigen Anfällen. In solchen Fällen stellt die invasive Vagusnervstimulation (VNS) eine anerkannte Behandlungsmethode dar. Eine weitere Option ist ein epilepsiechirurgischer Eingriff, bei dem der für die Anfälle verantwortliche Bereich des Gehirns operativ entfernt wird.
Die transkutane Vagusnervstimulation (t-VNS): Eine nicht-invasive Alternative
Die t-VNS ist eine Weiterentwicklung der konventionellen VNS, bei der ein Schrittmacher, der elektrische Impulse abgibt, implantiert wird. Im Gegensatz dazu ist bei der t-VNS keine Operation notwendig, da die Stimulation des Vagusnervs über eine am Ohr platzierte Elektrode durch die Haut erfolgt. Die t-VNS kann von den Patientinnen und Patienten selbstständig und während der normalen Tätigkeit im Alltag angewendet werden. Diese Methode bedient den Bedarf eines nicht-invasiven, nebenwirkungsarmen Behandlungsverfahrens.
Wie funktioniert die t-VNS?
Die t-VNS®-Technologie nutzt die Tatsache, dass der Ramus auricularis nervi vagi die Cymba conchae des menschlichen Ohres ausschließlich innerviert. Eine spezielle Ohrelektrode gewährleistet, dass elektrische Impulse von einem durch ein Kabel verbundenen Pulsgenerator präzise, transkutan abgegeben werden. Die exzitatorische Projektion sowohl des zervikalen als auch des aurikulären Astes des Vagusnervs zum Nucleus tractus solitarii führt zu einer Aktivierung ähnlicher subkortikaler und kortikaler Areale im Gehirn.
Aktuelle Studienlage und Forschungsergebnisse
Die Studienlage zur t-VNS bei Epilepsie ist vielversprechend, aber noch nicht abschließend. Während die invasive VNS bereits als anerkannte Behandlungsmethode bei arzneimittelresistenter Epilepsie gilt, zielt die Forschung zur t-VNS darauf ab, die Wirksamkeit und Sicherheit dieser nicht-invasiven Alternative zu belegen.
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TRAVAST-Studie: Erprobung der t-VNS bei pharmakoresistenter Epilepsie
Ein wichtiger Meilenstein ist die TRAVAST-Studie (Transkutane Vagusnervstimulation bei pharmakoresistenter Epilepsie), die durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) finanziert wird. Ziel dieser Erprobungsstudie ist es zu klären, ob die t-VNS bei Patientinnen und Patienten mit Epilepsie, die auf ihre medikamentöse Behandlung nicht ausreichend ansprechen und für einen epilepsie-chirurgischen Eingriff ungeeignet sind oder diesen ablehnen, zu einer relevanten Veränderung des Anfallsgeschehens führt.
Die Vergleichsintervention ist eine sogenannte Scheinbehandlung, bei der der Vagusnerv nicht oder nicht ausreichend stimuliert wird. Die Studie wird von einem Konsortium aus der Gesundheitsforen Leipzig GmbH und der Clinische Studien Gesellschaft mbH wissenschaftlich begleitet und ausgewertet.
Studiendesign und Endpunkte
Die TRAVAST-Studie untersucht die t-VNS als Add-on-Therapie zur bestehenden patientenindividuellen Pharmakotherapie. Der primäre Endpunkt ist die Veränderung des Anfallsgeschehens 1 Jahr nach Behandlungsbeginn um mindestens 50 % im Vergleich zum Ausgangswert. Zu den sekundären Endpunkten gehören:
- Anfallshäufigkeit, Anfallsfreiheit und Anfallsschwere
- Retentionsrate (Anteil an PatientInnen, die die Pharmakotherapie fortsetzen)
- Gesundheitsbezogene Lebensqualität
- Unerwünschte Ereignisse und Mortalität
- Bewältigung von Alltagsaktivitäten
- Morbidität (Veränderungen von Angststörungen, Depressivität, kognitiver Fähigkeiten, Schlafqualität, schwere mentaler Erkrankungen)
Weitere Studien und Fallberichte
Neben der TRAVAST-Studie gibt es weitere Forschungsprojekte und Fallberichte, die das Potenzial der t-VNS bei Epilepsie untersuchen. Eine große Studie zeigte die Anfallsreduktion durch Anwendung der VNS bei Patienten mit einer Form der Epilepsie, die mit Arzneistoffen nicht bzw. nur unzureichend behandelt werden kann. Auch zur t-VNS liegen bereits Ergebnisse einer Fallstudie vor, welche einen Trend zur Anfallsreduktion in der gleichen Patientengruppe zeigen.
Deswegen soll nun mittels einer großen multizentrischen und kontrollierten Studie die Wirksamkeit der t-VNS als Weiterentwicklung der VNS bei schwer behandelbarer Epilepsie untersucht werden.
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Potenzielle Vorteile der t-VNS
Die t-VNS bietet eine Reihe potenzieller Vorteile gegenüber anderen Behandlungsmethoden bei Epilepsie:
- Nicht-invasiv: Im Gegensatz zur invasiven VNS ist bei der t-VNS keine Operation erforderlich.
- Geringe Nebenwirkungen: Die t-VNS gilt als nebenwirkungsarmes Behandlungsverfahren.
- Selbstständige Anwendung: Die Patientinnen und Patienten können die t-VNS selbstständig und während der normalen Tätigkeit im Alltag anwenden.
- Potenzial zur Anfallsreduktion: Studien und Fallberichte deuten auf eine mögliche Wirksamkeit der t-VNS bei der Reduktion von epileptischen Anfällen hin.
- Verbesserung der Lebensqualität: Durch die Reduktion der Anfallshäufigkeit und -schwere kann die t-VNS potenziell die Lebensqualität der Betroffenen verbessern.
Herausforderungen und zukünftige Forschung
Trotz des vielversprechenden Potenzials der t-VNS gibt es noch einige Herausforderungen und offene Fragen, die in zukünftigen Forschungsarbeiten adressiert werden müssen:
- Standardisierung der Methodik: Es bedarf einer optimierten und standardisierten Methodik der t-VNS, einschließlich Sham-Testkonditionen, um die Wirksamkeit der Methode zuverlässig zu belegen.
- Identifizierung geeigneter Patientengruppen: Es ist wichtig, diejenigen Patientengruppen zu identifizieren, die am meisten von der t-VNS profitieren.
- Langzeitstudien: Es sind Langzeitstudien erforderlich, um die langfristige Wirksamkeit und Sicherheit der t-VNS zu untersuchen.
- Vergleich mit anderen Behandlungsmethoden: Es sind Studien erforderlich, die die t-VNS mit anderen Behandlungsmethoden, wie z.B. der invasiven VNS, vergleichen.
G-BA-Richtlinie zur Erprobung der t-VNS
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat in seiner Sitzung am 21. März 2024 eine Richtlinie zur Erprobung der „Transkutanen Vagusnervstimulation bei pharmakoresistenter Epilepsie“ beschlossen. Diese Richtlinie dient dazu, die notwendigen Erkenntnisse für die Bewertung des Nutzens der Methode zu gewinnen. Um den G-BA in die Lage zu versetzen, eine abschließende Bewertung des Nutzens der „Transkutanen Vagusnervstimulation bei pharmakoresistenter Epilepsie“ durchzuführen, sollen im Wege der Erprobung die hierfür nach § 135 und § 137c des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) in Verbindung mit den Vorgaben der Verfahrensordnung des G-BA (VerfO) notwendigen Erkenntnisse für die Bewertung des Nutzens der Methode gewonnen werden. Die Behandlungskosten der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer tragen die gesetzlichen Krankenkassen.
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