Besonderheiten des Schildkrötengehirns: Eine umfassende Analyse

Schildkröten, als Reptilien, weisen einige einzigartige Merkmale in Bezug auf ihr Gehirn und ihre Sinnesorgane auf. Dieser Artikel beleuchtet die Besonderheiten des Schildkrötengehirns, seine Funktionsweise und wie es sich von anderen Tierarten unterscheidet. Dabei werden verschiedene Aspekte wie Sinneswahrnehmung, Schlafverhalten und evolutionäre Entwicklung betrachtet.

Anatomie und Physiologie des Schildkrötengehirns

Das Gehirn von Schildkröten ist im Vergleich zu Säugetieren oder Vögeln relativ einfach strukturiert. Es besteht, wie bei anderen Reptilien auch, aus drei Hauptteilen: dem Vorderhirn (Prosencephalon), dem Mittelhirn (Mesencephalon) und dem Hinterhirn (Rhombencephalon). Das Vorderhirn ist für kognitive Funktionen und die Verarbeitung von Sinnesinformationen zuständig, während das Mittelhirn vor allem für die Verarbeitung visueller Reize verantwortlich ist. Das Hinterhirn steuert lebenswichtige Funktionen wie Atmung und Herzschlag.

Das Herz-Kreislauf-System der Schildkröte

Das Herz-Kreislauf-System der Schildkröten besteht aus dem Herzen und den Blutgefäßen. Seine Hauptaufgabe ist die Versorgung des Organismus mit Sauerstoff, Nährstoffen und Hormonen sowie die Entsorgung von Kohlendioxid und anderen Abbauprodukten. Schildkröten besitzen ein typisches Reptilienherz.

Atmungssystem

Der Atmungsapparat erstreckt sich von den vorderen Atemwegen (Nase, Nasenhöhle und Rachenhöhle) bis zu den hinteren Atemwegen (Luftröhre, Bronchien und Lunge) und endet in den Lungenbläschen (Alveoli). Im Körper hat das Atmungssystem die Aufgabe der Aufnahme gasförmiger Stoffe.

Verdauungsapparat

Der Verdauungsapparat beginnt an der Maulhöhle und reicht bei Reptilien bis zur Kloake.

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Harn- und Geschlechtsapparat

Der Harn- und Geschlechtsapparat fasst die Harnorgane und Geschlechtsorgane zusammen. Dazu zählen bei Schildkröten u. a. die Nieren, Harnleiter, Harnblase, Penis und Hoden (beim Männchen), Eierstöcke, Eileiter und Klitoris (beim Weibchen) und die abschließende Kloake.

Endokrines System

Das endokrine System ist ein System aus spezialisierten Organen, Geweben und Zellgruppen, welches die Steuerung komplexer Körperfunktionen mit Hilfe von Botenstoffen (Hormonen) vollzieht. Bei Schildkröten hat das Hormonsystem besonderen Einfluss auf die periodisch wiederkehrenden Erscheinungen.

Sinneswahrnehmung bei Schildkröten

Schildkröten nutzen verschiedene Sinnesorgane, um ihre Umwelt wahrzunehmen. Dazu gehören Augen, Ohren, Nase und Haut. Jedes Sinnesorgan wandelt äußere Reize in elektrische Impulse um, die an das Gehirn weitergeleitet werden, wo sie verarbeitet und bewusst werden.

Visuelle Wahrnehmung

Mit Hilfe der Augen nehmen Schildkröten ausgesandte oder reflektierte Lichtstrahlen auf. Da sich die Augen seitlich im Kopf befinden, ist ihnen fast ein Rundumblick möglich. Ihr Sehvermögen ist vorwiegend auf weites Sehen eingestellt. Daher können sie besonders leuchtende Farben (besonders Rottöne) selbst aus großer Entfernung ausmachen. Gesunde Augen sind bei Schildkröten feucht-glänzend und klar.

Die Lichtstrahlen gelangen durch die Hornhaut (Cornea) und die Pupille, welche die kreisförmige Öffnung der Regenbogenhaut (Iris) darstellt, in das Auge. Durch die Muskelfasern der Iris kann die Pupille vergrößert und verkleinert werden. Hinter der Iris ist die elastische Augenlinse an Bändern aufgehängt. Die ins Augeninnere eingedrungenen Strahlen werden spiegelverkehrt auf der Netzhaut abgebildet. Die auf der Netzhaut verteilten Zäpfchen und Stäbchen sind Rezeptoren für das Sehvermögen. Die Zäpfchen sind für die farbige Wahrnehmung zuständig, die Stäbchen lediglich für weißes Licht bzw. das Sehen bei Nacht. Der sog. „gelbe Fleck“ ist der Punkt auf der Netzhaut, mit den meisten Sehzellen (hauptsächlich Zäpfchen). Er befindet sich in der Mitte der Netzhaut und ist für das schärfste Sehen bei Tag verantwortlich. Außen um diesen Fleck herum sitzen vermehrt Stäbchen, die für das Sehen bei Nacht zuständig sind.

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Auditive Wahrnehmung

Über das Ohr werden Schallwellen aufgenommen und in Bewegung umgewandelt, welche wiederum als Nervenimpulse in Richtung Gehirn gesendet werden. Da den Schildkröten der äußere Gehörgang gänzlich fehlt, können Sie die ausgesandten Schallwellen nur bedingt wahrnehmen. Das Innenohr besteht aus der Gehörschnecke, in der der Schall in Nervenimpulse umgesetzt wird, und dem Labyrinth (Bogengänge) welches als Gleichgewichtsorgan dient. Gehörschnecke und Labyrinth sind ähnlich gebaut. Beide sind mit einer Flüssigkeit, der sogenannten Endolymphe gefüllt.

Geruchssinn

Der Geruchssinn stellt den komplexesten chemischen Sinn dar. Die Nase dient vor allem dem Aufspüren nahrhafter Leckerbissen und Partnern. Die für den Geruchssinn verantwortlichen Rezeptoren sitzen im Innern der Nase. Landschildkröten verfügen über keine Nasenflügel, die Luft strömt direkt über die zwei Nasenlöcher, welche mittig zwischen den Augen liegen, in die Nasenhöhle. Die weiter oben und weiter im Innern liegenden Nasenmuscheln beherbergen das eigentliche Riechorgan.

Geschmackssinn

Chemische Sinnesreize werden mit Hilfe der sog. Knospen der Zungenpapillen aufgenommen, die den Geschmack vermitteln.

Tastsinn

Im Vergleich zu anderen Tierarten ist die Haut der Reptilien drüsenarm und trocken. Da sie nicht mitwachsen kann, wird sie regelmäßig abgestoßen und durch neue Haut ersetzt. In der Keimschicht der Haut (Stratum germinativum) werden neue Hautzellen ausgebildet, welche die Zellen der Hornschicht später ersetzen. Dieser regelmäßige Komplettaustausch der Haut wird als Häutung (Ecdysis) bezeichnet.

Verhalten und Kognition

Obwohl das Gehirn von Schildkröten relativ einfach ist, sind sie in der Lage, komplexe Verhaltensweisen zu zeigen. Sie können lernen, sich an ihre Umgebung anzupassen und sogar einfache Probleme zu lösen.

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Emotionen und Konditionierung

Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass Schildkröten keine Emotionen empfinden. Obwohl ihr Gehirn nicht so komplex ist wie das von Säugetieren, können sie dennoch Gefühle wie Vertrauen und Zuneigung entwickeln. Dies basiert jedoch eher auf Konditionierung als auf komplexen emotionalen Prozessen.

"Vertrauen" ist in der Tier-Verhaltenskunde nichts anderes, als dass das Tier gelernt hat, dass ihm in bestimmten Situationen nichts passiert. Der riesige Mensch, vor dem es sich in freier Natur verstecken würde, bringt in Gefangenschaft z. B. das Futter. Das Tier hat also gelernt, dass es nach dem Anblick des Menschen etwas Positives erwartet. Das nennt der Tierpsychologe "Konditionierung". Genauso kann eine Schildkröte, die öfters hochgehoben wird, lernen, dass ihr auch dabei nichts geschieht.

Bedürfnisse und Interessen

Schildkröten haben durchaus mehr "Interessen", als die Fortpflanzung. Diese (intellektuellen) Interessen würde man aber eher als Bedürfnisse bezeichnen. Ihre Bedürfnisse sind außerdem: Aufwärmen, Fressen und Schlafen. Diese 3 Bedürfnisse sind lebenswichtig.

Orientierung und Navigation

Meeresschildkröten zeigen ein bemerkenswertes Navigationsverhalten. Jedes Jahr kehren sie an den Ort zurück, an dem sie selbst geschlüpft sind, um ihre Eier abzulegen. Forscher haben herausgefunden, dass sie sich dabei am Magnetfeld der Erde orientieren.

Der Ort, an dem eine weibliche Meeresschildkröte schlüpft, bleibt ihr ein Leben lang in Erinnerung. Nach der Geschlechtsreife wird sie immer wieder hierher zurückkehren, um ihre eigenen Eier abzulegen. Den Rest des Jahres verbringt sie im Meer. Zu manchen Zeiten veränderte sich das Magnetfeld so, dass für bestimmte Stellen typische Eigenschaften enger zusammenlagen. Dann rückten auch die Schildkröten beim Eierlegen dichter zusammen.

Dass die Schildkrötendamen zur Brut an ihren eigenen Geburtsort zurückkehren, hat sich im Zuge der Evolution nicht ohne Grund durchgesetzt. "Die einzige Möglichkeit, sicherzustellen, dass sich der Nachwuchs am ausgewählten Strand gut entwickeln kann, ist, den eigenen Geburtsort zu wählen".

Schlafverhalten von Schildkröten

Es ist allgemein anerkannt, dass die meisten Tiere "schlafen". Die wichtigsten Attribute des Schlafes, die von allen Tieren geteilt werden, betreffen Verhalten, Sensorik, Motorik, Physiologie und Homöostase.

Forscher unterteilen jetzt die Schlaf-EEGs von Säugetieren in zwei Haupttypen:

  1. Der sog. „Slow Wave“-Schlaf (SWS) ist in seiner tiefsten Form durch hohe spektrale Energie bei niedrigen Frequenzen (<4 Hz oder "delta") gekennzeichnet und ist im frühen Stadium des Schlafes häufig von wiederkehrenden 7-14Hz-Oszillationen begleitet, auch als "Spindeln" bekannt.
  2. Der Nicht-SW- oder REM-Schlaf (REMS), mit EEG-Mustern, die den im Wachzustand beobachteten ähneln. Dieser Schlaf wird von markanten schnellen Augenbewegungen (REM) und einer ansonsten gelähmten axialen Muskulatur und Muskulatur der Extremitäten begleitet.

Diese elektrophysiologischen Attribute des Schlafes sind bisher nur bei Säugetieren und Vögeln nachgewiesen worden. Bei dem Versuch, die Funktion des Reptilien-Kortex zu verstehen, konnten Wissenschaftler beobachten, dass das Gehirn der Bartagame während des Verhaltensschlafes (gekennzeichnet durch Immobilität, geschlossene Augen und reduzierte Herzfrequenz) in einen oszillatorischen Modus zwischen zwei Zuständen wechselte. Der eine Zustand glich dem SW-Schlaf der Säugetiere mit langsamer (Delta-) Aktivität. Der zweite Modus glich dem REM-Schlaf inklusive rascher Augenbewegung im Wechsel mit dem Slow-Wave-Schlaf. Während der Nacht wechselten diese beiden Zustände mit einer Zyklusdauer von ca. 60 bis 80 Sekunden hin und her. Über die gesamte Nacht hinweg durchlief das Hirn also 250 bis 350 Schlafzyklen (Menschen durchlaufen nur vier bis fünf Zyklen mit einer Dauer von je 90 Minuten).

Diese Ergebnisse verändern demnach unsere Sicht auf die evolutionäre Entwicklung des Schlafes. REM- und SW-Schlaf sind vermutlich uralte dynamische Eigenschaften der Hirnaktivität während der Ruhe- bzw. Schlafphase, die sich vor mehr als 300 Millionen Jahren entwickelt haben, wenn nicht noch früher. Somit sind REM- und SW-Schlaf nicht das Resultat evolutionärer Konvergenz, die an Warmblüter gekoppelt ist.

Evolutionäre Perspektive

Das Reptiliengehirn entspricht vermutlich noch stark den ursprünglichen Wirbeltiergehirnen, wie sie vor dem späteren Siegeszug der Säugetiere ausgesehen haben. Wissenschaftler arbeiten daran, die Regeln der Informationsverarbeitung im Gehirn mit Hilfe einfacherer Systeme und Modellorganismen experimentell zu entschlüsseln. Dabei konzentrieren sie sich hauptsächlich auf die Informationsverarbeitung in der Hirnrinde (Kortex). Neben Säugetieren besitzen nur Reptilien einen geschichteten Kortex, der bei ihnen allerdings deutlich einfacher aufgebaut ist.

Der Isokortex hat sich höchstwahrscheinlich aus einfacheren, geschichteten Verschaltungen im Vorderhirn von Vorfahren moderner Amnioten (Tiere mit einer Embyonalhülle) entwickelt. Diese Strukturen finden wir noch heute bei Säugetieren, wie beispielsweise im Paleo- und Archikortex (piriformer Kortex bzw. Hippocampus).

Forschung am Max-Planck-Institut für Hirnforschung

Am Max-Planck-Institut für Hirnforschung konzentriert sich Gilles Laurent vor allem darauf, wie das Gehirn Informationen kodiert, also welche Sprache es spricht. Dafür untersucht er die Verschaltung der Nervenzellen in der Großhirnrinde von Schildkröten.

Vergleich mit dem Säugetier-Kortex

Einfache Kortizes existieren aber nicht nur im olfaktorischen System. Bei Reptilien setzt sich der gesamte zerebrale Kortex aus nur drei Schichten zusammen und einige Areale sind primäre sensorische Bereiche. Der visuelle Kortex der Wasserschildkröte (dorsaler Kortex, DCx) und der piriforme Kortex im Säugetier (PCx) liegen auf sehr ähnlichen Positionen entlang ihrer jeweiligen sensorischen Bahnen. Zwischen dem jeweiligen Sinnesorgan (Auge, Nase) und der kortikalen Verarbeitungsstation existiert in beiden Fällen nur eine einzige Umschaltstation im Zwischenhirn (lateraler Kniehöcker, Riechkolben).

Der visuelle Kortex der Reptilien scheint sich somit grundsätzlich von der entsprechenden Struktur bei Säugetieren zu unterscheiden. Er verfügt offensichtlich über keine geordnete Abbildung des Sehraumes (Retinotopie) und andere funktionelle Karten, die einer räumlich geordneten Anordnung von Antworteigenschaften (z. B. Orientierungsselektivität oder Okulardominanz) entsprechen, die bei Säugetieren über Jahrzehnte untersucht wurden. Vielmehr erinnert der visuelle Kortex der Reptilien an die olfaktorischen und hippokampalen Kortizes im Säugetier, an Strukturen also, von denen man weiß, dass sie beliebigen Merkmal-Assoziationen zu Grunde liegen.

Krebs bei Urschildkröten

Ein bemerkenswerter Fund war der Nachweis von Krebs bei einer 240 Millionen Jahre alten Urschildkröte namens Pappochelys. Durch die Auswertung von micro-CT Aufnahmen konnte der Auswuchs als sogenanntes periosteales Osteosarkom diagnostiziert werden, einer bestimmten Form von bösartigem Knochenkrebs, die es auch beim Menschen gibt.

„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Krebs nicht auf den modernen Menschen beschränkt ist."

Charles Darwin und die Evolutionstheorie

Wer über die Theorie der Evolution durch natürliche Selektion spricht, kommt an Charles Darwin nicht vorbei.

Prof. Dr. Charles Darwin sollte nach Wunsch seines Vaters eigentlich Arzt oder Pfarrer werden. Er langweilte sich jedoch in der Schule und wandte sich im Selbststudium den Naturwissenschaften zu. Mit 22 Jahren begab er sich auf eine fünfjährige Schiffsreise um die Welt. Diese Reise war entscheidend für die Entwicklung der Evolutionstheorie, nachdem Darwin auf den Galapagos-Inseln verschiedene Beobachtungen der Tierwelt gemacht hatte.

Darwin machte hierbei nicht nur Beobachtungen über Tiere und Pflanzen, sondern erforschte auch geologische Formationen. So sah er bei seinem ersten Landgang nach 20 Tagen auf der kapverdischen Insel Santiago in Form von Muschelschichten im Fels Indizien für die Erdentstehungs-Theorien von Charles Lyell, dessen Buch „Principles of Geology“ Darwin auf der Fahrt mitführte. In der lebendigen Umwelt aber gaben ihm später besonders Finken, Spottdrosseln und Schildkröten zu denken, da sie sich laut Anekdoten der Galapagos-Bewohner von Insel zu Insel leicht unterschieden und anhand ihrer Eigenschaften (z.B. Gefiederfärbung oder Panzerform) genau einer Insel zuordnen ließen. An diesem Ort befielen Darwin Zweifel an der Idee seines Zeitgenossen Jean-Baptiste de Lamarck, nach der verschiedene Arten durch „Transmutation“ und die Vererbung erworbener Eigenschaften ineinander übergingen. Darwin begann den Begriff der natürlichen Selektion zu entwickeln, nach der die verschiedenen beobachteten Arten durch evolutionären Druck aus einem gemeinsamen Vorgänger entstanden sein mussten.

Nach der Veröffentlichung seines wichtigsten Werkes hatte Darwin wie erwartet hart mit Kritikern zu kämpfen. Sein Mut zahlte sich jedoch aus und seine Theorien sind heute durch zahlreiche Belege untermauert.

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