Epilepsie ist eine weit verbreitete neurologische Erkrankung, die Menschen jeden Alters betrifft. Für Patienten, deren Epilepsie nicht durch Medikamente kontrolliert werden kann, bietet die Vagusnervstimulation (VNS) eine vielversprechende Therapieoption. Dieser Artikel beleuchtet die VNS bei Epilepsie, einschließlich der Anwendungsbereiche, des Verfahrens, der Wirksamkeit, der potenziellen Nebenwirkungen und der aktuellen Forschung.
Epilepsie und ihre Behandlung
Epilepsie ist gekennzeichnet durch wiederholte Anfälle, die durch eine übermäßige Aktivität von Nervenzellen im Gehirn verursacht werden. Während Medikamente in vielen Fällen wirksam sind, gibt es eine erhebliche Anzahl von Patienten mit medikamentenresistenter Epilepsie. In solchen Fällen können chirurgische Eingriffe oder alternative Therapien wie die VNS in Betracht gezogen werden.
Am Universitätsklinikum Frankfurt bieten wir ein umfassendes Programm für Epilepsie- und Funktionelle Neurochirurgie an, das darauf abzielt, das Leben von Patienten mit medikamentenresistenter Epilepsie und chronischen neurologischen Erkrankungen zu verbessern. Unser Team ist auf verschiedene Eingriffe spezialisiert, darunter resektive Chirurgie, Laserablation, invasives EEG-Monitoring, transkranielle fokale Stimulation und diskonnektive epilepsiechirurgische Eingriffe.
Was ist Vagusnervstimulation?
Die Vagusnervstimulation (VNS) ist eine Therapie, bei der ein kleines Gerät implantiert wird, das elektrische Impulse an den Vagusnerv im Hals sendet. Der Vagusnerv ist ein wichtiger Hirnnerv, der eine Vielzahl von Körperfunktionen steuert und eine wichtige Verbindung zwischen dem Gehirn und den inneren Organen darstellt. Er entspringt direkt aus dem Hirnstamm und kontrolliert Körperfunktionen wie Herzschlag und Verdauung, die nicht dem Willen unterliegen. Die Stimulation des Vagusnervs kann die Häufigkeit und Intensität von Anfällen verringern und ist eine Option für Patienten, deren Epilepsie nicht mit einem gezielten epilepsiechirurgischen Eingriff behandelt werden kann.
Wie funktioniert die VNS?
Obwohl der genaue Wirkmechanismus der VNS noch nicht vollständig verstanden ist, gibt es Hinweise darauf, dass die Stimulation des Vagusnervs die Erregbarkeit von Gehirnzellen reduzieren kann. Es wird angenommen, dass die VNS die Freisetzung von Neurotransmittern im Gehirn beeinflusst, die für die Stimmung und das Wohlbefinden verantwortlich sind. Studien mit bildgebenden Verfahren wie Positronen-Emissions-Tomographie (PET) und funktioneller Kernspintomographie (fMRI) haben gezeigt, dass VNS eine Vielzahl von Hirnarealen aktiviert.
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Das VNS-Gerät und seine Implantation
Das VNS-Gerät ähnelt einem Herzschrittmacher und wird unter die Haut im oberen Brustbereich links eingesetzt. Eine Elektrode verbindet das Gerät mit dem Vagusnerv am Hals. Die Implantation erfolgt in Vollnarkose und dauert in der Regel 1 bis 1,5 Stunden. Ein längerer Krankenhausaufenthalt ist normalerweise nicht erforderlich. Nach der Operation wird das Gerät transkutan programmiert, um in regelmäßigen Abständen elektrische Impulse abzugeben. Die Stärke der Stimulation kann je nach Verträglichkeit und Wirkung auf die Anfallshäufigkeit individuell angepasst werden.
Patienten erhalten zudem einen Magneten, mit dem sie bei Bedarf eine zusätzliche Stimulation auslösen können. Dies kann hilfreich sein, um die Ausbreitung epileptischer Aktivität zu vermindern, wenn eine Aura wahrgenommen wird, oder um eine Stimulation auszulösen, wenn Angehörige frühe Anzeichen eines Anfalls bemerken.
Wirksamkeit der VNS bei Epilepsie
Mehrere kontrollierte multizentrische Studien haben einen antikonvulsiven Effekt der VNS nachgewiesen. Bei etwa 30 Prozent der Patienten verringert sich die Anfallshäufigkeit um mehr als 50 Prozent (Response). Die Behandlungseffekte erweisen sich in der Regel als stabil, wobei eine weitere Verbesserung der Anfallskontrolle in der offenen Beobachtungsphase noch bis zu 18 Monaten nach der Implantation nachgewiesen werden konnte. Es soll jedoch betont werden, dass in den meisten Fällen keine Anfallsfreiheit erreicht werden kann, sondern stattdessen eine Reduzierung der Häufigkeit bzw. der Schwere von epileptischen Anfällen erzielt wird. Allerdings profitieren nicht alle Patienten von dieser Behandlung. Bei bis zu 50% der Patienten kann durch den VNS ein Erfolg erzielt werden.
Positive Auswirkungen auf Befinden und Lebensqualität
Neben der verbesserten Anfallskontrolle wirkt sich die Behandlung mit VNS auch positiv auf das Befinden und die Lebensqualität der Patienten aus. Verbesserungen der Lebensqualität werden dabei im Verlauf meist früher berichtet als Verbesserungen der Anfallskontrolle. Viele Patienten geben bereits frühzeitig eine verbesserte Lebensqualität an.
Mögliche Nebenwirkungen der VNS
Das Nebenwirkungsprofil der VNS kann als unproblematisch beurteilt werden. Zu den häufigsten Nebenwirkungen gehören stimulationsabhängige Tonlagenänderungen der Stimme, Heiserkeit, Kribbelparästhesien im Halsbereich und Kehlkopfdruck. Die für die Vagusnerv-Stimulation typische Heiserkeit während der Stimulationsphase ist nach Angaben der Patienten meist nur mild ausgeprägt und nicht belastend. Insgesamt ist die Verträglichkeit gut, und kaum ein Patient wünscht die Beendigung der Behandlung aufgrund von Nebenwirkungen. In Kombination mit Medikamenten kommt es nicht zu einer Zunahme von Nebenwirkungen.
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VNS bei Depressionen
Aufgrund der positiven Wirkung auf Befindlichkeitsstörungen wurde die VNS auch zur Behandlung schwerer, therapieresistenter Depressionen erprobt. Eine kürzlich erschienene Studie zeigte, dass VNS möglicherweise auch für die Behandlung schwer depressiver Patienten (ohne Epilepsie) geeignet ist. Seit kurzem ist sie in den USA auch zur Behandlung von schweren Depressionen zugelassen. Bei beiden Anwendungen wird die Wirkung von Medikamenten unterstützt. Derzeit untersuchen ForscherInnen weitere Anwendungsgebiete.
Transkutane Vagusnervstimulation (t-VNS)
Die transkutane Vagusnervstimulation (t-VNS) ist eine Weiterentwicklung der konventionellen Vagusnervstimulation, bei der ein Schrittmacher implantiert wird. Bei der t-VNS ist hingegen keine Operation notwendig, da die Stimulation des Vagusnervs über eine am Ohr platzierte Elektrode durch die Haut erfolgt. Die t-VNS kann durch die Patientin oder den Patienten selbstständig und während der normalen Tätigkeit im Alltag angewendet werden. Die Wirksamkeit bei der Anregung übers Ohr ist vergleichbar mit der invasiven Stimulation. Daher kann es sinnvoll sein, erst einmal diese Methode für sich zu testen, bevor man sich ein Gerät zur VNS implantieren lässt.
Der Nutzen der transkutanen Vagusnervstimulation (t-VNS) zur Behandlung von Patientinnen und Patienten mit pharmakoresistenter Epilepsie, die für einen epilepsiechirurgischen Eingriff ungeeignet sind oder diesen ablehnen, ist noch nicht hinreichend belegt. Die Methode weist das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative im Vergleich zur alleinigen Pharmakotherapie auf. Daher hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in seiner Sitzung am 21. März 2024 eine Richtlinie zur Erprobung der „Transkutanen Vagusnervstimulation bei pharmakoresistenter Epilepsie“ beschlossen.
Kosten und Finanzierung der VNS
Die Initialkosten für Gerät und Implantation sind relativ hoch. Kosten-Nutzen-Analysen zeigen jedoch, dass eine VNS die Kosten, die in der Gruppe der schwerst betroffenen Patienten durch Notfallaufnahmen und Arztbesuche entstehen, deutlich senken kann. Die hohen Initialkosten amortisieren sich in etwa zwei bis drei Jahren; die Laufzeit des Geräts beträgt circa fünf Jahre.
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