Unspezifische Läsionen im Gehirn sind Veränderungen des Hirngewebes, die keiner spezifischen Erkrankung zugeordnet werden können. Eine Läsion ist allgemein eine Verletzung oder Beschädigung des Gewebes. Das Gehirn besteht aus verschiedenen Teilen, wobei das Marklager im Inneren hauptsächlich Nervenfasern enthält, die Informationen transportieren. Wenn sich das Marklager verändert hat, ohne dass eine klare Ursache identifiziert werden kann, spricht man von einer unspezifischen Marklagerläsion.
Multiple Sklerose (MS) als mögliche Ursache
Die Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), die durch multiple demyelinisierende Läsionen gekennzeichnet ist. Diese Läsionen können sich klinisch als fokale Defizite in verschiedenen neurologischen Funktionssystemen manifestieren, entweder episodisch in Schüben oder kontinuierlich fortschreitend.
Diagnose der MS
Die Diagnose der MS basiert auf dem Nachweis einer räumlichen und zeitlichen Dissemination demyelinisierender Läsionen im ZNS sowie dem Ausschluss anderer wichtiger Differenzialdiagnosen. Die McDonald-Kriterien von 2017 betonen die Bedeutung der Magnetresonanztomografie (MRT) und der Liquordiagnostik für die Diagnose der schubförmigen MS.
MRT-Befunde bei MS
Die MRT spielt eine entscheidende Rolle bei der frühzeitigen Diagnose der MS. Sie kann sowohl die räumliche als auch die zeitliche Dissemination bereits nach einem ersten klinischen Ereignis feststellen. Typische MRT-Befunde bei MS sind:
- T2-Läsionen: Multiple hyperintense Läsionen im Marklager, die periventrikulär, kortikal und juxtakortikal, infratentoriell und spinal lokalisiert sein können.
- Dawson-Finger: Streifenförmige Läsionen entlang der Ventrikel.
- Juxtakortikale Läsionen: Läsionen, die direkt am Rindenband liegen.
- Kontrastmittelanreicherung: Akut entzündliche Läsionen können Kontrastmittel aufnehmen, was auf eine aktive Entzündung hinweist.
- Black Holes: Nicht kontrastmittelaufnehmende Herde im Gehirn mit deutlicher T1w-Signalminderung, die Ausdruck von Myelinverlust sind.
- Central Vein Sign: Perivaskuläre Lokalisation von MS-Läsionen, bei denen die Venen in den Läsionen direkt abgegrenzt werden können.
Standardisierung der MRT-Protokolle
Um eine bessere Interpretation und Vergleichbarkeit der MRT-Befunde zu gewährleisten, wurden die MRT-Protokolle für Gehirn und Rückenmark standardisiert. Der Kern eines jeden Untersuchungsprotokolls sollte T2-gewichtete und FLAIR-Bilder sowie bei erstmaliger Diagnostik kontrastverstärkte T1-gewichtete Bilder sein. Insbesondere wird die Bedeutung der 3-D-FLAIR-Sequenz für die zerebrale Diagnostik hervorgehoben.
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Bedeutung der Liquordiagnostik
Der Nachweis oligoklonaler Banden im Liquor kann den MRT-basierten Nachweis der DIT ersetzen. Dies ist besonders relevant, wenn die MRT-Befunde nicht eindeutig sind.
Differenzialdiagnosen der MS
Die MRT-Befunde sind nicht immer spezifisch für die MS, was zu falsch positiven Diagnosen führen kann. Daher ist eine sorgfältige Differenzialdiagnostik erforderlich. Mögliche Differenzialdiagnosen sind:
- Ischämische Läsionen: Marklagerläsionen, die durch eine Durchblutungsstörung verursacht werden. Diese Läsionen nehmen mit dem Alter und bei gewissen Komorbiditäten, vor allem bei erhöhtem kardiovaskulären Risiko, zu.
- Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung (NMOSD): Eine seltene Erkrankung, die insbesondere Frauen betrifft und durch Aquaporin-4-Antikörper gekennzeichnet ist. Im MRT des Gehirns sind oft keine oder nur wenige Läsionen sichtbar, während das MRT des Rückenmarks längere Läsionen aufweisen kann.
- Akute disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM): Eine seltene Erkrankung, die vor allem bei Kindern und jungen Erwachsenen auftritt, oft nach viralen oder bakteriellen Infektionen.
- Infektionskrankheiten: Neurosyphilis, chronische Neuroborreliose und HIV-Infektion.
- Metabolische Störungen: Vitamin-B12-Mangel.
- Systemische Autoimmunerkrankungen: Neurosarkoidose, systemischer Lupus erythematodes, Morbus Behçet und das Sjögren-Syndrom.
Andere mögliche Ursachen für unspezifische Läsionen im Gehirn
Neben der MS gibt es weitere mögliche Ursachen für unspezifische Läsionen im Gehirn, darunter:
- Migräne: Studien haben gezeigt, dass Migränepatienten häufiger Läsionen in der weißen Hirnsubstanz aufweisen. Diese Läsionen sind oft subklinisch und haben keine Auswirkungen auf den Gesundheitszustand.
- Vaskuläre Risikofaktoren: Bluthochdruck, hoher Body-Mass-Index (BMI) und Rauchen können zu Läsionen im Gehirn führen.
- Alterungsprozesse: Mit zunehmendem Alter können im Gehirn Läsionen auftreten, die auf altersbedingte Veränderungen zurückzuführen sind.
Fallbeispiele
Fall 1: Verdacht auf Neuritis nervi optici
Eine 37-jährige Patientin bemerkte eine plötzliche Sehminderung auf dem rechten Auge. Klinisch bestand der Verdacht auf eine Entzündung des Sehnerven (Neuritis nervi optici). Die MRT-Untersuchung zeigte eine erhöhte Signalintensität des rechten Sehnervs sowie mehrere T2-Läsionen im Marklager. Obwohl die bildgebenden Befunde mit einer MS vereinbar sind, konnten die Diagnosekriterien nach McDonald von 2017 in diesem Fall noch nicht erfüllt werden, da der Nachweis einer zeitlichen und räumlichen Dissemination fehlte.
Fall 2: Sensibilitätsstörung im C6-Dermatom
Eine 19-jährige Patientin stellte sich mit einer Sensibilitätsstörung im C6-Dermatom rechts vor. Das MRT des Rückenmarkes zeigte eine MS-typische Läsion. Da im Schädel-MRT keine Läsionen festgestellt wurden und auch keine Anzeichen für eine DIT vorlagen, erfüllte die Patientin nicht die Kriterien für eine MS. Stattdessen wurde die Befundkonstellation als klinisch isoliertes Syndrom (KIS) bezeichnet.
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Fall 3: Kopfschmerzen
Ein Patient klagte über wiederholte starke Kopfschmerzen. Das MRT zeigte unspezifische Läsionen im Gehirn. Eine Neurologin vermutete, dass die Läsionen im Zusammenhang mit Migräne stehen könnten.
Fall 4: Zittern und Kribbeln
Ein Patient berichtete über unwillkürliches Zucken des Zeigefingers, Zittern der Hände und Arme sowie Kribbeln in der linken Gesichtshälfte. Das Schädel-MRT zeigte eine unspezifische kleine längliche hyperintense Läsion im paraventrikulären Marklager. Ein Neurologe erklärte, dass eine einzelne Läsion in diesem Bereich kein Zittern verursachen kann und es sich um eine unspezifische Läsion ohne Krankheitswert handeln könnte.
Therapie
Die Therapie unspezifischer Läsionen im Gehirn richtet sich nach der zugrunde liegenden Ursache. Bei MS umfasst die Therapie:
- Schubtherapie: Behandlung akuter Schübe mit hochdosierten Glucocorticoiden.
- Verlaufsmodifizierende Therapie: Immunmodulatoren und Immunsuppressiva zur Reduktion der Schubfrequenz und Verlangsamung des Krankheitsfortschritts.
- Symptomatische Therapie: Linderung von Symptomen wie Spastik, Schmerzen und Müdigkeit.
Bei anderen Ursachen, wie z.B. vaskulären Risikofaktoren, liegt der Fokus auf der Behandlung der Grunderkrankung und der Risikofaktoren.
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